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Von der Ausländer- zur Demokratiepädagogik Wie integrativ ist das deutsche Schulsystem?

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Fachbereich: Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Studiengang: Soziale Arbeit (B.A.)

Bachelorarbeit

zur Erreichung des akademischen Grades (B.A.)

Von der Ausländer- zur

Demokratiepädagogik

Wie integrativ ist das deutsche Schulsystem?

vorgelegt von

Friedjof Neuwardt

URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis2018-0371-7

Prüfer

Erstprüfer: Dr. Júlia Weber

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne Benut-zung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken habe ich als solche kenntlich gemacht.

Neubrandenburg, 28.06.2018

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Inhalt

Einleitung ... 1

1 Rassismus ... 4

1.1 Kultureller Rassismus – Rassismus ohne Rasse ... 4

1.1.1 Kultureller Rassismus als Rechtfertigungsgrundlage von Institutionen ... 5

1.1.2 Institutioneller Rassismus ... 5

2 Integration und Assimilation ... 6

2.1 Assimilation statt Integration ... 6

2.2 Soziale und Systemintegration ... 8

3 Migration, eine universelle Handlungsform ... 9

4 Historie der Migration in Deutschland ... 11

5 Politscher Umgang mit Migration in Deutschland. ... 12

6 Von der Ausländer- zur Migrationspädagogik ... 15

6.1 Ausländerpädagogische Perspektive ... 15

6.2 Von der Ausländer- zur Interkulturellen Pädagogik ... 17

6.3 Interkulturelle Pädagogische Perspektive ... 18

6.3.1 Klassische Interkulturelle Pädagogik ... 18

6.3.2 Antirassismus- und Antidiskriminierungspädagogik ... 20

6.4 Von der Interkulturellen zur Migrationspädagogik ... 24

6.5 Migrationspädagogische Perspektive ... 25

6.5.1 Zugehörigkeit ... 26

6.5.2 Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit ... 26

6.6 Innerschulische Schlechterstellung Migrationsanderer ... 28

7 Demokratiepädagogik ... 30

7.1 Sachverhalte der Demokratie ... 30

7.2 Schule als Ort der Demokratievermittlung ... 31

7.3 Demokratiepädagogische Perspektive ... 32

8 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession ... 34

8.1 Menschenrechte bedingen Mitgliedschaft ... 35

8.2 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession in der Membership-Perspektive .. 36

8.3 Perspektivwechsel weg vom Individuum hin zum Kollektiv ... 36

8.4 Mandatsverständnis in der Arbeit mit Migrant_innen und Geflüchteten ... 37

8.5 Menschenrechtsverletzungen in der Soziale Arbeit ... 38

8.5.1 Möglichkeiten der Sozialen Arbeit zur Wahrung der Menschenrechte in der eigenen Arbeit ... 38

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9 Fazit ... 40 10 Quellen ... 43

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1

Einleitung

Kein Thema in Deutschland produziert so viele Beiträge in den Medien und Debatten in Gesellschaft und Öffentlichkeit wie das der Migration. Während es in den 1990er Jahren noch vermehrt um die Abwehr ungewollter Zuwanderer ging werden die Debatten heute durch Fragen der Integration von Migrant_innen in die deutsche Gesellschaft bestimmt.

Dabei ist das Phänomen der Migration in Deutschland nicht neu. Seit dem Ende des zwei-ten Weltkriegs ist die deutsche Gesellschaft geprägt durch Migration verschiedenster Menschengruppen und Deutschland hat sich innerhalb der letzten 70 Jahre zu dem Mig-rationsziel in Europa entwickelt. Die Politik reagierte auf diese Entwicklung jedoch unzu-reichend und weigerte sich Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen und ihre Politik dementsprechend anzupassen. Daraus resultierte z. B. eine verfehlte Bildungspoli-tik die von Migration betroffene Kinder systematisch Benachteiligt und dies bis heute tut.

Die Debatten darüber wie Migrationspolitik in Deutschland aussehen soll werden teilweise äußerst kontrovers und leidenschaftlich geführt. Selten geht es jedoch darum etwas für die Menschen zu tun welche Schutz vor Kriegen und Verfolgung suchen. Die Debatte wird durch Forderungen und Erwartungen an die Zuwanderer bestimmt.

Sinnbildlich für den Umgang mit Migration in Deutschland steht der durch das Aufent-haltsgesetz geregelte Integrationskurs. Jeder Ausländer mit einem gültigen Aufenthaltsti-tel ist seit 2005 dazu verpflichtet am Integrationskurs teilzunehmen und ihn erfolgreich zu absolvieren. Ziel des angebotenen Kurses sei es Migrant_innen die Integration in Deutschland zu erleichtern. Das legt die Annahme nahe das der Integrationskurs dazu dient ihnen Starthilfe für ein eigenständiges Leben in Deutschland zu geben.

Die Praxis der Integrationskurse spiegelt allerdings eine Sichtweise auf Integration wieder in der es nicht um die Selbstständigkeit von Migrant_innen geht, sondern primär darum die eigene Position in der Gesellschaft zu bewahren. In Integrationskursen geht es häufig nicht darum die Rechte von Migrant_innen zu stärken, viel mehr vermitteln viele Kurse wie sie möglichst wenig ärger machen und sich möglichst reibungslos den hiesigen gesell-schaftlichen und kulturellen Gewohnheiten anpassen. So wird die Verwendung der deut-schen Sprache eben nicht als hilfreiche Ressource für Migrant_innen vermittelt, welche ihnen Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und bessere Beschäfti-gungsmöglichkeiten bietet. Gute Deutschkenntnisse werden hingegen als Pflichtaufgabe vermittelt, weil in Deutschland eben deutsch gesprochen wird und ein Kennzeichen für gelungene Integration darstellt. Ohne Zweifel sind Deutschkenntnisse unabdingbar für ein Leben als Teil der Gesellschaft, doch werden Anpassungshandlungen wie das Erlernen

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2 der Sprache aus den falschen Motiven heraus begründet.

In Integrationskursen sowie im gesellschaftlichen Diskurs wird Integration zu oft mit voll-ständiger Anpassung gleichgesetzt und die Beteiligung der Gesellschaft außer Acht ge-lassen.

Gleiches gilt für den Umgang der Pädagogik mit Schülern mit Migrationshintergrund. Wie in der letzten PISA-Studie bekannt wurde gehört Deutschland zu den Staaten mit dem größten Leistungsunterschied zwischen Schülern mit und ohne Migrationshintergrund. Der Studie zufolge erreichen bis zu 40% der Schüler_innen mit Migrationshintergrund nicht in Fächern wie Mathe nicht das Basisniveau des Europäischen Durchschnitts. Damit ist der Anteil mehr als doppelt so groß wie bei Schüler_innen ohne Migrationshintergrund (vgl. OECD 2018, Internetquelle)). Für die Gründe dieses beträchtlichen Unterschieds versucht diese Arbeit Antworten zu finden.

Der Sozialen Arbeit kommt innerhalb des Diskurses über den richtigen Umgang mit Migra-tion in Deutschland eine entscheidende Rolle zu. Sie stellt eine Profession dar, welche sich direkt auf die Menschenrechte als Grundlage für ihre Arbeit beruft und sich für Gleichberechtigung aller Menschen in Deutschland einsetzt. Doch steht die Soziale Arbeit in einem Spannungsfeld zwischen der Verantworung den Klient_in gegenüber und dem Auftrag von Institutionen und freien Trägern, sowie der ethischen Verantwortuder gegen-über der eigenen Profession.

Die nachfolgenden Betrachtungen zeigen das die Bundesrepublik Deutschland sich seit Beginn von Migrationsbewegungen nach Deutschland schwer tut ihre Migrationsrealität anzuerkennen und ihr gerecht zu werden bzw. Adäquat auf sie zu reagieren, sei es ge-sellschaftlich oder politisch. Davon ausgenommen sind selbstverständlich auch nicht die Bildungspolitik und die daran ausgerichtete Pädagogik. Hauptfokus dieser Arbeit ist es die historische Entwicklung der migrationsbezogenen Pädagogik in Deutschland zu betrach-ten und die Frage zu klären wie integrativ das Bildungssystem für Migrant_innen in Deutschland wirklich ist.

Zu Beginn dieser Arbeit werden Begrifflichkeiten wie Rassismus, Integration und Assimila-tion sowie MigraAssimila-tion erläutert und im Blickfeld von Sozialer Arbeit sowie Pädagogik be-trachtet. Darauf folgt ein historischer Abriss über die wichtigsten Migrationsbewegungen in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Anschluss daran wird die Entwicklung der migrationsbezogenen Pädagogik in Deutschland anhand der wichtigsten Konzepte aufgezeigt. Angefangen mit der Ausländerpädagogik, über die Interkulturelle bis hin zur Migrationspädagogik. Als letztes pädagogisches Konzept wird die Demokratiepädagogik vorgestellt, womit der bildungstheoretische Themenbereich vorerst abgeschlossen ist.

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3 Mit dem Blick auf die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession wird die Perspektive auf die Membership-Perspektive gelenkt welche besagt, dass Menschenrechte nur Men-schen die Mitgliedern Mehrheitsgesellschaften sind, zuteilwerden können. Aufbauend darauf wird das bereits erwähnte Spannungsfeld des Trippelmandats in der Sozialen Ar-beit und die draus folgenden Handlungsmöglichkeiten von Sozialer ArAr-beit im Zusammen-hang mit Menschenrechtsverletzungen betrachtet.

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1 Rassismus

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist Rassismus die machtvolle Unterscheidung von Menschengruppen anhand von konstruierten biologischen Merkmalen, welche diese in „Rassen“ einteilt (vgl. Miles 1999, S.104). Im Gegensatz zu anderen Ausgrenzungs-phänomenen sei Rassismus aber ideologisch gehaltvoll. Als Ideologie bezeichnet man ein „System von Überzeugungen und Begriffen, das der Durchsetzung von Machtinteressen in der Gesellschaft dient und, um dieser Funktion zu genügen, die soziale Realität teilwei-se verzerrt wiedergibt“ (Fuchs-Heinritz 2007, S.284). Dieteilwei-ser ideologische Gehalt wird in Bedeutungskonstruktionen biologischer oder kultureller Merkmale als Beschreibungskrite-rium von Menschengruppen deutlich, indem diese Merkmale als naturgegebene, unum-kehrbare Differenzen beschrieben werden. Diese ideologisch geprägte Unterscheidung von vermeidlichen Kollektiven könne auch als Rassekonstruktionen beschrieben werden. Zu den Rassekonstruktionen würden der betroffenen Gruppe negative Eigenschaften zu-geschrieben oder behauptet sie bringe negative Konsequenzen für eine andere Gruppe (vgl. Miles 1999, S.105). Durch die Konstruktion des biologisch/kulturell bedingten Ande-ren würde gleichzeitig auch das eigene oder Nicht-Andere als abgAnde-renzbare Gruppe kon-struiert. So fungiere Rassismus als Ideologie der Ein- und Ausgrenzung (vgl. Miles 1999, S.106). Rassismus wurde/wird in verschiedensten politischen Systemen zur Ungleichbe-handlung und Zementierung von Machtverhältnissen auf verschiedenste Weisen genutzt. Je nach Zielstellung lassen sich rassistische Zuschreibungen variieren. Es könne auch als Ressource zum Durchsetzen eigener Interessen verstanden werden (vgl.Leiprecht 2016, S.228). Historisch betrachtet gäbe es in unterschiedlichsten Rassetheorien zwischen zwei und mehr als 200 unterscheidbare Rassen. Diese ambivalenten Zahlen allein zeigten dass Rasse lediglich als Konstruktion zur Durchsetzung eigener Interessen diene. Neben körperlichen Merkmalen würden auch soziale und kulturelle Charakteristika wie religiöse Praktiken oder Symbole als Anhaltspunkt für rassistische Unterscheidungen genutzt (vgl. Mecheril 2010, S.151).

1.1 Kultureller Rassismus – Rassismus ohne Rasse

Kultureller Rassismus greift nicht primär auf klassische körperliche Unterscheidungs-merkmale zurück, sondern auf kulturelle Begründungen und wird deshalb auch als „Ras-sismus ohne Rasse“ beschrieben (vgl. Mecheril 2010, S.152). Vermehrt würde kultureller Rassismus seit dem Ende des zweiten Weltkrieges auftreten. Nach dessen Beendigung und unter dem Eindruck des Nationalsozialismus sei der Rassebegriff als wissenschaftli-ches Unterscheidungsmerkmal weitgehend abgelegt worden (vgl. Mecheril 2010, S.152). Kern des Kulturellen Rassismus sei nach Mecheril der Glaube Menschen aufgrund un-überwindbarer kultureller Differenzen aus der Mehrheitsgesellschaft ausschließen zu

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5 müssen, da ein Ausgleich der Kulturen unmöglich sei. Unmöglich deshalb weil Werte und Traditionen grundlegend unvereinbar miteinander seien (vgl. Mecheril 2010, S.153). Die Tabuisierung des Rassebegriffes im Rahmen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus hätte generell nur oberflächliche Wirkung. Anstelle des Rassebegriffs sei der Kulturbegriff getreten, um Ausgrenzung und Ungerechtigkeit zu legitimieren. Neben der vermeidlichen Unvereinbarkeit der Herrschafts- und Zuwandererkultur würde auch der Wunsch nach Reglementierung, Rückführung und Kontrolle über jene Andere zum Ausdruck gebracht. Rassistische Unterscheidungskonstruktionen seien nicht starr festgelegt sondern würden sich sozialen-, politischen- und gesellschaftlichen Phänomenen und Entwicklungen an-passen (vgl. Mecheril 2010, S.153). Die durch den kulturellen Rassismus konstruierte Minderwertigkeit der vermeidlichen fremden Kollektivs sei im kulturellen Rassismus je-doch nicht generell als Minderwertig zu betrachten. Laut Mecheril stelle der kulturelle Rassismus lediglich heraus „dass >>diese Kultur<<, diese >>kulturelle Identität<< hier bei >>uns<< nicht am richtigen Ort sei“ (Mecheril 2010, S.153).

1.1.1 Kultureller Rassismus als Rechtfertigungsgrundlage von Institutionen

Weiterhin basiere kultureller Rassismus auf Ordnungsvorstellungen die einen Sinnzu-sammenhang zwischen Aussehen, Charakter bzw. Identität und angestammtem Territori-um herstellten. Beispielhaft führt Mecheril die Folgende Äußerung an: „weil die türkischen Schülerin aufgrund ihrer kulturellen Prägung keinen Zugang zu unserem Schulsystem finden, schneiden sie in unserem Schulsystem auch schlechter ab“ (Mecheril 2010, S154). Hier wird bereits deutlich: Rassismus ist häufig keine individuelle bösartige Einstel-lung, sondern ein gesellschaftlich verfestigtes Denkmuster. Im pädagogischen Setting wird schlechte schulische Leistung mit ethnischer Herkunft begründet, was an rassistische Konstruktionen anschließt (vgl. Mecheril 2010, S.154).

1.1.2 Institutioneller Rassismus

Dort wo öffentliche Einrichtungen oder Träger ihre Entscheidungen mit vermeidlichen eth-nisch-kulturellen Merkmalen begründen spricht man von Institutionellem Rassismus. Der lasse sich allgemein in Praxis von Behörden, Institutionen (wie hier in der Schule) oder in Gesetzen erkennen welche das vermeidliche „Wir“ gegenüber den „Anderen“ privilegiert. Rassistische Strukturen und Prozesse zu kennen und zu erkennen sei für die Analyse von Diskriminierung und Konstruktion des Anderer unabdingbar. So sei z. B. sinnvoll, wenn Bildungseinrichtungen zur Rechtfertigung von Entscheidungen auf ethnische Kategorien zurückgreifen, jenen Versuch der Rechtfertigung unter dem allgemeinen Zusammenhang gesellschaftlich dominanter Unterscheidungslogiken zu betrachten, so Mecheril. Für die Soziale Arbeit sind Kenntnisse über Ursachen und Formen des Rassismus in der Arbeit mit benachteiligten Menschen unabdingbar (vgl. Mecheril 2010, S.154).

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6 1.1.2.1 Dominanzkultur

Rassistische Denk- und Handlungsmuster seien nicht Ursprung persönlicher Erfahrungen, sondern in Organisationen und Gesellschaft verfestigte Denkweisen welche die Mehr-heitsgesellschaft gegenüber Minderheiten privilegiert so Mecheril. In diesem Zusammen-hang kann man auch von einer Dominanzkultur sprechen (vgl. Mecheril 2010, S.154). Birgit Rommelspacher definierte den Begriff wie folgt:

„unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretation sowie die Bilder, die wir von An-deren entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung […] eben das ist mit dem Begriff der Dominanzkultur gemeint. Wobei Kultur hier in einem umfassenden Sinn ver-standen wird, und zwar als Ensemble gesellschaftlicher Praxen und gemeinsam geteilter Bedeutungen, in denen die aktuelle Verfaßtheit der Gesellschaft, insbesondere ihre öko-nomischen und politischen Strukturen, und ihre Geschichte zum Ausdruck kommen“ (Rommelspacher 1995, S.22).

In einer Gesellschaft die ihre eigene Lebenswelt als einzig richtige begreift und jeden der sich nicht ausreichend der Dominanzkultur anpasse, oder durch konstruierte Andersartig-keit auch nie dazugehören könne, sei es nicht verwunderlich, dass Institutionen wie die Schule auf Ethnie und Kultur als Unterscheidungsmerkmal zurückgreifen könnten, da sol-che Legitimationen gesellschaftlich anerkannt und Institutionell geschaffen und reprodu-ziert würden. Aus Berufsethischer und professioneller Sicht einer Pädagog_in ist diese Herleitung für individuelles Scheitern in der Schule höchst bedenklich (vgl. Mecheril 2010, S.155).

2 Integration und Assimilation

Im Folgenden Kapitel wird versucht einen Überblick über die Begriffe der Assimilation und Integration im Kontext von Gesellschaften zu vermitteln. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht, da die Literatur zu der Thematik den Rahmen dieser Arbeit übersteigen würde und die theoretischen Ansätze von Assimilation und Integration nicht Hauptbe-standteil dieser Arbeit darstellen. Lediglich soll dargestellt werden wie synonym und unre-flektiert beide Begriffe im öffentlichen Diskurs über Migration in Deutschland genutzt wer-den.

2.1 Assimilation statt Integration

Integrationsforschung befasst sich mit der Situation nach der Migration, mit Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Einbindung der Zuwanderer und fördernde bzw. hemmende Bedingungen im Aufnahmeland in verschiedenen Dimensionen (vgl. Sau-er/Brinkmann 2016, S.4).

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7 und Integration häufig falsch oder synonym verwendet werden und beschreiben dieses Problem wie folgt:

„Die Integrationsforschung ist damit konfrontiert, dass der Begriff Integration mit sehr un-terschiedlichen Implikationen versehen ist und keiner einheitlichen Definition unterliegt. Insbesondere im öffentlichen Diskurs werden Integration und Assimilation häufig synonym und als normatives Konzept verwendet – im Sinne einer kulturellen Anpassung der Zu-wanderer an die Mehrheitsgesellschaft und ihrer Mittelschicht geprägten Kultur, Wert-maßstäben und Lebensgewohnheiten. Mit dem Ergebnis das jene Minderheit vollständig in der Mehrheit auf geht“ (Sauer/Brinkmann 2016, S.4).

Dieser Logik folgend, würde für eine defizitäre oder gescheiterte Integration dann eine zu geringe kulturelle Assimilation der Migranten in die Mehrheitsgesellschaft verantwortlich gemacht. Integration erfolge demnach automatisch, in dem sich Zugewanderte an die Mehrheitsgesellschaft anpassen und sich gleichzeitig von der „Herkunftskultur“ abwenden würden (vgl. Sauer/Brinkmann 2016, S.4). Dieser Prozess hingegen wird nicht mit als Integration, sondern als Assimilation bezeichnet: Soziale Assimilation ist die „Angleichung eines Individuums oder einer Gruppe an die soziale Umgebung durch Übernahme ähnli-cher Verhaltensweisen und Einstellungen“ (Fuchs-Heinritz 2007, S.61)

Moderne Integrationstheorien sehen Integration als langfristigen, wechselseitigen Pro-zess, welcher durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und dadurch bedingte Teilha-bechancen beeinflusst würde. So wird Integration in Fachlexika wie folgt definiert: „Die Integration eines Elements ist vollzogen, wenn seine Stellung sowohl in der vertikalen Dimension einer Gesellschaft (also sein Status im Schichtsystem) wie auch auf der hori-zontalen Dimension (also seine Rolle im System der Arbeitsteilung) festgelegt ist und so-wohl von ihm als auch von den anderen Elementen des Systems akzeptiert wird“ (Fuchs-Heinritz 2007, S.301). Eine möglichst chancengleiche Teilhabe aller Menschen an den als wichtig erachteten Teilbereichen der Gesellschaft ist in diesem Zusammenhang Kennzei-chen und Ziel von Integration. Unter welKennzei-chen individuellen und gesellschaftliKennzei-chen Bedin-gungen welche Entwicklungen wahrscheinlich sind, gilt als die Hauptfragestellung in die-sem analytischen Verständnis. Dabei sind neben den Merkmalen und Orientierungen der Zugewanderten auch gesellschaftliche, wirtschaftliche, rechtliche und politische Rahmen-bedingungen und die Offenheit der Aufnahmegesellschaft auf allen Ebenen von Bedeu-tung. Somit wird eine deutliche Unterscheidung zur Assimilation getroffen, welches ein mögliches Szenario für alle Beteiligten sein kann, jedoch nicht der einzige wünschenswer-te oder erfolgreiche Ausgang des Inwünschenswer-tegrationsprozesses sein muss. (vgl. Sauer/ Brink-mann 2016, S.4)

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2.2 Soziale und Systemintegration

Integration, selbst als allgemeines soziologisches Konzept bezeichne einen Zustand einer sich nach Außen abgrenzende Einheit. Diese Einheit wird durch gesellschaftliche Teilsys-teme (z.B. Politik und Wirtschaft, soziale Klassen und ethnische Gruppen), Institutionen (Parteien, Vereine und Verbände) sowie individuelle Akteure gebildet. Es wird grundsätz-lich zwischen system- und sozialer Integration unterschieden, wobei die Systemintegrati-on die Beziehung zwischen gesellschaftlichen Subsystemen, also z.B. zwischen Rechts- und Wirtschaftssystem beschreibt. Die soziale Integration hingegen bezieht sich auf Be-ziehungen zwischen Akteur_innen und dem Gesamtsystem bzw. ihrer Einbeziehung in jenes. Das könne über verschiedenste gemeinsame Werte, Märkte, Interessen oder Dis-kurse geschehen (vgl. Sauer/Brinkmann 2016, S.25).

Für den (Ein)wanderungsprozess bedeute Integration ob und wie neue Akteur_innen in eine bestehende Gesellschaft bzw. mit anderen Teilen und Akteur_innen der Gesellschaft verbunden werden. Im Rahmen der Systemintegration stelle sich die Frage nach gesamt-gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration. Also ob Migration z.B. zu Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen führen kann und somit die Gesellschaft als Ganzes ge-fährde. Andererseits ist fraglich wie sich der damit einhergehende soziale Wandel gesell-schaftlich auswirke, ohne desintegrierend zu wirken bzw. welche Bedingungen sich positiv auf einen gelungenen Integrationsprozess auswirken (vgl. Sauer/Brinkmann 2016, S.25).

Soziale Integration betreffe die Einbeziehung Einzelner und Gruppen in die aufnehmende Gesellschaft z.B. durch Zugang zum Arbeitsmarkt, politische Teilhabe sowie Kontakte zu Einheimischen. In der Öffentlichkeit würde, wenn von Integration gesprochen wird, zu-meist die Sozialintegration gemeint. Damit soziale Integration gelingen könne, müsse ein Perspektivwechsel von der gesellschaftlichen Ebene hin zu individuellen Akteuren erfol-gen. Grundlegend verändern Migrationsbewegungen sowohl die Lebensumstände der Migrant_innen, als auch die der Menschen die schon länger an diesem Ort leben. Um sich dieser neuen Situation anzupassen erfordert es eine Änderung bestimmten sozialer Ge-wohnheiten beider Seiten. Eine solche Anpassung (auch Adaption genannt) kann ver-schiedenste Formen annehmen. Im Falle von Migrant_innen (welche mit neuem Umgang, einer anderen Sprache und anderen Gewohnheiten konfrontiert sind) kann dies in der Praxis vom Erlernen der Sprache auf der einen Seite bis zum Vermeiden von Kontakten zu Einheimischen (um möglichen Anfeindungen auszuweichen) auf der anderen Seite reichen (vgl. Sauer/Brinkmann 2016, S.26).

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9 Oftmals umfasst die Anpassung an neue Nachbarn und an die neue Lebenssituation al-lerdings nicht nur Gewohnheiten. Idealer Weise kommt es zu einer Art Assimilation, wobei Grenzen und unterschiede sozialer Gruppen wie Bildungs- und Berufschancen, die recht-liche Stellung oder die Wahl der Partner_in und Freundeskreises verschwimmen bzw. abgebaut werden ohne das die Identität der einzelnen Akteure eine Rolle spiele. Dem gegenüber stehe die Möglichkeit dass sich Gewohnheiten der unterschiedlichen Bevölke-rungsgruppen gleichen sich einander nicht an, sondern bleiben dauerhaft bestehen (vgl. Sauer/Brinkmann 2016, S.25).

Gelingt Integration nicht, spricht man von Desintegration. Desintegration bedeute nicht, dass die Gesellschaft zu verfallen drohe oder gescheitert sei, viel mehr könne eine Koexistenz, nicht aufeinander bezogener Teile der Gesellschaft entstehen (vgl. Sau-er/Brinkmann 2016, S.25).

Im öffentlichen Diskurs wird Integration bzw. Desintegration häufig als Vorwurf an die neuen „Zu integrierenden“ gerichtet, welche sich entweder verweigert hätten, der Versuch gescheitert sei oder ein Erfolg von vornherein ausgeschlossen wäre. So könnten immer neue Forderungen der vermeidlichen Integrationen gestellt werden und bei Zuwiderhand-lungen mit Sanktionen gedroht werden. Integration werde als Anpassungsleistung der als Migrant_innen geltenden Menschengruppe gesehen wobei eine Beteiligung der einheimi-schen Bevölkerung am Integrationsprozess zu keinem Zeitpunkt gefordert oder gar vo-rausgesetzt würde (Mecheril 2018 (Internetquelle)).

Bedenklich sei außerdem, wenn eine gescheiterte „Integration“ als Erklärungsmodell Pä-dagogischer Einrichtungen verwendet würde. Das Betroffene Kind würde seiner subjekti-ven Geschichte entledigt und die auftretenden Probleme durch vermeidlichen ethnische Merkmale erklärt, womit rassistische Konstruktionen bestärkt würden. Erklärungsmodelle dieser Art seien Ausprägungen institutionellen Rassismus (vgl. Mecheril 2010, S.154).

3 Migration, eine universelle Handlungsform

Migration wird als „Wanderung, Bewegung von Individuen, Gruppen oder Gesellschaften im geografischen und sozialen Raum, die mit einem ständigen oder vorübergehenden Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist“ (Fuchs-Heinritz 2007, S.430) bezeichnet, doch werde mit dem Begriff der Migration oft weit mehr verbunden als das bloße Phänomen der Wanderung. Der Begriff Migration spricht Abgrenzung von Fremden, Rassismus und kul-turelle Stereotypen implizit mit an (vgl. Sterk 2018 (Internetquelle)).

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hin-10 weg gegeben. Migration stellt eine universelle menschliche Handlungsform dar (vgl. Me-cheril 2010, S.8). Insbesondere aber stelle Migration kein einmaliges oder endgültiges Phänomen, sondern einen Prozess dar, welcher von Annäherung und Abgrenzung ge-kennzeichnet ist (vgl. Lausberg 2018 (Internetquelle))

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) definiert Migration wie folgt: "Von Migration spricht man, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt. Von internationaler Migration spricht man dann, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg ge-schieht" (Bundesamt für Migration und Flüchtinge 2006, S.12)

Art und Ausmaß der Migration sowie die Grenzen welche überschritten werden haben sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Weitreichende ökologische Veränderung, sowie Bürgerkriege und bewaffnete Konflikte veranlassen immer mehr Menschen dazu ihren Lebensmittelpunkt zu verlagern (vgl. Rieger 2018, S.123). Durch eine fortschreiten-de technologische Weiterentwicklung und die dadurch bedingte Veränfortschreiten-derung von Raum und Zeit ist dies für nahezu jeden Menschen, unabhängig von seinem geografischen Standort möglich (vgl. Mecheril 2010, S.7). Für Menschen aus Vorderasien und Afrika sei dies jedoch mit einem ungleich höheren Risiko verbunden. Vielen Familien bleibe auf-grund von prekären wirtschaftlichen Verhältnissen keine andere Möglichkeit als ein aus-erwähltes Familienmitglied (meist den Sohn im Alter zwischen 14 und 25, weil ihm auf-grund seiner Körperlichen Verfassung die Flucht am ehesten zugetraut würde) auf die Reise nach Europa zu schicken. (vgl. Dernbach 2018 (Internetquelle)).

Migration wird im Sinne der Migrationsforschung in verschiedene Formen unterschieden. Flucht, Vertreibung, Arbeitsmigration und Familienzusammenführung sind die wichtigsten Formen (vgl. Angenendt 2018 (Internetquelle)). Migration passiert aus verschiedensten Gründen und bedeutet eine zumindest temporäre Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Verschiebt sich der gewöhnliche Aufenthalt einer Person für mindestens 12 Monate an einen anderen Ort, so spricht man von einer „long-term migration“ (United Nations Statis-tics Division 2018 (Internetquelle)).

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4 Historie der Migration in Deutschland

Im Folgenden wird lediglich ein kurzer Überblick über die wichtigsten Migrationsströme nach Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts gegeben und nicht die Migrationsge-schichte Deutschlands in Gänze behandelt.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein war Deutschland nicht nur Ziel von Migration, sondern primär von Abwanderung gekennzeichnet. Siedlungsmigration in bisher schwach Gebiete und die enorme Migrationsbewegung nach Nord- und Südamerika kennzeichneten das Wanderungsgeschehen Deutschlands. Zumeist wanderten die Menschen aus wirtschaftli-cher Not aber auch aus politischen Gründen aus. Die einsetzende deutsche Kolonialpolitik führte zu einer Abwanderung von Deutschen nach Ost- und Westafrika, was als politscher Akt gesehen werden kann, um dem Verlust von Arbeitskraft durch Emigration entgegen zu wirken. Durch die Industrialisierung des 18. und 19. Jahrhunderts entstanden europäi-sche Großstädte, welche zum Ziel von Migrationsbewegungen, wurden. In dieser Zeit wuchs auch das Ruhrgebiet zu einem industriellen Zentrum Europas und zog vor allem Menschen aus Ost- und Südeuropa an, welche auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat verließen (vgl. Oltmer 2016, S. 59ff) Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts überwog die Zahl der Einwanderer nach Deutschland die Zahl der Auswanderer (vgl. Münz/Seifert/Ulrich 1999, S.17). Durch den die Machtübernahme der NSDAP und den zweiten Weltkrieg wur-de diese Ost-West-Wanwur-derung unterbrochen. Um die Kriegswirtschaft Deutschlands vo-rantreiben zu können wurden jedoch ebenfalls Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt. Diese sogenannten „Zwangsarbeiter“, welche aus Zivilisten und Kriegsgefangenen be-standen, machten einen erheblichen Teil der Arbeitskraft in Deutschland während des Krieges aus. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde Deutschland zum wichtigs-ten Ziel von Migration in Europa. Neben den ca. 12,5 Millionen Flüchtlingen, welche aus ehemaligen deutschen Gebieten in ganz Europa in die Bundesrepublik und die DDR ein-wanderten (vgl. Oltmer 2016, S.69f). Auch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und im Zuge der Blockbildung (NATO/Warschauer Pakt) innerhalb Europas wurde die Ost-West-Wanderung unterbunden oder beschränkte sich auf Flucht oder Ausweisung (vgl. Oltmer 2016, S.71). Im Zuge des Wiederaufbaus der Deutschen Wirtschaft schloss die deutsche politik zwischen 1946 und 1973 insgesamt 60 Anwerbeverträge ab und öffnete so den nationalen Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus dem Ausland. Anwerbeverträgen mit Italien folgten weitere mit Spanien, Griechenland und der Türkei (vgl. Oltmer 2016, S.77f). So stellten die Gastarbeiter ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre die erste große Gruppe von Migranten in der Bundesrepublik dar (vgl. Derbach 2002, S.2). In den früher 1970er Jah-ren stagnierte die deutsche Wirtschaft durch den Niedergang der Eisen- und Stahlindust-rie und des Bergbaus, wodurch viele angelernte ausländische Arbeitskräfte ihren Job ver-loren. Um einer wachsenden Arbeitslosigkeit unter den Gastarbeitern entgegen zu wirken

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12 wurde 1973 ein Anwerbestopp verhängt. Der Anwerbestopp führte allerdings nicht, wie von der Politik gehofft zu einer erwarteten Rückwanderung der angeworbenen Arbeits-kräfte.Denn wer sein Arbeitsverhältnis in Deutschland beendete und in sein Heimatland zurück kehrte hatte meist keine Chance erneut als Arbeitsmigrant zugelassen zu werden. Da viele der Gastarbeiter nicht dauerhaft von ihren Familien getrennt leben wollten nutz-ten viele die Option des Familiennachzugs und holnutz-ten ihre Familien nach Deutschland (vgl. Oltmer 2016, S.80).

Durch eine anhaltende instabile wirtschaftliche und politische Lage in vielen afrikanischen Staaten und Staaten Vorderasiens, gepaart mit Kriegen bzw. Bürgerkriegen, politischen Repressionen und anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, entschieden sich viele Menschen ab den 1980 Jahren aus diesen Regionen nach Europa zu migrieren. Durch den Zerfall der Sowjetunion zum Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre. Flüchte-ten viele Menschen aus den GebieFlüchte-ten des ehemaligen Sowjetblocks. Durch den Zerfall Jugoslawiens und den daraus resultierenden Kriegshandlungen flüchteten ca. vier millio-nen Menschen nach Mittel- und Westeuropa (vgl. Oltmer, S.87). Mit Beginn der 2000er Jahre und den anhaltenden Regime wechseln, Kriegen und schlechter Wirtschaftslage im Irak und Afghanistan begannen Menschengruppen aus diesen Ländern nach Europa und Deutschland zu migrieren und dies bis heute tun (vgl. The Afghanistan Analysts Network 2016, S.1). Die letzte große Wanderungsbewegung nach Deutschland bzw. Europa stellt die durch den Bürgerkrieg in Syrien 2011 ausgelöste Flucht der Zivilbevölkerung dar, wel-che aufgrund anhaltender Kriegshandlungen bis heute andauert (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2018 (Internetquelle)). Alle angeführten Migrationshandlungen lassen sich auf konkrete historische Ereignisse zurückführen und stellen nur bedingt das gesam-te Migrationsgeschehen der Bundesrepublik Deutschland dar.

5 Politscher Umgang mit Migration in Deutschland.

In Europa und im Besonderen in Deutschland wurden und werden Fragen der Migration gesellschaftlich und politisch nur unzureichend thematisiert und gelöst (vgl. Mecheril 2010, S.8). Zwar wurde in Deutschland aus der historischen Verantwortung nach dem zweiten Weltkrieg heraus, ein Asyl für politisch Verfolgte garantiert, diese Form der Migra-tion macht allerdings nur einen kleinen Teil der MigraMigra-tionsbewegung aus (vgl. Wurtzba-cher 2018, S.130). Neben der Flucht aufgrund von politisWurtzba-cher Verfolgung verlassen Men-schen ihre Heimat weil sie aufgrund von Ethnie, Religion, Nationalität oder der Zugehörig-keit zu einer sozialen Gruppe in ihrer Heimat verfolgt werden (vgl. Wurtzbacher 2018, S.131). Arbeitsmigration wurde über Jahrzehnte von Politiker_innen nur als vorüberge-hendes Phänomen bezeichnet, was sich im Begriff der „Gastarbeiter“ widerspiegelte. Vor diesem Hintergrund wurden Themen wie Integration oder Inklusion kategorisch

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ausge-13 klammert, da jene Gastarbeiter_innen ja nur Gäste waren, die nach getaner Arbeit wieder gehen würden. Erst mit dem Aufnahmestopp der Gastarbeiter_innen 1973 wurde sich vermehrt mit den gesellschaftlichen Dimensionen von Migration befasst und seit den Mig-rationsströmen der Nachwendezeit, wurde vermehrt öffentlich Integration gefordert. Migra-tion würde jedoch von Politiker_innen weiterhin als Ausnahmeerscheinung dargestellt. Somit wurde die Existenz einer Migrationsgesellschaft in Deutschland über Jahrzehnte geleugnet und Migranten als ausnahmsweise geduldete Fremde dargestellt (vgl. Mecheril 2010, S.8). Mecheril betont die Wichtigkeit des Begriffes Migrationsgesellschaft, da er gegenüber den Begriffen „Einwanderungsgesellschaft oder „Zuwanderungsgesellschaft“ allgemeiner gefasst ist und der Migrationsbegriff nicht nur die klassische transnationale Migration, bei der eine relevante Grenze überschritten wird, beschreibt sondern auch an-dere Migrationsphänomene mit einschließt (vgl. Mecheril 2010, S.11)

Zuwanderung und Migration hätten eine fundamentale Bedeutung für die gesellschaftliche Realität. Deutschland sei historisch betrachtet und empirisch bewiesen seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ein Zielland von Wanderungsbewegungen. Im ersten Fortschrei-bungsbericht des Nationalen Integrationsplans wird von 15 Millionen Menschen mit Migra-tionshintergrund, welche Dauerhaft in Deutschland leben, berichtet. (Nationaler Integrati-onsplan. Erster Fortschreibungsbericht 2009, S. 1) Womit Migration, Integration und Teil-habe kein Thema einer Minderheit sind, sondern ein gesamtgesellschaftliches Ausmaß hat. (vgl. Mecheril 2010, S.8)

Die Problematik des nicht Anerkennens der Migrationsrealität birgt eine Gefahr für die Demokratie und dessen Gesellschaft. So werden Problemlagen auf die Migrant_innen bzw. das Migrationsgeschehen projiziert, sodass Geflüchtete oder Migranten als Sünden-bock für diese Problemlagen instrumentalisiert werdenvgl. Eigenmann 2016, S.7). Dabei könne Migration als Chance für gesellschaftliche Modernisierung begriffen werden (vgl. Mecherin 2010, S8). In Deutschland und Europa sei in den letzten Jahren ein politischer Rechtsruck zu beobachten, welcher ein Erstarken der rechten Parteien nach sich gezo-gen habe. Jene Parteien stehen für eine Stärkung der nationalstaatlichen Souveränität, besonders gegenüber transnationalen Zusammenschlüssen, wie der Europäischen Union, sowie strengere Migrationskontrollen bzw. einem Migrationsstopp. In Reaktion darauf ha-ben die regierenden Parteien mit einer repressiven Asyl- und Migrationspolitik begonnen, um auf das rechte Wählerpotential zu reagieren. (vgl. Eigenmann 2016, S.8) Diese Ent-wicklung veranlasst zu politischer und wissenschaftlicher Kritik, welche den Widerspruch zwischen dem gesagten demokratisch- und menschenrechtlichen Selbstverständnis staat-licher Politik auf der einen Seite und der tatsächlichen restriktiven Abriegelungspolitik auf der anderen Seite, thematisiert.

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14 Durch Migrationsprozesse bedingte Veränderungen sind mit gesellschaftlichen Heraus-forderungen verbunden. In Deutschland und Europa werden diese HerausHeraus-forderungen einseitig mit Problemen und Schwierigkeiten assoziiert. Auffällig sei das Migrant_innen in „Gut“ und „Schlecht“ unterschieden würden. „Gute“ Migrant_innen seien demnach jene die zur Sicherung des Wohlstands der Mehrheitsgesellschaft beitragen würden (wie z: B. gezielt angeworbene Fachkräfte aus dem Ausland), während „schlechten“ Migrant_innen vorgeworfen würde die Ressourcen der einheimischen Bevölkerung zu verbrauchen (vgl. Mecheril 2010, S.10) .

Es gebe jedoch zwei wertfreie Dimensionen, aus denen heraus jene Herausforderungen beschrieben werden können:

x Pragmatisch –technische Herausforderung - durch Anwesenheit von Mig-rant_innen entstehen auf allen gesellschaftlichen Funktionsebenen Aufgaben der Neugestaltung. Das heiße, dass sich z.B. alle Institutionen (Schulen, Arbeitsamt) mit einer veränderten gesellschaftlichen Realität konfrontiert sehen und sich da-hingehend umstrukturieren müssen, um ihre Funktionsfähigkeit für alle Mitglieder der Gesellschaft gewährleisten zu können(vgl. Mecheril 2016, S.10).

x Moralische Herausforderung – das Selbstverständnis in Staaten wie Deutschland wird verunsichert, denn Migranten werden vielfach ungleich behandelt bzw. be-nachteiligt. Diese Staaten orientieren sich jedoch am Gerechtigkeits- und Gleich-berechtigungsgedanken und kommen durch Ungleichbehandlung und strukturel-lem Rassismus ihren moralischen Verpflichtungen nicht nach, bzw. stellen ihre ei-genen Grundprinzipien wie den ersten Artikel des Grundgesetztes in Frage (vgl. Mecheril 2016, S.10).

Mit diesen Herausforderungen sieht sich auch die Pädagogik konfrontiert. Vielmehr wird auch die Pädagogik unter der Perspektive der Handlungsfähigkeit und Legitimitätsper-spektive durch Migration herausgefordert. Von staatlicher Seite und auf „Gesamtpoliti-scher“ Ebene wurde ein Anerkennen bzw. Auseinandersetzen mit der Migrationsrealität verpasst, was sich selbstverständlich auch auf die Pädagogik ausgewirkt hat. Dies hatte eine Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund zur Folge. Durch internatio-nale Schulleistungsstudien wurde dieser Missstand öffentlich und löste einen längst über-fälligen, bildungspolitischen Diskurs aus (vgl. Mecheril 2011).

Problematisch sei jedoch die Tatsache das die schlechten Leistungen der benachteiligten Kinder durch Pädagog_innen häufig nicht auf Fehler im Schulsystem oder eine fehlende Chancengleichheit zurück geführt wurden, sondern mit der konstruierten Andersartigkeit der Schüler_innen begründet würden (vgl. Mecheril 2010, S.154).

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15

6 Von der Ausländer- zur Migrationspädagogik

Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungsstufen der migrationsbezogenen Pädagogik und ihrer Charakteristik gegeben. Die Pädagogik Deutschlands war und ist immer ein Spiegelbild der politischen und gesellschaftlichen Realität. Das lässt sich auch an der Entwicklung der Pädagogik nachvollziehen.

6.1 Ausländerpädagogische Perspektive

Im Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre wurden dringend Arbeitskräfte benötigt, wel-che hauptsächlich aus dem Süd- bzw. Südosteuropa angeworben wurden. Ursprünglich plante die deutsche Wirtschaft die sogenannten „Gastarbeiter“ nach einem kurzen Be-schäftigungsverhältnis wieder in ihre Heimatstaaten zurück zu führen. Als 1973 aufgrund stagnierender Wirtschaft ein Anwerbestopp für Gastarbeiter verhängt wurde und viele Gastarbeiter_innen nicht auf unbestimmte Zeit von ihren Familien getrennt bleiben woll-ten, holten viele ihre Familien nach Deutschland. Aufgrund dessen stieg der Anteil aus-ländischer schulpflichtigen Kinder in deutschen Schulen deutlich an (1970: 241816 Kin-der/ 1979: 674593 Kinder), was das bestehende Schulsystem vor Herausforderungen stellte (vgl. Nohl 2014, S.22). Das bisherige Schulkonzept in Deutschland beruhte auf einer homogenen Lerngruppe (gleiches Alter, gleiche Sprache), welche sich durch ihre Gleichartigkeit gegenseitig positiv beeinflussen sollte. Zum Hauptproblem des Schulall-tags der neuen heterogeneren Klassen wurde die Sprache, da die Kinder der Mig-rant_innen kein Deutsch bzw. nicht auf dem gleichen Niveau deutsch sprachen, wie ihre muttersprachlich aufgewachsenen Mitschüler. Auf die Problematik das die Kinder der Gastarbeiter_innen dem deutschsprachigen Unterricht schlecht folgen konnten sei lt. Nohl kein fundiertes Konzept entgegengesetzt worden. So sei lediglich davon ausgegangen worden, dass die jüngeren Kinder der Gastarbeiter_innen neben dem Unterricht durch den Kontakt zu ihren Mitschülern Deutsch lernen würden. Die älteren Kinder, sowie die nicht schnell genug Lernenden, sollten im homogenen Klassenverband, also mit Kindern derselben Muttersprache, zusätzlich in Deutsch unterrichtet werden. Aufgrund unter-schiedlichster Sprachen und Nationen habe sich dieses Vorhaben nicht realisieren lassen. Stattdessen sollte der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund 20% in einer Klasse nicht übersteigen (vgl. Nohl 2014, S.23). Konnte auch das nicht umgesetzt werden, wur-den sogenannte Ausländerklassen gebildet, in wur-denen zum Teil in der Muttersprache der Kinder unterrichtet wurde. Laut Nohl sollte zusätzlicher muttersprachlicher Unterricht die Kinder den Bezug zu ihren Heimatländern nicht verlieren lassen um möglicherweise im Erwachsenenalter wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren zu können. Grundsätzlich sollte der Unterricht ein Leben in Deutschland ermöglichen, jedoch zielte die Beschulung nicht grundsätzlich darauf ab die das Sprachniveau der ausländischen Kinder dem der

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16 Einheimischen angeglichen wurde. Die ausländischen Kinder sollten die kulturelle und sprachliche Identität des Herkunftslandes bewahren da die deutsche Politik weiterhin da-von ausging, Arbeitsmigration sei ein Vorübergehendes Phänomen (vgl. Nohl. 2014, S.24). Durch zusätzlichen Ergänzungsunterricht, wollte das Bildungswesen Chancen-gleichheit ermöglichen, gleichzeitig sollte der bisherige Bildungsstandart jedoch beibehal-ten werden, was die angestrebte Chancengleichheit sogleich verhinderte. Durch die Fo-kussierung auf die Defizite und die gleichzeitig angestrebte Gleichbehandlung der Migran-tenkinder, könne die Ausländerpädagogik als kompensierendes und assimilierendes Kon-zept bezeichnet werden. Die Defizitannahme der Ausländerpädagogik lässt sich in drei Bereiche teilen:

Das offensichtliche Sprachdefizit der zugewanderten Kinder sei die am leichtesten zu be-wältigende Defizitannahme und ein Fall für die Fremdsprachendidaktik. Neben den Sprachdefiziten ging die Ausländerpädagogik von einer defizitären Primärsozialisation, also der Sozialisation innerhalb der Familie, aus.

Sozialisation auch Vergesellschaftung genannt ist der „Prozess der Entstehung und Ent-wicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlichen vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (Geulen/Hurrelmann 1980, S.51). Ein Indi-viduum wird in eine Gesellschaft eingegliedert indem es die geltenden Werte und im Be-sonderen die Erwartungen der Gesellschaft an das Individuum verinnerlicht (vgl. Fuchs-Heinritz 2007, S.606f)

So würden kulturbedingt andere Schwerpunkte in der Erziehung gesetzt, sowie andere Grundhaltungen und Denkmuster als in einheimischen Familien vermittelt (vgl. Nohl 2014, S.26f). Auch die Schichtzugehörigkeit wirke sich auf die Primärsozialisation aus. Lt. Nohl ging die Ausländerpädagogik davon aus, dass Gastarbeiterkinder sowie ihre Eltern fast ausschließlich der Arbeiterklasse angehörten. Häufig wären beide Elternteile erwerbstätig und die Erziehung der Kleinkinder entfiel auf die älteren Geschwister, welcher der Schule aus diesem Grund fernblieben, so die Folgerung der Ausländerpädagogik (vgl. Nohl 2014, S.28). Die vermeidlich andere Primärsozialisation wurde als Bedrohung bzw. Gefährdung für die Kinder der Gastarbeiter, viel mehr noch für die Stabilität der homogenen Gesell-schaft in Deutschland, gesehen (vgl. Koch 2012, S 32). Jene Sozialisationsdefizite sollten durch die sekundären Sozialisationsinstanzen, also in diesem Fall von der Schule ausge-glichen werden (vgl. Derbach 2002, S.14). Aufgrund des Sozialisationsdefizits, so folgerte die Ausländerpädagogik, sollte es den Kindern auch an den Voraussetzungen zum Er-werb der neuen Sprache mangeln. Sie seien nicht in der Lage den verlangten

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Erler-17 nen der deutschen Sprache, ging die Ausländerpädagogik davon aus, dass Kinder von Gastarbeitern die Sprache in anderen Sinnzusammenhängen oder falsch gebrauchen würden, was zeitgleich implizierte, dass sie kognitiv nicht in der Lage wären, die Sprache und damit verbundene Gedanken, nach den Normvorstellungen der deutschen Kinder zu gebrauchen. Den Kindern der Gastarbeiter sei eine „schichtspezifische Bildungsbarriere“ diagnostiziert worden (vgl. Nohl 2014 S.29f). Ihnen wurde weiterhin unterstellt, dass sie im Lernprozess der deutschen Sprache, diese mit ihrer Muttersprache vermischen würden und schlussendlich keine der beiden fehlerfrei beherrschen würden. Extra für diesen Um-stand eingerichtete Sprachtrainings (z.B. deutsch- und türkischsprachige Leseübung) blieben allerdings die einzige Form der Förderung in diesem Bereich (vgl. Koch 2012, S.33).

Die Gesamtheit der aufgeführten Punkte verdeutlicht, dass die Ausländerpädagogik für eine Zielgruppe erdacht wurde, welche als anders und defizitbehaftet wahrgenommen wurde. Die in der Ausländerpädagogik formulierten Differenzen sollten durch Methoden ausgeglichen werden, welche auf keiner wissenschaftlichen Grundlange beruhten, son-dern lediglich auf Konstruktionen des Anderen fußten. Jene Differenzen wurden durch die normstiftende Mehrheitsgesellschaft vorgegeben und nicht durch Pädagogen erdacht worden, vielmehr stellten die Zuschreibungen der Ausländerpädagogik die Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft über die Gastarbeiter dar (vgl. Nohl 2010, S.40f). Eine vermeid-liche Auseinandersetzung mit dem Anderssein verstärke lediglich Vorurteile und Stereoty-pen.

6.2 Von der Ausländer- zur Interkulturellen Pädagogik

Mitte der 1980 Jahre äußerten Pädagog_innen vermehrt Kritik an der Ausländerpädago-gik laut. Die AusländerpädagoAusländerpädago-gik nehme einen ausschließlich defizitären Blickwinkel auf die Kinder von Migrant_innen ein und gehe implizit davon aus, dass sie nicht so intelligent wie die einheimischen Kinder seien. Diese Schlussfolgerung also das aufgrund von ver-meidlichen Defiziten der Gastarbeiterkinder Lernerfolge ausbleiben würde wurde als dis-kriminierend kritisiert. Des Weiteren trage die Ausländerpädagogik zur Entpolitisierung der Migrationwirklichkeit in Deutschland bei. Die Fachkräfte der Ausländerpädagogik werden als „Ausländerexperten“ wahrgenommen und als verantwortlich für die Entwicklung der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland begriffen, worauf hin sich Politik und Gesell-schaft dieser Verantwortung entziehen könnten. So werden ökonomische, politische und historische Ursachen ausgeklammert und Problemlagen pädagogisiert (vgl. Nohl 2010, S.51). „Ausländer“ nehmen in der Ausländerpädagogik die Rolle einer abgrenzbaren Randgruppe ein, welche Hilfe benötigen würde, ohne dass die Betroffenen sich selbst als

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18 hilfebedürftig einordnen würden (vgl. Derbach 2002, S.11). Stattdessen sollen aufkom-mende Problematiken nicht ausschließlich auf Migranten bezogen, sondern in gesamtge-sellschaftlichen Dimensionen gesehen werden. Der pädagogische Blickwinkel müsse er-weitert werden, um die politisch, gesellschaftlich und ökonomisch verursachten Probleme wie Arbeitslosigkeit, fehlende Gleichberechtigung, fehlende Bildungschancen und Chan-cengleichheit und verwehrte Teilhabe, mit einzubeziehen. Das Eingeständnis einer Migra-tionsgesellschaft und eine damit einhergehende Umstrukturierung sei notwendig und überfällig (Koch 2012, S.32). Zusätzlich wurde der Begriff „Ausländerpädagogik“ kritisiert, da er suggerieren würden, dass die Probleme der Einwanderer so gravierend wären um eine eigene Disziplin der Pädagogik von Nöten sei. Die Ausklammerung der restlichen Bevölkerung würden zusätzlich noch zur Stigmatisierung der Migranten beitragen (vgl. Derbach 2002, S.13). Die anhaltende und vielfältige Kritik an der Ausländerpädagogik hatte Änderung der Zielgruppe der migrationsbezogenen Pädagogik zur Folge. Weg von den „Ausländern“ hin zur Gesamtbevölkerung. Anstelle von Defiziten (wie in der Auslän-derpädagogik) wurden Differenzen fokussiert (vgl. Nohl 2010, S.46).

6.3 Interkulturelle Pädagogische Perspektive

Interkulturelle Pädagogik sollte sich deutlich von der Ausländerpädagogik unterscheiden, zu diesem Zweck wurden Einwanderer und ihre Problemlagen nicht mehr defizitär, son-dern als „anders“ betrachtet. Sie wurden als unterschiedlich, aber prinzipiell gleichwertig betrachtet (vgl. Nohl 2010, S.47). Im Gegensatz zur Ausländerpädagogik wurde das An-derssein nicht mehr durch die jeweilige Staatsbürgerschaft begründet, sondern durch un-terschiedliche sprachliche und kulturelle Hintergründe, welche zu unun-terschiedlichen Kom-petenzen führen (vgl. Derbach 2002, S.22). Nohl nannte diesen Ansatz die Differenzthe-se.

6.3.1 Klassische Interkulturelle Pädagogik

Laut Auernheimer taucht der Begriff Interkulturelle Pädagogik erstmals 1997 im Titel von pädagogischen Publikationen auf vgl. Auernheimer 2010, S.34). Die nicht länger als Defi-zite beschriebenen Differenzen, wurden in Ihr akzeptiert und sollten durch Interkulturellen Austausch und Anerkennung der anderen Kultur eine positive Entwicklung herbeiführen, was im Idealfall zu einer Verbesserung der eigenen Kultur bzw. zur individuelle Bereiche-rung führen sollte (vgl. Koch2012, S.34). Große Teile der deutschen Pädagogik distan-zierten sich im Rahmen der Entwicklung der Interkulturellen Pädagogik von der Vorstel-lung, ethnische Gruppen als homogene Gemeinschaft zu begreifen. Der Blick sollte auf die einzelnen Personen in ihrem jeweiligen Lebensumfeld unabhängig von Staatsangehö-rigkeit gerichtet werden, zwischenmenschliche Begegnungen gefördert und Vorurteile abgebaut werden. Der klassische Interkulturelle Ansatz sollte nicht wie die

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Ausländerpä-19 dagogik von der Bildungsebene auf andere gesellschaftliche Ebenen übertragen werden um eine erneute Entpolitisierung zu verhindern, sondern wurde zeitgleich für alle Ebenen erdacht, was die Bildungsebene einschloss (vgl. Koch 2012, S.34)

Im Jahre 1984 wurde auf Europäischer Ebene eine Empfehlung für „die Ausbildung von Lehrern zu einer Erziehung für interkulturelle Verständigung, insbesondere in einem Kon-text der Migration“ (Nohl 2010, S.60) verabschiedet. Die Empfehlung besagte, dass euro-päische Staaten Möglichkeiten schaffen sollten um „in der Lehrausbildung und in den Schulen die Entwicklung und Verwendung von Materialien zu begünstigen, die zur Unter-stützung eines interkulturellen Ansatzes geeignet sind, um auf diese Weise ein wirklich-keitsgerechteres Bild der verschiedenen Kulturen zu vermitteln“ (Nohl 2010, S.60). Der Entwurf der europäischen Ministerkonferenz verfolgte die Ziele, dass die Kinder sich ihrer unterschiedlichen Sozialisation bewusst werden sollten und zugleich Kenntnisse über andere Kulturen erwerben sollten. Diesen verschiedenen Kulturen gegenüber, sollten die Schüler Neugier und Offenheit entwickeln. Mit entstehenden Ängsten und Spannungen, welche andere kulturelle Lebensformen möglicherweise in den Kindern erzeugen, sollt sich im schulischen Rahmen auseinandergesetzt werden. Ferner sollten sich die Kinder eigenen Vorteilen gegenüber den Fremden/dem Fremden ernst- und wahrnehmen. (vgl. Nohl 2010, S.61). Die Andersartigkeit von Mitschüler_innen solle reflektiert, gleichzeig aber auch Verständnis für gegensätzliche Standpunkte entwickelt werden. Abschließend sollen gemeinsame Grundlangen genutzt werden, um einen Konsens für ein friedliches Zusammenleben, trotz angeblicher ethnischer, kultureller und religiöser Unterschiede zu finden (vgl. Nohl 2010, S.61). Der richtige Umgang mit kulturellen Differenzen und die Fähigkeit, mit jenen richtig Umzugehen, ist zusammengefasst Hauptziel der Interkulturel-len Bildung.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit bedeute Differenz allerdings nicht lediglich Vielfalt und Hete-rogenität von Adressat_innen anzuerkennen, sondern insbesondere das Adressat_innen (welche als different eingeordnet werden) von unterschiedlichsten Formen der Benachtei-ligung betroffen sind. Differenzen dürften nicht als Anerkennungsmerkmale verklärt wer-den, sondern als machtvolle Zuschreibungen und systematische Benachteiligungsmuster betrachtet werden. Kategorisierungen wie Ethnizität und Geschlecht seien keine naturge-gebenen Unterscheidungsmerkmale, sondern die Folge von anhaltender Differenzierung. Ebenso wie dem Differenzbegriff, müssen auch die Kategorien der Differenzierung mit Skepsis begegnet werden. Das Vorhandensein dieser Kategorien, darf durch die Soziale Arbeit nicht als unveränderlich akzeptiert werden, sondern sollte zu einer kritischen Aus-einandersetzung damit führen. Eine solche kritische AusAus-einandersetzung mit dem Diffe-renzbegriff erfolgte in der Interkulturellen Pädagogik nicht (vgl. Heite 2010, S.189).

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20 6.3.2 Antirassismus- und Antidiskriminierungspädagogik

Die Antirassismus- oder Antidiskriminierungspädagogik, lasse sich für Nohl als direkte Reaktion auf die Interkulturelle- sowie die Ausländerpädagogik verstehen. Sie grenzt sich deutlich von der Ausländerpädagogik ab, kritisiere aber auch grundlegende Teile der In-terkulturellen Pädagogik. Beide Formen der Pädagogik nutzen den kulturbegriff als diffe-renzierungs- bzw. defizitäres Merkmal von Menschen. Die Ausländerpädagogik vertrete den generellen Standpunkt, dass Kultur lediglich ein von Menschen gemachtes Konstrukt ist, um Differenzen sichtbar zu machen. Kultur ist aus dem Antirassistischen Standpunkt heraus keine Charakteristika, sondern eine Zuschreibung (vgl. Nohl 2010, S.89f).

Nicht die Auseinandersetzung damit, was Individuen zu Migranten macht, sondern wes-halb Individuen in diese Kategorie eingeordnet werden, ist Hauptfokus der Pädagogik, womit sie einen Rassismus kritischen Ansatz verfolge Zielgruppe ist hier die einheimische Bevölkerung, welche Beschreibungen von Migranten konstruiert und jene als fremdartig beschreibt. Für diesen konstruktivistischen Ansatz steht fest, dass es ohne die

Beschrei-benden die Beschriebenen nicht gäbe (vgl. Nohl. 2010, S.90) .

Es wird jedoch nicht der einzelne Mensch oder Gruppen von Menschen beobachtet, son-dern der öffentliche Diskurs über Einwanderung und wie Organisationen Konstruktionen von Kultur und ähnlichem, im Umgang mit Migranten gebrauchen. Die Konsequenzen, welche die Zuschreibungen in der Wirklichkeit hat, sind Fragen der Antirassistischen Pä-dagogik. (vgl. Nohl 2010, S.91)

Zur Interkulturellen Pädagogik wurde das Bild einer multikulturellen Gesellschaft, welches zwischen Einheimischen und Einwanderern anhand ihrer Kultur bzw. Ethnizität unter-schied, populär. Die Antirassistische Pädagogik betrachtete die multikulturelle Gesell-schaft unter der Annahme, dass Kultur nur ein konstruiertes Bild darstellt. Die Bildungsor-ganisationen bedienen sich jener Konstruktionen, um ihre organisationsinternen Probleme (wie Klassenzuweisung, unterbesetztes Lehrpersonal oder zu volle Klassen) und daraus resultierende Probleme, für alle Schüler (besonders für Schüler mit Migrationshintergrund) mit ethnischen bzw. kulturellen Unterschieden, zu begründen. In der Migrationsgesell-schaft werden Einheimischen größtenteils individuelle EigenMigrationsgesell-schaften zugeschrieben, wäh-rend Einwanderern ethnisch-kulturelle- also kollektive Eigenschaften, zugeschrieben wer-den. Ihr individueller kultureller Kosmos wird dabei nicht beachtet. Offensichtlich konstru-iert hier die Mehrheitsbevölkerung eine Minderheitskultur. Kultur wird neben der Schicht-zugehörigkeit, dem Alter und dem Geschlecht, zu einer tragenden Komponente im Kon-text von Diskriminierung (vgl. ebd. 2010, S.93). Menschen werden durch Zuschreibung von spezifischen körperlichen Merkmalen unterschieden und minderwertig dargestellt. Menschen mit rassistischem Weltbild sehen sich als Angehöriger der „richtigen Rasse“ als mehr Wert an und lassen Vorurteile und Hass entstehen.

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21 Die Antirassistische Pädagogik sei in den 1980er Jahren in England entstanden, wo Opfer von Diskriminierung und Rassismus (hauptsächlich Angehörige der schwarzen Minder-heit) sich gegen die Benachteiligung durch die Mehrheitsgesellschaft wehren wollten und eine Erziehung etablieren wollten, die Rassismus und Diskriminierung Präventiv behand-le. Eine politische Auseinandersetzung mit der Benachteiligung sei das primäre Ziel ge-wesen. In Deutschland entwickelte sie sich durch den Einsatz von Angehörigen der Mehr-heitsgesellschaft Ende der 1980er Jahren. Sie entstand als Reaktion auf zunehmenden Rechtsextremismus und die damit verbundene Gewalt unter Jugendlichen (vgl. Auern-heimer 2010, S.150). Grundsätzlich lässt sich die Antirassistische Erziehung auf drei Er-klärungsmodelle reduzieren:

x Das holistische Erklärungsmodell – es sieht die Regierung des betreffenden Landes, die jeweilige Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft, sowie das gesellschaftliche Kol-lektiv, als Hauptverantwortliche und Reproduzenten von Rassismus. Es fordert tief-greifende Umstrukturierungen der Institutionen und der Politik des Landes. Die Individuen werden im holistischen Erklärungsmodell ihrer persönlichen Verantwor-tung enthoben, bzw. zum Opfer von Wirtschaft und Politik gemacht, da sie lt. Erklä-rungsmodell, von höheren Instanzen beeinflusst wurden.

x Konträr dazu stellt der individualistische Erklärungsansatz den Einzelnen in den Vor-dergrund. Hier wird argumentiert, dass unabhängig von Staat und anderen Beteiligten, welche möglicherweise beeinflussend auf das Individuum einwirken, die Person selbst für ihre Taten und Ansichten verantwortlich ist.

x Der dritte Erklärungsansatz vereint die beiden vorherigen. Der multidimensionale An-satz besagt, dass weder nur die gesellschaftlich- politische Dimension, noch nur die persönliche Dimension, einen validen Erklärungsansatz bieten. Beide Erklärungsan-sätze müssen als sich gegenseitig beeinflussend und bedingend verstanden werden. Das Individuum, sowie die ihn umgebenden politischen und gesellschaftlichen Struktu-ren, bilden mehr oder minder ausgeprägte rassistische Strukturen (vgl. Koch 2012, S.38).

Lt. Auernheimer übe die Antirassistische Pädagogik Kritik an Interkultureller Pädagogik und werfe ihr vor, paternalistisch (also Autoritär und herrschaftslegitimierend bzw. bevor-mundend (Duden online 2018(Internetquelle)) zu sein, da kulturelles Wissen von Nichtkul-turangehörigen vermittelt werde. Gleiches werde den Fachkräften der Interkulturellen Pä-dagogik vorgeworfen welche mehrheitlich keiner Minderheit angehören würden. Was zu negativer Stereotypenbildung durch Konstruktionen von Kultur führen könne. Auernheimer führt weiter an, dass die Interkulturelle Pädagogik hauptsächlich auf kulturelle

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Unterschie-22 de und die Vermittlung dieser fokussiert ist und so mögliche Diskriminierung forciere vgl. Auernheimer 2010, S.151). Laut Nohl werfen Vertreter_innen der Antirassistische Päda-gogik wie Radtke, der Interkulturellen PädaPäda-gogik vor, dass sie das einfache Mittel für die Legitimierung der Arbeit von Pädagog_innen sei. So stand zuerst der Lösungsansatz (der ohnehin bestehende Umgang mit Einwanderungsproblematiken in der Pädagogik) und aufbauend darauf, wurden Theorien zur Rechtfertigung dieser Arbeitsweise gesucht. Für diese Legitimation hätten sich Multikulturalismus und Interkulturelle Pädagogik angeboten (vgl. Nohl 2010, S94).

6.3.2.1 Interkulturelle Pädagogik als Rechtfertigungsgrundlage strukturellen Rassismus am Beispiel der empirischen Untersuchung von Gomolla/Radtke

Der Hauptvorwurf an die Interkulturelle Pädagogik beziehe sich auf die die Betrachtung von Rassismus als individuelles Problem wobei institutionelle wie politischen Komponen-ten komplett ausklammert werde (vgl. Nohl 2010, S94). Rassismus sei nach Verständnis der Interkultureller Pädagogik lediglich ein Produkt aus Unwissenheit, negativen Einstel-lungen und Vorurteilen (Auernheimer 2010, S.151). Dabei würden die 2 anderen wesentli-chen Ebenen von Rassismus außer Acht gelassen. Antirassistische Neben der individuel-len bestehen noch die bereits erwähnten Ebenen der Ideologie, der gesellschaftlichen Struktur nicht beachtet (vgl. Bundschuh 2018 (Internetquelle). Pädagogik widerspricht dieser Entpolitisierung und sieht z.B. die Schule als Reproduzenten von Rassismus und Diskriminierung, jenseits individueller Phänomene (vgl. Nohl 2010, S.95).

Um Rassismus auf Institutioneller Ebene sichtbar zu machen und die vorhergegangen theoretischen Überlegungen anhand von empirischen Untersuchungen sichtbar zu ma-chen, stützt sich Nohl auf eine empirische Untersuchung von Mechtild Gomolla und Frank-Olaf Radtke, welche in den 1990 Jahren belegen wollten, dass Kinder aus Einwan-dererfamilien durch Organisationsprozesse in Schulen diskriminiert werden (vgl. Nohl 2010, S.99). Dabei ging es nicht um den Nachweis für direkte Diskriminierung in Schulen sondern von Institutioneller Diskriminierung in Organisationsprozessen vgl. Nohl 2010, S.98). Als Grundlage für diese Arbeit stützten sich Gomolla und Radke besonders auf die Übergangsschwellen im Grundschulbereich wie Übertritte in weiterführende Schulen bzw. Überweisungen in Sonderschulen für Lernbehinderte, welche von verschiedensten Schu-len im Raum Bielefeld ausgestellt wurden. (vgl. Gomolla (o.J.) S.5). Die Argumentationen, in den Begründungen dieser Entscheidungen wurden einer Argumentationsanalyse unter-zogen, wobei nicht der Entscheidungsprozess rekonstruiert werden sollte, als vielmehr die Legitimationen und Sinnzuschreibungen des Organisationshandels für ihre jeweiligen Entscheidungen. Beispielsweise, wie die Umschulung eines Kindes auf die Sonderschule durch Entscheidungsträger begründet wird. Im Fokus steht jedoch nicht der

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Entschei-23 dungsträger, sondern weiterhin die Institution Schule (vgl. Nohl 2010, S.105). In den Vor-überlegungen, welche Argumentationsspielräume zur Verfügung standen, wiesen die bei-den ausdrücklich auf die Bedeutung der Interkulturellen Pädagogik hin, welche z.B. im Umgang mit kultureller Vielfalt oder sprachlicher Varianz, als Grundlage von Entscheidun-gen herangezoEntscheidun-gen werden könnte (vgl. Gomolla/Radke 2002, S. 153f zit. in Nohl 2010, S.106).

Gomolla und Radtke beobachteten eine Häufung von Sonderschulüberweisungen bei ausländischen Kindern und erklärten diese mit der Abschaffung von Vorbereitungsklas-sen, welche bis zu ihrer Abschaffung zur Sprachförderung von Kindern mit Migrationshin-tergrund dienten (vgl Gomolla (o. J.), S.6) Das starre System der Schulen könne den er-höhten Förderbedarf ohne diese nicht gewährleisten und gäbe das Kind einfach an die nächstmögliche Bildungseinrichtung ab. Soweit die Vorüberlegung (vgl Gomolla/Radtke 2002, S. 200 zit. In Nohl 2010, S.107). Die Untersuchungen von Gomolla und Radtke zeigten allerdings, Entscheidungsträger begründeten die Sonderschulüberweisungen im Falle der Studie nicht mit erhöhtem Förderbedarf aufgrund einer möglichen Lernbehinde-rung, sondern die zentralen Probleme wurden dem Kulturellen Hintergrund zugeschrieben vgl. Gomolla (o. J.), S.6). Zusätzlich wurde es nicht als Problem der Schule, sondern des Kindes kommuniziert(vgl. Nohl 2010, S.108). Die Sonderschule diene in diesem Fall als Anlaufstelle für all jene Kinder, die aus dem organisatorischen Rahmen der Schule her-ausfallen, wenngleich sie auch in der Sonderschule fehl am Platz seien (vgl Gomol-la/Radtke 2002, S. 200 zit. In Nohl 2010, S.107). Das „Lernversagen“ des Kindes würde häufig auf eine Zugehörigkeit zu einer Migrantenfamilie zurückgeführt, wobei auf negativ ethnisch-kulturelle Zuschreibungen verwiesen würde (z.B. schlechte Wohngegend, mut-tersprachlicher Familienkontext, andere typische Zuschreibungen für sozialschwache Fa-milien). Gomolla und Radtke gingen davon aus, dass institutionelles Wissen (wie interkul-turelle Pädagogik) Basis für die Argumentation der Schulen sei. Das Problem, sowie der Betroffene, werden nur im Rahmen institutionellen Wissens betrachtet, dadurch würde die Lösung auch nur innerhalb dieser Wissensbestände gesucht. In der Studie werden weite-re Beispiele für Diskriminierungsgeschehen aufgezeigt. Auffällig sei, dass die Entschei-dungen aus organisatorischen Gesichtspunkten getroffen würden, im Nachhinein jedoch durch ethnische Unterschiede legitimiert werden (vgl. Nohl 2010, S.108). Laut Nohl gehe es der Schule eigentlich nicht um die Nationalität der Schüler, sondern um Abweichungen von Normen, welche neben guten schulischen Leistungen von den Schü-lern erwartet würden. Begründet wird das Handeln schlussendlich allerdings mit Defiziten, welche von ethnischen Gesichtspunkten herrühren. Die Schule entzieht sich ihrer Verant-wortung, Heterogenität zu bewältigen und deutet das Problem als ein kulturell bedingtes

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24 Problem des Schülers um (vgl. Nohl 2010, S.108). Für Nohl zeigen die Erkenntnisse der Arbeit von Gomolla und Radtke, dass der Versuch der Interkulturellen Pädagogik den Fokus von der defizitären, zu einer differenziellen Sichtweise der Problemlagen umzustel-len, gescheitert seien, da Institutionen, wie die Schule ihre Handlungsprobleme, in Bezug auf die Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund, mit eben jenen Differenzen begrün-den. Das habe dieselben Auswirkungen, in Form von Diskriminierungen, wie die Proble-me durch ethnisch-kulturelle Defizite zu begründen und die Verantwortung auf das Indivi-duum zurück zu geben wie dies in der Ausländerpädagogik praktiziert wurde. Von Migra-tion betroffenen Kindern seien wie in der Ausländerpädagogik auch durch die interkulturel-le Pädagogik bessere Bildungschancen verwehr (vgl. Nohl 2010, S.109).

Ziel der Antirassistischen Pädagogik ist es, pädagogische Organisationen zu beobachten und institutioneller Diskriminierung vorzubeugen bzw. auf stattfindende Diskriminierung aufmerksam zu machen und sie zu skandalisieren(vgl. Nohl 2010, S.124). Schulsozialar-beit kann im Rahmen Antidiskriminierender Pädagogik aus dem Mandatsverständnis (sie-he S.36) (sie-heraus Partei ergreifen und für die Gleichbehandlung aller Schüler einste(sie-hen(vgl. Prasad 2018, S.10).

6.4 Von der Interkulturellen zur Migrationspädagogik

Ähnlich wie die Ausländerpädagogik sei auch die klassische Interkulturellen Pädagogik vielseitig reflektiert und kritisiert worden. Daraus sei ein Prozess der produktiven Verarbei-tung in Gang gesetzt worden (vgl. Nohl 2010, S.125). Aufbauend auf genannte Kritikpunk-te, entstanden verschiedene Weiterentwicklungen der Interkulturellen Pädagogik, wie die reflexive Interkulturelle Pädagogik von Franz Hamburger oder die Migrationspädagogik von Paul Mecheril. Im Folgenden wird die migrationspädagogische Perspektive darge-stellt. Durch eine Fixierung auf die Kultur der Einwanderer als entscheidendes Differenz-merkmal würde das Problemfeld nur halbseitig beleuchtet werden. Die Pluralität von Kul-tur bei Migranten und Einheimischen ist eine Dimension, welcher sich die InterkulKul-turelle Pädagogik verschließe und solange dass der Fall sei, bleibe sie als Fachrichtung der Er-ziehungswissenschaften unklar (vgl. Nohl 2010, S.128). Konflikte und Problemlagen im Zusammenhang von Migrationsbewegungen können nicht nur durch die Frage was Kultur sei. Vielmehr seien verschiedenste Folgen von Migration, Zurechnungen, Konstruktionen von Zugehörigkeit und Prozesse von Rassismus wichtige Dimensionen im Umgang mit Migration. Zugehörigkeitsverhältnisse sind für Mecheril bedeutsame Komponenten für die migrationsgesellschaft und ihre Pädagogik (vgl. Mecheril 2010, S.13)

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6.5 Migrationspädagogische Perspektive

Die alltagspolitische Auseinandersetzung mit Migration beschränkt sich zumeist auf die Grenzen nationalstaatlicher Kontexte und wie innerhalb dieser mit Differenzen und Un-gleichheiten umgegangen wird. Migration thematisiert diese Grenzen. Dabei sind es we-niger territoriale Grenzen, als vielmehr symbolische Grenzen, z.B. der Zugehörigkeit. Durch Migration wird die Frage der Zugehörigkeit auf individueller, sozialer und gesell-schaftlicher Ebene thematisiert. Nicht nur für Menschen, welche von Migration betroffen sind, sondern auch für die Einheimischen (vgl. Mecheril 2010, S.12).

Migration stellt gesellschaftliche Ordnungen fundamental in Frage und forciert die Diffe-renzierung, wer „Wir“ und „Nicht-Wir“ sind, bzw. stärkt unter Umständen sogar die klare Abgrenzung von „Wir“ und „Nicht-Wir“ für Teile der Bevölkerung. Die Frage der

Zugehö-rigkeit ist nicht nur natürlich gegeben, sondern wird politisch, kulturell und juristisch

fort-während hergestellt: z.B. durch Fragen wie „gehört der Islam zu Deutschland?“ (Mecheril 2010, S.12)

Mecheril betont: Migrationspädagogik „führt in erster Linie nicht in die Bildungs- und Le-benssituationen von Migrant_innen […] und auch nicht in die Situation von Nicht-Migrant_innen in der Migrationsgesellschaft“ (Mecheril 2010, S.15) ein. Die Migrationspä-dagogische Perspektive versuche vielmehr das Verhältnis zwischen Migration und Päda-gogik anhand des Zugehörigkeitsbegriffs zu betrachten (vgl. Mecheril 2010, S.15). Migra-tionspädagogik stelle lt. Mechril Fragen die bedeutsam für die Pädagogik in einer Migrati-onsgesellschaft seien (vgl. Mecheril 2010, S.19)

Dies tut Mecheril einerseits durch die Frage der natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit, die es ermögliche Menschen an bestimmten Gegebenheiten teilhaben zu lassen oder ihnen eben diese zu verwehren. Andererseits wolle Mecheril den Stellenwert der Pädagogik in der Produktion und Reproduktion dieser Ordnungen beleuchten, sowie Möglichkeiten auf-zeigen diese Ordnungen zu schwächen oder zu verändern (vgl. Mecheril 2010, S.15).

Andererseits komme der Migrationspädagogik die Aufgabe zu, Migranten bei ihrer Identi-tätsfindung zu unterstützen. Lt. Mecheril sei ohnehin davon auszugehen, dass sich der Andere, so sehr er sich auch versucht anzugleichen, immer der Andere bleiben wird, da Praktiken der Mehrheitsgesellschaft ständiger Entwicklung und Veränderung unterliegen würden, welchen der Andere verzweifelt „hinterherlaufen“ würde. Eine Vollständige Assi-milation würde ihm aufgrund seiner Fremdheit verwehrt bleiben. Zugehörigkeit bleibe so ein unabdingbares, aber prekäres Phänomen (vgl. Nohl 2010, S.131).

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