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b.bb. Mikroprozessuale Einflussfaktoren

Im Dokument Diskriminierung aufgrund des Alters (Seite 39-42)

V. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

II.2. b.bb. Mikroprozessuale Einflussfaktoren

Eine naheliegende und weitverbreitete Erklärung von Altersdiskriminierungen liefern Altersstereotype und Altersnormen104. Altersstereotype sind Annahmen über typische Merkmale und Verhaltensweisen bestimmter Altersgruppen: Junge Leute sind naiv; alte Menschen sind vergesslich. Dazu gehören auch Annahmen über altersbedingte Verände-rungen105. Altersnormen („age norms“106) beinhalten Vorschriften und normative Erwar-tungen bzgl. altersangemessenen Verhaltens: Mit 60 sollte man in der Öffentlichkeit keinen Bikini mehr tragen; spätestens mit 30 sollte man in einer eigenen Wohnung wohnen.

Altersnormen und Altersstereotype sind Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlich geteilten Wissens; auch wenn sich nicht alle Personen die entsprechenden Inhalte als Überzeugungen zu eigen machen und für richtig bzw. verbindlich halten, sind sie doch allen Personen bekannt und können mit großer Übereinstimmung identifiziert werden.

Stereotypes Wissen und entsprechende Verhaltenserwartungen werden automatisch aktiviert, wenn die Alterszugehörigkeit einer Person oder Gruppe salient wird. Liegen in einer Situation keine detaillierteren Informationen zu einer Person vor, so wird das stereo-type Wissen genutzt, um das Bild der Person zu ergänzen bzw. um die vorliegenden, mehr-deutigen Informationen in der entsprechenden Richtung zu deuten. In einer Vielzahl von Untersuchungen konnte eine altersstereotype Wahrnehmung von Personen und entsprechen-des Verhalten gegenüber Personen einer bestimmten Altersgruppe nachgewiesen wer-den107. Es ist daher nicht verwunderlich, dass negative wie auch positive Elemente von Altersstereotypen in den verschiedensten Zusammenhängen zu einer unterschiedlichen Beurteilung und Behandlung alter und junger Menschen beitragen können (alte Arbeit-nehmer werden als zuverlässig, aber unflexibel wahrgenommen, junge ArbeitArbeit-nehmer dagegen als flexibel, kreativ und wenig loyal)108. Altersstereotype liefern häufig auch eine gute Erklärung, warum eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters erfolgt: Schließlich sind es in diesem Fall ja genau die altersbezogenen Erwartungen und Überzeugungen, die für die unterschiedliche Behandlung verantwortlich sind.

Gerade mit Bezug auf Altersstereotype bedarf dieses einfache Bild der Diskriminierung auf der Basis von Stereotypen jedoch der Differenzierung. Wie unschwer erkennbar ist, exis-tiert eine Unmenge sehr unterschiedlicher Überzeugungen zu den verschiedenen Alters-gruppen. Hierbei mischen sich auch innerhalb jeder Altersgruppe positive mit negativen

104 Filipp & Mayer, 1999; Rothermund & Wentura, 2007; Wentura & Rothermund, 2005.

105 Heckhausen et al., 1989. Grob zusammengefasst kann die Gruppe der älteren Menschen auf den fundamen-talen Dimensionen stereotyper Wahrnehmung als inkompetent und warm verortet werden, während die Kategorie der Jungen als kompetent und eher kalt eingeschätzt wird (Cuddy & Fiske, 2002). Diese vermeint-lich einfache Zusammenfassung ignoriert jedoch die große inhaltvermeint-liche Komplexität und Heterogenität der Altersstereotype.

106 Neugarten et al., 1965.

107 Finkelstein & Farrell, 2007; Kite et al., 2005.

108 Büsch et al., 2009; Capgemini Consulting, 2007.

Altersbildern und Inhalten109. Eine entscheidende Frage ist nun, welcher der vielen mög-lichen Inhalte und Wissensbestände, die zu einer Altersgruppe vorhanden sind, in einer konkreten Situation tatsächlich abgerufen und genutzt wird. Aktuelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass der jeweilige Kontext, in dem eine Person wahrgenommen und behandelt wird, einen entscheidenden Einfluss auf die Auswahl, Aktivierung und Nutzung stereotyper Inhalte nimmt110. In Arbeitszusammenhängen werden vor allem arbeitsrele-vante alterstypische Merkmale abgerufen („flexibel“, „zuverlässig“), in medizinischen und Pflegekontexten dagegen gesundheitsbezogene Merkmale („gebrechlich“, „robust“), in Interaktionskontexten werden dagegen kommunikationsbezogene Eigenschaften akti-viert („hört schlecht“, „redet viel“). Tatsächlich erfolgt die Aktivierung von Stereotypen in maximal spezifischer, situationsgebundener Form: Welche typisch arbeitsrelevanten Merkmale alter bzw. junger Personen aktiviert werden, hängt beispielsweise auch von dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle, vom Geschlecht oder vom sozialen Status eines Bewerbers ab111. Eine altersdiskriminierende Behandlung ergibt sich meist als kom-plexes Zusammenspiel von person- und situationsbezogenen Altersstereotypen.

Bewertende altersgruppenbezogene Einstellungen (sog. „Bewertungsvorurteile“) stellen eine weitere potenzielle Quelle der Altersdiskriminierung dar112. Im Unterschied zu Alters-stereotypen sind diese Wertungen nicht an spezifische Inhalte gekoppelt, man spricht daher auch von affektiven Wertungen, im Gegensatz zu den in Stereotypen enthaltenen deskriptiven bzw. kognitiven Wissenselementen. Wertende Einstellungen äußern sich als spontane Reaktionen der Sympathie/Antipathie gegenüber einer bestimmten Altersgrup-pe oder deren Mitgliedern, die bei Konfrontation mit entsprechenden Hinweisen auf eine entsprechende Alterskategorie oder sichtbaren „age markern“ automatisch aktiviert wer-den113. Affektive Reaktionen gegenüber einer Person können den weiteren Verlauf von Beurteilungsprozessen massiv verzerren, insbesondere nehmen sie durch eine enge Kopp-lung mit globalen Tendenzen der Annäherung bzw. Vermeidung unmittelbaren Einfluss auf die Verhaltenssteuerung.

Altersstereotype und altersbezogene Wertungsvorurteile spielen eine wichtige Rolle für die Erklärung von Altersdiskriminierung. In gewisser Weise erscheint ein Einfluss von Altersstereotypen und/oder altersbezogenen Abwertungen nachgerade als zwingend, um überhaupt von einer Altersdiskriminierung sprechen zu können – worin sonst soll der Grund liegen, um Personen einer Altersgruppe anders zu behandeln, wenn nicht in Vor-stellungen und Wertungen, die sich auf deren Alter beziehen? Diese Position übersieht jedoch, dass es durchaus auch andere Gründe geben kann, die zu einer Altersdiskriminie-rung führen, z. B. reale Interessenskonflikte zwischen Personen verschiedener Altersgrup-pen (s. o.).

Vor allem aber ist der Einfluss von Altersstereotypen und negativen Einstellungen gegen-über einer Altersgruppe auf altersdiskriminierendes Verhalten bislang noch nicht eindeu-tig nachgewiesen worden. So sollten Personen, die stark ausgeprägte stereotype Vorstel-lungen und negative Bewertungen bzgl. einer bestimmten Altersgruppe besitzen, auch eine stärkere Tendenz zu diskriminierenden Verhaltensweisen gegenüber Personen dieser

109 Heckhausen et al., 1989; Hummert, 1990.

110 Casper et al., im Druck, 2010.

111 Diekman & Hirnisey, 2007; Perry & Bourhis, 1998.

112 Becker, 1957.

113 Nosek et al., 2002; Perdue & Gurtman, 1990; s. aber Chasteen et al., 2002.

Gruppe zeigen. Genau dieser Zusammenhang konnte bislang jedoch noch nicht wirklich überzeugend nachgewiesen werden114.

Wenn altersdiskriminierende Tendenzen nachgewiesen werden, treten sie meist generell bei nahezu allen Personen auf, unabhängig von der Ausprägung und Extremität individu-eller gruppenbezogener Überzeugungen und Einstellungen. Eine mögliche Erklärung für den mangelnden Zusammenhang zu individuellen Überzeugungen mag darin liegen, dass die bloße Kenntnis gesellschaftlicher verbreiteter Stereotype und Vorurteile schon aus-reicht, um die Wahrnehmung und das Verhalten gegenüber alten und jungen Personen in bestimmten Situationen ganz automatisch zu steuern. Entsprechende Altersdiskriminie-rungstendenzen sind demnach weitgehend unabhängig davon, ob man sich diese Vorstel-lungen persönlich zu eigen gemacht hat und für richtig hält115.

Allerdings sind bestimmte Personen besonders gefährdet, diskriminierendes Verhalten gegenüber anderen Personen und Gruppen zu zeigen. In vielen Untersuchungen wurden systematische Unterschiede in der Diskriminierungsbereitschaft von Personen beobachtet, die aber nicht auf bestimmte soziale Gruppen beschränkt sind, sondern in Bezug auf nahe-zu beliebige Fremdgruppen auftreten. Für die Erklärung solcher stabilen Unterschiede zwischen Personen liefern persönlichkeits- und entwicklungspsychologische Theorien und Untersuchungen Hinweise.

Zum einen hängt die generelle Tendenz zur Abwertung und schlechteren Behandlung von Fremdgruppen mit stabilen Persönlichkeitsmerkmalen (Autoritarismus, soziale Dominanz-orientierung) zusammen116. Entsprechende Persönlichkeitsprofile prädisponieren daher auch dazu, Personen einer anderen Altersgruppe zu benachteiligen. Umgekehrt konnte nachgewiesen werden, dass eine stark ausgeprägte intrinsische Motivation zu vorurteils-freiem, nichtdiskriminierendem Verhalten geringere Stereotypaktivierungen zur Folge hat und vorurteilsfreies Verhalten begünstigt117. Verbote von Diskriminierung und Versu-che, entsprechende Verhaltenstendenzen zu unterdrücken, haben demgegenüber meist kaum Einfluss auf Ungleichbehandlungstendenzen und Wahrnehmungsverzerrungen; im Gegenteil treten bei solchen von außen „verordneten“ Formen des Diskriminierungsver-bots paradoxe Effekte einer verstärkten Diskriminierungstendenz in Folgesituationen auf, die mit einem automatischen „rebound“ unterdrückter Stereotyp- und Vorurteilsaktivie-rungen erklärt werden118.

Aus entwicklungspsychologischer Sicht bilden frühe Kontakte mit negativen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen, die von den Eltern geäußert oder in den Medien transportiert werden, die Wurzel für die Entstehung feindseliger und vorurteilsbehafteter Verhaltens-weisen. Verstärkt werden diese Tendenzen durch mangelnden Kontakt zu Personen ande-rer Gruppen sowie durch ein Klima der gegenseitigen Bestätigung von Vorurteilen und einer erhöhten Bereitschaft, diesen Vorurteilen durch Gewalt und Aggression Ausdruck zu verleihen119.

114 Dovidio et al., 1996; Finkelstein & Farrell, 2007; Lukas, 2007.

115 Vgl. Devine, 1989.

116 Duckitt & Sibley, 2007; Stößel et al., 2009.

117 Sassenberg, 2009.

118 Macrae et al., 1994.

119 Raabe & Beelmann, 2009.

Persönlichkeitsbasierte, entwicklungspsychologische und motivationale Erklärungen stellen wichtige Voraussetzungen von Diskriminierungstendenzen dar. Aufgrund der Globalität solcher Erklärungen liefern sie jedoch keine Hinweise auf spezifische Ursachen der Altersdiskriminierung. Für die Frage nach der Verhinderung von Diskriminierungsten-denzen im Allgemeinen liefern sie jedoch wichtige Hinweise.

II.2.b.cc. Randbedingungen der Entstehung von altersbedingter

Im Dokument Diskriminierung aufgrund des Alters (Seite 39-42)