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Zum Begriff des Assessments und den an ihn geknüpften Erwartungen

Der Begriff Assessment wird im deutschen Sprachgebrauch überwiegend im Zusam-menhang mit sogenannten Assessment-Centern gebraucht. Dabei handelt es sich um ein betriebliches Personalauswahlverfahren, bei dem Bewerber (häufig über mehrere Tage hinweg) ihr Können und ihre fachlichen, sozialen wie kommunikativen Kompe-tenzen unter Beweis stellen müssen. So soll gewährleistet werden, dass eine ausge-schriebene Position optimal besetzt wird. In vorliegender Arbeit geht es aber nicht um dieses Assessment aus wirtschaftlicher Perspektive, sondern um Assessment im Zu-sammenhang mit Lehren und Lernen an der Hochschule. Der englische Begriff to as-sess kann mit bewerten, bemessen, beurteilen, feststellen oder auch abschätzen über-setzt werden (leo.org, 2008). Eine eindeutige Übersetzung ins Deutsche ist nicht mög-lich, jedoch wird die Nähe zum Begriff des Prüfens deutlich. Der Begriff Assessment bietet laut Reinmann (2007, S. 13) allerdings eine größere Offenheit für Interpretatio-nen (versus der intendierten Idee des Messens beim Begriff der Prüfung). Überdies wird der Terminus Assessment international verwendet.

Unter Assessment verstehe ich für diese Arbeit zunächst einmal jegliche Form von Leistung, die Lernende in ihrem Studium erbringen und auf die sie irgendeine Form der Rückmeldung erhalten. Dies können sowohl Noten als auch informelle Rückmeldungen durch Lehrende, Kommilitonen, externe Projektpartner oder auch durch den Lernenden selbst40 sein. Die tatsächliche Komplexität des Assessment-Begriffs41 erschließt sich

40 Auch der Lernende selbst gibt sich bei der Bearbeitung einer Aufgabe eine interne Rückmeldung (zum Begriff der Rückmeldung bzw. des Feedbacks vgl. Abschnitt 3), welche z.B. aus positiven oder negati-ven Emotionen besteht und Einfluss auf den weiteren Lernprozess hat.

41 Elander (2004, S. 114) erklärt z.B., dass aus Lehrenden-Perspektive zum Assessment-Prozess neben der Entwicklung von Aufgaben, auch die Definition von Bewertungskriterien, die Durchführung von Be-wertungen, die Rückmeldung an Studierende und die „Moderation“ des gesamten Assessment-Prozesses zählen.

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allerdings erst bei einem genaueren Blick auf die Funktionen, die das Assessment im Lernprozess bzw. in der Hochschullehre einnimmt.

Die Rolle des Assessments im Lern- und Lehrprozess kann aus zweierlei Perspekti-ven heraus betrachtet werden. Auf der einen Seite steht Assessment im Zusammen-hang mit dem eigentlichen Lernprozess. Im Idealfall sollte das Assessment Lernpro-zesse nicht behindern oder in eine falsche Richtung lenken, sondern fördern. Die Er-gebnisse des Assessments fließen sozusagen als neuer Input in den weiteren Lern-prozess mit ein (Biggs, 2003, S. 141). „Assessment for Learning“ ist der Terminus, der diese erste Zielrichtung von Assessment treffend beschreibt. Auf der anderen Seite hat Assessment die Funktion, Leistungen zu zertifizieren. Durch die Vergabe einer Note, Punktzahl oder einer vergleichbaren stark verdichteten Bewertung zertifizieren Lehren-de die Leistungen Lehren-der LernenLehren-den. Aufgrund Lehren-der Zielsetzung, diese Bewertungen mög-lichst valide und reliabel42 zu gestalten, dominiert unter dieser Perspektive die Vorstel-lung mittels des Assessments Leistungen zu „messen“. Assessment wird in diesem Fall nicht als Bestandteil des Lernprozesses betrachtet, sondern schließt an diesen an oder steht am Ende einer „Lektion“. Die Leistungsmessung führt dann zu einer Note oder aber – im Falle des Nichtbestehens – zur Selektion derjenigen, die den Lernstoff nicht den „Standards“ entsprechend erfasst haben. „Assessment of Learning“ ist der Terminus, der diese zweite Zielrichtung von Assessment treffend beschreibt und der der Idee des deutschen Begriffs der Prüfung besonders nahe kommt.

Im Deutschen wird bei diesen beiden Varianten des Assessments von formativen (Assessment for Learning) und summativen (Assessment of Learning) Prüfungen bzw.

Assessments gesprochen (z.B. Reinmann, 2007, S. 14). Kritisch anzumerken ist aller-dings, dass auch ein summatives Assessment am Ende einer Lerneinheit durchaus einen formativen Charakter haben kann, wenn über die Bewertung in Form einer Note hinaus auch eine inhaltliche Rückmeldung an den Lernenden gegeben wird (News-tead, 2004, S. 97). Schreibt ein Studierender z.B. eine Hausarbeit über das Thema

„Autonomie im Wissensmanagement“ und erhält er neben der Bewertung 2,3 den Hin-weis, dass er bei der nächsten Hausarbeit doch mehr Primärliteratur benutzen möge, so ist dies bereits eine Information, die ihn in seinem zukünftigen Lernprozess weiter bringen kann. Da meiner persönlichen Meinung nach die Unterteilung in formatives und summatives Assessment stärker den Zeitpunkt der Prüfung als deren Intention betont, möchte ich in meiner Arbeit bei den in der englischsprachigen Literatur (überwiegend) verwendeten Ausdrücken Assessment for Learning und Assessment of Learning blei-ben.

Knight und Yorke (2003, S. 178) haben in einer Tabelle zusammengefasst, welche Position die Stakeholder43 im Assessment-Prozess den beiden Zielrichtungen gegenü-ber einnehmen44:

42 Unter „valide“ und „reliabel“ verstehe ich hier die Zielsetzungen, die Bewertung der Leistungen so vorzunehmen, dass (a) bei wiederholter „Messung“ der Leistung die gleichen Ergebnisse zu erwarten sind und dass (b) die vergebenen Bewertungen (z.B. „sehr gut“, „gut“ …) zuverlässig – in dem Sinne, dass sie die tatsächliche Leistung reflektieren– sind (Elander, 2004, S. 116). Diese Zielsetzung findet sich auch in der Bologna-Deklaration (vgl. Abschnitt 1.1.3) wieder.

43 Deutsch: Akteur, Anspruchsberechtigter (leo.org, 2008).

44 Wenn zwischen „gängiger Priorität“ und „erwarteter Priorität“ unterschieden wird, so steht dies für die Prioritäten, die der jeweilige Stakeholder tatsächlich setzt und der Priorität, die eigentlich von ihm er-wartet wird.

Tab. 1: Prioritäten der Stakeholder im Assessment-Prozess

Lernende Priorität. Feedback zu erhalten, dass Lernenden wirklich hilft, sich bei der nächsten Lernaufgabe zu verbessern.

Gängige Priorität. Gute Noten zu bekom-men.

Erwartete Priorität. Gute Noten zu haben und sich klar über ihre Bedeutung zu sein sowie Informationen einholen, wie man es das nächste Mal besse“r machen kann.

Dozenten Gängige Priorität. Dozenten korri-gieren inhaltliche und formale Feh-ler der Arbeitsergebnisse Lernen-der.

Erwartete Priorität. Lernenden Feedback zu geben, das ihnen hilft, sich weiter zu entwickeln.

Obwohl Dozenten einen nicht unerhebli-chen Teil ihrer Zeit damit verbringen, Leistungen zu benoten, ist es nicht klar, wie genau sie Gebrauch von Noten ma-chen: Sie sind jedenfalls eher Produzen-ten als KonsumenProduzen-ten. Es gibt keine An-haltspunkte, in welchem Ausmaß Dozen-ten sich Gedanken darüber machen, wel-che Bedeutungen mit den von ihnen ge-gebenen Noten assoziiert werden.

Universitäts-leitung

Priorität. Verlässliche Noten zu haben, auf Basis derer Entschei-dungen über einzusetzende perso-nelle, finanzielle und strukturelle Ressourcen zur Gestaltung der Lehre getroffen werden.

Priorität. Verlässliche Noten zu haben, um so z.B. indirekt die Leistung eines Lehr-stuhls zu zertifizieren.

Arbeitgeber Arbeitgeber schätzen (vermutlich) die Begünstigung komplexer Lern-prozesse bei Studierenden (versus Fakten-Lernen). Allerdings interve-nieren sie selber nicht, um diese komplexen Lernprozesse zu för-dern.

Priorität. Verlässliche Noten zu haben, um die Leistungen und Fähigkeiten eines Absolventen einschätzen zu können.

Quelle: nach Knight & Yorke, 2003, S. 178;

hinterlegte Felder stehen für von den Autoren vermuteten Sichtweisen der Stakeholder

Aus der Übersicht von Knight und Yorke (2003) gehen zwar die Positionen der Stake-holder gegenüber Assessment for Learning und Assessment of Learning hervor, je-doch machen die Autoren nicht ganz deutlich, auf welche Funktion von Assessment der größere Wert gelegt wird. In der Tat ist diese Frage auch nicht eindeutig zu beant-worten. Würden die Stakeholder gefragt, ob es für sie Ziel ist, dass Studierende best-mögliche Qualifikationen und Kompetenzen entwickeln, so würde dies wohl kaum ver-neint werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Messen und Vergleichen von Leistungen (bei PISA, Eliteförderung, Akkreditierungsverfahren etc.) schwer „im Trend“ liegt, lässt aber zumindest bei Universitätsleitung und Unternehmen den Schwerpunkt eines Assessment of Learning – und damit das Ziel der Selektion – ver-muten (vgl. Reinmann, 2007, S. 14; Irons, 2008, S. 9). Auch Boud und Falchikov (2006, S. 401) bezeichnen die Funktion “[to] provide certifications of achievement“ als etabliert und teilweise sogar als einzigen Zweck wahrgenommen.

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Aber warum genau sind Assessment for Learning und Assessment of Learning eher gegensätzliche Assessment-Verfahren? Die Antwort auf diese Frage liegt in der Bezie-hung von Assessment und Lernprozess.