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8 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession

8.5 Menschenrechtsverletzungen in der Soziale Arbeit

8.5.2 Beispiel für erfolgreichen zivilen Ungehorsam

Letzteres führte in Österreich zu einem Gerichtsurteil vom obersten Gerichtshof, welches die Praktik, gegen welche sich der zivile Ungehorsam richtete, verbot. Ein Mitarbeiter des Wiener Jugendamts wollte sich den Menschenrechtsverletzenden Weisungen seiner Vor-gesetzten nicht Folge leisten und wandte sich mit einem offenen Brief an alle Mitarbeiter des Jugendamts, gleichzeitig leitete er ein Disziplinarverfahren gegen seine Vorgesetzte ein Und beantragte eine Sachverhaltsprüfung bei der Staatsanwaltschaft. Die Weisung habe alle Mitarbeiter angewiesen, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen über 14 Jah-ren, keine gesetzlichen Vertreter mehr an die Seite zu stellen, was eine Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention sowie österreichischer Gesetze darstellte. Die Sachverhalts-überprüfung habe ergeben, Sozialarbeiter_innen die sich der Weisung widersetzten, sich in keiner Weise strafbar machten (vgl. Prasad 2018, S.25). Das anschließende Gerichts-verfahren bestätigte den Sozialarbeiter dahingehend, dass alle unbegleiteten minderjähri-gen Flüchtlinge einen Anspruch auf eine gesetzliche Vertretung haben. (OGH 19.10.2005 7Ob209/05v)

40 Das Beispiel aus Österreich veranschauliche eindrucksvoll, wie ernst Sozialarbeiter_innen das Mandatsverständnis der Sozialen Arbeit nehmen können und nach diesem Arbeiten.

Durch stärkere Kooperation zwischen Sozialarbeiter_innen und z. B. Pro Asyl oder dem Bundesverband Minderjähriger Flüchtlinge e. V. oder anderen ressourcenstarken Ak-teur_innen, könne die Soziale Arbeit ihrem Mandatsanspruch gerecht werden, Menschen-rechtsverletzungen an Geflüchteten bekämpfen und sich somit auch politisch positionie-ren (vgl. Prasad 2018).

9 Fazit

Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass zwischen dem Anspruch demokratischer Natio-nalstaaten menschenrechtskonform zu agieren und ihrer realpolitischen Ausrichtung eine signifikante Diskrepanz besteht. Theoretisch ist jeder Mensch Träger von Menschenrech-ten, damit sie einem Menschen jedoch garantiert werden können, bedarf es jedoch einer Gemeinschaft welche dem Individuum diese Rechte garantiere. Durch Migration und Flucht treten Menschen aus Gemeinschaften aus und werden somit praktisch rechtslos.

Formal werden ihnen zwar weiterhin die Menschenrechte garantiert, jedoch müssen sie wieder Mitglieder einer politischen Gesellschaft werden um tatsächlich wieder Träger von Menschenrechten zu werden . Lediglich in einer zu einem bestimmten Grad abgegrenzte Gemeinschaften können sich gegenseitig Rechte garantieren. Diese Abgrenzungen wie z.

B. Nationalstaatliche Grenzen bergen allerdings Gefahren, da sie nur die Rechte derjeni-gen garantieren die Mitglieder in dieser Gemeinschaft sind.

Auch die Soziale Arbeit unterliegt dieser Logik der Rechtschaffung durch Zugehörigkeit, da sie als wohlfahrtsstaatliche Praxis staatliche Grenzziehung benötigt. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es jedoch sich für Menschen einzusetzen die sich zwar innerhalb Deutschlands befinden aber eine Minderheit darstellen und rechtlich, politisch und sozial nicht gleichgestellt mit Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft sind. Diesen Menschen durch professionelles Handeln eine Parizipation am Gemeinwesen zu ermöglichen, ist Aufgabe der Sozialen Arbeit. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden muss sich die Sozia-le Arbeit neben der individuelSozia-len Einzelfallhilfe für eine Stärkung von KolSozia-lektiven engagie-ren. Gemeinwesenarbeit führt zur Schaffung eines Kollektivs in dem aus Minderheiten Zugehörige werden. Wenn Menschen durch gemeinschaftliches Engagement in Kontakt kommen werden Vorurteile abgebaut. Gesellschaftliche Teilhabe stellen ebenso einen wichtigen Eckpfeiler der Lebensführung dar wie individuelle Ressourcen.

Durch das Trippelmandatt zwischen der Hilfe für Klient_innen, dem Auftrag der gesell-schaftlichen Instanz und der Profession, schützt sich die Soziale Arbeit davor als Hand-langer des Staates bei menschenrechtswidrigen Handlungen genutzt zu werden. Durch

41 das professionelle Mandat stützt sich die Soziale Arbeit direkt auf die Menschenrechte als Fundament ihres professionellen Handels. Werden Sozial Arbeiter_innen in ihrer Arbeit nun mit Menschenrechtsverletzenden Praktiken konfrontiert oder sollen menschenrechts-verletzende Praktiken anwenden, können sie sich auf die Menschenrechte berufen und sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Menschenrechtsverletzungen öf-fentlich zu machen und zu Skandalisieren gehört ebenso zum Verständnis einer Men-schenrechtsprofession wie die eigenen Arbeitsweisen zu reflektieren und sich für instituti-onellen Rassismus zu sensibilisieren. Um außerhalb nationalstaatlicher Kontexte auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen stehen der Sozialen Arbeit die Me-thoden des UN-Menschenrechtsschutzsystems zur Verfügung. Außerdem wurde deutlich das jede Sozialarbeiter_in die Möglichkeit der Weigerung aus Gewissensgründen und des Zivile Ungehorsams nutzen kann um Menschrechtsverletzungen öffentlich zu machen und zu skandalisieren und so zur Änderung von diskriminierenden Strukturen beizutragen.

Das Beispiel des österreichischen Jugendamtsmitarbeiters hat gezeigt das Ziviler unge-horsam zwar riskant und mit viel persönlichem Engagement verbunden ist aber tatsäch-lich zur Änderung menschenrechtsverletzender Strukturen beitragen kann.

Die Betrachtung der historischen Entwicklung der migrationsbezogenen Pädagogik von der Ausländer- über die Interkulturelle- bis hin zur Migrationspädagogik hat gezeigt, das Kindern mit Migrationshistorie in der Familie eine gleichberechtigte Teilhabe an Bildungs-institutionen systematisch verwehrt wurde und heute noch wird. Dabei hat sich die Sicht-weise auf diese Kinder von einer defizitären Betrachtungsweis zu einer Differenzbetrach-tung entwickelt. Beide BetrachDifferenzbetrach-tungsweisen unterscheiden sich nur formell und begründen ausbleibende Lernerfolge von Migrationsanderen mit ethnisch-kulturellen Defiziten bzw.

Differenzen. Diese ethnisch kulturell begründeten Theorien wurden im Laufe der Arbeit als bloße konstruierte kollektive Zuschreibungen enttarnt. Die Ungleichbehandlung der be-troffenen Kinder wurde durch ethnisch-kulturelle Deutungsmuster gestützt und durch pä-dagogische Theorien wie die Interkulturelle Pädagogik begründet. Diese Form des institu-tionellen Rassismus stellt eine systematische Benachteiligung über Generationen hinweg dar und knüpft an rassistische Konstruktionen von Kultur und Ethnie an.

Die Migrationspädagogik greift die Bedeutsamkeit von Zugehörigkeit wieder auf und defi-niert den Begriff der nathio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit als Machtvolles Unterschei-dungsmerkmal für den Ausschluss von Minderheiten aus der Mehrheitsgesellschaft.

Betrachtet man die Entwicklung der Pädagogik seit den 1950er Jahren stellt man fest, das Bildungseinrichtungen in Deutschland trotz einer heterogenen von Migration geprägten Gesellschaft noch immer auf einen homogenen Klassenverband angewiesen sind um Bildungsinhalte allen Schülern nahebringen zu können. Ein heterogener Klassenverband

42 stellt Schulen vor organisatorische Probleme. Die Ressourcen des deutschen Schulsys-tems reichen schlichtweg nicht aus um gleiche Bildungschancen für alle Kinder zu ermög-lichen. Dieser Sachverhalt veranlasst Schulen dazu Kinder mit Migrationshintergrund zu stigmatisieren und auf Grundlage ethnisch-kultureller Erklärungsmodelle zu benachteili-gen.

Das führt zu der Schlussfolgerung das die Bildungseinrichtungen in Deutschland nicht inklusiv auf Migrationsphänomene reagieren, sondern Rassistische Unterscheidungsmus-ter akzeptieren und sogar Reproduzieren und dadurch Ressourcenknappheit und organi-satorischen Limitierungen zu verschleiern versucht.

Diese Erkenntnis dieser Arbeit und die Tatsache das sie einer breiten Öffentlichkeit zu-gänglich ist und trotzdem nicht zu massiven Skandalisierung und Protesten unter der Zi-vilbevölkerung geführt hat ist beeindruckend und ernüchternd zugleich. Sie zeigt das in der Zivilgesellschaft entweder ein generelles Desinteresse für derart einschneidende insti-tutionelle rassistische Phänome herrscht oder ein Großteil der Bevölkerung den impliziten Botschaften ethno-kultureller Unterscheidungen zustimmt.

Andererseits gibt die Überforderung der Bildungspolitik auf die Migrationsrealität ange-messen zu reagieren wenig Hoffnung auf eine baldige Verbesserung der organisatori-schen Probleme an deutorganisatori-schen Schulen.

Im Hinblick auf die Demokratiepädagogik bleibt festzustellen, dass sie zur Schaffung gleichberechtigter Verhältnisse beitragen kann, indem demokratische Sachverhalte ver-mittelt und demokratische Werte im Rahmen kritischer Auseinandersetzungen mit dem Ist-Zustand der Demokratie erfahrbar gemacht werden können. Weiterhin bietet eine Thematisierung und Aufarbeitung von institutionellem Rassismus durch menschenrechts-verletzende Praktiken, wie die in dieser Arbeit erläuterte systematische Benachteiligung von Schüler_innen mit Migrationshistorie, eine Möglichkeit aufzuzeigen das der Ist-Zustand der Demokratie keine perfekte Herrschaft- und Gesellschaftsform darstellt.

Abschließend bleibt zu sagen das Integration nur gelingen kann wenn sie nicht länger als bloße Eigenleistung der Zugewanderten betrachtet wird.

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