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Die Bewertung des politischen Systems

Während die Etablierung eines funktionierenden marktwirtschaftlichen Systems einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, lassen sich demokratische Systeme in einem wesentlich kürzeren Zeitraum implementieren. Der Bestand demokratischer Systeme ist jedoch von der Akzeptanz der Bevölkerung abhängig. Wenn die Unterstützung durch die Bevölkerung fehlt, ist die Herausbildung autoritärer Strukturen nicht unwahrscheinlich.

Im folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, wie das gegenwärtige politische System im Vergleich zum sozialistischen System bewertet wird, und welche Erwartungen für die nahe Zukunft bestehen.

Die Bewertung des politischen Systems wird, wie schon für das ökonomische System, anhand einer Skala von - 100 bis + 100 vorgenommen. Wenn wiederum zunächst die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands betrachtet wird, so fällt auf, daß die West-deutschen, analog zur Einschätzung des ökonomischen Systems, eine deutlich niedrigere Bewertung für das gegenwärtige politische System im Vergleich zu vor fünf Jahren abgeben (Abbildung 6). Das System vor der Vereinigung wird durchschnittlich sehr hoch bewertet. Da das parlamentarische System der Bundesrepublik unverändert blieb, ja noch nicht einmal ein Regierungswechsel stattgefunden hat, ist diese Entwicklung doch überraschend. Allgemeine Politikverdrossenheit, hohe finanzielle Lasten in der Folge der Vereinigung oder auch ein gewisser Nostalgieeffekt sind mögliche Erklärungen. Eine Wiederherstellung zufriedenstellender Strukturen wird in Westdeutschland auch in naher Zukunft nicht angenommen. Die Erwartungen in fünf Jahren liegen nur geringfügig über den Durchschnittswerten für das gegenwärtige politische System.

Ostdeutsche bewerten das DDR-System durchschnittlich ablehnend, doch auch die Wertung für das gegenwärtige System liegt noch im negativen Bereich. Auch innerhalb der nächsten fünf Jahre werden kaum positive Veränderungen erwartet Es kann also angenommen werden, daß sich in Ostdeutschland eine gewisse Enttäuschung oder Desillusionierung in bezug auf das politische System der Bundesrepublik breit gemacht hat. Darauf deutet jedenfalls die relativ geringe Differenz in der Bewertung des

DDR-Abbildung 6: Bewertung des politischen SystemsrVergangenheit • Gegenwart • Zukunft

Westdeutschland

Ostdeutschland

(Sozialistisches) Gegenwärtiges

System System System in

fünf Jahren Sozialistisches Gegenwärtiges System System

Tschechische Republik

Slowenien Rumänien Kroatien

System in fünf Jahren

40

20

-20

40

Bulgarien Slowakische Republik

Polen

40

20

-20

-40

Sozialistisches Gegenwärtiges

System System System in

fünf Jahren Sozialistisches

System Gegenwärtiges System

Ungarn Weißrußland Ukraine

System in fünf Jahren

Skala von -100 bis +100; Ost- und Westdeutschland: -10 bis +10.

Datenbasis: NDB-Barometer, ökopol

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Systems und des politischen Systems der Bundesrepublik hin. Es ist aber auch denkbar, daß die Verantwortung für die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit, dem politischen und nicht dem ökonomischen System zuge-wiesen wird (vgl. Zapf 1994).

In der Tschechischen Republik, Slowenien, Kroatien und Rumänien dagegen werden die politischen Veränderungen in starkem Maße positiv bewertet. Bei Slowenen und Kroaten dürfte insbesondere die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit zu einer positiveren Einschätzung des gegenwärtigen Systems, aber auch zu den hohen Zukunfts-erwartungen beitragen. Bei der Tschechischen Republik zeigt sich eine starke Korrelation zwischen der Bewertung des ökonomischen und des politischen Systems, so daß hier allgemein eine günstige Entwicklung antizipiert wird. Die großen Differenzen in der Einschätzung des politischen Systems in Rumänien dürften vor allem auf die widrigen politischen Umstände unter der Ceausescu-Herrschaft zurückzuführen sein.

Geringere Veränderungen zeigen sich durchschnittlich in Polen, der Slowakischen Republik und Bulgarien. Die Bewertung des gegenwärtigen politischen Systems liegt durchschnittlich nur wenig über dem der sozialistischen Systeme, und auch in naher Zukunft werden keine größeren positiven Veränderungen erwartet.

Wie schon beim ökonomischen System kommen Ungarn, Weißrussen und Ukrainer zu einer positiven Bewertung des sozialistischen Systems, allerdings wird das politische System niedriger bewertet als das ökonomische. Die durchschnittliche Bewertung für das gegenwärtige politische System fällt negativ aus, die Zukunftserwartungen liegen aller-dings wieder in etwa auf dem Niveau der Bewertung der sozialistischen Systeme, so daß davon ausgegangen werden kann, daß das schlechte Image des politischen Systems in diesen Ländern von der Bevölkerung als vorübergehend begriffen wird.

Wird wiederum, analog zur Bewertung des ökonomischen Systems, untersucht, welche Muster sich bei der Bewertung des politischen Systems ergeben, so zeigt sich, daß optimistische Bewertungslinien weit öfter vorzufinden sind, als bezogen auf das ökono-mische System (Tabelle 6). Insbesondere in der Tschechischen Republik, Kroatien und Rumänien sind optimistische Bewertungsmuster vorherrschend, in Weißrußland und der Ukraine finden sich diese nur bei 19% der Bevölkerung. Häufiger als bezogen auf das ökonomische System zeigt sich das Bewertungsmuster der „vorübergehenden Verbesse-rungen", insbesondere in Slowenien und Rumänien. D.h., es besteht die Befürchtung, daß bereits erzielte Verbesserungen im politischen System wieder rückgängig gemacht werden könnten. Vorübergehende Beeinträchtigungen nehmen vor allem Ukrainer und Ungarn wahr. Bei letzteren ergeben sich, ebenso wie bei Weißrussen, auch hohe Anteile für das pessimistische Bewertungsmuster.

Deutliche Abweichungen sind wiederum bei Ost- und Westdeutschen zu erkennen.

Während in den osteuropäischen Ländern das optimistische Bewertungsmuster bezogen auf das politische im Vergleich zum ökonomischen System wesentlich öfter vorzufinden ist, ist es in Ostdeutschland umgekehrt. Hier liegt der Anteil des optimistischen Musters beim politischen System bei nur 24%, bezogen auf das ökonomische System aber bei 41%. Sehr hoch ist beim politischen System mit 30% auch der Anteil derer, die erzielte Verbesserungen wieder gefährdet sehen. Auch die Westdeutschen kommen zu noch negativeren Bewertungsmustern als schon beim ökonomischen System. Mehr als die

Tabelle 6: Bewertungsmuster des politischen Systems

Hälfte der Bevölkerung folgt einem pessimistischen Bewertungsmuster, „optimistisch"

sind nur 2% und somit deutlich weniger als in jedem osteuropäischen Land. Allerdings muß bedacht werden, daß das System der Bundesrepublik vor fünf Jahren durchschnitt-lich sehr hoch bewertet wurde. Dennoch zeigt der hohe Anteil an „Pessimisten" bezogen auf das politische System, daß in weiten Teilen der Bevölkerung Zweifel bestehen, ob das gegenwärtige politische System den enormen Anforderungen gerecht wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Ostdeutschen in der Bewertung des politischen und ökonomischen Systems im Feld der anderen osteuropäischen Länder deutlich abweichende Positionen einnehmen. Neben den Ostdeutschen nehmen nur die Tschechen ebenfalls eine höhere Bewertung des gegenwärtigen ökonomischen Systems vor. Beim politischen System hingegen kommen Ostdeutsche für das System der Bundesrepublik zu einer nur wenig besseren Bewertung als für das DDR-System. Das in fünf Jahren erwartete politische System erfährt die niedrigste Wertung von allen hier untersuchten ehemals sozialistischen Staaten. Es kann angenommen werden, daß in die abgegebenen Einschätzungen des politischen Systems in starkem Maße das Image und die konkrete Ausgestaltung der Politik einfließt und auch die Regierungsarbeit bewertet wird.

Das parlamentarische System und seine Institutionen hingegen werden trotz der niedrigen Bewertung des politischen Systems der Bundesrepublik in hohem Maße akzeptiert. In diesen Grundfragen unterscheiden sich Ostdeutsche nur wenig von Westdeutschen, Auch in den meisten hier untersuchten osteuropäischen Staaten stützt eine Mehrheit der Bevölkerung parlamentarische und demokratische Strukturen. In den ehemaligen

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wjetstaaten Ukraine und Weißrußland jedoch können demokratische Grundhaltungen noch nicht als gesellschaftlicher Konsens angesehen werden, aber auch in Polen und Bulgarien sind demokratische Strukturen noch nicht gefestigt. In allen osteuropäischen Ländern besteht ein großer Optimismus bezüglich der ökonomischen Entwicklung und der Weiterentwicklung des politischen Systems innerhalb der nächsten fünf Jahre.

Werden diese Hoffnungen enttäuscht, ist zumindest in einigen Staaten die Gefahr gegeben, daß sich antidemokratische Tendenzen verstärken.

6 Determinanten der Einstellung gegenüber