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5. Diskussion

5.2. Bewertung von Risikofaktoren für BSE-Infektionen in Rinder haltenden Betrieben

5.2.2. Bewertung der Fütterungscharakteristika

Da unterstellt wird, dass Jungtiere empfänglicher für eine Infektion sind als erwachsene Tiere (WILESMITH et al., 1988; BRADLEY und WILESMITH, 1993), wurde in der vorliegenden Untersuchung besonderes Augenmerk auf die Fütterung von Kälbern und Jungrindern gelegt. Für KAMPHUES et al. (2001) nahmen die Milchaustauscher und die Kälberaufzuchtfutter in Deutschland eine Sonderstellung bei der Übertragung des infektiösen Agens ein, da in ihnen Eiweißhydrolysate, Grieben und Fette aus Fettschmelzen enthalten waren und diese Futtermittel an die gefährdete Altersgruppe verfüttert wurden.

Mit Hilfe dieser Fall-Kontroll-Studie konnten Hinweise für einen Zusammenhang zwischen dem Milchaustauschereinsatz und der BSE-Erkrankung aufgezeigt werden (siehe Tabelle 20), wenn auch vor dem Hintergrund der eingeschränkten statistischen Power der Studie (p=0,2167).

Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Milchaustauschern und BSE-Infektionen wurden auch in anderen Studien in Niedersachsen, Bayern und Schleswig-Holstein gefunden. CLAUSS et al.

(2006) ermittelten Milchaustauscher als potentiellen Vektor für infektiöses Agens innerhalb der untersuchten bayerischen BSE-Population. In den Basiserhebungen in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein konnten ebenfalls signifikante Effekte für den Einsatz von Milchaustauscher nachgewiesen werden (POTTGIEßER et al., 2006; OVELHEY et al., 2006)

Weiterhin wurde untersucht, ob Angaben zu den Herstellern und den Produkten der eingesetzten Futtermittel erfasst werden konnten. Ziel dieses Vorgehens war es festzustellen, ob ein bestimmter Hersteller oder ein Produkt identifiziert werden kann, dessen Einsatz ein besonders hohes BSE-Risiko mit sich brachte. In der Fall-Kontroll-Studie stellte sich heraus, dass Hersteller und Produkte, die in dem Jahr vor der Geburt und in den ersten zwei Lebensjahren der Tiere eingesetzt worden waren, mit Hilfe der Buchführung und der Erinnerung der Landwirte präzise nachvollziehbar waren.

Nur in wenigen Fällen konnte keine nachvollziehbare Beziehung zwischen dem angegebenen Hersteller und dem Produkt hergestellt werden. In einigen Fällen wurde der Verkäufer eines Produktes als Hersteller aufgeführt, auch wenn dieser ausschließlich für den Verkauf der Ware zuständig war. Offensichtliche Fehlangaben (wie zum Beispiel Normi von Sloten Deventer) wurden durch entsprechende Plausibilitätsprüfungen aufgedeckt und korrigiert und stellten somit keine grundsätzliche Fehlerquelle bei den Analysen dar.

Die Herstellerraten pro 100 Landwirte in der Fall-Kontroll-Studie unterschieden sich nur gering. Es ist zu vermuten, dass die ermittelten Herstellerraten im Bereich der Milchaustauscherhersteller stark von der Anzahl überhaupt vorhandener Produzenten abhängig sind, so dass die ermittelten Raten nicht als Risikofaktor interpretiert werden können. Sowohl bei den BSE-Tieren als auch bei den Kontrolltieren wurden durchschnittlich 1,2 Milchaustauscher von verschiedenen Herstellern

eingesetzt, wobei hier nicht auf die Anzahl der Hersteller im gesamten Kollektiv geachtet wurde, sondern nur auf die betriebliche Vielfalt.

Es wurde darüber hinaus untersucht, ob Milchaustauscher eines Herstellers bzw. einer Herstellergruppe besonders häufig auf BSE-Betrieben eingesetzt worden sind. In dieser Studie konnte für die Produkte eines Herstellers bzw. einer Herstellergruppe ein signifikantes matched Odds Ratio von 3,8 festgestellt werden (p=0,0194). Bei den anderen Herstellern bzw.

Herstellergruppen von Milchaustauschern konnten keine signifikanten Unterschiede nachgewiesen werden. Untersuchungen im Bereich der Kälberaufzuchtfutter ergaben keine Unterschiede zwischen den Fällen und den Kontrollen bezüglich der Hersteller.

Es ist anzunehmen, dass Hersteller bzw. Herstellergruppen, die einen hohen Marktanteil hatten, auch mit einer größeren Zahl an BSE-Fällen in Verbindung gebracht werden konnten. Dies erscheint vor allem dann nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass ein großer Hersteller bzw. eine große Herstellergruppe auch relativ mehr potentiell kontaminierte Einzelkomponenten zur Futtermittelproduktion zugekauft haben als kleinere Hersteller. Mit Hilfe der Daten der Basiserhebung aus Niedersachsen wurde ein Kollektiv definiert, das repräsentativ die Verteilung der Marktanteile in Niedersachsen abbildet. Hiermit konnte in einem Poisson-Modell berechnet werden, wie viele BSE-Fälle pro Hersteller bzw. Herstellergruppe zu erwarten waren. Anhand der Poissonverteilung, die auch Verteilung der seltenen Ereignisse genannt wird, ist es möglich für das Auftreten einer bestimmten Anzahl an BSE-Fällen der einzelnen Hersteller- bzw. Herstellergruppen Wahrscheinlichkeiten anzugeben, so dass mit dieser Methode und der Verteilung der Marktanteile die Anzahl der BSE-Fälle, die bei den jeweiligen Hersteller- bzw. Herstellergruppen nachgewiesen wurden, bewertet werden konnten (vgl. HARTUNG, 1982). Tabelle 41 zeigt sechs Hersteller bzw.

Herstellergruppen, deren Produkte am häufigsten eingesetzt wurden. Dabei wurden Hersteller, die nur über geringe Marktanteile verfügten, gegebenenfalls zu Herstellergruppen zusammengefasst.

Daneben wurde eine Kategorie für diejenigen Kälber gebildet, die Milchaustauscher erhielten, für die aber keine genauen Herstellerangaben vorhanden waren, sowie eine Kategorie für Kälber, bei denen kein Milchaustauscher eingesetzt worden war. Aus Gründen der Anonymität wurden die Hersteller bzw. –Gruppen mit den Buchstaben „A“ bis „F“ benannt.

Wie in der Tabelle 41 dargestellt, übersteigt die gefundene Anzahl an BSE-Fällen beim Hersteller bzw. der Herstellergruppe B signifikant den Wert von Fällen, den man bei einer zufälligen Verteilung anhand der bestehenden Markanteile erwarten würde. Dieses Ergebnis kann daher als ein weiterer Hinweis gedeutet werden, dass Produkte dieses Herstellers bzw. dieser Herstellergruppe eventuell stärker von kontaminierten Einzelkomponenten oder Futtermitteln betroffen waren als andere.

Tabelle 41: Erwartete und gefundene Anzahl von BSE-Fällen bei Milchaustauscherherstellern in Niedersachsen Basiserhebung

Niedersachsen Grundgesamtheit Niedersachsen

Fall-Kontrollstudie

1) Arithmetisches Mittel aus den Jahren 1994 bis 1997

2) Verteilung auf die MAT-Hersteller aus den Daten der Basiserhebung Niedersachsen geschätzt

3) Anzahl der Schnelltests im Zeitraum 01.01.2001 bis 31.12.2003 in Niedersachsen

4) Zeitraum 28.12.2000 bis 31.12.2003 in Niedersachsen

5) Die Gesamtzahl bildet nicht die Summe der einzelnen Fälle bzw. Kontrollen pro Hersteller ab, da manche Betriebe mehr als einen MAT-Hersteller einsetzen

6) Anzahl der Fälle, die gemäß einer Poisson-Verteilung bei der geschätzten Anzahl der untersuchten Rinder zu erwarten wäre

7) Verhältnis der gefundenen zu den erwarteten Fällen

8) Wahrscheinlichkeit gemäß Poisson-Verteilung, dass bei der geschätzten Anzahl untersuchter Rinder die gefundene Anzahl Fälle oder mehr auftreten

Auch in Dänemark konnte ein vermehrter Einsatz eines bestimmten Milchaustauschers beobachtet werden. Allerdings muss bei dieser Untersuchung beachtet werden, dass zum Untersuchungszeitpunkt erst sieben BSE-Fälle in Dänemark diagnostiziert worden waren und sich diese Beobachtung ausschließlich auf die Erfassung von Fällen stützte (PAISLEY und

HOSTRUP-PEDERSEN, 2004). In Bayern konnte ebenfalls ein signifikant höherer Einsatz eines Herstellers von Milchaustauschern auf den BSE-Betrieben nachgewiesen werden (LMU, 2003b).

Da in Deutschland alle Milchaustauscherhersteller je nach der Preisentwicklung der einzelnen Komponenten ihre Zusammenstellung gegebenenfalls von Charge zu Charge verändert haben, sollte auch auf der Grundlage dieser Studie nicht davon ausgegangen werden, dass vorsätzlich kontaminierte Futtermittelkomponenten eingemischt worden waren. Die Art der Herstellung und die Zusammensetzung der Komponenten entsprachen in dem kritischen Zeitraum der üblichen Herstellungspraxis. Vielmehr ist es denkbar, dass ein unbeabsichtigter Zukauf kontaminierter Einzelkomponenten Auswirkungen auf mehrere Chargen (mehrerer Hersteller) und somit auch auf die Infektion einer größeren Anzahl Rinder gehabt hat. Für tiefergehende Analysen ist es daher notwendig auf Einkaufszeitpunkte, Rezepturen und Mischungsverhältnisse der Hersteller zurückzugreifen, um diejenigen Einzelkomponenten zu identifizieren, die möglicherweise mit Prionen kontaminiert waren. Dies könnte mit den vorliegenden Daten abgeglichen werden und somit eine tiefergehende Risikoanalyse des durch Milchaustauschereinsatz in Deutschland entstandenen Risikos ermöglichen.

In dieser Studie konnte kein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Kraftfuttermitteln bei Kälbern und Kühen und einer BSE-Erkrankung festgestellt werden. In Großbritannien hingegen konnten von der Arbeitsgruppe um Wilesmith statistisch signifikante Zusammenhänge für das Verfüttern von Aufzuchtfutter an Kälber und der BSE-Erkrankung mit Hilfe der dort durchgeführten analytischen Studien aufgezeigt werden.

Zudem wird vermutet, dass auch Diättränken, die während des Durchfallgeschehens bei Kälbern eingesetzt werden, für die Verbreitung des infektiösen Agens verantwortlich gewesen sein könnten (KAMPHUES, persönliche Mitteilung). Hierbei wird angenommen, dass während eines Durchfallgeschehens mit einer geschädigten Darmschleimhaut der BSE-Erreger leichter aufgenommen werden konnte. Das Prion könnte dabei in einer kontaminierten Futtermittelkomponente der Diättränke enthalten gewesen sein.