Starkes quantitatives Gewicht besitzen unter den bisher vorliegenden Untersuchun
gen zu Arbeitsmarkt und Beschäftigung in den neuen Ländern solche Studien, die sich mit den Auswirkungen des Transformationsprozesses auf einzelne Gruppen der erwerbsfähigen Bevölkerung beschäftigen. Verwiesen sei hier insbesondere auf eine große Zahl der im Auftrag der Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW) angefertigten Kurzstudien, daneben aber auch auf Veröffentlichungen anderer Autoren und Institutionen. Die Verfasser dieser Arbeiten stützen sich zum Teil auf das oben genannte aggregierte Datenmaterial, zum Teil aber auch auf eigene, eher punktuelle Erhebungen.
Die Abgrenzung der zu untersuchenden Bevölkerungsgruppen erfolgt großenteils unter dem Gesichtspunkt individueller Merkmale: nach Geschlecht, Alter usw.
Deutlich ist dabei der Einfluß jener Traditionslinie westlicher Segmentationsfor-schung zu spüren, der es darum geht, am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen zu benennen und die Ursachen für ihre Benachteiligung aufzuzeigend
Bei der Rezeption des Segmentationsansatzes in der Literatur der 80er und frühen 90er Jahre lassen sich zwei Richtungen erkennen. Sie unterscheiden sich vor allem in der Frage nach heutigen Ursachen von Segmentation: ob diese Ursachen eher individuell (in persönlichen Merkmalen der Arbeitneh
mer, wie Alter, Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit) oder eher strukturell (z.B. in der Beschäftigungspolitik, Personalwirtschaft, Arbeitsorganisation von Betrieben) zu sehen sind. Der Blickwinkel folgt dabei aus dem jeweiligen Forschungsziel: Gilt das primäre Interesse benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft, so sucht man die Ursachen der Segmentation in individuellen Merkmalen. Fragt man dagegen nach Formen der Arbeitskräf-teallokation und den Faktoren ihrer Effizienz in einzelwirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Perspektive, so rücken strukturelle Ursachen in den Vor
dergrund. - In den vorliegenden Untersuchungen zu Verlauf und Folgen des
2.1 Frauen
In der Genderperspektive interessieren vor allem die Arbeitsmarktchancen von Eiaueji. Es wird versucht, die Beschäftigungssituation der Frauen in der DDR theoretisch zu rekonstruieren. Das geschieht zum einen mit dem Ziel, nach einer möglichen Vorbildwirkung bestimmter rechtlicher Regelungen für die Frauenförde
rung in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern zu fragen. Zum ande
ren wird aber auch gezeigt, daß die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz in der DDR längst nicht soweit gediehen war, wie es dem Selbstverständnis des Systems entsprach. Vor dem Hintergrund der rekon
struierten Ausgangssituation werden dann aktuelle Umbrüche am Arbeitsmarkt analysiert und - so die übereinstimmende Sicht der Autorinnen - soziale Positions
verluste, wachsende Diskriminierungen von Frauen signalisiert.
Bereits 1990 resümierten Rudolph und andere ihre Untersuchungen in einer WZB-Veröffentlichung folgendermaßen:
"Frauen waren in der alten DDR fast in gleichem Umfang erwerbstätig wie Män
ner. Die Struktur ihrer Beschäftigungsbereiche und der Berufsausbildung verwies allerdings auf Prozesse der 'Integration mittels Segregation'. Diese wurden gestützt durch gesetzliche, institutionelle und finanzielle Regelungen zur Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Beruf, die praktisch ausnahmslos auf Frauen bzw. Mütter gerichtet waren. Frauen haben bei der Umstrukturieiiing der Wirtschaft in den neuen Bundesländern vermutlich die schlechteren Karten hinsichtlich Beschäfti
gungschancen, zumal das infrastrukturelle Netzwerk abgebaut wird."
(Rudolph/Appelbaum/Maier, 1990, o.S.)
Unter inhaltlicher Ausweitung auf die Frauenerwerbstätigkeit im Strukturwandel Mittel- und Osteuropas wurde ein Jahr später festgestellt:
"Trotz der international außergewöhnlich hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen in Mittel- und Osteuropa unterschied sich ihr Status hinsichtlich des Lohnniveaus, der Stellung in betrieblichen Hierarchien, den Aufstiegschancen und der Qualifika
tionsstruktur deutlich von dem der Männer. Eine der Hauptursachen für diese Dis
krepanz zwischen dem offiziellen Ziel der beruflichen Gleichstellung und der Wirklichkeit liegt in der ungebrochenen Tradition, den Frauen die Verantwortung für Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu überlassen. Daß Mütter - und nur sie - sozialpolitisch bei der Vereinbarung von Kindererziehung und Berufstätigkeit un
terstützt wurden, förderte das Vorurteil von Frauen als unzuverlässigen Arbeits
kräften.
Transformationsprozesses findet sich ganz überwiegend die erste Sichtweise.
Dies entspricht offenbar der derzeit dominierenden Verwendung des Segmen-tationsbegriffes und -ansatzes.
Der Prozeß der Transformation in Marktwirtschaften wird eine weitreichende Neu
organisation und Umverteilung von Erwerbsarbeit, Einkommen und Lebenschancen bedeuten. Frauen und Männer haben dabei ungleiche Startchancen. Die aktuellen Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten bestätigen zunächst - trotz nationaler Unter
schiede hinsichtlich Tempo und Strategien - die Erwartung, daß Frauen ein grö
ßeres Risiko der Entlassung und Ausgrenzung tragen. Gleichwohl sind das hohe Ausbildungsniveau und die umfangreiche berufliche Erfahrung der mittel- und ost
europäischen Frauen eine wertvolle Ressource, die ihnen - gerade auch wegen der zu erwartenden Ausdehnung des Dienstleistungssektors - Chancen in der zukünfti
gen Arbeitsmarktentwicklung eröffnen können. Dies wird aber nicht automatisch eintreten, sondern bedarf der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Flankierung. Bei der institutionellen Transformation sollte beachtet werden, daß Regulierungspro
zesse und -kriterien nicht geschlechtsneutral wirken." (Rudolph/Maier/Hübner/Fi
scher, 1991, o.S.)
Wir kommen im Punkt 5 auf die geforderte arbeitsmarktpolitische Flankierung der Beschäftigungsentwicklung zurück.
Was zunächst die Arbeiten über Auswirkungen der Transformation auf Gruppen der erwerbsfähigen Bevölkerung betrifft, so zeigt sich mitunter in ein und dersel
ben Arbeit, häufiger jedoch beim Themenvergleich zwischen mehreren Untersu
chungen (z.B. den KSPW-Kurzstudien) ein interdisziplinärer Ansatz, der unbedingt ausgebaut werden sollte. Beispielsweise wird neben der Tatsache, daß Frauen in der Region Jena ihren Arbeitsplatz verloren haben, auch - vorwiegend unter psy
chologischem Aspekt - auf ihr Kündigungserleben und auf persönliche Bewälti
gungsstrategien eingegangen (Müller/Stapelfeld, 1992).
2.2 Jugendliche und ältere Menschen
Ähnliches gilt für Untersuchungen über Jugendliche und über ältere Menschen. So finden sich neben KSPW-Studien zur Jugendarbeitslosigkeit und den Mangel an Ausbildungsplätzen in den neuen Ländern auch solche über den Wandel der Le
benswelt Jugendlicher aus der ehemaligen DDR, über jugendliche Subkulturen, über Aggressivität und Gruppengewalt Jugendlicher und andere. Das (nach der
"Wende" häufig erzwungene) vorzeitige Ausscheiden älterer Menschen aus dem Erwerbsleben wird nicht nur in arbeitsmarktpolitischer Perspektive behandelt, son
dern ebenso interessieren Gesundheitszustand, psychische Befindlichkeit und Le
bensperspektiven der "jungen Alten".
2.3 Wissenschaftler, FuE-Personal
Schließlich ist bei der Frage nach Auswirkungen der Transformation auf verschie
dene Gruppen der erwerbsfähigen Bevölkerung auch nach Ausbildungsabschluß und Vorkenntnissen zu differenzieren. Im Gegensatz zur traditionellen (vor allem amerikanischen) Segmentationsforschung, die sich in diesem Zusammenhang vor allem für Gruppen mit relativ schlechterem Zugang zu Bildung interessiert, geht es in den neuen Bundesländern schwerpunktmäßig um Hochqualifizierte, insbesondere um Akademiker.
So finden sich - wiederum aus dem Bereich der KSPW-Studien - unter anderem Untersuchungen über das berufliche Entscheidungsverhalten von Wissenschaftle
rinnen auf ABM-Stellen, über die Effektivität der Umschulung von Lehrern und sozialwissenschaftlich gebildeten Akademikern, über Berufsverbleib und -chancen von Kulturwissenschaftlern wie auch - weit über die Arbeitsmarktproblematik hin
aus - über "Diskurs und Identität" bei Intellektuellen aus der ehemaligen DDR.
Die Forschungsgruppe Wissenschaftsstatistik am WZB (Meske u.a.) hat Analysen vorgelegt, die an Hand umfangreichen Datenmaterials über Anzahl und Struktur (nach damaligen Tätigkeitsbereichen) der FuE-Beschäftigten in der DDR sowie über die Umgestaltung - die oft mit drastischem Personalabbau einhergegegangen ist - der universitären wie außeruniversitären Wissenschaftspotentiale seit 1989/90 informieren.
Außerdem sind der Personalabbau und soweit dies eingeschätzt werden konnte -die Leistungsfähigkeit der wenigen verbliebenen Potentiale auf dem Gebiet der In
dustrieforschung auch in anderen Untersuchungen (z.B. Albach/Grünert/Schwarz, 1992; Naschold, 1992; Ritschel/Markus, 1992) sowie im Rahmen diverser Unter
nehmensstudien, Branchen- und Regionalanalysen dargestellt worden.
2.4 Differenzierungstendenzen in der ostdeutschen Bevölkerung
Übereinstimmend lassen die vorliegenden Veröffentlichungen (neben den oben an
geführten auch solche z.B. über "neue Eliten") eine wachsende Differenzierung in den Arbeitsmarktchancen und der Beschäftigungssituation, in der sozialen Lage und im subjektiven Befinden zwischen den Angehörigen verschiedener Gruppen
der ostdeutschen Bevölkerung erkennen. Diese Differenzierung dürfte - gerade als Kontrast zu einem Ausgangszustand, der durch relativ egalitäre Lebensbedingungen in der DDR gekennzeichnet war - zu den einschneidendsten Veränderungen und prägenden Erfahrungen der Menschen im Transformationsprozeß gehören.
Die Arbeitsgruppe Sozialberichterstattung am WZB widmet sich ausführlich den damit verbundenen Problemen. Ihre Veröffentlichungen - über die soziale Lage privater Haushalte im gesellschaftlichen Umbruch (Berger, 1992 a); Veränderung der Struktur und der sozialen Lage ostdeutscher Haushalte nach 1990 (Berger/Hin-richs/Priller/Schultz, 1993); über "Sozialindikatorenforschung, Amtliche Statistik und Sozialberichterstattung in Ostdeutschland" (Berger 1992 b); über sozialstruktu
relle Entwicklung und wahrgenommene Lebensqualität (Landua, 1993) sowie viele andere - tangieren unser Thema, gehen in in einer ganzen Reihe behandelter Fra
gen aber auch darüber hinaus.
3. Erwerbsbiographien
Wenn man - wie dies hier vorgeschlagen wird - Arbeitsmarkt und Beschäftigung im Transformationsprozeß aus segmentationstheoretischer Perspektive betrachten will, scheint es erforderlich zu sein, die Untersuchungen über die Auswirkungen der Transformation auf verschiedene Gruppen der erwerbsfähigen Bevölkerung zu ergänzen durch Analysen der individuellen Berufsmobilität (möglichst über einen längeren Zeitraum), die sich auf die Erwerbsbiographien zumindest eines reprä
sentativen Teils der ostdeutschen Bevölkerung stützen müßten.
Die Voraussetzungen für ein solches Vorgehen sind bisher äußerst begrenzt. Es können erste Daten aus dem Arbeitsmarkt-Monitor für die neuen Bundesländer und aus dem Sozio-ökonomischen Panel genutzt werden. Diese reflektieren jedoch höchstens das aktive Suchverhalten oder passive Reagieren der Befragten auf äu
ßere Veränderungen seit der "Wendezeit". Über Ausbildungswege, den Eintritt in interne Arbeitsmärkte, über betriebliche Berufskarrieren sowie über Häufigkeit und Mechanismen eines zwischenbetrieblichen Arbeitsstellenwechsels zu DDR-Zeiten können sie, ihrer prinzipiellen Anlage und Zielrichtung zufolge, keine Auskunft geben.
In Ansätzen wird diese Lücke durch die Bemühungen der Projektgruppe
"Lebensläufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin geschlossen. Die Mitarbeiter haben (im Rahmen einer empirisch-quantitativen Studie) die biographischen Daten von mehr als 2300 ehemaligen DDR-Bürgern erhoben. Einen Schwerpunkt der Erhebung bil
deten dabei Angaben zum Themenbereich "Ausbildungsverläufe, Berufsverläufe und Arbeitsmarktprozesse".
Allerdings konnte das Material bisher nur in Teilen ausgewertet werden. Erste Veröffentlichungen dazu existieren z.B. von Huinink, 1992; Huinink/Mayer, 1993;
Mayer, 1991; 1993; Trappe, 1992.