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Analyse und Modellierung von Geschäftsprozessen in einem Unternehmen der Energiewirtschaft

Handeln in Geschäftsprozessen als Forschungs- und Lehr-Lern-Gegenstand

4. Analyse und Modellierung von Geschäftsprozessen in einem Unternehmen der Energiewirtschaft

4.1 Untersuchungsdesign

Am Leipziger Institut für Wirtschaftspädagogik wurden in einem Projekt mit einem Unternehmen der Energiewirtschaft die Kommunikation und Koopera-tion in unterschiedlichen Geschäftsprozessen untersucht (vgl. Schlicht &

Klauser 2014)4. Um einerseits die Komplexität der Kommunikation und Kooperation empirisch analysieren zu können und um andererseits fachdi-daktische Erkenntnisse für die Ausgestaltung geschäftsprozessbezogener Inhalte generieren zu können, wurden aus insgesamt 37 unternehmensspezifi-schen Geschäftsprozessen fünf Prozesse (zur Personalplanung, zur Personal-entwicklung, zum Regulierungsmanagement, zur Auftragsbearbeitung Biogas sowie zum Kundenzufriedenheitsmanagement) ausgewählt, die folgende relevanz- und komplexitätsbestimmenden Kriterien erfüllen:5

- Vernetztheit: Am Prozess sind potenziell viele Personen beteiligt, die mehrere thematisch zusammenhängende Aufgaben bearbeiten.

- Polythelie: Mit dem Prozess werden mehrere Ziele verfolgt, die aus Sicht der beteiligten Personen gegenläufig wirken können.

- Dynamik und Intransparenz: Das Kommunizieren und Kooperieren im Geschäftsprozess wird unmittelbar durch soziale, güter- und leistungsbe-zogene materielle, finanzielle, rechtliche, technische und ökologische Bedingungen des Wirtschaftens im Energiebereich determiniert, die nicht jede der am Prozess beteiligten Personen gleichermaßen kennen muss bzw. zu denen Informationen nicht unmittelbar zugänglich sind und die sich potenziell kurz- und mittelfristig verändern.

- Thematische Breite und Interdisziplinarität: Es werden sowohl Kern- als auch Unterstützungsprozesse untersucht. Das Aufgabenspektrum eines Prozesses bezieht sich dabei auf mehrere Wertschöpfungsstufen und er-fordert die Zusammenarbeit sowie Kommunikation und Kooperation von Mitarbeitern aller Organisationsbereiche.

- Subjektive Bedeutsamkeit: Die im Prozess ausgetauschten Informationen sind aus Sicht der Führungskräfte und Mitarbeiter für ihre individuelle Entwicklung und für die Bearbeitung aktueller und künftiger betriebli-cher Problemstellungen bedeutsam.

4 Die Untersuchung erstreckte sich auf den Zeitraum von Mai 2012 bis April 2014. Dabei wurde ein analytisch-konstruktiver Ansatz zur Modellierung von Kommunikation und Ko-operation in Geschäftsprozessen verfolgt, der sich am evaluativ-konstruktiven Vorgehen von Achtenhagen et al. (1992) und der partizipativen Konstruktionsidee von Sloane (1992) ori-entiert sowie auf den neopragmatischen Modellierungsprämissen von Stachowiak (1973), dem epistemologischen Subjektmodell von Groeben und Scheele (1977), dem konstruktivis-tischen Verständnis von Geschäftsprozessmodellen nach Gaitanides (2012, 99-107) sowie dem kommunikationswissenschaftlichen Begriffsverständnis von Burkart (2002, 61) basiert.

5 Den Auswahlkriterien liegt das Komplexitätsverständnis von Dörner (1989) zugrunde.

Zudem rekurrieren die Kriterien auf die Forderung von Tramm (2009, 82) nach horizontaler und vertikaler Integration kaufmännischer Berufstätigkeit sowie von Reinisch (2012) nach dem Subjektbezug berufs- und wirtschaftspädagogischer Modelle.

Die Analyse der Prozesse erfolgte dabei aus mehreren Perspektiven: Zum einen wurden quantitative und qualitative Daten zum Verlauf zwischen-menschlicher Kommunikation und Kooperation erhoben und es wurde analy-siert, mit welcher Intensität und Wechselseitigkeit Fach- und Führungskräfte Informationen austauschen, welche Medien sie nutzen und wie sie mit Emo-tionen, insbesondere mit Belastungsempfindungen umgehen. Zum anderen wurde untersucht, welche Ereignisse, Arbeitsaufgaben und Persönlichkeits-merkmale (Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Motive) die Kommunikation und Kooperation determinieren bzw. dafür nötig sind.

Zur Datenerhebung und -auswertung wurden unterschiedliche Methoden angewendet: Zum einen wurden Dokumente (Organigramme, Handbücher mit Leitlinien, Prozessbeschreibungen) analysiert. Zum anderen wurden die Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Führungskräfte online mithilfe eines stan-dardisierten Fragebogens schriftlich befragt (n=187). Der Fragebogen um-fasst 15 geschlossene Fragen mit 153 Items (sowie 870 bedingten Items) und drei offene Fragen mit freien Antwortfeldern. Die Befragten benötigten durchschnittlich eine Stunde Bearbeitungszeit. Zudem wurden leitfadenge-stützte Intensiv-Interviews (n=20) im Umfang von insgesamt 12,5 Stunden (bzw. 270 Transkriptionsseiten) durchgeführt. Die Daten wurden mithilfe netzwerkanalytischer, statistischer und inhaltsanalytischer Verfahren ausge-wertet.

4.2 Einige Befunde zur Kommunikation und Kooperation in Kern- und Unterstützungsprozessen

Die Daten zeigen, dass die konkrete Kommunikation und Kooperation in den Geschäftsprozessen keinesfalls linear verlaufen, sondern durch zahlreiche Wechselbeziehungen gekennzeichnet und hoch komplex sind. Zudem unter-scheiden sich die Kommunikation und Kooperation in den verschiedenen Geschäftsprozessen deutlich voneinander – und zwar sowohl in Inhalt und Form als auch bezogen auf die emotionale Belastung und motivationale Ein-stellung der Beteiligten (vgl. Schlicht & Klauser 2014).

Einige Ergebnisse zur Kommunikation und Kooperation wurden unter Nutzung des Methodenrepertoires der Sozialen Netzwerkanalyse (vgl. Jansen 2006; Rehrl & Gruber 2007) in Form von Netzen abgebildet, um einerseits die Komplexität und um andererseits Unterschiede zwischen den Prozessen sichtbar zu machen. Abbildung 2 (auf der folgenden Seite) zeigt exempla-risch die Kommunikation und Kooperation im Kernprozess

„Auftragsbear-beitung Biogas“ (linkes Netz) und im Unterstützungsprozess „Kundenzufrie-denheitsmanagement“ (rechtes Netz).6

Abb. 2: Konkrete geschäftsprozessbezogene Kommunikation und Kooperation

Quelle: Eigene Darstellung.

Zum einen ist dargestellt, welche Mitarbeiter in welchen heiten (Kästchen) tatsächlich miteinander kooperieren. Die Organisationsein-heiten des kaufmännischen Bereichs sind jeweils in der linken Hälfte eines Netzes abgebildet, die der technischen Bereiche auf der rechten Hälfte. Die Unternehmensleitung (GF) und Stabsstellen (UK) stehen in der Mitte über den kaufmännischen und technischen Bereichen. Zudem sind jeweils an den Bildrändern Kontrollgremien (Aufsichtsrat, Betriebsrat) und externe Perso-nen eingezeichnet. Je größer ein Kästchen ist, desto mehr Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen haben die Mitarbeiter mit anderen Akteuren und desto größer ist ihr Einfluss im Prozess.

Zum anderen wird mithilfe der Linien abgebildet, wie intensiv die Mitar-beiter miteinander kommunizieren und kooperieren. Die Dicke der Linien steht für die Intensität (d. h. die Häufigkeit) des wechselseitig wahrgenom-menen Informationsaustauschs. Die relationalen Netzwerkdaten zeigen, dass sowohl in industriellen Kern- als auch in den Unterstützungsprozessen Mit-arbeiter kaufmännischer und technischer Fachbereiche intensiv miteinander kommunizieren und kooperieren.

6 Die Netze wurden auf der Grundlage der quantitativen Daten der schriftlichen Befragung mithilfe des Netzwerkanalyse-Programms UCINET erstellt. Die Netzwerkkanten (Linien) basieren auf durchschnittlichen In- und Out-Degrees. Die Position der Netzwerkknoten (Kästchen/Organisationseinheiten) orientiert sich am Organigramm des Unternehmens. Die Knotengröße wird bestimmt durch das relative Zentralitätsmaß.

Die Netzwerkdaten liefern zudem eine Grundlage für die Optimierung der Geschäftsprozesse im Unternehmen. Die vielen „dicken“ Linien im Kernpro-zess waren beispielsweise ein Indiz für Unsicherheit, Intransparenz und für eine „Versuchs- und Irrtums-Kommunikation“ bei der Aufgabenbearbeitung.

Das haben vor allem die Interviewdaten deutlich gemacht. Im Unterstüt-zungsprozess sah das anders aus. Die geringe Menge an Kooperationsbezie-hungen war bei Nachfrage in den Interviews eher ein Ausdruck für ein man-gelndes Verständnis zum Begriff der „Beschwerde“, für Unsicherheit bei der Mediennutzung und für mangelnde soziale Einbindung bzw. die Isolation einzelner Bereiche und Mitarbeiter sowie für damit einhergehende Belas-tungsempfindungen (vgl. Schlicht & Klauser 2014).

Auf der Grundlage der Interviewdaten wurden die emotionalen und sozi-alen Bedingungsfaktoren des Handelns in Geschäftsprozessen einer weiter-gehenden Analyse unterzogen (vgl. Klauser & Schlicht 2015). Folgendes Beispiel in Abbildung 3 zeigt, dass das Handeln in Geschäftsprozessen nicht nur von Ereignissen und einer damit verknüpften kognitiv gesteuerten Auf-gabenerledigung, sondern auch von Emotionen der beteiligten Personen und vom individuellen Umgang mit Belastungsempfindungen bestimmt wird.

Abb. 3: Emotionen und Umgang mit Belastungsempfindungen (Beispiel)

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Klauser und Schlicht (2015, 285).

Ein Mitarbeiter beschreibt hier, welche eigenen und fremden Emotionen er bei der Bearbeitung einer Beschwerde wahrgenommen hat. (Die Emotionsbe-schreibungen sind kursiv hervorgehoben.) Zudem berichtet er, wie er mit den

Belastungen umgegangen ist (siehe unterstrichene Aussagen). Dieser Mitar-beiter versucht, das Belastungsempfinden durch Coping-Strategien (vgl.

Lazarus & Folkman 1984) zu reduzieren: Zum einen versucht er, Positives aus der Situation zu ziehen. Zum anderen deutet er die Situation selbstvertei-digend um, distanziert sich mithilfe von Verallgemeinerungen und nutzt bei der Fehlersuche und der Lösung des Problems die Unterstützung von Kolle-gen.

Das ist jedoch bei weitem nicht bei allen interviewten Personen so (vgl.

Klauser & Schlicht 2015). Viele Mitarbeiter arbeiten mit Vermeidungsstrate-gien, die nur bedingt zur Belastungsreduktion führen bzw. langfristig Ge-sundheitsschäden zur Folge haben können.

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