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3.7 Umgang mit wissenschaftlicher neuropathologischer Literatur und Publikationen in der DDR

3.7.1 Ausländische Literatur in der DDR

Es gab in der DDR durchaus gut ausgestattete Bibliotheken, die größten von ihnen waren die "Staatsbibliothek" unter den Linden in Berlin und die Deutsche Bücherei in

Leipzig. Weiterhin gab es größere Bibliotheken an den Universitäten in Berlin, Leipzig, Rostock, Jena und Greifswald. Schließlich befand sich eine begrenzte Anzahl medizinische Literatur ebenso in den Instituten der Akademie der Wissenschaften, in den Kliniken und Instituten der Hochschulen und in Krankenhäusern. Die Bibliotheken hatten exakte Register der vorhandenen Literatur und waren untereinander vernetzt.

Wenn die vom Nutzer gewünschte Literatur in der betreffenden Bibliothek nicht verfügbar war, so konnte sie über Fernleihe bestellt werden. In diesen Bibliotheken fand sich auch eine begrenze Anzahl ausländischer Literatur.

Das Verhältnis der DDR-Führung zur ausländischen Literatur war aber generell ein eher gespanntes. Einerseits versuchte die DDR-Führung, die DDR- Bürger so wenig wie möglich ausländischer Literatur auszusetzen, um so ein Eindringen von nicht-sozialistischem Gedankengut in die Köpfe der Bürger zu verhindern. Andererseits erhob die DDR den Anspruch für sich, auch intellektuell und wissenschaftlich auf dem höchstmöglichen Stand zu sein und international eine wichtige Rolle zu spielen.

Gerade auch im Bereich von medizinischer wissenschaftlicher Literatur und Zeitschriften führte dieser Anspruch zu Problemen. So findet sich in den Unterlagen des Gesundheitsministeriums der DDR eine undatierte, unsignierte Rede, in der es darum geht, dass die Werbung in den von der DDR abonnierten medizinischen Westzeitschriften- wie zum Beispiel die Deutsche Medizinische Wochenzeitschrift- eine

„Propaganda für kapitalistische Lebensgewohnheiten“ sei und damit direkt Einfluss auf die sozialistischen Ärzte ausgeübt werde. Damit sei diese Werbung „eine Methode der direkten ideologischen Beeinflussung im Sinne des von den Bonner Ultras betriebenen kalten Krieges.“. Das wiederum führe zu „einem Scheinbedarf an Westmedikamenten in der DDR, der der westdeutschen Arzneimittelgesellschaft neben finanziellem Gewinn auch reales politisches Kapital eingebracht hat.“ Aus diesem Grund wurde der Bezug solcher Zeitschriften „zum Schutz der Bevölkerung“ eingeschränkt.94

Diese Befürchtungen der DDR- Führung führten zu einem sehr restriktiven zentralisierten System, was den Erwerb und die Weitergabe von ausländischer Literatur angeht. Es existierte ein sogenanntes Kontingentträger-System. Der zentrale Kontingentträger war das Ministerium für Gesundheit der DDR, es teilte die einzelnen Literatur- Kontingente und damit auch die Devisen und finanziellen Mittel an die Teilkontingentträger auf. Teilkontingentträger waren die Bezirke der DDR, diese teilen

94 Vgl. Rede aus den Unterlagen des MfG

dann die Kontingente weiter auf an die Unterkontingentträger, wie Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen usw. Die Teilkontingentträger waren auch verpflichtet, eine Kartei kontingentpflichtiger Zeitschriften und Bücher zu führen, weswegen eine Leihbibliothek empfohlen wurde.95

Literatur wurde in der DDR in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Es gab freie Literatur, darunter fielen alle in der DDR publizierten Werke, kontingentpflichtige Literatur, das waren die meisten im Ausland publizierten Werke, dazu zählte auch das sozialistische Ausland, und Sperrliteratur. Unter Sperrliteratur fielen zum Beispiel auch westdeutsche Publikationen wie „Ärztliche Mitteilungen“, „Der angestellte Arzt“, „Der deutsche Arzt“, „Gesundheitspolitische Umschau“ oder „Pharmazeutische Zeitung“.

Diese Zeitungen wurden in die DDR nur „in einzelnen Exemplaren eingeführt und im Ministerium für Gesundheitswesen unter Verschluss gehalten. Mit der Genehmigung der Leitung unseres Ministeriums kann Einsicht genommen werden.“96 So versuchte die DDR- Führung, unliebsame und ihrer Meinung nach „Bürger-gefährdende“

wissenschaftliche Literatur auch von den meisten Ärzten fernzuhalten.

Für den Import der ausländischen Literatur gab es den „Deutschen Buch Ex- und Import“. Dieser war zuständig für das Beschaffen der gewünschten ausländischen Literatur. Dafür standen eine vorher festgelegte begrenzte Menge an Valuta und Devisen in drei verschiedenen Währungen zu Verfügung (Mark, Dollar, Franc), die nicht miteinander verrechnet werden konnten. Gerade in den letzten Jahren der DDR wurde diese Menge aufgrund der vorherrschenden Devisenknappheit immer geringer.

Wollte ein Wissenschaftler nun eine bestimmte ausländische Publikation erhalten, musste er einen Bestellschein vom Unterkontingentträger wie das Krankenhaus oder die Universität, in der er arbeitete, benutzen und ausfüllen. Diese Bestellscheine waren bereits vorgedruckt und vorfrankiert, so dass nur die gewünschte Publikation eingetragen werden musste. Dann musste der Schein von Unterkontingentträger (Krankenhaus) und Teilkontingentträger (Bezirksverwaltung) gegengezeichnet werden.

Erst dann wurde er weitergeleitet an die Verlagsbuchhandlung, und eine Kopie des Bestellscheines an den zentralen Kontingentträger (Gesundheitsministerium). Daraufhin setzte sich die Verlagsverwaltung mit dem Deutschen Buch Ex- und Import in Verbindung, der die gewünschte Publikation dann erwarb und sie dem Besteller

95 Vgl. Richtlinien zur kontingentpflichtigen Literatur

96 Vgl. Richtlinien zur kontingentpflichtigen Literatur

zuschickte. Dabei war der Besteller angehalten, strengste Sparsamkeit bei der Literaturbestellung walten zu lassen. Außerdem durfte nur zweckgebundene Literatur geordert werden, es sollte vor Bestellung geprüft werden, ob es bereits gleichwertige Literatur in der DDR oder in anderen sozialistischen Ländern gebe, bevor Literatur aus einem nicht-sozialistischen Land bestellt werde. Bei teurerer Literatur sollte diese mit anderen Einrichtungen geteilt oder kopiert werden, um die Kosten gering zu halten.

Bestellungen für dritte Personen waren nicht erlaubt, Bestellungen für private Verwendung durften nur maximal 10% der Bestellungen ausmachen, private Bestellungen von kontingentpflichtigen Zeitschriften waren nicht möglich.97

Dieses System der Literatur- Bestellung wurde von den Wissenschaftlern unterschiedlich empfunden.

Professor Jänisch zum Beispiel empfand die Beschaffung ausländischer Literatur nicht als sehr restriktiv, im Gegenteil, er empfand es als Hilfe, kostenlos die Unterstützung des staatlichen Bibliothekenwesens in Anspruch zu nehmen. Außerdem profitierten er und alle Wissenschaftler von dem System der Sonderdruckbestellungen. Dies beruhte auf der Tatsache, dass fast alle wissenschaftlichen Zeitschriften ihren Autoren von einer Veröffentlichung, zumeist kostenlos, eine bestimmte Zahl von Sonderdrucken zur Verfügung stellten. Mit einer Anforderungskarte konnte man den Autor anschreiben und um Zusendung bitten. Voraussetzung dafür war, dass man Kenntnis von der Publikation hatte und die Anschrift des Autors kannte. Letzteres wurde leicht möglich, als in den USA ein wöchentlich erscheinendes Verzeichnis der medizinischen Zeitschriftenpublikationen mit Angabe der Autorenadressen herausgegeben wurde, der sog. "Current Contents". Er enthielt vorwiegend die Inhaltsverzeichnisse US-amerikanischer und britischer medizinischer Zeitschriften. „Current contents“ wurde laut Professor Jänisch von den DDR- Bibliotheken bezogen, so dass man oft schon den Sonderdruck bestellen konnte, bevor noch die Zeitschrift selbst in der DDR angekommen war.

Professor Gottschalk, empfand die Beschaffung von ausländischer Literatur als kompliziert und einschränkend. So durfte zum Beispiel Literatur aus Israel, Chile, Taiwan und Südafrika generell nicht eingeführt werden.

97 Vgl. Richtlinien zur kontingentpflichtigen Literatur

Dieses doch sehr kontrollierte System der Literaturbestellung führte einerseits dazu, dass die DDR-Führung alle legal ins Land kommenden Publikationen kontrollieren und nur gewünschte Literatur ins Land lassen konnte, andererseits war auch bei jeder Bestellung von ausländischer Literatur klar, welche Person diese Literatur gefordert hatte, da immer eine Kopie des Bestellscheines an das Gesundheitsministerium geschickt wurde. Auch bekam das Ministerium so einen sehr genauen Überblick, was (legal) in der DDR von den Wissenschaftlern gelesen wurde. Nicht zuletzt konnte die politische DDR-Führung durch Verbieten von nicht genehmer Literatur aktiv auf die Meinungsbildung der Wissenschaftler Einfluss nehmen. So berichtete Professor Gottschalk, dass auch aus diesem Grund ein einfaches Kopieren der Publikationen nicht möglich gewesen wäre, aus Angst vor der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern zur „Volksverhetzung“ oder zu „Propagandazwecken“. Deshalb wurde bei Kopien immer noch häufig mit Durchschlägen mit Kohlepapier gearbeitet, obwohl die modernen drucktechnischen Möglichkeiten eigentlich schon gegeben gewesen seien.