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Handeln in Geschäftsprozessen als Forschungs- und Lehr-Lern-Gegenstand

2. Begriffsverständnis: Geschäftsprozess

Der Geschäftsprozess ist ein genuin betriebswirtschaftliches Konstrukt (vgl.

u. a. Becker & Kahn 2012; Gaitanides 2012), das auch in der Wirtschaftsin-formatik genutzt wird, um Arbeitsaufgaben und Arbeitsabläufe zu beschrei-ben und zu strukturieren (vgl. u. a. Fleischmann, Schmidt, Stary, Obermeier

& Börger 2011; Scheer & Thomas 2009). Geschäftsprozess wird definiert als eine Summe von miteinander verknüpften Aktivitäten (Aufgaben), die zum einen von Menschen verschiedener Organisationsbereiche in sachlogischer und zeitlicher Reihenfolge mit Hilfsmitteln zur Bearbeitung eines Geschäfts-objekts ausgeführt werden, um u. a. ein Kundenbedürfnis zu befriedigen und zur Wertschöpfung beizutragen; und die zum anderen einen definierten An-fang und Input sowie ein definiertes Ende und Ergebnis aufweisen (Fleisch-mann et al. 2011, 42). Dieses Begriffsverständnis dominiert auch in der Aus- und Weiterbildung (vgl. Rebmann & Schlömer 2009, 3; Tramm 2004, 137).

Folgt man der Argumentation von Reinisch (2012; 2014), kann das be-triebswirtschaftliche und wirtschaftsinformatische Verständnis allerdings nur bedingt Grundlage geschäftsprozessorientierter Curricula sein, vor allem weil die Konzepte und Verfahren der Betriebswirtschaftslehre, Geschäftsprozesse aus Managementperspektive thematisieren, wobei sie die kommunizierenden und kooperierenden Subjekte weitgehend außer Acht lassen. Bisher liegen zudem kaum empirisch gesicherte, berufs- und wirtschaftspädagogisch ver-wertbare Erkenntnisse über die konkrete Kommunikation und Kooperation in einzelnen betrieblichen Geschäftsprozessen einschließlich der Bedingungs-faktoren dafür vor.2 Deshalb ist es erforderlich, einen Ansatz zu entwickeln, der bezogen auf konkrete Geschäftsprozesse in der Unternehmung das „han-delnde Subjekt, dessen Aufgaben und deren wahrscheinliche Entwicklung, dessen Kooperations- und Interaktions- sowie Konfliktverhalten, dessen Ar-beitsbedingungen und gesellschaftliche Stellung in den Mittelpunkt der Be-trachtung stellt, um daraus die in der Berufsausbildung zu erwerbenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen zu gewinnen“ (vgl. Reinisch 2012, 7).

Zwar ist auch den Betriebswirten und den Wirtschaftsinformatikern be-wusst, dass Kommunikation und Kooperation zentrale Komponenten des

2 Das liegt auch daran, dass im Fach zuweilen die These vertreten wird, betriebliche Ge-schäftsprozesse ließen sich empirisch nicht fassen (Tramm 2004, 138) und die Fachwissen-schaften (BWL, Winf) böten „den besten Zugang zu den beruflichen Handlungssituationen“

(vgl. Getsch & Preiß 2003, 3). Hinzu kommt, dass kommunikationswissenschaftliche und sozialpsychologische Definitions- und Untersuchungsansätze im Fach bisher lediglich vor allem genutzt wurden, um die Lehrer-Schüler-Interaktion zu beschreiben und zu erforschen (vgl. Euler & Hahn 2007, 397-463; Wuttke 2005). Bezogen auf Geschäftsprozesse in den Unternehmen und für die Geschäftsprozessorientierung in der Aus- und Weiterbildung wer-den solche Ansätze bisher kaum genutzt.

Denkens und Handelns in Geschäftsprozessen sind. So betont bspw. Gaitani-des (2012, 102), dass das Konstrukt „Geschäftsprozess“ erst verwirklicht wird, wenn Menschen zur Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben miteinander kommunizieren und kooperieren. Fleischmann et al. (2011) konstatieren zudem, dass Kommunikation und Kooperation auch bei der Softwareent-wicklung berücksichtigt werden müssen. Allerdings gelingt es beiden Diszip-linen bisher kaum, zwischenmenschliche Kommunikation und Kooperation in Geschäftsprozessmodellen adäquat abzubilden (vgl. Schmelzer & Sessel-mann 2013, 658; Weber, Schmidt & Weber 2012, 210). Das liegt vor allem daran, dass Kommunikation und Kooperation komplexe soziale Phänomene des wechselseitigen Informationsaustauschs und der wechselseitigen Bedeu-tungsvermittlung sind (vgl. Burkart 2002, 61), die sich den linearen betriebs-wirtschaftlichen und wirtschaftsinformatischen Abbildungsformen weitge-hend entziehen. Darauf wird im Folgenden näher eingegangen.

3. Ansätze der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik

Um Arbeitsaufgaben sowie zugehörige Daten- und Informationsflüsse in einer sachlogischen und zeitbezogenen Reihenfolge zu modellieren, werden in den Fachwissenschaften (BWL, Winf) und in den Unternehmen bisher vor allem gerichtete, relativ lineare Abbildungsformen präferiert, wie z.B. Fluss-diagramme sowie einfache und erweiterte ereignisgesteuerte Prozessketten3 (vgl. Gadatsch 2012; Scheer & Thomas 2009; Schmelzer & Sesselmann 2013, 474). Die organisatorische und technische Modellierung erfolgt dabei auf der Grundlage einer spezifischen Symbolik, wie das folgende Beispiel der Beschwerdebearbeitung zeigt (vgl. Abbildung 1):

3 Eine ereignisgesteuerte Prozesskette ist ein wirtschaftsinformatisches Konzept. Darunter wird „ein gerichteter und zusammenhängender Graph [gefasst], dessen Knoten Ereignisse, Funktionen und Verknüpfungsoperatoren sind“ (vgl. Scheer & Thomas 2009, 551) und mit dessen Hilfe betriebliche Abläufe beschrieben und analysiert werden können (vgl. Spath 2009, 5). Sogenannte erweiterte ereignisgesteuerte Prozessketten enthalten zudem Symbole für Organisationseinheiten (z.B. Abteilungen) sowie Informationsmedien (vgl. Schmidt, Fleischmann & Gilbert 2009, 55). Darüber hinaus gibt es weitere grafische Formen sowie Modellierungssprachen, die in den Fachwissenschaften und in der betrieblichen Praxis zur informationstechnischen Abbildung von Geschäftsprozessen genutzt werden, z.B. das Entity Relationship Model (ERM), das semantische Objektmodell (SOM), die Unified Modeling Language (UML) und die Business Process Modeling Notation (BPMN) (vgl. Scheer &

Thomas 2009; Schmidt et al. 2009, 55).

Abb. 1: Flussdiagramm und erweiterte ereignisgesteuerte Prozesskette (Beispielsymbolik)

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an (Stauss & Seidel 2014, 176) und (Gadatsch 2012, 80).

Während Flussdiagramme darauf gerichtet sind, Ja-Nein-Entscheidungen, Aufgaben und zugehörige Informationsflüsse zwischen Organisationseinhei-ten (z.B. Abteilungen) symbolisch abzubilden, sind in erweiterOrganisationseinhei-ten ereignisge-steuerten Prozessketten zudem Informationsmedien angegeben sowie Bezüge zu anderen Prozessen mithilfe mathematisch-logischer Operatoren modelliert (vgl. Scheer & Thomas 2009, 556). Beide Abbildungsformen beschreiben und strukturieren die Arbeitsabläufe und Informationsflüsse zum einen in Form einer Reiz-Reaktionsfunktion. Zum anderen abstrahieren die Abbil-dungsformen insbesondere von sozialen, aber auch von motivationalen und emotionalen Aspekten des Handelns. Der Fokus liegt vielmehr auf betriebs-wirtschaftlicher und informationstechnischer Zweckmäßigkeit sowie auf den ökonomischen Ergebnissen des Handelns im Geschäftsprozess. Das heißt, Flussdiagramme und erweiterte ereignisgesteuerte Prozessketten werden in den Fachwissenschaften vor allem genutzt, um Informationen zu modellieren und Software zu entwickeln (vgl. Scheer & Thomas 2009; Staud 2006, 311).

Im Zentrum der Informationsmodellierung stehen dabei Objekte, wie Ereig-nisse, Arbeitsaufgaben sowie „menschliche und maschinelle Komponenten (Teilsysteme) als Aufgabenträger“ (vgl. Scheer & Thomas 2009, 546). Der Mensch wird hier eher als eine Systemkomponente betrachtet, dessen Verhal-ten (im Sinne beobachtbarer Aufgabenbewältigung) relativ linear sequenziert und entsprechend vorgegebener Modelle verläuft.

In der Wirtschaftsinformatik wird zwar zunehmend auch mit sogenann-ten „subjektorientiersogenann-ten“ Ansätzen gearbeitet (vgl. Fleischmann et al. 2011).

Allerdings liegt diesen Ansätzen ein Subjektbegriff zugrunde, der sich vom epistemologischen Subjektverständnis der Berufs- und Wirtschaftspädagogik (vgl. Groeben & Scheele 1977) deutlich unterscheidet. Aus wirtschaftsinfor-matischer Sicht können z.B. auch Drucker oder Computer Subjekte der Kommunikation und Kooperation sein. Darüber hinaus verfügen auch die subjektorientierten Ansätze kaum über geeignete Methoden und Instrumente zur Analyse oder Optimierung geschäftsprozessbezogener zwischenmensch-licher Kommunikation und Kooperation (vgl. Weber et al. 2012, 210).

Das Problem besteht darin, dass die Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Diskussion um Geschäftsprozessorientierung vor allem auf diese Ansätze der BWL und Winf zumeist „relativ unreflektiert“ zurückgreift. Das heißt, dass die Prämissen und Grenzen der fachwissenschaftlichen Modellierungen im Fach zwar diskutiert werden (vgl. Busian 2011, 5; Tramm 2009), insbe-sondere aber deren Defizite in Bezug auf die Analyse und Abbildung zwi-schenmenschlicher Kommunikation und Kooperation bisher kaum untersucht und zum Lehr-Lern-Gegenstand gemacht werden. Darüber hinaus fehlt bisher ein genuin berufs- und wirtschaftspädagogischer Ansatz zur Analyse und Modellierung von Geschäftsprozessen, der die fachwissenschaftlichen Ansät-ze nutzt und zugleich deren Defizite überwindet. Ein solcher wird im Folgen-den zur Diskussion gestellt.

4. Analyse und Modellierung von Geschäftsprozessen in

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