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1. Einleitung

1.5. Entwicklung eines Messinstrumentes zur Erfassung von situationalem, konzeptuellem

1.5.1. Auswahl von Kontexten

In der Forschung zu Wissen (Koch et al., 2013) oder socio-scientific reasoning und deci-sion-making (Böhm et al., 2016; Eggert & Bögeholz, 2010; Romine et al., 2017) werden in der Regel mindestens zwei spezifische Kontexte für die Messinstrumententwicklung herangezo-gen. Im ersten Schritt wurden daher exemplarische Kontexte für die Themenbereiche Biodiver-sität und Klimawandel eruiert. Ein lebensweltlicher Bezug bildet im Rahmen einer BNE eine von fünf Leitlinien (Schreiber, 2016). Die Kontexte sollten daher von nationaler, regionaler und lokaler Relevanz sein, um so motivierend für die Studierenden zu sein. Um die Bedeutung der Kontexte noch stärker zu verdeutlichen, wurde zusätzlich eine globale Übertragbarkeit ange-strebt. Es sollte sich um aktuelle Themen von gegenwärtiger und zukünftiger Bedeutung han-deln, deren Bewältigung zentral ist, um negative ökologische und sozio-ökonomische Auswir-kungen zu mindern und damit einer Nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Als übergeordnetes Themenfeld, das sowohl für Biodiversität als auch Klimawandel von Bedeutung ist, wurde die nachhaltige Landnutzung ausgewählt. Der Kontext Insekten und Bestäubung ist exemplarisch für die Biodiversität. Die Nutzung von Mooren wurde exemplarisch für die Thematik des Kli-mawandels herangezogen.

Die Bestäubung liefert einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität (Potts et al., 2010). Einerseits direkt durch den Erhalt der Blütenpflanzen selbst, andererseits indirekt durch Frucht- und Samenansatz als Nahrungsgrundlage für viele Tierarten (BMEL, 2014). In Deutschland sind ca. 80 % der Kultur- und Wildpflanzen von Bestäubern abhängig (BMEL, 2013). Die FAO (2019) gibt an, dass etwa 90 % aller Blütenpflanzen zu einem gewissen Grad von der Bestäubung abhängig sind. Neben Honigbienen tragen ca. 550 Arten von Wildbienen sowie weitere Insekten wie Schmetterlinge, Motten, Käfer und Fliegen zur Ökosystemdienst-leistung Bestäubung bei (BMEL, 2013; FAO, 2019). Laut FAO (2019) sind 35 % der weltwei-ten Nahrungsmittelproduktion von Bestäubern abhängig. Dabei beeinflussen sowohl Anzahl als auch Diversität der Bestäuber die Ernteerträge (IPBES, 2018). Die Bestäubung führt jedoch nicht nur zur Bereitstellung von Nahrungsmitteln sondern auch anderer pflanzlicher Produkte, die beispielsweise für die Herstellung von Arzneimitteln notwendig sind (IPBES, 2018). Potts et al. (2016) geben für den jährlichen Beitrag der Ökosystemdienstleistung Tierbestäubung an der globalen Pflanzenproduktion einen Wert zwischen 235 und 577 Milliarden US-Dollar an.

Derzeit werden Rückgänge bei wilden und domestizierten Bestäubern sowie den Pflanzen, die von ihnen abhängig sind, verzeichnet (FAO, 2019; Potts et al., 2010). Veränderungen

können auf Basis der Vielfalt der Arten, der generellen Abundanz als auch der Biomasse (Ge-wicht der Insekten) beobachtet werden (Sánchez-Bayo & Wyckhuys, 2019; Wagner, 2020). So konnte beispielsweise in Schutzgebieten in Deutschland über einen Monitoring-Zeitraum von 27 Jahren eine Abnahme der Biomasse fliegender Insekten von 76 % beobachtet werden (Hall-mann et al., 2017).

Eine Kombination unterschiedlicher Faktoren wird als Ursache für den Rückgang der In-sekten in Betracht gezogen: Als Hauptursache kann der Habitatverlust durch Habitatfragmen-tierung gesehen werden (Potts et al., 2010). Durch die Ausdehnung von Siedlungs- und Indust-rieflächen sowie den Bau von Verkehrswegen wird die Landschaft zerschnitten. Die Intensi-vierung der Landwirtschaft gilt dabei als Hauptverursacher für Artenverluste von Insekten und insektenfressenden Säugetieren (Sánchez-Bayo & Wyckhuys, 2019). Insbesondere in der Nach-kriegszeit wurden – um die Bewirtschaftung effizienter zu gestalten – Felder zusammengelegt und vergrößert, was in einer Homogenisierung der Landschaft resultierte (Tscharntke et al., 2005). Damit einher ging eine Reduzierung von Ackerrandstrukturen oder Brachflächen, die als Nistmöglichkeiten für Insekten verloren gehen (BMEL, 2014, Guntern et al., 2014). Dainese et al. (2019) haben gezeigt, dass Landschaftshomogenisierung die Vielfalt der Bestäuber redu-ziert, was sich negativ auf die Bestäubung auswirkt, wodurch wiederum die landwirtschaftli-chen Erträge abnehmen. Neben Habitatverlust bewirken Landnutzungsänderungen außerdem einen Rückgang der Blütenvielfalt und -menge (EASAC, 2015) und damit ein reduziertes Nah-rungsangebot für Bestäuber. Die Bestäuber leiden außerdem unter Anwendung von Pflanzen-schutzmitteln, beispielsweise Glyphosat (Grass & Tscharntke, 2020) oder dem teilweise un-sachgemäßen Einsatz von Neonicotinoiden (EASAC, 2015; Henry et al., 2012; BMUB, 2013).

Großflächige Herbizid-Anwendung und Stickstoff-Überdüngung verursachen einen starken Rückgang des Blütenangebots und beeinträchtigen Bestäuber damit indirekt (Guntern et al., 2014; Potts et al., 2010). Nur ein Wandel in der derzeitigen landwirtschaftlichen Praxis kann dazu beitragen, die Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie zu erreichen (Grass & Tsch-arntke, 2020).

Moore sind Ökosysteme mit einer mindestens 30 cm mächtigen Torfschicht, die häufig bis zur oder nah an die Oberfläche wassergesättigt sind (Frolking et. al, 2011). Moore bedecken nur 3 % der weltweiten Landfläche (Succow & Joosten, 2001) und beeinflussen dennoch maß-geblich das globale Klimasystem. In Mooren läuft aufgrund der Wassersättigung die Produk-tion von Biomasse schneller ab, als der Abbau organischer Substanz durch Mikroorganismen (Joosten et al., 2013; Köbbing et al., 2012). So wird über sehr lange Zeiträume durch das Ab-sterben und Konservieren von Pflanzen Torf gebildet (ca. 1 mm/ Jahr). Dabei werden große

Mengen an Kohlenstoff (C) gebunden (Joosten et al., 2013; Köbbing et al., 2012). In Deutsch-land begann die Entwicklung der Moore am Ende der letzten Eiszeit vor ca. 10.000 Jahren (Byrne et al., 2004). Da Moore aufgrund der feuchten Bedingungen gleichzeitig zur C-Akku-mulation das Treibhausgas Methan (CH4) freisetzen (Byrne et al., 2004), ist ihre Klimabilanz im natürlichen Zustand meist ausgeglichen (MU Niedersachsen, 2016).

Um auf Moorflächen eine Landnutzung, wie Land- oder Fortwirtschaft, oder auch die Ge-winnung von Torf zu ermöglichen, müssen die Areale entwässert werden (Charman, 2002).

EU-weit wird noch immer die Hälfte des abgebauten Torfs energetisch genutzt (SRU, 2012).

Weiterhin wird Torf aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften häufig im Gartenbau eingesetzt (Charman, 2002). Die deutsche Torfindustrie ist weltweit größter Herstel-ler von Blumenerden und Kultursubstraten (MU Niedersachsen, 2016). In Deutschland werden derzeit auf etwa 100 km² Fläche jährlich rund 8 Millionen m³ Torf industriell abgebaut und 3,7 Millionen m³ torfhaltige Rohstoffe importiert (LIFE Peat Restore, 2020).

Heute sind 99 % aller Moore in Deutschland durch eine Entwässerung geschädigt (Joosten, 2012). Mit den hydrologischen Veränderungen gehen Veränderungen im Gasaustausch einher:

durch die Durchlüftung wird die Mineralisation von Torf verstärkt und die Freisetzung von Kohlendioxid (CO2) sowie dem klimarelevanten Distickstoffmonoxid (N2O) forciert (Frolking et al., 2011; Köbbing et al., 2012; MU Niedersachsen, 2016). Obwohl gleichzeitig ein Rück-gang der CH4-Emissionen verzeichnet werden kann (Charmann, 2002), sind die Treibhausgas-Emissionen entwässerter Moorböden um ein Vielfaches höher als die naturnaher Moore (MU Niedersachsen, 2016). Wenngleich der Anteil an Mooren an der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland nur ca. 6 % beträgt, ist die Nutzung von Mooren verantwortlich für 57 % der ge-samten landwirtschaftlichen Emissionen (Joosten et al., 2013). Insgesamt tragen Moore 4,3 % zu den deutschen Treibhausgas-Emissionen bei (TEEB DE, 2015).

Drainage und Torfabbau führen außerdem zum Verlust von Ökosystemdienstleistungen der Moore. In naturnahem Zustand puffern Moore das regionale Klima, fördern den saisonalen Wasserrückhalt in der Landschaft, sind teilweise ein Puffer für Nährstoffe sowie ein Archiv für Klima-, Vegetations- und Menschheitsgeschichte, bieten Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere sowie Raum für zahlreiche Freizeitmöglichkeiten (Drösler et al., 2011; Köbbing et al., 2012; LLUR, 2012; MU Niedersachsen, 2016). Die Wiedervernässung von Moorböden gilt als

„eine der effektivsten und volkswirtschaftlich kostengünstigsten Klimaschutzmaßnahmen im Landnutzungsbereich und hat ein Reduktionspotential von bis zu 35 Mio. t CO2-Äquivalente pro Jahr in Deutschland“ (TEEB DE, 2015, S.126).

Die aufgezeigte Sachlage zu den gewählten Kontexten Insekten und Bestäubung und Moornutzung verdeutlicht, dass beide sowohl von lokaler, regionaler, nationaler als auch inter-nationaler Relevanz sind. Für die Kontexte finden sich auch Anknüpfungspunkte in den Edu-cation for Sustainable Development Goals (UNESCO, 2017). Als Beispiel für Konzepte und Methoden zu Ziel 15 „Life on Land“ wird die Anlage eines Gartens für wilde Tiere, z.B. durch bienenfreundliche Blühpflanzen oder Insektenhotels, sowie die Entwicklung eines forschungs-basierten Projekts zum Thema „Warum ist Biodiversität wichtig?“ vorgeschlagen (UNESCO, 2017). Ökosysteme als Kohlenstoffsenke stellt eins der vorgeschlagenen Themen zum Ziel 15

„Life on Land“ (UNESCO, 2017) dar und bietet damit Anknüpfungspunkte für den Moorkon-text. Auch die unterschiedlichen Arten von Ökosystemdienstleistungen werden hierbei ange-führt (UNESCO, 2017).

1.5.2. Entwicklung von Aufgaben zum situationalen, konzeptuellen und prozeduralen Wissen