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Bauernspiel und Volksschauspiel – Mit Blick ins 20. Jahrhundert

Im Dokument Teil B: Figurationen | (Seite 43-51)

Bauernspiel und Volksschauspiel sind im Verständnis des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen Synonyme. Aufgrund seiner weniger aufgeladenen Semantik eignet sich der Bauernspielbegriff deshalb sehr, um dem Phänomen des Volksschauspiels ein Stück näher zu kommen und dessen Bedeutung weiter zu vermessen.

Das Bauernspiel ist im 19. Jahrhundert ein prominentes populäres Theater-phänomen. Der Begriff erweist sich streckenweise als stabiler als der Begriff des

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137 Pichler (1854c), S. 235.

138 Pichler (1854c), S. 237.

139 Namentlich die Ritterspiele zählt auch Zingerle (1877), S. 46, zu den Bauern- und Volksschau-spielen. Vgl. auch Heitz (2006) und Weiß (2008).

140 Scheichl (1994).

Volksschauspiels und etabliert sich zu einer Art Leitgattung, die zahlreiche dramati-sche Formen umfassen kann. Bis weit ins 20. Jahrhundert bleibt das Bauernspiel ein außerordentlich lebendiges Genre, was seine Rezeption, aber auch seine Produktion betrifft. Der Schauspieler und Theaterhistoriker Eduard Devrient und der Privat-gelehrte Otto von Reinsberg-Düringsfeld zählen auch Passionsspiele wie jene aus Oberammergau oder aus dem Sarntal bei Bozen zum Genre des Bauernspiels.141 So unterschiedliche Persönlichkeiten wie die Universitätsgermanisten Karl Wein-hold,142 Ignaz Vinzenz Zingerle,143 Karl Bartsch,144 Karl Julius Schröer145 und Eduard Castle,146 der Rechtsgelehrte Carl Gareis unter dem Pseudonym Conrad Grünwald,147 der Sammler August Hartmann,148 die Bibliothekare Ludwig von Hörmann149 und Anton Dörrer,150 der Oberpostmeister und Hobbyentomologe Carl von Gumppen-berg,151 der Verleger Hermann Meister152 und der Schriftsteller Karl Kraus153 werden sich in Abhandlungen, Buchkapiteln oder kürzeren Reflexionen dazu äußern. Als ein Vorbild für „völkische“ Spiele gelten Bauernspiele gemäß der Propagandaschrift Das Volksspiel im Nationalsozialistischen Gemeinschaftsleben (1943):

Bauernspiele sind viele unserer besten. Im Bauerntum ruhen die Urkräfte unseres Volkes.

Bauer, halte an deiner Erde fest, werde nicht untreu! Laß dich nicht locken von der Stadt! Dein Leben und deine Pflicht sind Saat und Ernte! Wehrhaft mußt du werden, Bauerntum, wehrhaft nach innen und wehrhaft nach außen! So ruft es durch all diese Spiele.154

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141 Devrient (1848), S. 388–407. Devrient (1851) bezeichnet in dem wenige Zeilen umfassenden Vorwort (ohne Seitenzahl) das Oberammergauer Passionsspiel als Bauernspiel. Reinsberg-Dürings-feld (1874), S. 62–84, berichtet über „Das Passionsspiel im Sarnthal“. Das Kapitel enthält eine kurze Einführung sowie eine ausführliche Inhaltsdarstellung mit längeren Zitaten aus einer nicht näher identifizierten Handschrift, welche das Passionsspiel enthält, das „bis vor ungefähr 50 Jahren im Sarnthal unweit Bozen zur Aufführung kam“. „Wie noch jetzt in Oberbaiern und dem nördlichen Tirol, war es früher auch im südlichen Tirol üblich, hier und da sogenannte Bauernkomödien auf-zuführen, und namentlich zur Osterzeit gehörten die Passionsvorstellungen zu den beliebtesten Schauspielen des Volkes.“ (S. 62).

142 Weinhold (1853), S. 373–375.

143 Zingerle (1877).

144 Bartsch (1879).

145 Sch[röer] (1879b). Auflösung des Autor-Kürzels „Sch.“ durch Hartmann und Abele (1880), S. VII, Anm. 23.

146 Castle (1928).

147 Grünwald (1872a); Grünwald (1872b). Die Auflösung des Pseudonyms findet sich bei Hartmann und Abele (1880), S. VII, Anm. 23.

148 Hartmann und Abele (1880), S. III.

149 Hörmann (1874).

150 Dörrer (1936).

151 Gumppenberg (1889).

152 Meister (1912).

153 Kraus (1899); Kraus (1900), bes. S. 7–8.

154 [Anonymus] ([1943]), S. 40.

6.5 Bauernspiel und Volksschauspiel | 137

Wie beispielsweise in Tirol das Bäuerliche ein unabdingbares leitkulturelles Para-digma für das Volkstheater auch noch nach 1945 bleibt, zeigt die Vorgabe der Kul-turabteilung der Tiroler Landesregierung im Amtsblatt Bote für Tirol von 1948: An die Kulturfunktionäre auf Bezirksebene, die von Amts wegen mit der „Erteilung von fallweisen Spielerlaubnissen“ an „Spielgemeinschaften rein örtlichen Charakters (Dilettantenbühnen, Bauerntheater, Laienspielschaft usw.)“ betraut sind, wird „der eindringliche Appell gerichtet, alles Seichte, Minderwertige, alles, was dem Anse-hen des Bauernstandes abträglich und mit dem guten Tiroler Namen nicht vereinbar ist, von der Spielerlaubnis auszuschließen.“155

Eine umfassende Analyse des Bauerntheaters bietet die Dissertation Almen-rausch und Jägerblut (1986) von Ernst Georg Nied.156 Sie behandelt die Entwicklung einer Schlierseer Bauerntheatergruppe zu einem kommerziell geführten Theater-unternehmen in den zwei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. „Ihre Besonderheit bestand darin, daß die Akteure als echte oberbayerische Leute vom Land galten, die sich in den Stücken angeblich selbst darstellten, bajuwarische Eigenart verkörper-ten.“157 Den kometenhaften Erfolg der Schlierseer erklärt Nied vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung des Tourismus in den Jahrzehnten vor dem Ersten Welt-krieg in Oberbayern und aus der Imagination, dass sie nicht ‚Kunst‘, sondern ‚Natur‘

auf die Bühne stellten, wodurch sie in und neben etablierten Theatern außer Kon-kurrenz, aber ebenso professionell reüssieren konnten.158 Peter W. Marx erklärt den Erfolg der Schlierseer auf städtischen Bühnen und die Konjunktur des Bauern-theaters vor dem Hintergrund bürgerlicher Selbstinszenierungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.159

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155 [Anonymus] (1948). Urheber dieser Initiative und Verfasser des Beitrags ist wahrscheinlich Gottfried Hohenauer (1894–1977), der ab 1947 Leiter der Kulturabteilung der Tiroler Landesregie-rung war, nachdem er von 1940 bis 1944 als Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erzie-hung und Volksbildung in Berlin tätig und 1945 nach Tirol zurückgekehrt war. Vgl. das Biogramm im Lexikon Literatur in Tirol unter https://orawww.uibk.ac.at/apex/uprod/f?p=TLL:2:0::::P2_ID:271 (1.2.2019). Auf den Beitrag im Bote für Tirol macht Plattner (1999), S. 237, aufmerksam. – Vgl. im Zusammenhang mit dem „Bäuerlichen“ auch Thurnher (1976), S. 30: „Das Tiroler Dorf war und ist und bleibt eine nahezu unerschöpfliche Bildungsstätte eines naiven Schauspielertums. Gegenüber allen Umbrüchen des Stils wahrt es die Ungebrochenheit der Kontinuität.“ Hervorhebung im Origi-nal durch Sperrung.

156 Nied (1986). Vgl. auch die essayistische Darstellung von Hosp-Schmidt (1978). Wenig ergiebig ist die Arbeit von Suttner (1997). Vgl. auch die satirische Darstellung von Seeßlen (1993).

157 Nied (1986), S. 5.

158 Nied (1986), S. 11–36. In die Zeit um die Jahrhundertwende fallen auch zahlreiche Schriften, die den Bauernstand romantisieren und heroisieren, darunter Zur Psychologie des Bauerntums des evangelischen Pfarrers Wilhelm Borée unter dem Pseudonym A. l’Houet (1905). Vgl. dazu später Koch (1922), S. 38–39: Bauerntum bedeute „Jugend“ und müsse als „Organ im Volksorganismus“

verstanden und wahrgenommen werden, woraus sich „das Recht einer rein biologischen Auffas-sung des Volks- und Völkerlebens“ herleiten lasse.

159 Marx (2008), S. 203–250, bes. S. 215–220.

Nachdem sich das 1865 gegründete Aktientheater am Münchner Gärtnerplatz nach dem Vorbild Wiens auf „volkstümliche Stücke“ konzentriert und mit Hermann von Schmid (1815–1880), dem Verfasser der mehrfach dramatisierten Erzählung Almenrausch und Edelweiß,160 und Benno Rauchenegger (1843–1910), dem Autor des Erfolgsstücks Jägerblut,161 „die Volksstückdichter ins Kraut [schießen]“,162 gastieren dort 1893 die Schlierseer erstmals vor Münchner Publikum.163 In den Jahren darauf folgen ausgedehnte Tourneen, zunächst nach Hamburg und Berlin, dann in weitere Städte Europas,164 gleich 1894 auch erstmals nach Wien.165 Dort nimmt Karl Kraus die „Qual der ‚Schlierseer‘“ zur Kenntnis, „die uns allsommerlich mit ihrer abgetra-genen Natürlichkeit heimsuchen“.166

Die in der Geschichte des Theaters immerhin bemerkenswerte Episode agierender Bauern ist seit jeher stark überschätzt worden. Aus den tiefsten Niederungen der Literatur vermag sich diese primärste Natürlichkeit nie und nimmer zu erheben, und dass sie uns noch als Natürlich-keit erscheint, hat sie eigentlich auch nur dem Dialect, diesem argen Vorschubleister aller dar-stellerischen Minderwertigkeit, zu danken.167

Wenn Kraus ein Jahr später hofft, zum letzten Mal in Wien von der „Schlierseerei“

heimgesucht zu werden,168 wird er sich täuschen, denn bis 1909 werden die Schlier-seer noch mehrfach in Wien gastieren.169

Die Hoffnung, dass dem deutschen Drama durch Metzger und Kuhmägde zu einer Renaissance verholfen würde, hat sich als trügerisch erwiesen, der Schlierseer Wahn ist dahin, und eine gewissenhafte Kritik besinnt sich, dass es endlich an der Zeit sei, die geschminkten Landleute den Blicken herzloser und anspruchsvoller Großstädter zu entziehen und zur Wiederaufnahme der alten Beschäftigung zu ermuntern. Noch ist, mögen auch Rampenluft und Schminke die rusticalen Sitten verdorben haben, der Anschluss an die heimatlichen Ställe nicht versäumt.

Schon aber drückt das Blöken der Schlierseer Kälber Sehnsucht nach ihren angestammten Hütern aus [...].170

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160 Schmid (1864). Vgl. als eine der Dramatisierungen Neuert (1886).

161 Rauchenegger (1890).

162 Nied (1986), S. 14. Zum Einfluss des Wiener Volkstheaters auf das Münchner Volkstheater vgl.

zuletzt Beutner (2012).

163 Nied (1986), S. 223–240.

164 Nied (1986), S. 241–275.

165 Nied (1986), S. 388, weist 1904 (zweimal), 1906, 1907, 1908 und 1909 Gastspiele der Schlierseer in Wien nach, nicht aber das erste Gastspiel von 1894, das hingegen Kraus (1899), S. 20, belegt.

166 Kraus (1899), S. 19. Hervorhebung im Original durch Sperrung.

167 Kraus (1899), S. 19–20.

168 Kraus (1900), S. 7.

169 Nied (1986), S. 388.

170 Kraus (1900), S. 8.

6.5 Bauernspiel und Volksschauspiel | 139

Das Schlierseer Bauerntheater, das „niemals mehr denn eine Mode“ war, wie der Zeitgenosse Hermann Meister 1912 kommentiert,171 stellt eine besondere Spielart im Bereich der Bauernspiele dar. Mit Bauernspielen kann – ähnlich wie mit Volks-schauspielen – sehr Unterschiedliches gemeint sein. Schuler sieht darin die Kunst

‚in der Wiege‘, wie nach Herders Verständnis die Volkspoesie eine schier uner-schöpfliche Quelle der Literatur sei. Lewald ist begeistert von der ländlichen Büh-nenkunst in Büchsenhausen wie später das Publikum europäischer Theatermetro-polen von den Schlierseer Gastspielen. Sachlicher ist die Einschätzung von Pichler:

Auch wenn Bauernspiel und Volksschauspiel nicht bedeutende Literatur seien, so stellen sie doch eine wichtige Quelle für das Verständnis und die Erforschung der

‚Sittengeschichte‘ dar. Diese Positionen machen deutlich, wie breit die Bedeutungs-spanne sein kann, die den Bauernspielen als Kulturpraxis beigemessen wird. Die akademische Rede vom Bauernspiel ist also nicht bloß eine Existenzbehauptung, sondern kann auch Ausdruck des Versuchs sein, ein randständiges Kulturphäno-men aufzuwerten. Der Wunsch danach gründet wie das Sammeln von Volksschau-spielen im Drang nach Erweiterung literarischer Korpora und des dramatischen Repertoires.

Eine weitere Grenzerweiterung, die jedoch erst ansatzweise sichtbar wird, zielt auf die Literaturfähigkeit von Dialekt. Wenn die Übersetzer von Sailers Schwäbi-scher Schöpfung gerade dann von Bauernspielen sprechen, wenn sie den Text in eine ‚Bauernsprache‘ übersetzen, ist dies Ausdruck für das Bewusstsein um die Varietät, in der ein Schauspiel verfasst ist. Wenn ab dem späten 19. Jahrhundert bis herauf zu Thomas Bernhard Varietäten unterhalb der Standardsprache (oder zu-mindest Anklänge an solche Varietäten wie bei Horváth) zu einem Wesensmerkmal von Volksstücken avancieren, stimmt dies mit genau dieser Tendenz überein, die bereits an der Rezeption der Schwäbischen Schöpfung deutlich wird.

Wer sind die Bauern im Bauernspiel? In den Übersetzungen der Schwäbischen Schöpfung und im Schlierseer Bauerntheater sind die Bauern die Darsteller. Bei Schuler, Lewald und Pichler spielen sie kaum eine Rolle, auch als Teil des hetero-genen Publikums nicht. Offensichtlich erscheint es Kritikern und Wissenschaftlern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht wichtig, das Determinans ‚Bauern‘ im Determinativkompositum ‚Bauernspiel‘ näher zu bestimmen. Die ‚Bauern‘ reichen als atmosphärische Grundierung eines Genres – ähnlich dem ‚Volk‘ im Volksschau-spiel. Erst der Rechtsgelehrte Carl Gareis wird Jahrzehnte später in seinem Aufsatz Die Bauerntheater im bayerischen Hochgebirg (1872) auf die ‚Bauern‘ näher eingehen und sie identifizieren als Darsteller und als Publikum, wenn er festhält, dass im Bauerntheater, und auch nur in jenem der „drei ziemlich nahe bei einander

gelege-||

171 Meister (1912), S. 577.

nen Ortschaften Erl, Kiefersfelden und Thiersee“, Bauern die Akteure und zu „min-destens 90 Procent“ die Zuschauer sind.172

Bauern bilden einen Stand, der nicht mit einer sozialen Schicht oder Klasse gleichzusetzen ist, denn zu groß sind die sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen grundbesitzenden Großbauern und verarmten Kleinhäuslern, die auf-grund unterschiedlicher Erbrechtsformen (Realteilung vs. Anerbenrecht) im süd-lichen deutschen Kulturraum seit dem späten Mittelalter nebeneinander leben und wirtschaften.173 Aus städtischer Perspektive stellen Bauern ein Milieu dar, das spezi-fische Assoziationen und Phantasien wachruft. Im Vergleich zum abstrakteren und schon im frühen 19. Jahrhundert semantisch komplexeren Kollektivum ‚Volk‘ bilden

‚Bauern‘ eine leichter imaginierbare Gruppe. Sie unterscheiden sich, indem sie ein räumlich-geographisches Distinktionsmerkmal an sich tragen, das sie mit ‚Land‘

und nicht mit ‚Stadt‘ assoziiert. Aber ebensowenig sind die Bauern die Urheber, das Publikum oder der Gegenstand der Bauernspiele, wie das Volk der Urheber, das Publikum oder der Gegenstand der Volksschauspiele ist.

Während auf der Seite der Kritik das Interesse an Bauernspielen schon seit dem frühen 19. Jahrhundert rege ist, dauert es bei den Theaterdichtern bis zum Ende des Jahrhunderts, ehe sie ihre Werke als Bauernspiele bezeichnen. Franz Lechleitner überschreibt mit dem Titel Tiroler Bauernspiele (1890) eine Sammlung dreier Dra-men, die Joseph Speckbacher, der Schützenmajor von Rinn, oder: Der Franzosenkrieg von Anno 1809. Ein Tiroler Nationalspiel in 5 Akten; Sunnwendgluten. Eine Tiroler Bauerntragödie in 4 Akten und Die Schlangenburg auf Frankenstein. Eine Tiroler Bauern-Ritterkomödie in 9 Bildern enthält.174 Ludwig Anzengruber bezeichnet meh-rere seiner Dramen im Untertitel als „Bauernkomödie“ oder „Bauernposse“, so Die Kreuzelschreiber. Bauernkomödie mit Gesang in drei Akten (1872),175Der G’wissens-wurm. Bauernkomödie mit Gesang in drei Akten (1874),176 Doppelselbstmord. Bauern-posse mit Gesang in drei Akten (1876),177Die Trutzige. Bauernkomödie mit Gesang in drei Akten (1878),178 und ’s Jungferngift. Bauernkomödie mit Gesang in fünf Abteilun-gen (1878).179

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172 Grünwald (1872a), S. 351: „Die sog. Bauerntheater in den bayerischen Alpen und in Tirol sind unstreitig eine cultur-historisch höchst interessante Erscheinung; daß ein Holzknecht, ein Kuhhirt oder eine Stallmagd sich von freien Stücken dazu hergeben, tragische oder romantische Rollen zu spielen, hat Voraussetzungen, die sich nicht so leicht bei einem Volke finden mögen.“

173 Vgl. ausführlich dazu Jäger (2001); Schennach (2003).

174 Lechleitner (1890).

175 Anzengruber ([1898c]).

176 Anzengruber ([1898b]).

177 Anzengruber ([1898e]).

178 Anzengruber ([1898d]).

179 Anzengruber ([1898a]).

6.5 Bauernspiel und Volksschauspiel | 141

Auffallend viele Dramen, die von den Autorinnen und Autoren als Bauernspiele bezeichnet werden, entstehen in den 1930er Jahren, etwa D’r schwarze Hans vun Kerspleben. Bauernspiel in Thüringer Mundart aus der Zeit der Bauernerhebung 1525 in 3 Bildern (1934) von Walther Tröge,180Deutsches Bauernspiel (1935) von Herbert Adam van Eyck,181Salz und Brot. Ein Bauernspiel (1935) von Hannes Razum182 oder Im Namen Gottes. Ein Bauernspiel aus dem Dreißigjährigen Krieg in sieben Bildern (1936) von Roswitha von Woller.183 Auch Karl Springenschmid schreibt ein Bauern-spiel (1954).184 Diese und ähnliche Dramen stehen in der Nähe der „Volksspiele“, als welche in der nationalsozialistischen Kulturpropaganda „völkische“ Spiele oft be-zeichnet werden (ausführlich dazu Kapitel 11.5, S. 260–261).

Ein Drama von Franz Xaver Kroetz trägt den Titel Bauerntheater (1991). Darin sagt die Mutter zum Sohn, der ein Bauerntheaterdichter ist:

Sag mir nix Schlechtes über das moderne Bauerntheater, mein guter Bub und sei nicht un-dankbar, damit uns der liebe Heiland nicht straft.

[...]

Mein lieber Bub, das Bauerntheater ist doch das höchste an Kunst, was man erreichen kann.185

Die Mutter, die eine Elterngeneration vertritt, hält große Stücke auf das Bauern-theater und treibt ihren Sohn unablässig an, das Beste für seine Kunst zu geben. Der Sohn dagegen, Vertreter der jungen Generation und des Neuen Volksstücks (aus-führlich dazu das Kapitel 12 in diesem Buch), hegt Zweifel daran, ob er den Ansprü-chen dieser anscheinend oder vermeintlich ‚modernen‘ und ‚höchsten‘ Kunst ge-recht werden kann. Bauerntheater drückt die Spannung aus zwischen dem Ansporn der Mutterfigur und der Angst der Figur des Sohnes, den Anforderungen nicht zu genügen. Dahinter stecken die (satirisch überhöhte) Begeisterung der Elterngenera-tion für überkommene Ideale und das Unbehagen darüber seitens der GeneraElterngenera-tion der Nachgeborenen. Das Stück ist metadramatisch und metadiskursiv: Die Gattung des Bauerntheaters mit seiner langen und aufgeladenen Geschichte ist das Skanda-lon und zugleich die Triebfeder, die den jungen Dichter, der ein Bauerntheaterdich-ter sein will, dazu veranlasst, sich mit dem historischen Erbe der Gattung, das ihm eine Bürde ist, auseinanderzusetzen und sich daran abzuarbeiten.

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180 Tröge (1934b). Vgl. zur gleichen Thematik auch Tröge (1934a).

181 van Eyck (1935).

182 Razum (1935).

183 Woller (1936). Die österreichische Schriftstellerin Roswitha von Woller (1896–1971) war mit dem albanischen Politiker Omer Nishani (1887–1954) verheiratet. Woller publizierte auch unter dem Namen Trandafile Omer Nishani, vgl. Nishani (1936). Die Ehe zwischen von Woller und Nishani dokumentiert Elsie (2012), S. 331.

184 Springenschmid (1954).

185 Kroetz (1991), S. 13, 22. Hervorhebungen wie im Original.

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