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Bewertung der Walser-Bubis-Debatte

C. Die Walser-Bubis-Debatte

4. Bewertung der Walser-Bubis-Debatte

Es ist offensichtlich, dass die gängigen Muster der Diskreditierung über niedere Motive und platte Emotionen, des Drohverhaltens über den Ausschluss aus der nationalen Öffentlichkeit, und der selbstherrlichen Ignoranz im Namen der Gedanken- und Geistesfreiheit, allesamt auch zugleich antisemitisch kon-notiert sind. Sie stellen den ‚geistigen‘ und ‚heroischen‘ Deutschen dem ‚emp-findlichen‘ und ‚geldgierigen‘ Juden gegenüber; konstituieren eine nationale Öffentlichkeit, die homogen, dominant und demzufolge ausgrenzend ist und die gegen Unterwanderung durch ‚internationalen Druck‘ verteidigt werden müsse; und huldigen einem Intellektuellenbild, das sich eben nicht durch Empathie und Verständigung, sondern durch große Gesten und narzisstische Fixierung auf die eigenen Gewissensqualen auszeichnet. „Viele Sprechblasen, wenig Geist“96 schreibt zu Beginn der Debatte Irmtraud Gutschke verächtlich über Ignatz Bubis; zu Ende der Debatte besiegelt das Verdikt der FR gegenü-ber Martin Walsers, er sei „gewissen- und geistlos“97, die Beschädigung, die sein Ansehen im Verlauf der Debatte erfahren hat.

Die Walser-Bubis-Debatte hat, indem diese Muster zur Anwendung kamen, aber ihnen – wenn auch auf weite Strecken fast nur durch Bubis selbst – wi-dersprochen und die Stirn geboten wurde, einen grundsätzlichen Beitrag zur Debattenkultur und zur Antisemitismus-Debatte geleistet.

94 Kunze, Reiner: „Bubis hat eine Hexe geschaffen – und einen geistigen Scheiterhaufen“ (Interview). Die Welt vom 07.12.1998

95 de Bruyn, Günter: Diese Debatte wird auch noch weitergehen, wenn wir nicht mehr sind. FAZ vom 08.12.1998

96 Gutschke, Irmtraud: Wie es den Medien recht ist. ND vom 14.10.1998 97 Schütte, Wolfram: Der Fleck auf seinem Rock. FR vom 15.12.1998

Während die Abwesenheit der politischen Elite moralisch unbefriedigend, aber politisch nachvollziehbar sein mag – die Gefahr, sich in einer solchen Debatte zu verbrennen, ist für Berufspolitikerinnen und -politiker erkennbar größer als der mögliche Nutzen, der sich persönlich daraus ziehen lässt – ist die Abwesenheit der professionellen Intellektuellen nicht auf diese Weise zu erklären. Vielleicht muss die Erklärung für deren Verhalten in der Tatsache gesucht werden, dass ihnen Walser – als deutscher Intellektueller, als Literat, als Vertreter des ominösen ‚Geistes‘ – trotz Unzufriedenheit mit manchen seiner Äußerungen schlicht näher steht als der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Einen ‚Reflex‘ der Verteidigung gegen antisemitische Angriffe sucht man im Verlauf der Debatte bei bundesdeutschen Intellektuellen jeden-falls vergebens.

Anknüpfend an die einleitend ausgeführten Anmerkungen über Verschie-bungen im diskursiven Gefüge, lässt sich zur Walser-Bubis-Debatte folgendes sagen: Die Debatte spielt sich ab im Rahmen eines größeren Common Sense zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Dieser beruht darauf, dass es eine Spannung zwischen zwei Extrempositionen gibt, die aus verschiedenen Gründen nicht zur einen oder anderen Seite entschieden werden kann: näm-lich der Position, die Verbrechen der deutschen NS-Geschichte zu relativieren und damit aus der kollektiven politischen Identität der BRD zu tilgen, und der Position, aus der Realität dieser Verbrechen und der Kontinuität deutscher Geschichte reale Konsequenzen für heutige Politik abzuleiten, die den Hand-lungsspielraum deutscher Regierungen und Institutionen definitiv binden (z.B.

als politische Verpflichtung zur Demilitarisierung oder für Entschädigungszah-lungen etc.). Eine entschiedene Annäherung an einen dieser beiden Pole würde den Konsens der deutschen Nachkriegsgesellschaft brechen bzw. verschieben.

Dies gelingt keinen der Kontrahenten letztlich, wie auch in früheren Debatten nicht.

Die Annäherung an die gegensätzlichen Positionen der Debatte scheitert meist; dies bedeutet jedoch nicht, dass die Debatte keine realen Ergebnisse er-zeugt. Sie erzeugt Verschiebungen im diskursiven Gefüge: dessen, was gesagt werden kann, und wer es sagen darf. Sie beeinflusst auch aktuelle politische Entscheidungen und Tendenzen. Das ‚Anrennen‘ gegen die ‚Leitplanken‘ des Common Sense ist eine Methode, die, auch wenn sie das vorgebliche Ziel nicht erreicht, massiv ‚andere Ziele‘ erreichen kann. In diesem Sinne sind die Ergeb-nisse der Debatte zu bilanzieren.

Hierbei ist auffallend, dass die realen Ergebnisse der Debatte in einem ge-wissen Gegensatz zu Bubis kritischer und selbstkritischer Auswertung stehen.

Diese realen Ergebnisse sind:

• Das Holocaust-Mahnmal wird gebaut, der öffentliche Widerstand dagegen ist durch die Debatte entscheidend geschwächt.98

• Walser als Person ist als moralische Instanz des deutschen ‚Geisteslebens‘

erheblich diskreditiert99.

• Und, vor allem: das Reden über die ‚Berliner Republik‘, als mächtiger Versuch einer nachhaltigen Diskursverschiebung, ist durch die Walser-Bubis-Debatte ebenfalls diskreditiert, der Begriff wird zunehmend negativ konnotiert und verschwindet weitgehend aus der öffentlichen Diskussion.100

Bubis bittere Bilanz kurz vor seinem Tod, er habe in der Gesellschaft „nichts oder fast nichts bewirkt“, er komme sich vor „als Versager, daß ich nicht gesehen habe, daß tatsächlich die Bürger wie Walser denken“101, bezieht sich somit auf die Unmöglichkeit, die ‚Leitplanken’ des gesamten Diskurses über deutsche NS-Vergangenheit zu verschieben. Der mit hohem persönlichen Einsatz geführte Angriff auf Walsers diskursive Attacke hat jedoch nicht nur verhindert, dass der Diskurs in die andere Richtung nachhaltig verschoben wurde, er hat konkrete Ergebnisse gebracht und andere Debatten angestoßen, die ohne die Walser-Bubis-Debatte nicht zu denken wären. Hier wäre insbesondere an die linken Debatten um die zentrale Bedeutung des Antisemitismus als Dimension theo-retischer und praktischer Kritik zu erinnern, die in den Jahren darauf eine uner-wartete Heftigkeit entfalteten und in dieser Weise nie zuvor geführt wurden.

98 So äußert sich Bundeskanzler Schröder in der ZEIT, das Mahnmal sei nicht mehr abzulehnen, „beson-ders nach der Walser-Bubis-Debatte [...] So ist das im Leben.“. In: Hofmann, Gunter/Löffler, Sigrid/

Schröder, Gerhard: Eine offene Republik (Interview). ZEIT vom 04.02.1999. - Peter Eisenman, Architekt des Holocaust-Denkmals, geht noch weiter: „Ohne Martin Walsers Rede in der Paulskirche und Bubis´

Vorwurf an ihn wegen antisemitischer Untertöne wäre das Mahnmal nicht gebaut worden. Es wäre tot. Die Walser-Rede provozierte gegen seinen Willen das Projekt.“ Eisenman, Peter im Interview mit Philipp Gessler und Jörn Kabisch: „Jetzt übernimmt das Denkmal“. taz vom 16.08.2003

99 Siehe auch Frank Schirrmachers Abrücken von Martin Walser im Zusammenhang mit dem neuesten Walser-Roman 2002. In einem offenen Brief an Walser begründet der FAZ-Herausgeber seine Ablehung eines Vorabdruckes von „Tod eines Kritikers“ im FAZ-Feuilleton: „Ihr Roman ist eine Exekution […].

Ich aber halte Ihr Buch für ein Dokument des Hasses […] das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar.[…] verstehen Sie, daß wir keinen Roman drucken werden, der damit spielt, daß dieser Mord [an dem im Buch persiflierten Marcel Reich-Ranicki, welcher das Warschauer Ghetto überlebte] fiktiv nachgeholt wird?“ Schirrmacher, Frank: Lieber Martin Walser, Ihr Buch werden wir nicht drucken. FAZ vom 29.05.2002

100 Jürgen Habermas beerdigt sie gleichsam in seinem Beitrag „Der Zeigefinger: Die Deutschen und ihr Denkmal“, ZEIT vom 31.03.1999: Die „Berliner Republik, die der falschen, der momumentalen Ver-gangenheit gewidmet sein soll, wirft ihre Schatten voraus.“

101 Bubis, Ignatz: „Herr Bubis, was haben Sie bewirkt?“ (Interview). Stern vom 29.07.1999