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II. Die Entstehung einer weiblichen Leserschaft

5. Weibliche Lektüre

5.3. Folletines und Entregas

5.3.2. Autoren und Verleger

Die stetig wachsende Nachfrage nach Romanen konnte Kraft des Phänomens der entregas und des folletín gedeckt werden; dieses Phänomen diente gleichzeitig der Belebung und Weiterentwicklung des Buchmarktes. Ein Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage wurde geschaffen und damit die Grundlage der marktwirtschaftlichen Produktion im Buchhandel und Buchdruckbereich in Spanien348.

Da sich in Spanien bis in das letzte Viertel des Jahrhunderts keine schaffende und richtunggebende, intellektuelle Schicht etabliert hatte, so dass sie dem spanischen Publikum einen Stil, eine Schule, einen Geschmack vorschreiben konnte, beherrschten Übersetzungen und Nachahmungen die spanische Literaturwelt. Das Publikum bestimmte die Richtung, den Stil und die Inhalte und zog die ausländischen Originale den hiesigen Imitationen vor. Die

347 A nuestros suscriptores y amigos. In: El Nuevo Pensil de Iberia… 8. 20-XII-1857. S.1.

348 FERRERAS,JUAN IGNACIO:La novela por entregas… ed.cit. S. 15-20.

Leserschaft der folletines, die zum überwiegenden Teil aus nicht sehr gebildeten Leuten bestand, darunter auch viele Frauen, bevorzugte Lesestoffe, die für sie leicht verständlich waren. Wie in anderen europäischen Ländern wurden auch in Spanien überwiegend Autoren, wie SUE, DUMAS, HUGO, BALZAC, SCOTT u.a. veröffentlicht. Der Unterschied zu den Ländern, wie z.B. Frankreich oder England, lag daran, dass dort jeder publizierte Roman dazu diente, diese Gattung weiterzuentwickeln, so dass unter vielen minderwertigen Werken des Öfteren sich ein wahres Meisterwerk emporhob; während man in Spanien – mit wenigen Ausnahmen – jahrzehntelang wartete, bis die ersten qualitativ mit dem französischen und englischen Niveau vergleichbare Werke erschienen349. Und als die ersten Romane von Schriftstellern, wie CLARIN,PÉREZ GALDÓS, ALARCÓN, PARDO BAZÁN u.a. verlegt wurden, begann der folletín allmählich aus den Zeitungen zu verschwinden – nur die Zeitschriften publizierten weiter bis in das 20. Jh. hinein literarische Texte, allerdings mehr Erzählungen als Romane – und die entregas hatten ihren Abstieg in die Welt der Schundliteratur endgültig vollzogen.

Die meisten in Spanien erschienenen Fortsetzungs- und Zeitungsromane sind also Übersetzungen ausländischer Werke, hauptsächlich aus französischer Produktion. Diese wurden in der Regel direkt nach dem Erscheinen aus den Zeitungen übersetzt. Einige Verleger hatten in Frankreich oder England Mitarbeiter, die sie über den Erfolg der Werke bei dem dortigen Publikum informierten, infolge dieser Berichte wurde entschieden, ob der folletín auch in Spanien herauszugeben war oder nicht.

Die Nachfrage war jedoch so hoch, dass sie eine gute Möglichkeit der Publikation nationaler Werke darstellte. Eine Reihe von Schriftstellern und Verlegern spezialisierten sich auf die Produktion von entregas und folletines. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren von den zwischen 130 und 150 bekannten spanischen FortsetzungsromanSchriftstellern mindestens 30 keine gelegentlichen, sondern richtige Spezialisten350. Die Abhängigkeit dieser Autoren vom Verleger war im Allgemeinen absolut, nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern auch auf literarischer, respektive den Aufbau der Figuren und Inhalte, die Struktur der Kapitel oder die Sprache betreffend. Der Verleger organisierte den Vertrieb der Werke und die Arbeit seiner

349 Über den spanischen Roman im 19. Jh im Allgemeinen siehe u.a. MONTESINOS,JOSÉ FERNANDO: Introducción a una historia de la novela en España en el siglo XIX, seguida de un esbozo de una bibliografía española de traducciones de novelas (1800-1850). Madrid: Castalia. 1966; FERRERAS, JUAN IGNACIO: Catálogo de novelas y novelistas españoles del siglo XIX. Madrid: Cátedra. 1979. FERRERAS,JUAN IGNACIO:El triunfo del liberalismo y de la novela histórica. Madrid: Taurus. 1976. FERRERAS, JUAN IGNACIO: Los órigenes de la novela decimonónica (1800-1830). Madrid: Taurus. 1973.

350 FERRERAS,JUAN IGNACIO:La novela por entregas… ed.cit. S. 12.

„Schreibkräfte“ – Inhalt und Rhythmus wurden immer dem Publikumsgeschmack angepasst – in gleicher Weise, wie jeder Unternehmer seinen Betrieb nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage ordnet.

Gelegentlich fanden einige dieser Schriftsteller zusammen und gründeten in eigener Sache einen Verlag für die Herausgabe ihrer Werke, wie im Fall der Periódico para Todos (Zeitung für alle) (1872-1883), die von MANUEL FERNÁNDEZ Y GONZÁLEZ,RAMÓN ORTEGA Y FRÍAS

und TORCUATO TARRAGO Y MATEOS ins Leben gerufen, zur erfolgreichsten Publikation ihrer Art wurde351.

Viele Anekdoten von Schriftstellern und viele Romanfiguren zeugen von dem Leben solcher

„Schreibkräfte“, über ihre Beziehungen mit Verlegern, dem Publikum usw.352. So beschreibt z.B. bei BENITO PÉREZ GALDÓS die Figur IDO DEL SAGRARIO seine Anfänge als Autor:

«Ein Autor von Fortsetzungsromanen stellte mich als Schreibkraft ein. Er diktierte und ich schrieb… Meine Hand war schnell wie ein Blitz… Und ich war mehr als glücklich… Jede Teillieferung bedeutete eine Unze. Dann wurde mein Autor krank und er sagte zu mir: «Ido, beenden Sie dieses Kapitel». Ich nahm meine Feder und zack, schon beendet; und ich fange ein neues Kapitel nach dem anderen an. Mensch! Ich war selber erschrocken. Mein Arbeitgeber sagte zu mir:

«Ido, ab heute sind Sie Mitarbeiter…». Wir nahmen uns drei Romane gleichzeitig vor. Er diktierte jedes Mal den Anfang und ich nahm den Faden und los ging’s…

da strömten Kapitel und noch mehr Kapitel353

Man muss jedoch unter den Fortsetzungsromanen zwei verschiedene Arten der literarischen Produktion unterscheiden. Nicht alle Romane oder Erzählungen, die in Zeitungen und Zeitschriften als Bestandteil dieser Publikation oder in separaten Faszikeln aufgeteilt erscheinen, sind mit der Technik der „Fortsetzung“ geschrieben worden354. Viele Autoren

351 Über diese Publikation siehe CAZOTTES,GISÈLE:El Periódico para Todos… ed.cit.

352 In den Romanen des sogenannten “silbernen Zeitalters“ der spanischen Literatur, von Schriftstellern, wie BENITO

PÉREZ GALDÓS, CLARIN, VALLE INCLÁN, MIGUEL UNAMUNO, PIO BAROJA repräsentiert, findet der Leser unzählige Beispiele von Figuren, die in irgendeiner Beziehung mit dem Fortsetzungsroman stehen, entweder, weil sie solche selber schreiben oder weil sie sie lesen. Zwei der Bekanntesten sind der „Schriftsteller“ IDODEL SAGRARIO aus dem Roman Fortunata y Jacinta und Tormento (1884) von GALDÓS und ISIDORA RUFETE aus La desheredada (1881), die wie eine Art DON QUIXOTE nach dem vielen Lesen von folletines verrückt wird, von dem selben Autor.

353 PÉREZ GALDÓS,BENITO:Tormento. Madrid: Aguilar. 1962. S. 23.

354 FERRERAS unterscheidet zwischen einem Roman, der in der Absicht geschrieben worden ist, ihn in Teilen veröffentlichen zu lassen «novela escrita por entregas» und einem Roman, der einfach als folletin oder als entrega veröffentlicht wird «novela publicada por entregas». Siehe FERRERAS,JUAN IGNACIO:La novela por entregas… ed.cit.

S 75-78. BOTREL dagegen definiert die entrega als Grundelement, aus einem oder mehreren Papierbogen bestehend, eines noch nicht beendeten Werkes. Siehe BOTREL,JEAN-FRANÇOIS:La novela por entregas: Unidad… ed.cit. S. 111.

Wir sind mit letzterer Auslegung nicht einverstanden, denn unter dem Namen entregas werden auch viele, fiktionale und nicht fiktionale Werke, die schon vor dem Beginn der Publikation vollständig verfasst worden waren,

konzipierten ihr Werk als eine abgeschlossene, inhaltlich unzertrennbare Einheit, das in Form eines Buches auf den Markt kommen sollte. Wenn dies nicht so erfolgte und das Werk als folletín oder als entrega herausgebracht wurde, hing es nicht von dem Autor ab, sondern von den gerade herrschenden Marktgesetzen. Den Schriftstellern wurde die Okkasion des Publizierens geboten und sie bekamen – je nach Berühmtheitsgrad und Wert der Schrift – von den Verlegern der Periodika oder der entregas ihren Lohn. Das Problem für die spanischen Schriftsteller dieser Zeit war, dass Romane, die bereits als folletín oder entrega veröffentlicht worden waren, später mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr als Buch gedruckt wurden, denn sie waren schwer absetzbar. So schreibt z.B. die Schriftstellerin FERNÁN CABALLERO:

«Ich hatte beschlossen, nie wieder für einen folletín zu schreiben, denn, Sie werden mir Recht geben, es ist ziemlich traurig, dass, nachdem die Texte veröffentlicht worden sind, kein Verleger zu finden ist, der diese erneut als Buch drucken will, so dass ich den Leuten, die sogar aus dem Ausland Exemplare meiner Werke haben wollen, keine schicken kann. Deshalb biete ich Ihnen diese Erzählung mit der Bedingung an, sie später zusammen mit anderen Erzählungen (…) auch als Buch herauszugeben und – wenn Sie es für würdig halten – unter den Abonnenten Ihrer Bibliothek zu verteilen oder separat zu verkaufen355

In den ersten zwei Dritteln des Jahrhunderts erscheinen die meisten literarischen Prosa-Kreationen aller Autoren und Autorinnen auf diese Weise. Unter den Schriftstellern, die nicht nur gelegentlich – aus finanzieller Not oder um bekannt zu werden –, sondern weil sie sich darin spezialisiert hatten, als Fortsetzung konzipierte Romane zu veröffentlichen, sind MANUEL FERNÁNDEZ Y GONZÁLEZ,JOSÉ ORTEGA Y FRÍAS,WENCESLAO AYGUALS DE IZCO, JULIO NOMBELA, MASSA Y SANGUINETTI, ENRIQUE PÉREZ ESCRICH, JUAN MARTÍNEZ

VILLERGAS, TORQUATO TÁRRAGO Y MATEOS, VICENTE BLASCO IBÁÑEZ356 u.a. zu nennen.

Aber auch die Ziele solcher Autoren beim Schaffen ihrer Werke können grundsätzlich verschieden sein, während FERNÁNDEZ Y GONZÁLEZ oder ORTEGA Y FRÍAS nur lukrativen Zwecken folgen, fügt AYGUALS DE IZCO seinen literarischen „Ausgeburten“ – bei denen er sich SUE als Modell bedient–eine soziopolitische Komponente hinzu357.

herausgegeben.

355 FERNÁN CABALLERO:Brief (Entwurf) an MSM. 1852 oder 1853. In: Cartas; coleccionadas y anotadas… ed.cit.

S. 66.

356 Siehe den Katalog von Autoren und die Untersuchung über 28 von ihnen in FERRERAS,JUAN IGNACIO:La novela por entregas… ed.cit. S. 92-115. S. 121-236.

357 WENCESLAO AYGUALS DE IZCO ist einer der wichtigsten kreativen Intellektuellen Mitte des Jahrhunderts. Er war Politiker, Autor von Romanen – darunter zwei der größten Bestseller des Jahrhunderts María o la hija de un jornalero (María oder die Töchter eines Arbeiters) (1845-1846) und La bruja de madrid o pobres y ricos (Die Madrider Hexe

Bei den Autoren des von FERRERAS in seinem Werk La novela por entregas erstellten Kataloges finden wir unter 130 männlichen Schriftstellern sieben Frauen. Wenn man die geringe Wichtigkeit bedenkt, die solche Werke der Moral und dem „Erziehen“ einräumten, sind es proportional viele Autorinnen. Es handelt sich dabei um TERESA ARRONIZ Y BOSCH

mit ihren Werken, La Condesa de Alba-Rosa (1873) und Vidrio y perlas (Glas und Perlen) (1886); CONCEPCIÓN BENÍTEZ DE GUEVARA mit Las dos baronesas (Die zwei Baroninnen) (1887); EDUARDA FEIJÓO DE MENDOZA mit historischen Romanen, wie Doña Blanca de Lanuza. Recuerdos de la corte de Felipe II (D. Blanca de Lanuza. Erinnerungen aus dem Hof Philipp II.) (1866); ANA GARCÍA DE LA TORRE mit Los esclavos del trabajo (Die Sklaven der Arbeit) (1876) und La Asociación (Der Verein) (1879); CATALINA MACPHERSON DE BREMÓN, deren erstes Werk El hijo del destino (Der Sohn des Schicksals) 1851 von AYGUALS DE IZCO

verlegt wurde, außerdem verfasste sie Isabel o la lucha del corazón (Isabel oder der Kampf des Herzens) (1853); ELENA SAÍZ mit Los amores del Rey, memorias de un cortesano de Alfonso XI. (Die Liebschaften des Königs. Memoiren eines Hofmannes Alfons’ XI.) (1887).

Unter diesen Schriftstellerinnen gibt es keine, die Berühmtheit erlangt hätten. Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass andere Autorinnen – vielleicht auch Prominente – unter dem Deckmantel eines männlichen Pseudonyms weitere Fortsetzungsromane geschrieben haben. Die meisten Autorinnen veröffentlichen ihre fiktionalen Werke lieber in Zeitschriften des weiblichen Pressewesens; wenn sie einen hohen Grad an Bekanntheit erlangt haben, publizieren sie auch in den wichtigen und „respektablen“ allgemeinen Zeitungen und Zeitschriften.

5.3.2.1. Die Bibliotheken und Reihen von entregas

Die Veröffentlichungsweise der Fortsetzungen ermöglicht dem Verleger eine Reihe von Varianten zum Absetzen seiner Produkte. Er kann einen Roman in eine Zeitung oder Zeitschrift integrieren, ihn in Faszikeln mit diesen Publikationen oder vollständig unabhängig von ihnen verkaufen, und er kann ebenso für den Fall, dass er nicht alle entregas verkauft hat, die übriggebliebenen Hefte als Buch binden lassen und in Bänden absetzen. Ferner kann er Reihen herausgeben, die sich entweder langsam aus einer Sammlung von Fortsetzungen

oder Arme und Reiche) (1849-1850) – und Theaterstücken und Gründer des Verlages Sociedad Literaria, bei dem u.a.

ZORRILLA, BRETÓN DE LOS HERREROS, HARTZENBUSCH, CAMPOAMOR und MARTÍNEZ VILLEGAS mitarbeiteten und veröffentlichten. Außerdem gründete er in Zusammenarbeit mit MARTÍNEZ VILLEGAS mehrere satirische Zeitungen.

Über die folletines von AYGUALS DE IZCO siehe REGLIN, RENATE: Wenceslao Ayguals de Izco: kleinbürgerliche Sozialkritik im Folletín-Roman des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Vervuert. 1983; CARRILLO,VICTOR:Ayguals de Izco: le roman feuilleton. In: L’infralittérature en Espagne. Grenoble : PUG. 1977. S. 7-101.

ergeben oder bereits in Bänden herausgegeben worden sind oder werden. Viele dieser Reihen werden in den Prospekten der Verleger, in bibliographischen Ankündigungsblättern und -zeitschriften und von den herausgebenden Periodika annonciert, aber, wie bei so vielen anderen spanischen Druckerzeugnissen, ist es heute schier unmöglich, die meisten dieser Publikationen ausfindig zu machen. «Alles ist möglich, alles ist verwirrend auf der komplizierten Welt der entregas358.» Als bibliographische Quelle dienen die Kataloge der Bibliotheken, vor allem die der Madrider Nationalbibliothek – dort werden in der Regel jedoch keine Angaben darüber gemacht, ob die Bände auch in Form von entregas herausgebracht wurden – und die in den Archiven einiger Zeitungen aufbewahrten Exemplare. JUAN IGNACIO FERRERAS hat in seinem Werk La novela por entregas eine kleine Liste von Sammelreihen mit erläutenden Angaben hergestellt359.

Eine andere Bibliothekenart wird unter dem Oberbegriff Galería verlegt, diese kennzeichnen sich durch die reiche inhaltliche Palette, die sie anbieten, darunter sind nicht nur fiktionale Texte zu finden, sondern auch Biographien, Typendarstellungen und populärwissenschaftliche Werke über Geschichte, Geographie, usw. Wir kommen auf diesen Punkt noch eingehender zu sprechen.