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Homerpapyri gern "exzentrisch" s . Dagegen stimmt der Text der zweiten und dritten Gruppe, wozu auch alle Gießener Homerpapyri (zwischen 100 v.C. und dem 2.

Jh.n.C.) gehören, im großen und ganzen mit dem Homertext der mittelalterlichen Kodizes überein. Ganz allgemein muß hieraus die Folgerung gezogen werden, daß offensichtlich bis zur Mitte des 2. Jh.v.C. kein einheitlich überlieferter Homertext bestand55, wie ja auch der von unseren HSS abweichende Homertext in Homerzitaten bei Platon, Aristoteles etc. nahelegt 56. Dieser bildete sich erst nach etwa 150 v.C. in einer im allgemeinen mit dem mittelalterlichen Text übereinstimmenden Gestalt heraus - der sog."Vulgata"57. Dies muß erstaunlich schnell geschehen sein, wie schon PbuG 37(Anf. la) mit Il. Z 162-77ohne Abweichungen von der Vulgata zeigt. Der wohl um 150 v.C. oder etwas später entstandene P.Tebt. 3,899 mit u.a. derselben Textpassage zeigt dagegen mehrere neue Lesarten. Da die Entstehung der Vulgata zeitlich mit dem Tode Aristarchs zusammenfällt und in Scholienknsessigvon Aristarch erwähnt werden, hat man diesem Gelehrten oft, aber zu Unrecht eine "Ausgabe"

zugeschrieben, die den Homertext von allem Ballast befreit und ihm die heutige Gestalt gegeben hätte58. Immerhin würde die Annahme einer Holnerausgabe Aristarchs die Übereinstimmungen der Papyri mit Aristarchlesarten gegen die 54 Gute Übersicht über die Abweichungen dieser Papyri von der Vulgata bei S. West, Ptolemaic Papyri, S.11-4.

55 Der von den meisten Philologen gehegte Optimismus oder die stillschweigende, aber selbstverständliche Voraussetzung (z.B. H. Erbse, S. West, neuerdings wieder H. van Thiel, Zenodot, Arislarch und andere, ZPE 90 (1992) S. 31), es habe mindestens seit der Peisistratischen Redaktion einen "authentischen" Homertext gegeben, der in späterer Zeit entstellt wurde und so zu den exzentrischen Lesarten der ptolemäischen Papyri führte, läßt sich durch nichts beweisen. Die Idee, von einem einzigen im 5./6. Jh.v.C. entstandenen Archetypus hingen letztlich alle späteren Homerhandschriften ab, stammt von E. Bethe, Homerische Dichtung und Sage 1, Berlin 1914, S. 52f.

Die belegten Zeugnisse sprechen eher für das Gegenteil. Zwar könnte zumindest für Athen durch die Aufführungspraxis der Panathenden oder die Peistratische Redaktion ein fester Text existiert haben, aber warum wich dann schon Platon so stark von ihm ab? Die Scholiasten erwähnen daneben auch Ausgaben anderer Städte (ei xztkn6K.as,z.B. die Maaaahss cixsj), die wiederum von anderen Ausgaben abwichen, vgl. zu diesen Ausgaben T.W. Allen, Homer. The Origin and the Transmission, Oxford 1925, S. 283ff. Schließlich sind einige exzentrische Lesarten der ptolemäischen Papyri nicht durch plumpe Ausschmückung einer Szene mit Formelversen zu erklären, sondern bieten teilweise einen befriedigenderen Text, vgl. S. West, Ptolemaic Papyri, S. 12-4. Schon Existenz und Aussehen der erst so spät überlieferten "Peisistratischen Redaktion" (Dieuchidas von Megara bei Diog. Laert. 1,57) sind mehr als zweifelhaft; verfehlt hierzu R. Merkelbach, Die pisistratische Redaktion der homerischen Gedichte, RhM 95 (1952) S. 23-47, richtig dagegen schon E. Schwarte s.v. "Dieuchidas" in: RE V,1 (1903) Sp. 480f.

Aus Ps.-PlaL, Hipparch. 228b, Isokrates, paneg. 152 und Lykurg, in Leocr.1.02 läßt sich jedenfalls keine Peisistratische Redaktion herauslesen, vgL auch J.A. Davison, Dieuchidas of Megara, CO 9 (1959) S.

216-22 und Lesky, Homeros, Sp. 146f.

56 Hierzu J. Labarbe, L'Hornire de Piaton, Liege 1949, der diese Zitate für die heutige Textkritik für wertlos hielt. Dagegen willG.Lohse, Untersuchungen über Homerzitate bei Platon, Diss. Hamburg 1961 bewußte Eingriffe in den Homertext durch Platon mit Literarischer Absicht aufhellen.

57 Verbreitet ist traditionell die Verdrehung der Verhältnisse: In alexandrinischei Zeit wurde der

"echte" Homertext von den bis dahin interpolierten "Plusversen" befreit und in seiner ursprünglichen Form wieder hergestellt; vgl. v.a. G.M. Bolling, The External Evidence for Interpolation in Homer, Oxford 1925.

58 Erbse, Über Aristarche Iliasausgaben, Hermes 87 (1959) S. 275-303 hat schon gezeigt, daß äxeot in den Scholien nicht unbedingt 'Textausgabe" bedeutet und eine von Aristarch besorgte, regelrechte Textausgabe nicht nachgewiesen werden kann.

mittelalterliche Überlieferung erklären, so im P.Iand. 73 (Anf. Ilp) inA 108mitsinas stattslnssder meisten HSS, imPbuG36 (100 v.C.) inA 168mitgut, xsxdp.estattsn$v xs xdpie der HSS und im P.Iand. 74 (Mitte Ilp) inL 222mitvaiovstattväovder meisten HSS.

Anderseits wiegt die "Lesart" slnac, die man auch als versehentlich aus der Kohle' eingedrungene Verbform deuten kann, nur leicht, und die Zahl der von Aristarch (sechs Fälle)59 und auch von Aristophanes und Zenodo8GO abweichenden Lesarten überwiegt in den Gießener Homerpapyri mit insgesamt zwölf Fällen die Übereinstimmungen. Hier drängt sich also trotz dem relativ geringen Material schon eine gewisse Unabhängigkeit der spätptolemäischen und kaiserzeitlichen Papyri von den alexandrinischen Philologen auf, die nach der herrschenden Meinung ja gerade für die Textgestalt eben dieser Papyri verantwortlich sein sollen. Diesen Eindruck verstärkt noch die weder in mittelalterlichen HSS noch von den antiken Philologen, dafür aber auch durch den P.Lit.Lond. 11 (IIlp) bezeugte Athetese des VersesA 461im P.Iand.1.

Die in einzelnen Lesarten oder gar durch Athetesen ganzer Verse von den Kodizes abweichenden Papyri sind sowohl kalligraphische Buchhandelexemplare61 als auch PrivatabschriftenGZ. Die mit der Vulgata ganz übereinstimmenden Papyri PbuG 37, P.Iand. 2 undPbuG38 stammen aus dem Buchhandel, anderseits stehen aber zwei der abweichenden Papyri P.Iand. 74 und 75 (beide mit Akzenten versehen) unter philologischem Einfluß. Dies könnte darauf hindeuten, daß sich die Vulgata im Buchhandel herausgebildet hat und möglicherweise für ihn bestimmt war. Wenn PbuG36 inA 168von der Vulgata abweicht, so läßt sich dies damit erklären, daß es um 100 v.C. noch keine in allen Punkten gefestigte Vulgata im Buchhandel gab.

Abschriften zu privaten und philologischen Zwecken dagegen wurden eher von Fachleuten angefertigt, die unter Umständen Textvarianten nach eigenem Urteil auswählten. Über die Frage, ob der Buchhandel seine Vulgata wiederum Aristarch -bzw. dessen Schillern - verdankt, oder ob sie sich spontan herausgebildet hat, läßt sich nur spekulieren. Das offenbar rasche Verschwinden der exzentrischen Lesarten63 spricht für die Übernahme eines "gereinigten" Homertextes von einem Philologen (Aristarch), die vielen Abweichungen der Vulgatalesarten von denen der

59 ImPfand. 73:A 96 von Aristarch athetiert, im Papyrus übernommen; A 97 xoiip.oio papsicS xatpa5 depsgEL wie Zenodöt und fast alle 14SS, Aavaoisw dsucEat xoni iv duckst. Aristarch (auch Rhianos u.

MaaoeXL rno)); A 108 o68'hgXseec wie P.Oxy. 4,748 u, die meisten HSS, o0r Aristarch (ic.

Aristophanes). ImPfand. 1:11456 ep613oz 'ra wie die HSS, n6vog konjizierte Aristarch. ImP.Iand.74:c.

197 Maxs wie die meisten HSS,BQXEAristarch (zu B 205); i 199 na.ct wie die meisten HSS, ima.8t Aristarch (u. Aristophanes).

60 Abweichungen von diesen beiden noch im P.Iand.73 in A 117 u. 122. ImPbuG36 in A 163. Im P.Iand.2 in A 730. ImP.Imtl. 75in p. 53-4.

61PbuG36 mit A 163-75;P1and.74mit L 195-235.

62Pfand.73 mit A 94424; P.Iand.1 mit A 454-88.

63 Zumindest gilt dies von Ägypten, denn exzentrische Lesarten in Homerzitaten bei Plutarch, Galen, Strabon u.a. bezeugen das Fortleben abweichender Textausgaben außerhalb Ägyptens noch für nachchristliche Zeit

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alexandrinischen Philologen dagegen für selbständige Auswahl durch die Buchhändler4.

Neben den Homerpapyri ist noch der Xenophonpapyrus P.Giss. 1 (um 200 n.C.) von textkritischer Bedeutung. Er gehörte ursprünglich zur selben Buchhändlerrolle wie der P.Lit.Lond. 152. Beide Papyri weichen trotz ihrem geringen Umfang mehrmals von den mittelalterlichen Kodizes ab und bieten dabei für mehrere Korruptelen der HSS eine befriedigende Lösung. Auch die übrigen Xenophonpapyri u unterscheiden sich auffällig oft von den Lesarten der HSS, lassen sich aber so gut wie nie einer bestimmten Handschriftengruppe zuordnen66. Hier haben die Papyri die Unzuverlässigkeit der mittelalterlichen Kodizes für den Xenophontext augenfällig gemacht.

Dagegen haben die übrigen Papyri mit bekannten literarischen Texten (P.land. 77 mit Menander, Pfand. 79 mit Isokrates, PbuG Inv.Nr. 12 mit Thukydides und P.Iand.90 mit Cicero) keine textkritischen Überraschungen gebracht Von überragender Bedeutung für die neutestamentliche Textüberlieferung war hingegen die Entdeckung des Gotisch-Lateinischen Bibelfragments PbuG Inv.Nr. 18 mit Lukasversen in gotischer Sprache auf der einen Kodexseite und lateinischer Version auf' der gegenüberliegenden Seite. Diese wohl um 500 n.C. oder etwas später entstandene Bilingue belegt als einzige erhaltene Handschrift dieser Art die Existenz gotisch-lateinischer Ausgaben der Evangelien67 und darüber hinaus die gegenseitige Beeinflussung in der Textgestaltung. So stimmen schon innerhalb der kurzen erhaltenen Passage des Gießener Fragments mehrere gotische Lesarten mit einer Handschrift (f) der lateinischen Itala überein, obwohl Wulfilas seine gotische Bibel nach einer griechischen Vorlage übersetzt hatte.