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b.aa. Makrostrukturelle Erklärungen von

Im Dokument Diskriminierung aufgrund des Alters (Seite 36-39)

V. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

II.2. b.aa. Makrostrukturelle Erklärungen von

Aus ökonomischer Sicht wird häufig darauf verwiesen, dass Benachteiligungen älterer Arbeitnehmer auf einen preisbedingten Wettbewerbsnachteil dieser Altersgruppe auf dem Arbeitsmarkt zurückgehen96. Insofern jüngere Arbeitskräfte für gleiche Leistungen günsti-ger zu beschäftigen sind, besteht für Unternehmen ein Anreiz, sich von teureren älteren Arbeitnehmenden zu trennen. Auch eine geringere Investition in die Weiterbildung älterer Arbeitnehmender stellt sich als rationale Entscheidung dar, die unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten getroffen wird. Aus dieser Perspektive wird eine Benachteiligung älterer Arbeitnehmender als ein Fall begründbarer Ungleichbehandlung aufgefasst – es ist nicht das Alter per se, das die Benachteiligung hervorruft, sondern die aus Unternehmersicht damit verbundenen Kosten- und Nutzenunterschiede, die für die unterschiedliche Behand-lung entscheidend sind. Insofern eine freie Marktwirtschaft jedem Agenten die möglichst autonome und unregulierte Optimierung seiner Gewinne ermöglichen sollte, können ökonomisch begründete unterschiedliche Behandlungen von alten und jungen Arbeitneh-menden sinnvoll sein und damit im Grundsatz gerechtfertigt werden.

Die erhöhte Konzentration älterer Arbeitnehmender in niedrig bezahlten und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen wird aus dieser Perspektive mit Selbstselektionseffekten erklärt: Die erhöhte „Flexibilität“ dieser Beschäftigungsformen komme den Wünschen und Bedürfnissen älterer Beschäftigter entgegen und sei ein überwiegend selbst gewähltes Phänomen97. Insbesondere diese letztere These ist jedoch mit Selbstauskünften älterer

96 Arrowsmith & McGoldrick, 1997; zur Übersicht s. Wood et al., 2008.

97 Arrowsmith & McGoldrick, 1997; Chou & Chow, 2005.

Arbeitnehmender kaum vereinbar, die mit ihrer prekären Beschäftigungssituation unzu-frieden sind und angeben, diese lediglich aus finanzieller Not nicht zu verlassen98.

Theorien des industriellen Wandels betonen, dass der Zusammenbruch robuster Wachs-tumsspiralen im Konsum und Lohnniveau zu einem verschärften Wettbewerb und einem damit verbundenen Einsparungsdruck auf die Unternehmen geführt hat, der sich in Maß-nahmen zum Abbau der Belegschaft, verbunden mit dem Versuch, teurere Arbeitskräfte durch günstigere zu ersetzen, niederschlägt. Zugleich wurde die klassische Massenproduk-tion durch hoch technisierte und weniger personalintensive Herstellungsmethoden ersetzt, Produktionsstätten wurden in Billiglohnländer verlagert und die Wirtschaft in den großen Industrienationen verlagert sich vom produzierenden Gewerbe mehr und mehr zu einem Dienstleistungsmarkt. Diese Faktoren führten zu einer Destabilisierung des Arbeits-markts, von der ältere Arbeitnehmende deutlich stärker getroffen wurden als jüngere.

Gründe hierfür sind Qualifikationsdefizite und eine höhere Konzentration älterer Arbeit-nehmender in den Wirtschaftszweigen, die unter dem industriellen Wandel besonders zu leiden hatten. Dieser Erklärungsansatz verweist somit zunächst auf strukturelle Nachteile für die Gruppe älterer Arbeitnehmender, die nicht den Tatbestand aktiver Benachteiligung oder Altersdiskriminierungen erfüllen. Allerdings wird die generell ungünstige Position älterer Arbeitnehmender am Arbeitsmarkt von Arbeitgebern möglicherweise auch ausge-nutzt, so dass ältere Menschen einen überproportional großen Anteil an den gesamtgesell-schaftlichen Umstrukturierungslasten zu tragen haben99.

Aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht sind unterschiedliche Behandlungen junger und älterer Menschen auch damit zu erklären, dass zwischen diesen gesellschaft-lichen Gruppen reale Interessenskonflikte bestehen – manche Autoren sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einem „Generationenkrieg“100. Junge, mittelalte und alte Menschen konkurrieren um knappe Güter, wie bspw. Geld, Arbeit, gesundheitliche Versor-gung oder Status. In solchen Wettbewerbs- und Konfliktsituationen dominiert das Bestre-ben, der eigenen Gruppe einen (relativen) Vorteil vor anderen Gruppen zu verschaffen, von dem die Gruppenmitglieder direkt oder indirekt, materiell oder immateriell profitieren.

Sobald die Alterskategorie in gesellschaftlichen Kontexten salient wird – etwa in öffent-lichen Diskussionen um Generationenkonflikte, bei der Frage nach Renteneintrittsalter, Rentenerhöhungen und Rentenbeitragssätzen, bei der Diskussion um erhöhte Kosten, Leistungen und Beiträge im Gesundheitssystem, die häufig mit demografischen Entwick-lungen in Zusammenhang gebracht werden, bei Entscheidungen über den Schutz junger und älterer Arbeitnehmender bei Massenentlassungen – neigen Personen dazu, sich als Vertreter ihrer eigenen Gruppe wahrzunehmen und entsprechend im Interesse der Gruppe zu handeln101.

Es ist nicht immer klar, ob und wenn ja wie sich dieser Erklärungsansatz auf die oben disku-tierten Fälle von (aktiver) Altersdiskriminierung übertragen lässt. Eine Personalmanagerin oder ein Personalmanager etwa, die bzw. der ältere (oder jüngere) Personen bei einer Stel-lenbesetzung, einer Beförderungsentscheidung oder beim Zugang zu einer Weiterbil-dungsmaßnahme benachteiligt, agiert typischerweise nicht als Vertreterin bzw. Vertreter

98 Branine & Glover, 1997; Soidre, 2005.

99 Glover & Branine, 1997.

100 Gronemeyer, 1991.

101 Mummendey et al., 2009.

einer der Gruppen und ist auch selbst gar nicht von der Entscheidung betroffen, genauso wenig wie eine Ärztin bzw. ein Arzt oder eine Pflegekraft durch eine benachteiligende Behandlung einer älteren Patientin oder eines älteren Patienten damit sich oder der Grup-pe der jungen Menschen einen Gefallen tut (zu der sie oder er vielleicht gar nicht gehört).

Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch in solchen Fällen die entscheidenden Personen selbst mit einer Altersgruppe identifizieren und daher zu einer Ungleichbehand-lung alter und junger Personen neigen. Offensichtlich treten Gruppenkonflikte jedoch zutage, wenn sich Vertreterinnen und Vertreter beider Altersgruppen als Konkurrenten direkt gegenüberstehen. Manchmal ist nicht ohne Weiteres zu erkennen, dass sich hinter solchen Interessenvertretungen Zugehörigkeiten zu Altersgruppen verbergen. Es ist aber naheliegend, Personen, die sich für oder gegen Reglementierungen und Gleichbehand-lungsvorschriften für den Arbeitsmarkt aussprechen, auch als Vertreter von aktuell privile-gierten oder weniger privileprivile-gierten Altersgruppen einzuordnen102. In solchen Situationen polarisierter Meinungsäußerungen und evtl. auch des kollektiven Handelns (Streik etc.) würde man jedoch normalerweise nicht von Altersdiskriminierung, sondern von Interes-senvertretung sprechen, und normalerweise besteht für einen Interessenvertreter keiner-lei Verpflichtung, die eigenen Interessen und die der konkurrierenden Gruppen gkeiner-leichwer- gleichwer-tig in seinem Reden und Handeln zu berücksichgleichwer-tigen.

Als eine weitere Erklärung für Altersdiskriminierung wird die gesellschaftliche Alters- bzw. besser gesagt Jugendkultur angeführt. Jugendlichkeit und mit Jugend assoziierte Merkmale (Attraktivität, Schlankheit, Gesundheit, Robustheit, Mobilität, Dynamik, Sport-lichkeit, Kreativität, Innovation) werden in nahezu allen gesellschaftlichen Kontexten positiv bewertet. Eine interessante, wenn auch empirisch schwer zu belegende These besagt, dass diese gesellschaftliche Fokussierung auf Jugendlichkeit als Ausdruck des Einflusses einer dominanten gesellschaftlichen Gruppe („die Jungen“) auf deren Kultur und Normen zu deuten ist. Demnach stellt die generell positive Sicht der genannten jugend-typischen Merkmale ein Ergebnis des Einflusses der Gruppe der Jungen auf gesellschaft-liche Selektions- und Bewertungsnormen dar, mit der die eigene Gruppe begünstigt und die Gruppe der Älteren benachteiligt wird103.

An dieser Deutung sind jedoch berechtigte Zweifel anzumelden. Zum einen besitzen die meisten der mit Jugend assoziierten Merkmale auch völlig unabhängig von ihrer Alterskor-relation eine uneingeschränkt positive Bedeutung, zur Durchsetzung einer entsprechen-den Sichtweise bedarf es keines Einflusses oder Diktats einer bestimmten gesellschaft-lichen Gruppe. Vor allem aber führt die zum Teil extreme Fokussierung auf Jugendlichkeit („Jugendwahn“) und damit assoziierte Merkmale auch und gerade bei jungen Menschen selbst zu einem enormen Konformitätsdruck, der als sehr belastend wahrgenommen wird (Schlankheitsideal, Gesundheitskult, Mobilitätszwang). Es ist daher nicht ohne Weiteres naheliegend anzunehmen, dass die entsprechenden Ideale von der Gruppe der jungen Menschen selbst propagiert wurden, um sich gegenüber „den Älteren“ einen Vorteil zu verschaffen. Eher noch scheint es plausibel, dass die bereits etablierte gesellschaftliche Schicht (vorwiegend Personen des mittleren Erwachsenenalters) durch Setzung entsprechen-der Ideale und Normen das Verhalten entsprechen-der jungen Generation in erwünschte Bahnen zu lenken versucht; vielleicht aber auch, um die numerisch stetig wachsende Gruppe der alten Menschen und ihre steigenden Bedürfnisse und Forderungen nach Versorgung und

gesell-102 Mummendey et al., 2009.

103 Darity, 2001.

schaftlicher Unterstützung zu diskreditieren. Der skizzierte Erklärungsansatz lässt in jedem Fall völlig offen, auf welchem Wege und durch welche vermittelnden Prozesse und Mechanismen der Einfluss einer Gruppe auf gesellschaftliche Normsetzungen erfolgt – wer sind in diesem Fall eigentlich die im Interesse einer Gruppe Handelnden und mit welchen Mitteln setzen sie ihren Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung durch? In Abwesenheit überprüfbarer Hypothesen bleibt der Erklärungsansatz spekulativ und in seiner Aussage unterbestimmt.

Im Dokument Diskriminierung aufgrund des Alters (Seite 36-39)