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3. Die Bewertung der wirtschaftlichen Situation von Privathaushalten

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Academic year: 2022

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Zusammenfassung

Basierend auf repräsentativen Befragungen in 10 osteuropäischen Staaten sowie Ost- und Westdeutschland wurden materielle Wohlfahrt und die Einstellung gegenüber Marktwirt- schaft und Demokratie untersucht. Von besonderem Interesse war dabei die Position Ostdeutschlands im Feld der anderen Transformationsstaaten. In Ostdeutschland wurden deutliche Verbesserungen in der materiellen Wohlfahrt im Vergleich zur ehemaligen DDR wahrgenommen. In den anderen Transformationsstaaten hingegen hat sich die individuelle wirtschaftliche Situation im Vergleich zum sozialistischen System für die Mehrheit der Bevölkrung deutlich verschlechtert. Die Wohlfahrtsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind aus diesem Blickwinkel eher gering. Auch in der Haltung gegenüber Marktwirtschaft und Demokratie unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche nur wenig. Hier zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede bei den anderen Transforma- tionsstaaten. Marktwirtschaft und Demokratie erfährt vor allem in der Tschechischen und der Slowakischen Republik, Ungarn, Rumänien und eingeschränkt auch in Polen eine starke Unterstützung durch die Bevölkerung, während diese in den Ländern Slowenien, Bulgarien, Weißrußland und Ukraine deutlich geringer ausfällt, so daß davon ausgegan- gen werden kann, daß die eingeleitete Demokratisierung in diesen Ländern am ehesten gefährdet ist.

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SEITE 2 WOLFGANG SEIFERT

Inhalt

1 Einleitung S. 3 2 Multiple Ökonomien S. 7 3 Die Bewertung der wirtschaftlichen Situation von Privathaus-

halten S. 9 4 Einstellungen gegenüber dem marktwirtschaftlichen System S. 14 4.1 Systempräferenzen S. 14 4.2 Die Bewertung des globalen ökonomischen Systems ...S. 17 5 Einstellungen gegenüber dem parlamentarischen System S. 22 5.1 Einstellungen gegenüber Demokratie und Parlamentarismus S. 22 5.2 Die Bewertung des politischen Systems S. 26 6 Determinanten der Einstellung gegenüber dem politischen

System S. 30 7 Transformationsindex. S. 42 8 Schluß S. 44 Anmerkungen S. 46 Literatur S. 47 Anhang 1: Survey-Informationen S. 49

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1 Einleitung

Transfonnation kann als Übergang zwischen zwei antagonistischen Gesellschaftssyste- men verstanden werden (Matzner, Kregel, Grabher 1992). In den ehemals sozialistischen Staaten vollzieht sich diese Transformation im wesentlichen auf zwei Ebenen, dem Umbau der Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft und der Übergang von totalitären Systemen zu Demokratien. Planwirtschaft und Markwirtschaft sind genauso wie Sozia- lismus und Demokratie jeweils als Pole zu verstehen, zwischen denen der gesellschaftli- che Umbau stattfindet. Transformation kann deshalb nicht als abrupter Wechsel von einem Extrempol zum anderen verstanden werden. Auch planwirtschaftliche Systeme hatten, mehr oder weniger ausgeprägt, marktwirtschaftliche Elemente, und die am weitesten entwickelten Länder des Westens stellen eine Mischung von Markt und Regierungsintervention in die Märkte dar (Glaeßner 1994:268). Zwischen den jeweiligen Polen sind verschiedene Kombinationen von Plan und Markt bzw. totalitären Systemen und Demokratie denkbar. Auch setzen marktwirtschaftliche Systeme nicht zwingend die Existenz demokratischer Strukturen voraus. Marktwirtschaftliche Systeme sind jedoch prinzipiell offene Systeme und somit sehr stark von externalen Faktoren abhängig.

Ausländische Investoren erwarten eine gewisse Infrastruktur und politische Stabilität, und die Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten setzt eine bestimmte Wirt- schaftsstruktur voraus2. Die Demontage planwirtschaftlicher Einrichtungen und der Aufbau konkurrenzfähiger Marktsysteme nimmt folglich einen längeren Zeitraum in Anspruch.

Der ökonomische Umbruch stellt auch neue Aufgaben und Anforderungen an die Beschäftigten. Der flexiblere Teil der Arbeitnehmerschaft wird sich den neuen Produk- tionsbedingungen anpassen, doch ein nicht unwesentlicher Teil der Beschäftigten der personalintensiven und unproduktiven Staatsbetriebe findet keine Arbeit. Da die Schaf- fung neuer Arbeitsplätze nicht mit dem massenhaften Personalabbau in den Staatsbetrie- ben Schritt hält, kann angenommen werden, daß hohe Arbeitslosigkeitsraten noch über einen langen Zeitraum hinweg zum Alltag der ehemals sozialistischen Länder gehören werden. Doch nicht nur hohe Arbeitslosigkeit dürfte in den ehemals sozialistischen Ländern für soziale Spannung sorgen; auch für die Beschäftigten sind die Folgen des Umbaus enorm. Der Abbau der staatlichen Subventionen auf Güter des Grundbedarfs hat zu hochschnellenden Preisen und zu einem Absinken des Lebensstandards großer Teile der Bevölkerung geführt

Es dürfte offensichtlich sein, daß hohe Erwartungen an das politische System, die Politiker und die Regierung in bezug auf die Lösung der anstehenden Probleme gestellt werden. Die Implementierung parlamentarischer Strukturen in den ehemaligen sozialisti- schen Staaten ging zwar schnell vor sich, in fast allen Ländern wurden bereits freie, demokratische Parlamentswahlen abgehalten und demokratische Verfassungen verab- schiedet; doch die politischen Eliten der „ersten Stunde", die sich zu großen Teilen aus

„reformierten ehemaligen Mitgliedern des Parteiapparats und ehemaligen Oppositions-

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führern zusammensetzen" (Staniszkis 1991: 327), sind angesichts des großen Problem- drucks rasch verschlissen. Somit ist „die Erwartung, daß sich in den ehemaligen soziali- stischen Ländern schon in relativ kurzer Zeit demokratische Systeme etabliert haben werden und daß diese Demokratien gegen die unvermeidlichen ökonomischen und sozialen Krisen resistent sein werden, wohl eher eine Wunschvorstellung, denn eine realistische Erwartung. Dazu wiegt das Erbe des alten Systems zu schwer" (Glaeßner 1994: 180). Somit stellt sich im Transformationsprozeß die Frage nach der Legitimität demokratischer Systeme an sich, denn parlamentarische Systeme setzen die Akzeptanz der Mehrheit der Bevölkerung voraus. Avinieri geht davon aus, „daß sich demokratische Institutionen, liberale Überzeugungen und eine Marktwirtschaft nur dort etablieren können, wo sich über Jahrhunderte eine solche bürgerliche Gesellschaft herausgebildet hatte" und weist der Existenz bürgerlicher Elemente eine Schlüsselrolle für den Sturz der kommunistischen Systeme zu. Die Herausbildung demokratischer Strukturen hält Avi- nieri in den Ländern am wahrscheinlichsten, in denen bürgerliche Traditionen am stärksten ausgeprägt waren (Avineri 1993:47). Glaeßner dagegen vertritt die Position, daß die kommunistischen Parteien die überkommenen ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen und die tradierten Lebens welten erfolgreich zerstört haben, und an die Zeit vor der Machtübernahme kann kaum angeknüpft werden, sie ist Teil eines nationalen Mythos. Dennoch räumt Glaeßner ein, daß die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, die zur Diktatur geführt haben, in aller Regel eine Rolle bei der Re-Demokratisierung spielen, denn sie sind im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft ein wesentlicher Faktor, der wichtige Grundentscheidun- gen in der Transitionsperiode beeinflußt (Glaeßner 1994:141).

Die eingeleitete Privatisierung der Wirtschaft stellt einen Prozeß dar, der kaum rückgängig gemacht werden kann. In bezug auf das politische System wäre jedoch ein Übergang zu autoritären Strukturen, die in ihren Grundzügen aber nicht mit denen des Sozialismus identisch sein müssen, durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, vor allem wenn die Unterstützung durch die Bevölkerung verlorengeht. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich, so Wolff-Poweska (1993:29), Demokratie in einem totalen Vakuum entwickelt, sondern erst „an Glaubwürdigkeit gewinnt, indem eine effektive Wirtschaft, ein stabiles Rechtssystem und eine sich ihrer Pflichten bewußte Bürgergesellschaft entstehen". Außerdem kann angenommen werden, daß sich aufgrund der verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen in den ehemals sozialistischen Ländern recht unterschiedliche Muster zeigen werden.

Offe (1994) unterteilt, bezogen auf die Entwicklung im sozialistischen System, die Länder DDR, CSSR, Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien in drei Gruppen: DDR und CSSR sind realsozialistische Erfolgsländer in ökonomischer Hinsicht Integration erfolg- te durch ökonomischen Erfolg; politische Repression nahm in beiden Ländern nur ein mittleres Niveau ein. Der Regimewechsel erfolgte in Form der Kapitulation der alten Eliten. Die Geschichte der internen Opposition ist kurz. Anders dagegen die national integrierten Konfliktländer Polen und Ungarn. Hier nahm der Regimewechsel eine Dekade in Anspruch. Er vollzieht sich „in Gestalt wiederholter Konfrontationen zwischen Regierungselite und sozialen Bewegungen (Polen) oder durch Verhandlungen zwischen rivalisierenden Eliten (Ungarn)" (Offe 1994: 246). Wiederum ein unterschiedliches Profil, so Offe, zeigt sich in den repressiv integrierten Agrarländern Bulgarien und

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Rumänien. Der Umsturz kam abrupt und war gewaltsam. Bei den freien Wahlen kamen Anhänger des alten Regimes in Führungspositionen.

Im folgenden soll untersucht werden, wie sich die Lebensbedingungen in den ehemals sozialistischen Ländern Ost- und Mitteleuropas verändert haben und wie die Verände- rungsprozesse von der Bevölkerung bewertet werden. Dabei steht vor allem die Einstel- lung der Bevölkerung gegenüber Marktwirtschaft und Demokratie im Brennpunkt des Interesses. Hierzu kommt ein Befragungsinstrumentarium zur Anwendung, das speziell auf die osteuropäischen Länder im Transformationsprozeß zugeschnitten wurde.

Seit 1991 führt Richard Rose, Centre for the Study of Public Policy, Glasgow, in Polen, der Tschechischen und der Slowakischen Republik, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Slowenien, Kroatien, Rußland, Weißrußland der Ukraine und den baltischen Staaten jeweils repräsentative und vergleichbare Befragungen durch (Rose 1991,1992a, 1992b, 1992c, 1992d; Ammeter - Inquirer 1992; Rose, Haerpfer 1992; Boeva, Shironin 1992).

Diese Umfragen zielten auf eine international vergleichende Untersuchung von ökono- mischen Verhaltensweisen und individuellen Bewertungen der ökonomischen und poli- tischen Veränderungen in Osteuropa. In Ergänzung zu diesen Umfragen wurde in Kooperation von Richard Rose und der AG Sozialberichterstattung des WZB 1993 auch eine Umfrage in Ost- und Westdeutschland mit der finanziellen Unterstützung der Anglo- German-Foundation und der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt (vgl. Seifert, Rose, Zapf 1993 und Rose, Zapf, Seifert, Page 1993).

Aus dem umfassenden Datenmaterial wurden 10 osteuropäische Staaten ausgewählt, in denen im Rahmen des New-Democracies-Barometer um den Jahreswechsel 1992/93 Erhebungen durchgeführt (vgl. Rose, Haerpfer 1993) und pro Land ca. 1000 Personen befragt wurden (vgl. Anhang 1). Somit ist eine Vergleichbarkeit zu der im Frühjahr 1993 in Ost- und Westdeutschland durchgeführten Untersuchung gegeben.

Ein erster Themenkomplex untersucht die Art der Subsistenzsicherung in den Haus- halten der ehemals sozialistischen Länder. Hierzu findet das Konzept der multiplen Ökonomien Anwendung (vgl. Rose 1991, Seifert, Rose, Zapf 1993). Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie der Lebensstandard individuell bewertet wird und daran anschließend wird die grundlegende Haltung der Bevölkerung gegenüber marktwirt- schaftlichen Prinzipien untersucht und anhand der Bewertung des planwirtschaftlichen, des gegenwärtigen und des in naher Zukunft erwarteten volkswirtschaftlichen Systems analysiert, welche Veränderungen in den untersuchten Staaten perzipiert werden.

Analog zum ökonomischen System werden, bezogen auf das politische System, zunächst grundlegende Einstellungen gegenüber Demokratie und dem parlamentarischen System dargestellt und dann die Bewertung des politischen Systems zu drei Zeitpunkten verglichen. Im letzten Teil wird dann untersucht, in welchem Zusammenhang die Bewertung des politischen Systems mit der Haltung gegenüber Marktwirtschaft, Demo- kratie, der individuellen wirtschaftlichen Situation, Bildung und Alter stehen. Mit dieser Vorgehensweise soll sowohl die Akzeptanz von Demokratie und Marktwirtschaft in Osteuropa erforscht als auch der Frage nachgegangen werden, von welchen Faktoren die Bewertung der politischen Veränderungen abhängt.

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SEITE 6 WOLFGANG SEIFERT

Im folgenden können allerdings keine detaillierten Analysen zu den einzelnen Län- dern vorgelegt werden. Besondere Aufmerksamkeit kommt jedoch der Position Ostdeutsch- lands im Feld der anderen ehemals sozialistischen Länder zu. Der Vergleich mit Westdeutschland, das als westeuropäisches Vergleichsland einbezogen wurde, soll Aufschluß darüber geben, ob von Deutschland als einer „gespaltenen Nation" die Rede sein kann oder ob Ost- und Westdeutschland im Vergleich zu anderen ehemals sozialisti- schen Länder bereits eher eine Einheit bilden.

Dieses Arbeitspapier baut dabei auf ein 1993 in dieser Reihe erschienenes Paper auf, das unterschiedliche Bewertungsmuster in Abhängigkeit von sozialstrukturellen Merk- malen in Ost- und Westdeutschland untersucht (Seifert, Rose, Zapf 1993).

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2 Multiple Ökonomien

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Für die Mehrzahl der Haushalte in sozialistischen Wirtschaftssystemen reichte das Einkommen, das aus der Erwerbsarbeit erzielt wurde, zur Deckung bestimmter Bedürf- nisse nicht aus. Die Nachfrage überstieg, insbesondere bei höherwertigen Konsumgütern, deutlich das Angebot, aber auch bei Gütern des täglichen Bedarfs, wie beispielsweise bei frischem Gemüse, traten Engpässe auf. Chronische Unterversorgung bestand bei Bau- materialien, aber auch im Dienstleistungsbereich. Die Knappheit zentraler Güter und Dienstleistungen führte zur Etablierung eines parallelen Systems des Austauschs und der Distribution und ließ bedeutsame Schattenökonomien entstehen. Die illegalen Aktivitä- ten wie Devisenschiebereien, Bestechung und Schwarzarbeit sind dabei jedoch nur ein Aspekt der multiplen Wirtschaftssysteme. Wesentlich wichtiger für die Versorgung und den Lebensstandard von Haushalten war die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern und schließlich ein enges Netz an sozialen Beziehungen, das dem Austausch von knappen Gütern, aber auch der Inanspruchnahme von Gefälligkeiten und Hilfen, z.B. beim Hausbau, diente. Es kann angenommen werden, daß die spezifischen Wege der Existenzsicherung auchim Transformationsprozeß nicht bedeutungslos gewor- den sind. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, daß, bedingt durch die Umstrukturierung des offiziellen Erwerbssektors, die Bedeutung informeller Allokationsmechanismen zumindest vorübergehend noch zunehmen kann. Für Ostdeutschland dagegen kann angenommen werden, daß die Bedeutung informeller Wirtschaftssektoren durch die Übernahme des westdeutschen wohlfahrtsstaatlichen Systems stark zurückgegangen ist.

Multiple Ökonomien werden auf der Ebene von Haushalten betrachtet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß ein Haushalt die kleinste, gemeinsam wirtschaftende Einheit bildet und die verschiedenen Einnahmequellen insgesamt zur Deckung der Bedürfnisse aller Haushaltsmitglieder herangezogen werden. Bei den folgenden Vergleichen muß jedoch bedacht werden, daß Haushalte keine standardisierte Einheit bilden. Während in ländlichen Regionen Osteuropas der Drei-Generationen-Haushalt noch Normalität ist, sind in industrialisierten Zonen Kleinfamilien vorherrschend. Dieser unterschiedliche sozialstrukturelle Hintergrund spiegelt sich auch in den folgenden Analysen wider und zeigt sich beispielsweise im unterschiedlichen Partizipationsgrad an der offiziellen Ökonomie. Gefragt wird danach, ob eine Person im Haushalt einer regulären Erwerbstä- tigkeit nachgeht. Dies ist bei der Mehrzahl der Haushalte der Fall, der Partizipationsgrad liegt zwischen 58% in Bulgarien und 93% in Slowenien (Tabelle 1). Neben der Haushalts- zusammensetzung und der Altersstruktur sind diese Anteile auch durch die Arbeits- marktbedingungen beeinflußt.

Der Partizipationsgrad der Haushalte im Bereich der offiziellen Ökonomie, hier definiert als die Erwerbsbeteiligung mindestens einer Person im Haushalt, sagt jedoch wenig über die Aktivität in anderen Ökonömiebereichen aus, da die Erträge aus der offiziellen Ökonomie in den Ländern Osteuropas4 in unterschiedlichem Maße zur Deckung der Bedürfnisse der Haushaltsmitglieder beitragen. Trotz relativ hohem Parti-

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Tabelle 1: Multiple Ökonomien

Offizielle Haus- Anbau Öko- halts- von nomie1produk- Nah-

tion rungs- mitteln

Ostdeutschland 2 71 47 47 Westdeutschland 2 73 28 33

Polen 63 24 57

Tschechische Republik 77 31 62 Slowakische Republik 75 31 70

Ungarn 76 26 56

Rumänien 76 18 59

Bulgarien 58 27 51

Slowenien 93 36 5

Kroatien 86 42 56

Weißrußland 81 38 79

Ukraine 76 47 66

Sozialer Aus- Zweit- Beziehungen: Devi- tausch: beruf Insge- gegen senge- geben empfan- samt Bezah- schatte

gen lung

19 14 8 25 6 *

13 12 9 42 16 *

34 37 21 14 4 5

44 40 13 20 6 11

54 51 10 31 12 8

52 50 15 17 4 6

52 51 31 54 36 13

74 79 15 27 10 6

87 73 12 43 7 37

72 « 41 58 15 55

77 75 20 65 33 11

64 61 30 57 42 10

1 Mindestens eine Person im Haushalt geht einer Erwerbstätigkeit nach.

2 Die Bereiche Haushaltsproduktion, Anbau von Nahrungsmitteln und sozialer Austausch sind wegen abweichender Fragestellung in Ost- und Westdeutschland nicht mit den anderen osteuropäischen Länder vergleichbar.

* nicht erhoben.

zipationsgrad an der offiziellen Ökonomie sind Weißrussen und Ukrainer auch in anderen Bereichen überdurchschnittlich aktiv. Vor allem der eigene Anbau von Nahrungsmitteln liefert einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Haushalte wie auch die Haushaltspro- duktion, also Eigenleistungen beim Hausbau, Renovieren, Herstellen von Gebrauchsge- genständen etc. Ebenfalls von starker Bedeutung ist der soziale Austausch, also gegensei- tige Hilfen und Gefälligkeiten. Auch Beziehungen zu haben, ist in Weißrußland und der Ukraine von größerer Bedeutung als in anderen Ländern, und besonders oft wird die Inanspruchnahme solcher Beziehungen auch finanziell vergolten. Der Begriff Beziehun- gen ist hier als eine Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zu verstehen, die auf normalem Wege nicht, oder nur unter größerem Aufwand möglich wäre. Für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Weißrußland und Ukraine, haben multiple Wirt- schaftssysteme insgesamt die größte Bedeutung von allen ehemals sozialistischen Staa- ten, hier scheinen die Erträge aus der offiziellen Ökonomie am geringsten zu sein. Doch auch in den anderen Ländern zeigt sich eine starke Bedeutung der informellen Wirt- schaftsbereiche, wenngleich die einzelnen Komponenten jeweils ein unterschiedliches Gewicht haben. In Kroatien beispielsweise haben Devisengeschäfte und der Zweitberuf

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eine sehr starke Bedeutung, in Slowenien dagegen, wo Geschäfte mit Hartwährungen ebenfalls weit verbreitet sind, hat der soziale Austausch einen sehr hohen Stellenwert, der Anbau von Nahrungsmitteln dagegen ist fast bedeutungslos. Die in Tabelle 1 ausgewie- senen Werte für Ost- und Westdeutschland sind wegen abweichender Fragestellungen nicht direkt mit den anderen Ländern vergleichbar und werden hier deshalb nur gegenein- ander gestellt betrachtet. Demnach zeigt sich, daß multiple Ökonomien in Ostdeutschland kaum stärker verbreitet sind als in Westdeutschland, lediglich Nahrungsmittel werden in stärkerem Maße angebaut. Dies dürfte vor allem Ausdruck der ausgeprägten Kleingarten- kultur in Ostdeutschland sein, die auch im vereinten Deutschland nichts von ihrem hohen Freizeitwert eingebüßt hat.

Insgesamt kann festgehalten werden, daß zur Subsistenzsicherung der Haushalte in den osteuropäischen Ländern von einzelnen Haushaltsmitgliedern vielfältige Aktivitäten entwickelt wurden. Besonders in Ländern mit schwachen Nationalökonomien wie Weißrußland und die Ukraine, sind die informellen Wirtschaftsbereiche von großer Bedeutung. Dabei hat der Stellenwert der informellen Bereiche gerade in diesen beiden Ländern noch zugenommen (Rose, Haerpfer 1993). Multiple Wirtschaftssysteme sind somit nicht nur für sozialistische Staaten kennzeichnend, sondern sind auch ein zentrales Charakteristikum von Staaten im Transformationsprozeß zwischen Plan- und Marktwirt- schaft.

3. Die Bewertung der wirtschaftlichen Situation von Privathaushalten

Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Ressourcen, die den Lebensstandard der osteuropäischen Haushalte bestimmen, dargestellt wurden, wird nun untersucht, wie der erreichte Lebensstandard subjektiv bewertet wird. Zunächst wird der Frage nachgegan- gen, inwiefern bereits ein zufriedenstellender Lebensstandard erreicht wurde, oder ob davon ausgegangen wird, daß dies bald der Fall sein wird. Der unterschiedliche Grad der materiellen Sicherung in den osteuropäischen Ländern soll mit der Frage nach der Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation der Haushalte ermittelt werden. Schließ- lich wird betrachtet, wie sich die wirtschaftliche Situation der Haushalte im Transforma- tionsprozeß bereits verändert hat und welche Annahmen für die Zukunft getroffen werden. Hierzu wird um eine vergleichende Bewertung der gegenwärtigen wirtschaftli-

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Tabelle 2: Erwarteter Zeitraum bis zum Erreichen eines zufriedenstellenden Lebens- standards (in Prozent)

bereits 1-5 6-10 mehr als wird nie der weiß zufrieden Jahre Jahre 10 Jahre Fall sei nicht

Ostdeutschland 15 29 23 10 13 10

Westdeutschland 48 11 8 6 13 14

Polen 3 7 5 7 30 48

Tschechische Republik 21 13 24 19 14 9

Slowakische Republik 31 5 23 16 14 11

Ungarn 4 20 18 14 16 28

Rumänien 4 21 15 12 13 35

Bulgarien 2 13 10 16 24 35

Slowenien 4 30 14 9 7 41

Kroatien 14 25 20 9 17 17

Weißrußland 2 7 5 5 22 59

Ukraine 2 9 11 13 34 31

Datenbasis: Ökopol, NDB-Barometer

chen Situation der Haushalte mit der Haushaltssituation während des sozialistischen Systems gebeten und daran anschließend untersucht, welche Veränderungserwartungen in bezug auf die wirtschaftliche Situation innerhalb der nächsten fünf Jahre bestehen.

Die Höhe des Lebensstandards, der als zufriedenstellend empfunden wird, kann individuell sehr verschieden sein. Dennoch kann angenommen werden, daß der eigene Lebensstandard von den Befragten sowohl in Relation zur unmittelbaren Umgebung gesetzt, als auch mit größeren Einheiten, z.B. Nachbarländern, verglichen wird. In jedem Fall aber stellt er ein Maß für die Übereinstimmung von Anspruch und Realität dar. Es zeigt sich, daß auch im insgesamt reichen Westdeutschland bei rund der Hälfte der Bevölkerung ein Lücke zwischen Anspruch und Realität besteht und der Lebensstandard noch nicht als zufriedenstellend empfunden wird (Tabelle 2). In Ostdeutschland liegt der Anteil derer, die angeben, bereits zufrieden zu sein, deutlich niedriger. Aber immerhin 29% sind der Meinung innerhalb der nächsten fünf Jahre einen zufriedenstellenden Lebensstandard zu erreichen, und weitere 23% rechnen mit einem Zeitrahmen von sechs bis zehn Jahren. Daß ein zufriedenstellender Lebensstandard nicht zu erreichen ist, glauben, ebenso wie in Westdeutschland, 13%. Ähnlich günstige Annahmen wie in Ostdeutschland werden in anderen ehemals sozialistischen Ländern kaum getroffen.

Lediglich in der Slowakischen und der Tschechischen Republik ist der Anteil an Zufriedenen höher als in Ostdeutschland. Auch in Slowenien herrscht die Erwartung vor, daß zumindest innerhalb von zehn Jahren ein zufriedenstellender Lebensstandard erreicht wird. In den anderen Ländern jedoch sind es nur Minderheiten, die angeben, bereits

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Abbildung 1: Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation des Haushalts (Anteil zufrieden)

0 10 20 30 40 50 60 70 80 % Westdeutschland

Ostdeutschland Tschechische Republik

Slowakische Republik Slowenien Bulgarien Weißrußland Rumänien Ukraine Polen Kroatien Ungarn

Datenbasis: NDB-Barometer, Ökopol

zufrieden zu sein. Hinsichtlich der Zukunftserwartungen sind jedoch deutliche Unter- schiede zu erkennen. Während in Kroatien, Rumänien und Ungarn bei großen Teilen der Bevölkerung die Hoffnung besteht, daß innerhalb von 10 Jahren ein zufriedenstellender Lebensstandard erreicht wird, ist die große Mehrheit der Polen, der Weißrussen und der Ukrainer in dieser Hinsicht skeptisch. Einschließlich derer, die bereits mit ihrem Lebens- standard zufrieden sind, glauben nur 15% der Polen und 14% der Weißrussen, innerhalb der nächsten zehn Jahre einen zufriedenstellenden Lebensstandard zu erreichen. Auffal- lend ist hier auch der hohe Anteil derer, die die zukünftige Entwicklung nicht einschätzen können. Auf die Kategorie „weiß nicht" entfielen in Polen 48% und in Weißrußland 59%.

Ein etwas günstigeres Bild ergibt sich, wenn das Gewicht nicht so stark auf den gesamten Lebensstandard, sondern auf die tägliche, allgemeine Versorgung der Haushal- te gelegt wird. Dies wird mit der Frage nach der wirtschaftlichen Situation des Haushalts erfaßt. In der Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation des eigenen Haushalts spiegelt sich in Westdeutschland ein relativ hohes Wohlstandsniveau wider (Abbildung 1). Doch auch in Ostdeutschland sind 70% mit der wirtschaftlichen Situation ihres

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Abbildung 2: Bewertung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation des Haushalts im Vergleich zu früher, bzw. der in 5 Jahren erwarteten wirtschaftlichen Situation

Im Vergleich zu vor fünf Jahren ist die wirtschaftliche Situation des Haushalts jetzt...

% 70 60 50 40 30 20 10 0

t—I—h—\

Erwartete wirtschaftliche Situation in fünf Jahren.

Ukraine Kroatien

Weißrußland Polen Slowakische

Republik Slowenien

Bulgarien Rumänien Tschechische

Republik Westdeutschland

Ostdeutschland

[schlechter ||j besser

Datenbasis: NDB-Baro meter, Ökopol

Haushalts zufrieden und somit ein höherer Anteil als in jedem osteuropäischen Land. In Ungarn, Polen, Rumänien, Kroatien und der Ukraine gibt lediglich ein Drittel der Bevölkerung oder weniger an, mit der wirtschaftlichen Situation ihres Haushalts zufrie- den zu sein. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung äußerte nur in der Tschechischen Republik Zufriedenheit.

Wenn um eine Einschätzung gebeten wird, ob sich die wirtschaftliche Situation des eigenen Haushalts im Vergleich zu vor fünf Jahren verbessert oder verschlechtert hat, so zeigt sich, daß der größte Teil der Osteuropäer eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation wahrnimmt (Abbildung 2), Ein Verbesserung nehmen in der Ukraine, Kroatien

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und Ungarn jeweils weniger als 10% wahr. Am häufigsten werden Verbesserungen in Bulgarien, Rumänien, der Tschechischen und der Slowakischen Republik wahrgenom- men. Allerdings liegt der Anteil derer, die die gegenwärtige Situation besser bewerten, nur jeweils knapp über 20%. Völlig anders stellt sich dagegen die Situation in Ostdeutschland dar. Hier nehmen 61% der Bevölkerung eine Verbesserung der individuellen ökonomi- schen Situation wahr, während nur 18% eine Verschlechterung angeben. In Westdeutsch- land werden mit 33% von einem höheren Bevölkerungsanteil Verbesserungen wahrge- nommen als Verschlechterungen. Große Teile der Bevölkerung nehmen jedoch keine Veränderung der wirtschaftlichen Situation wahr. Allerdings muß bedacht werden, daß in Westdeutschland bereits ein hoher Grad an materiellem Wohlstand gegeben war.

Die Zukunftserwartungen in bezug auf die wirtschaftliche Situation des eigenen Haushalts fallen recht unterschiedlich aus und korrespondieren kaum mit dem Vergleich vor fünf Jahren. Am weitesten ist der Optimismus für eine positive Haushaltsentwicklung in Kroatien verbreitet, wo offensichtlich angenommen wird, daß die Beeinträchtigungen infolge des Krieges schnell überwunden werden können. Dies kann auch für Slowenien angenommen werden, wenngleich die Ausprägungen hier nicht so stark sind. In Bulga- rien, Rumänien, der Tschechischen und der Slowakischen Republik glaubt immerhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung an eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ihres Haushalts. Bei Polen und Weißrussen hält sich der Anteil derer, die Verbesserungen und Verschlechterungen erwarten, jeweils in etwa die Waage, so daß sich in der Bilanz keine grundlegenden Veränderungen der Haushaltssituation ergeben.

Abweichende Entwicklungen sind wiederum im vereinten Deutschland zu erkennen.

In Westdeutschland antizipiert die Mehrheit der Bevölkerung Stabilität, und sofern Veränderungen erwartet werden, überwiegen Verbesserungen. Westdeutsche gehen somit insgesamt von einer Stabilität des bestehenden Wohlfahrtsniveaus aus. In Ost- deutschland, wo bereits deutliche Verbesserungen der Situation des Haushalts im Ver- gleich zu vor fünf Jahren wahrgenommen wurden, besteht auch bezüglich der Entwick- lung innerhalb der nächsten fünf Jahre großer Optimismus.

Es kann also festgehalten werden, daß sich nach der Beurteilung der Bevölkerung in den meisten Staaten Osteuropas die wirtschaftliche Situation der Privathaushalte ver- schlechtert hat und diese gegenwärtig von großen Teilen der Bevölkerung als unbefrie- digend empfunden wird. Lediglich in Ostdeutschland war die Entwicklung entgegenge- setzt: Durch die Vereinigung verbesserten sich die Verhältnisse für die Mehrheit der Bevölkerung, so daß hier in bezug auf die wirtschaftliche Situation der Haushalte weitgehend Zufriedenheit geäußert wird.

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WOLFGANG S

4 Einstellungen gegenüber dem marktwirt- schaftlichen System

Nachdem bislang Indikatoren zur wirtschaftlichen Situation der Haushalte dargestellt wurden, wird nun der Frage nachgegangen, welche Haltung gegenüber dem marktwirt- schaftlichen System eingenommen wird. Hierzu wird zunächst die grundlegende Einstel- lung gegenüber marktwirtschaftlichen Prinzipien wiedergegeben, wobei insbesondere die dem Staat in bezug auf die Versorgung und soziale Sicherung der Bevölkerung zugewiesene Rolle analysiert werden soll. Mit der Frage nach der Bewertung des ökonomischen Systems insgesamt soll untersucht werden, wie das gegenwärtige ökono- mische System im Vergleich zum sozialistischen System bewertet wird.

4.1 Systempräferenzen

Zur Analyse markt- bzw. planwirtschaftlicher Präferenzen wurden Gegensatzpaare gebildet, wobei der Befragte jeweils zwischen individuellen und kollektiven Versor- gungsoptionen auswählen konnte. In Tabelle 3 wird jeweils der Anteil derer wiedergege- ben, die sich für individuelle Versorgungsstrategien ausgesprochen haben.

Das erste Gegensatzpaar bezieht sich auf die Einkommensverteilung. Es wurde gefragt, ob die Entlohnung entsprechend der Leistung erfolgen oder ob Löhne weitgehend aneinander angeglichen werden sollten. Es zeigt sich, daß sich in den meisten Ländern drei Viertel der Bevölkerung und mehr für eine leistungsgerechte Entlohnung aussprechen (Tabelle 3). Abweichungen nach unten zeigen sich in Ungarn (69%) und Bulgarien (59%).

Auch in West- und Ostdeutschland ist die Präferenz für leistungsbezogene Löhne verhältnismäßig gering. Während in den osteuropäischen Ländern noch relativ homogene Lohngefuge bestehen, ist im vereinten Deutschland der Einkommenssektor stärker ausdifferenziert. Dies könnte eine Erklärung für eine geringe Präferenz leistungsbezoge- ner Entlohnung sein. Daraus kann allerdings nicht auf eine starke planwirtschaftliche Orientierung im vereinten Deutschland geschlossen werden, vielmehr muß dies als Betonung sozialer Komponenten verstanden werden«

Die Meinung, daß jederßr sein Fortkommen selbst verantwortlich sein sollte, findet in den meisten osteuropäischen Ländern keine Mehrheit. Lediglich in Kroatien und der Tschechischen Republik spricht sich eine Mehrheit für eine individuelle Versorgung aus,

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Tabelle 3: Präferenz individueller Versorgungsstrategien

Löhne nach Individuel- Privat- Bezahlung Niedrige Leistung1 le Abstehe- eigentum3 wichtiger als Steuern5

rung2 sichere

Arbeitsplätze4

Ostdeutschland 5 8 4 0 8 6 1 2 2 0

Westdeutschland 6 6 6 8 9 0 1 7 4 0

Polen 7 7 1 5 6 7 3 0 3 2

Tschechische Republik 9 0 5 4 8 3 5 2 2 6

Slowakische Republik 8 7 4 3 7 3 6 3 2 8

Ungarn 6 9 4 0 7 6 2 7 4 5

Rumänien 7 8 4 6 5 2 3 1 3 6

Bulgarien 5 9 3 7 5 3 3 5 3 5

Slowenien 7 0 4 5 8 0 1 5 4 9

Kroatien 7 9 6 9 9 0 6 2 5 0

Weißrußland 7 8 4 7 5 4 3 4 1 9

Ukraine 7 3 4 5 5 1 6 2 3 0

1 Die Einkommen sollten allgemein mehr aneinander angeglichen werden. Oder: Die Höhe des Einkommens sollte von der persönlichen Leistung abhängen.

2 Die Menschen sollten für sich und ihr Fortkommen selbst verantwortlich sein. Oder Der Staat sollte für die materielle Existenzsicherung seiner Bürger sorgen.

3 Der Staat ist am besten geeignet, Betriebe zu führen. Oder: Private Unternehmer sind am besten geeignet, Betriebe zu führen.

4 Ein guter Arbeitsplatz muß eine hohe Sicherheit vor Entlassung bieten, auch wenn man nicht soviel verdient. Oder: Der Verdienst ist wichtiger als die Sicherheit des Arbeitsplatzes.

5 Die Regierung sollte die Steuern senken, auch wenn deshalb die Mittel für das Bildungswesen, die gesundheitliche Versorgung und die Renten gekürzt werden müßten. Oder Es sollte mehr Geld für das Bildungswesen, die gesundheitliche Versorgung und für die Renten ausgegeben werden, auch wenn deshalb höhere Steuern gezahlt werden müßten.

ansonsten präferiert die Mehrheit eine staatliche Grundsicherung. Dies trifft auch für Ostdeutsche zu. Westdeutsche präferieren dagegen zu mehr als zwei Dritteln eine individuelle soziale Absicherung. Daß die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in der Hand von privaten Unternehmern liegen soll, ist dagegen wieder Mehrheitsmei- nung in allen Ländern. In der Ukraine, Weißrußland, Rumänien und Bulgarien liegt die Präferenz jedoch nur wenig über 50%, während sich nur ein kleiner Anteil der Ost- und Westdeutschen für staatliche Produktion ausspricht.

Wenn zwischen einem sicheren Arbeitsplatz, aber geringerem Verdienst und geringe- rer Arbeitsplatzsicherheit, aber höherem Verdienst gewählt werden könnte, würden die meisten einen sicheren Arbeitsplatz vorziehen. Lediglich in der Ukraine, Kroatien und der Tschechischen Republik findet sich eine Mehrheit für höhere Löhne. In Ost- und

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Westdeutschland dagegen ist es nur eine kleine Gruppe, der ein höherer Verdienst wichtiger ist als die Arbeitsplatzsicherheit

Für Steuersenkungen um denPreis von Kürzungen im Bildungswesen, denRentenund sonstigen sozialen Belangen finden sich in den meisten osteuropäischen Ländern keine Mehrheiten. Lediglich Kroaten und Slowenen erreichen hier die 50%-Marke. Unterschie- de bestehen in diesem Punkt jedoch zwischen Ost- und Westdeutschen. Während sich immerhin 40% der Westdeutschen für derartig einschneidende Maßnahmen aussprechen, sind es nur 20% der Ostdeutschen.

Allgemein wird von einer Mehrheit der Bevölkerung in den osteuropäischen Ländern ein marktwirtschaftliches System präferiert, doch wird ein „reiner Kapitalismus", der nur auf Eigenverantwortlichkeit setzt, abgelehnt und eine staatliche Mindestsicherung ge- wünscht. Dies gilt vor allem auch für Ostdeutschland, während sich in Westdeutschland ein höherer Anteil für individuelle Versorgung ausspricht.

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4.2 Die Bewertung des globalen ökonomischen Systems

Die materiellen Einbußen auf der Haushaltsebene lassen erwarten, daß auch das globale ökonomische System in Osteuropa eher kritisch bewertet wird. Zur Evaluierung des nationalen wirtschaftlichen Systems wurden die Befragten gebeten, das planwirtschaft- liche, das gegenwärtige und das in fünf Jahren erwartete ökonomische System auf einer Skala von -100 bis +100 zu bewerten. Hier geht es insbesondere um die Frage, wie das System im Transformationsprozeß im Vergleich zum ehemals sozialistischen System bewertet wird. Schließlich soll die Erwartung, wie das ökonomische System in fünf Jahren sein wird, Aufschluß darüber geben, ob für die nahe Zukunft eine optimistische oder eine pessimistische Grundhaltung überwiegt.

Wird zunächst Ost- und Westdeutschland betrachtet, so zeigt sich bei den Westdeut- schen ein überraschendes Resultat: Die westdeutsche Bevölkerung bewertet das gegen- wärtige System deutlich schlechter, obwohl hier bekanntlich kein Systemwechsel statt- gefunden hat5 (Abbildung 3). Auch innerhalb der nächsten fünf Jahre wird keine Verbesserung erwartet, die an das Ausgangsniveau heranreicht. Offenbar herrscht in der westdeutschen Bevölkerung die Befürchtung vor, daß das Abflauen des wirtschaftlichen Booms nach der deutschen Vereinigung in eine lang anhaltende ökonomische Krise münden könne. Anders in Ostdeutschland: Hier wird das frühere sozialistische Wirt- schaftssystem im Durchschnitt negativ, trotz aller ökonomischen Probleme das gegen- wärtige System positiv bewertet, und auch zukünftig werden noch weitere Verbesserun- gen erwartet.

In den anderen untersuchten osteuropäischen Ländern wird nur von den Tschechen für die gegenwärtige ökonomische Situation eine höhere Wertung als für das planwirtschaft- liche System abgegeben. Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung innerhalb der näch- sten fünf Jahre zeigen die Tschechen den größten Optimismus unter den ehemals sozialistischen Staaten.

Relativ hohe, positive Bewertungen für die ehemaligen sozialistischen Wirtschaftssy- steme sind in Ungarn, der Ukraine und Weißrußland zu verzeichnen, das gegenwärtige System wird in diesen Staaten sehr niedrig bewertet. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten scheinen vor allem als Übergangsphänomene begriffen zu werden. Innerhalb von fünf Jahren werden wieder deutliche Verbesserungen erwartet, allerdings ohne das frühere Niveau zu erreichen. Eine Ursache für die hohe Bewertung des sozialistischen Systems in Ungarn dürfte in der Gewährung weitgehender marktwirtschaftlicher Freiheiten in den letzten Jahren des Sozialismus bei gleichzeitigem Fortbestand der sozialen Sicherung liegen. In Weißrußland und der Ukraine ist, wie auch in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, das ökonomische System weitgehend zusammengebrochen und dadurch die Versorgung der Bevölkerung stark beeinträchtigt worden.

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WOLFGANG SEI UFERT

Abbildung 2: Bewertung des wirtschaftlichen Systems: Vergangenheit • Gegenwart • Zukunft

Sozialistisches Gegenwärtiges System in Sozialistisches Gegenwärtiges System in System System fünf Jahren System System fünf Jahren

Soziaiistisches Gegenwärtiges System in Sozialistisches Gegenwärtiges System in System System fünf Jahren System System fünf Jahren

Skala von -100 bis +100; Ost- und Westdeutschland: -10 bis +10.

Datenbasis: NDB-Barometer, ökopol

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In den anderen Ländern, der Slowakischen Republik, Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowenien und Kroatien, zeigt sich ein weitgehend identisches Muster. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem wird schlechter bewertet als die planwirtschaftlichen Systeme. Ledig- lich die Kroaten und Slowenen bewerten auch das alte System relativ niedrig, so daß hier nur ein geringer Rückgang zu verzeichnen ist. In den meisten Ländern liegt jedoch die Erwartung in fünf Jahren über der Bewertung für das planwirtschaftliche System. Somit kann angenommen werden, daß die gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Ländern Osteuropas von der Bevölkerung weitgehend als Transformationsprobleme begriffen werden und davon ausgegangen wird, daß diese innerhalb relativ kurzer Zeit gelöst werden.

In Abbildung 4 ist zu erkennen, daß sich aus der Bewertung, bezogen auf drei Zeitpunkte, jeweils typische Muster ergeben, die nachLändern gebündelt werden können.

Hier wird der Frage nachgegangen, ob sich auf individueller Ebene ebenfalls Muster ergeben, die sich entsprechend bündeln lassen. Es wird untersucht, wie das gegenwärtige ökonomische System im Vergleich zum planwirtschaftlichen System und dem in fünf Jahren erwarteten System im Vergleich zum gegenwärtigen beurteilt wird. Abbildung 4 gibt die Verteilung der wesentlichen Bewertungsmuster für die ehemals sozialistischen Staaten (ohne Ost- und Westdeutschland) wider6. Ein Bewertungsmuster wird als „opti- mistisch" bezeichnet, wenn die Bewertung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems über dem des sozialistischen Systems liegt und das in fünf Jahren erwartete System höher bewertet wird als das gegenwärtige7. Dieses Muster zeigt sich bei 25 % der Befragten. Das Bewertungsmuster „vorübergehend besser" heißt dann, daß eine bessere Bewertung für das gegenwärtige System gegenüber dem sozialistischen Wirtschaftssystem abgegeben wird, aber geringere Zukunftserwartungen bestehen. Diese Bewertung wird nur von 3%

der Befragten vorgenommen. Das am weitesten verbreitete Bewertungsmuster ist die Annahme der vorübergehenden Verschlechterung (das sozialistische und das zukünftige System werden jeweils höher bewertet als das gegenwärtige), die von 55% der Befragten angenommen wird. Einem pessimistischen Bewertungsmuster (auf der Achse früher - gegenwärtig - zukünftig jeweils niedrigere Bewertungen) folgen 18% der Befragten.

Im folgenden wird untersucht, in welchem Umfang die gefundenen Bewertungsmu- ster jeweils für bestimmte Länder typisch sind (Tabelle 4). Das Bewertungsmuster der vorübergehenden Verschlechterung zeigt sich vor allem in der Ukraine, Weißrußland, Slowenien, Rumänien, der Slowakischen Republik und Bulgarien als vorherrschend.

Doch diese Länder unterscheiden sich zum Teil erheblich im Anteil optimistischer bzw.

pessimistischer Bewertungsmuster. Bei Weißrussen und Ukrainern zeigen sich die niedrigsten Anteile optimistischer Bewertungsmuster von allen ehemals sozialistischen Staaten. Bei jeweils mehr als einem Viertel der Bevölkerung ergibt sich in Polen, Rumänien, Kroatien und Slowenien ein optimistisches Bewertungsmuster, in der Tsche- chischen Republik sogar bei mehr als der Hälfte.

Die Sonderrolle des vereinten Deutschlands ist deutlich zu erkennen. Ostdeutsche kommen im Vergleich zu den osteuropäischen Ländern in hohem Maße zu optimistischen Einschätzungen. Allerdings ist die Gruppe derer, die die bereits erzielten Verbesserungen wieder gefährdet sehen, mit 29% sehr groß. Dieses Bewertungsmuster ist in den anderen osteuropäischen Ländern kaum vorzufinden und deutet auf Befürchtungen der Ostdeut- schen vor einer lang anhaltenden Rezession hin. Westdeutsche, die von einem hohen

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Tabelle 4: Bewertungsmuster bezüglich des ökonomischen Systems (in Prozent).

Optimi- Vorüber- Vorüber- Pessimi- stisch gehend gehend stisch

besser schlechter

Ostdeutschland 41 29 21 10

Westdeutschland 2 3 54 40

Bulgarien 20 4 57 19

Tschechische Republik 51 4 37 9

Slowakische Republik 22 3 57 18

Ungarn 15 2 61 22

Polen 27 5 38 30

Rumänien 27 3 59 12

Kroatien 37 2 51 10

Slowenien 27 4 59 9

Weißrußland 6 3 62 30

Ukraine 4 1 77 19

Datenbasis: Ökopol, New Democracies Barometer.

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Wohlfahrtsniveau ausgingen, befürchten offensichtlich Wohlfahrtseinbußen, sie sind in hohem Maße pessimistisch. Bei 40% zeigt sich ein pessimistisches Bewertungsmuster und damit öfter als in jedem osteuropäischen Land. Unter die optimistischen Bewertungs- muster lassen sich sogar nur 2% der Westdeutschen einordnen. Bei etwas mehr als der Hälfte der Bevölkerung ergibt sich das Muster der „vorübergehenden Verschlechterung".

Somit zeigt sich für das vereinte Deutschland ein paradoxes Bild: Die Ostdeutschen bewerten trotz der ungünstigen Arbeitsmarktlage das ökonomische System weitaus günstiger als die Westdeutschen, für die sich die Rahmenbedingungen nicht verändert haben, aber offenbar die Befürchtung von Wohlstandseinbußen vorherrscht.

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5 Einstellungen gegenüber dem parlamentari- schen System

Die Haltung gegenüber den sich vollziehenden politischen Veränderungen wird in einem ersten Schritt mittels grundlegender Einstellungen gegenüber Demokratie und parlamen- tarischem System ermittelt. Daran anschließend soll dann die Bewertung des politischen Systems, die analog zum wirtschaftlichen System vorgenommen wird, Aufschlüsse darüber bringen, wie das politische System im Vergleich zu früher bewertet wird.

5.1 Einstellungen gegenüber Demokratie und Parlamentarismus

Zunächst wird der Frage nachgegangen, inwiefern eine Suspendierung des Parlaments in den nächsten Jahren für wahrscheinlich gehalten wird. In Abbildung 5a ist der Anteil derer wiedergegeben, die es für wahrscheinlich halten, daß das Parlament abgeschafft wird. In Polen wird diese Ansicht von der Mehrheit der Bevölkerung vertreten, auch ein hoher Anteil der Weißrussen und Ukrainer hält dies für möglich. In Ost- und Westdeutschland dagegen hält es nur eine Minderheit von 12 bzw. 10% für wahrscheinlich, daß das Parlament abgeschafft wird.

Ob eine Parlamentsabschaffung für wahrscheinlich gehalten wird oder nicht, sagt jedoch nichts über die jeweilige individuelle Haltung gegenüber einem solchen Ereignis aus. Deshalb wurde auch danach gefragt, ob eine Abschaffung des Parlaments begrüßt oder abgelehnt würde. In der Abbildung 5b ist der Anteil derer ausgewiesen, die eine Parlamentsabschaffung begrüßen würden. Hohe Zustimmung würde die Abschaffung des Parlaments vor allem in Polen und der Ukraine, aber auch in Weißrußland und Bulgarien finden, während Slowenen und Kroaten in hohem Maße antiparlamentarische Haltungen zurückweisen. In Ostdeutschland fällt auf, daß zwar nur 12% eine Parlaments- abschaffung für wahrscheinlich halten, aber ein solches Ereignis immerhin von 21%

begrüßt würde. Dieser Anteil mag zwar hoch erscheinen, doch wenn die relativ kurze Zeit bedacht wird, die die Ostdeutschen hatten, sich mit dem System der Bundesrepublik zurechtzufinden, ist beachtlich, daß die große Mehrheit der Ostdeutschen eine Suspendie- rung des Parlaments ablehnen.

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Abbildung 5a: Abschaffung des Parlaments ist wahrscheinlich 10

20 30

Polen Weißrußland Ukraine Tschechische Republik Bulgarien Kroatien Slowakische Republik Rumänien Ungarn Slowenien Ostdeutschland Westdeutschland

40 - 4 -

50 60 %

—I

Abbildung 5b: Zustimmung zu einer Abschaffung des Parlaments 10

20 30

Polen Ukraine Weißrußland Bulgarien Ungarn Tschechische Republik Ostdeutschland Slowakische Republik Rumänien Westdeutschland Slowenien Kroatien

- 4 -40 50 60

Datenbasis: NDB-Barometer, Ökopol

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Die Akzeptanz parlamentarischer Institutionen ist ein wichtiger Grundkonsens für demokratische Gesellschaften, ist jedoch kein hinreichender Gradmesser für die Verbrei- tung demokratischer Grundprinzipien innerhalb einer Gesellschaft. Deshalb wird im folgenden untersucht, in welchem Umfang allgemeine demokratische Prinzipien durch die Bevölkerung akzeptiert werden. Ein zentrales Merkmal demokratischer Systeme ist die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen. In sozialistischen Systemen hingegen wurden abweichende Meinungen unterdrückt und Dissidenten diffamiert.

Das Statement „Der Staat sollte gegen Leute vorgehen, die extreme politische Ansichten vertreten, die stark von der Meinung der Mehrheit abweichen", findet die Zustimmung von fast drei Vierteln der Ost- aber auch Westdeutschen und somit einen deutlich höheren Zustimmungsgrad als in den osteuropäischen Ländern (Tabelle 5).

Dieses Antwortmuster könnte auch im Sinne „wehrhafter Demokratien" interpretiert werden, z.B. als Abwehr von Rechtsextremismus. Die Betrachtung der osteuropäischen Länder läßt jedoch kein eindeutiges Muster erkennen, das diese Interpretation stützen würde. Zwar zeigt sich bei Polen und Ukrainern, die in hohem Maße eine Parlamentsab- schaffung unterstützen würden, auch ein niedriger Anteil derer, die die Meinung vertre- ten, daß gegen Andersdenkende vorgegangen werden sollte, in Weißrußland jedoch, wo eine Parlamentsabschaffung ebenfalls von einer größeren Bevölkerungsgruppe toleriert würde, sind mehr als die Hälfte der Meinung, daß gegen Personen mit extremen Ansichten vorgegangen werden sollte.

Ein weiteres zentrales Merkmal rechtsstaatlicher Systeme ist die Allgemeingültigkeit von Gesetzen, auch wenn diese individuell als ungerecht empfunden werden. Abgesehen von der Ukraine findet sich in den untersuchten Ländern keine Mehrheit für das Statement

„ein Gesetz, das ungerecht ist, braucht nicht befolgt zu werden". Die Zustimmung liegt jeweils bei rund 40%, lediglich in Westdeutschland wird diese Ansicht nur von 29% der Bevölkerung vertreten. Es ist zwar denkbar, daß unter der Nichtbefolgung ungerechter Gesetze solche verstanden werden, die gegen die Verfassung verstoßen, allgemein muß jedoch davon ausgegangen werden, daß es als legitim angesehen wird, unliebsame Gesetze zu umgehen. Dies kann in den ehemals sozialistischen Staaten aus dem als legitim empfundenen vielfältigen Umgehen staatlicher Ordnung während des sozialistischen Systems, z.B. im Bereich der Schattenökonomie, herrühren.

Eine immer wieder in den Medien vorgetragene Kritik an parlamentarischen Syste- men, insbesondere in den osteuropäischen Ländern im Transformationsprozeß, sind die langen Entscheidungsfindungsprozesse und die geringe Effizienz bei der Umsetzung parlamentarischer Entscheidungen8. Die Alternative wird häufig in „starken Führern"

gesehen, die bestrebt sind, mittels nationalistischer Parolen9 autoritäre Strukturen zu etablieren. Im folgenden wird untersucht, inwiefern solche autoritären Strukturen gesell- schaftlich akzeptiert werden. Wenn mit dem Statement „Eigentlich brauchen wir kein Parlament, sondern eher einen starken Mann, der Entscheidungen rasch durchsetzen kann", autoritäre Strukturen als Alternative angeboten werden, zeigt sich teilweise eine unerwartet hohe Zustimmung. Die Slowenen, von denen nahezu 90% eine Parlamentsauf- lösung ablehnen, sprechen sich zu fast drei Vierteln für einen starken Mann aus. Die Idee einer starken Führung findet auch in Weißrußland, Bulgarien, der Ukraine aber auch Polen starke Unterstützung. In den anderen Ländern handelt es sich um Minderheiten, die

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Tabelle 5: Einstellungen gegenüber demokratischen Prinzipien 1 (in Prozent)

Vorgehen Ungerechte Starker Führer Bedrohung gegen Gesetze zur Durch- durch extreme nicht setzung von Ent- Flüchtlinge, Ansichten befolgen scheidungen Immigranten 2

Ostdeutschland 74 43 20 28

Westdeutschland 73 29 25 31

Polen 24 44 41 41

Tschechische Republik 35 37 24 38

Slowakische Republik 41 41 24 23

Ungarn 26 38 27 51

Rumänien 50 44 27 16

Bulgarien 40 41 66 *

Slowenien 45 35 71 61

Kroatien * * * 56

Weißrußland 53 40 77 22

Ukraine 22 55 52 6

* Nicht erhoben

1 Anteil „stimme voll und ganz zu" und Anteil „stimme eher zu".

2 In Ost- und Westdeutschland wurde diese Frage, differenziert nach Ausländern, Flüchtlingen und Asylbewerbern, erhoben. Der hier wiedergegebene Anteil bezieht sich auf „Ausländer".

Datenbasis: Ökopol, NDB-Barometer

diese Ansicht vertreten. Auffallend ist der geringe Anteil an Ostdeutschen, die autoritäre Strukturen befürworten.

Demokratische Einstellungen zeigen sich insbesondere in der Toleranz gegenüber anderen Ethnien und Kulturen. Transnationale Migration ist nicht nur in den osteuropäi- schen Ländern zum gesellschaftlichen Konfliktstoff geworden, der die politischen Debatten beherrscht. Wie die Daten aus Tabelle 5 zeigen, kann jedoch aus dem Anteil derer, die Flüchtlinge und Immigranten als Bedrohung für „den Frieden und die Sicher- heit" ihres Landes ansehen, nicht direkt auf die Haltung gegenüber ethnischen Gruppen geschlossen werden. Das große Bedrohungsempfinden in Slowenien und Kroatien dürfte in hohem Maße durch die Flüchtlingsströme aus den benachbarten Kriegszonen geprägt sein. Auch wenn die hier ausgewiesenen Daten einen engen Zusammenhang zwischen der Zahl der Migranten und steigendem Bedrohungsempfinden vermuten lassen, kann jedoch nicht einfach der Kehrschluß gezogen werden, daß allein die Zahl der Migranten den Grad des Bedrohungsempfindens bestimmt. In Ost- und Westdeutschland, wo die Einstellun- gen gegenüber bestimmten Migrantengruppen differenzierter erhoben wurden und somit

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SEITE 2 6 WOLFGANG SEIFERT

keine unmittelbare Vergleichbarkeit zu den anderen Ländern gegeben ist, zeigte sich, daß zwischen der Zahl an Zuwanderern und dem Bedrohungsempfinden kein unmittelbarer Zusammenhang besteht (vgl. Seifert, Rose, Zapf 1993: 61ff).

5.2 Die Bewertung des politischen Systems

Während die Etablierung eines funktionierenden marktwirtschaftlichen Systems einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt, lassen sich demokratische Systeme in einem wesentlich kürzeren Zeitraum implementieren. Der Bestand demokratischer Systeme ist jedoch von der Akzeptanz der Bevölkerung abhängig. Wenn die Unterstützung durch die Bevölkerung fehlt, ist die Herausbildung autoritärer Strukturen nicht unwahrscheinlich.

Im folgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, wie das gegenwärtige politische System im Vergleich zum sozialistischen System bewertet wird, und welche Erwartungen für die nahe Zukunft bestehen.

Die Bewertung des politischen Systems wird, wie schon für das ökonomische System, anhand einer Skala von - 100 bis + 100 vorgenommen. Wenn wiederum zunächst die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands betrachtet wird, so fällt auf, daß die West- deutschen, analog zur Einschätzung des ökonomischen Systems, eine deutlich niedrigere Bewertung für das gegenwärtige politische System im Vergleich zu vor fünf Jahren abgeben (Abbildung 6). Das System vor der Vereinigung wird durchschnittlich sehr hoch bewertet. Da das parlamentarische System der Bundesrepublik unverändert blieb, ja noch nicht einmal ein Regierungswechsel stattgefunden hat, ist diese Entwicklung doch überraschend. Allgemeine Politikverdrossenheit, hohe finanzielle Lasten in der Folge der Vereinigung oder auch ein gewisser Nostalgieeffekt sind mögliche Erklärungen. Eine Wiederherstellung zufriedenstellender Strukturen wird in Westdeutschland auch in naher Zukunft nicht angenommen. Die Erwartungen in fünf Jahren liegen nur geringfügig über den Durchschnittswerten für das gegenwärtige politische System.

Ostdeutsche bewerten das DDR-System durchschnittlich ablehnend, doch auch die Wertung für das gegenwärtige System liegt noch im negativen Bereich. Auch innerhalb der nächsten fünf Jahre werden kaum positive Veränderungen erwartet Es kann also angenommen werden, daß sich in Ostdeutschland eine gewisse Enttäuschung oder Desillusionierung in bezug auf das politische System der Bundesrepublik breit gemacht hat. Darauf deutet jedenfalls die relativ geringe Differenz in der Bewertung des DDR-

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Abbildung 6: Bewertung des politischen SystemsrVergangenheit • Gegenwart • Zukunft

Westdeutschland

Ostdeutschland

(Sozialistisches) Gegenwärtiges

System System System in

fünf Jahren Sozialistisches Gegenwärtiges System System

Tschechische Republik

Slowenien Rumänien Kroatien

System in fünf Jahren

40

20

-20

40

Bulgarien Slowakische Republik

Polen

40

20

-20

-40

Sozialistisches Gegenwärtiges

System System System in

fünf Jahren Sozialistisches

System Gegenwärtiges System

Ungarn Weißrußland Ukraine

System in fünf Jahren

Skala von -100 bis +100; Ost- und Westdeutschland: -10 bis +10.

Datenbasis: NDB-Barometer, ökopol

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