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3. Konzepte einer »Solaren Wasserstoffwirt

3.5 Drei ausgewählte große Entwürfe

Da die vorliegenden »großen Entwürfe« (vgl. Tabelle 10) kein einheitliches Bild einer solaren Wasserstoffwirtschaft geben, sondern im Gegenteil recht unterschiedlich sind, erschient es sinnvoll, einige Konzepte stellvertretend auszuwählen und auf der Grund­

lage der in Kapitel 1 und 2 behandelten Kriterien zu bewerten. Folgende Entwürfe sind aus meiner Sicht aus den jeweils angegebenen Gründen repräsentativ:

Tabelle 12

Ausgewählte Konzepte und Auswahlgründe

Vertreter Gründe für die Auswahl

Bockris und Justi Schwerpunkt Elektrochemie: früher Entwurf; Energie-Direkt-Um- wandlung; grundlegend für viele weitere Konzepte

Dahlberg Photovoltaische Sonnenenergie-Wandlung; konsequentes Farm­

konzept; selbstreproduzierende Einheiten; exponentielles Wachstum

Winter und Nitsch Neuester Entwurf; Berücksichtigung dezentraler Elemente; an gegenwärtige Situation anknüpfend; umfassendes Energiekon­

zept

Quelle: eigene Zusammenstellung

Im folgenden werden diese drei Konzepte näher beschrieben.

3.5.1 Konzept von Bockris und Justi

Der Entwurf beruht auf Arbeiten des Chemikers John O’Mara Bockris der A & M University Texas und von Forschern des Physikzentrums der TU Braunschweig

Neben dem deutschen Sammelband »Wasserstoff. Die Energie für alle Zeiten« von John O’Mara Bockris und Eduard Justi (1980), welcher zum Teil auf dem englischen Buch »Energy. The Solar-Hydrogen Alternative« von Bockris beruht und angereichert wurde durch Beiträge verschiedener Autoren zu speziellen Themen wie »Photolyse«

oder »Sonnenenergie-Technik«, gehören folgende Veröffentlichungen meiner Ein­

schätzung nach zum selben Entwurf einer Wasserstoffwirtschaft:

(1) eine technikorientierte Vision (»materialist utopia« vgl. S. 104) der unerschöpfli­

chen, billigen Energieversorgung in einem Buch von Linda Baine McGown und John O’Mara Bockris (1980), in dem unter anderem auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln auf vollsynthetischer Basis (mit Wasserstoff aus Elektrolyse her­

gestellte Proteine) vorhergesagt wird (ebenda, S. 165). Im dritten Teil, überschrie­

ben »The Hydrogen Economy« (S. 201 ff.), wird einleitend festgestellt: »Professor E. Justi was one of the pioneers of the idea of hydrogen as a universal fuel«

(ebenda, S. 202);

(2) eine Studie von Peter Brennecke (1985), der ebenfalls auf Vorarbeiten von Justi verweist und über »konzeptionelle Überlegungen und experimentelle Untersu­

chungen zur Sonnen-Wasserstoff-Wirtschaft, die am Institut für Technische Physik der Technischen Universität Braunschweig durchgeführt wurden« (ebenda, S. 68), berichtet. Neben Darstellungen zum Stand der Forschung bei der Wasserelektro­

lyse und bei Brennstoffzellen, zur katalytischen Verbrennung von Wasserstoff, so­

wie zum Projekt einer »Speicherröhre« zum Wasserstofftransport (siehe unten), weist Brennecke darauf hin, daß die Möglichkeit, Sonnenenergie in Form von Wasserstoff aus sonnenreichen Ländern zu importieren, ausdrücklich in den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission »Zukünftige Kernenergie-Po­

litik« des Deutschen Bundestages enthalten sei (vgl. ebenda, S. 85). Auch die Ent­

würfe von Reinhard Dahlberg und Joachim Nitsch werden erwähnt, letzterer mit dem Zusatz: »In dieser Darstellung (...) spiegeln sich die grundlegenden, von Justi angegebenen Komponenten der Sonnen-Wasserstoff-Wirtschaft wider«

(ebenda, S. 73).

(3) Schließlich zähle ich noch das Lehrbuch »Modern Electrochemistry« von John O’Mara Bockris und Amulya K. N. Reddy (1970) dazu, in dem die Autoren aus­

führlich auf die elektrochemischen Eigenschaften des Wasserstoffs eingehen und neben der Technik von Energiewandlung und -Speicherung auch Aspekte der En­

ergiewirtschaft und zukünftige Möglichkeiten der Welt-Energieversorgung erör­

Wenn ich diese Schriften bzw. die darin beschriebenen Elemente einer solaren Wasserstoffwirtschaft als ‘Konzept von Bockris und Justi’ zusammenfasse, so deshalb, weil alle wesentlichen darin beschriebenen Ideen auch in dem erwähnten Sammelband enthalten sind. Insofern handelt es sich um einen Entwurf, der folgende zentrale Merkmale aufweist:

(1) Sonnenenergie und Atomenergie (Brüter, Hochtemperatur-Reaktoren, langfristig Fusion) als unerschöpfliche Primärenergiequellen;

(2) zentraler Umsatz dieser Energieformen in Strom in Kraftwerken fernab von den Orten des Energieverbrauchs, gekoppelt mit Elektrolyse und Transport von Was­

serstoff und Sauerstoff.

(3) Schwerpunkt der Energietechnik auf direkter, elektrochemischer Energiewand­

lung.

Bockris und Justi veröffentlichten Abbildung 6 mit dem Zusatz: »Erstes konkretisiertes und quantifiziertes Blockdiagramm einer Solar-H2-Wirtschaft von Justi 1964. (...) Es handelt sich um die wohl älteste wirklichkeitsnahe Darstellung der von Bockris 1972 publizierten ‘Solar Hydrogen Economy’« (Bockris und Justi 1980: 53).

Die gleiche Abbildung, allerdings ohne »Tankstelle für Elektromobile« und mit eng­

lischer Beschriftung, ist in einem Band von Linda Baine McGown und John O’Mara Bockris (1980: 130) enthalten. Dieser Entwurf enthält als zentrale Elemente fünf Punkte:

(1) Die Erzeugung von schwerem Wasser (D2O) für Atomreaktoren.

(2) Die elektrochemische Rückverstromung des Wasserstoffs mittels Brennstoffzellen und magneto-hydrodynamischen Großkraftwerken (MHD).

(3) Die Konzeption zweier Rohrnetze für Wasserstoff und Sauerstoff.

(4) Die Auslegung der Rohrnetze als Energiespeicher zum Ausgleich tageszeitlicher Schwankungen (Konzept einer »Speicherröhre«, vgl. Abbildung 7).

(5) Die Bezeichnung »quantifiziertes Blockdiagramm,« die auf der groben Abschät­

zung beruht, daß der (damalige) Strombedarf der Bundesrepublik Deutschland mit einer Kollektorfläche von 918 km2 zu decken wäre.

Abbildung 6

Erster Entwurf von Bockris und Justi

Oa- Gasometer

Slohlwerke -Oj—£

Tankstelle fü r Elektromobile

Schweißtechnik - 0,—£

Salzwasser ■*£

. Industrielle

|* / Slromverbraucher

B r.B J= £ -L u fl 'erkehrsbelriebe

, 3——L. siromvi

Luft -dßr£Z. + / -H --H j__L

Großkraftwerk Kommunoie Slromverbroucher

Br El. ^ f-L u ft

■» Jlaushatt * Industrie - t> Wärme

Chemische Industrie !*-£

Quelle: Bockris und Justi 1980: 53.

Zu Punkt 4 beschrieben Bockris und Justi (1980: 36f) eine »konkretisierte Version von 1974«, die in Abbildung 7 (S. 62) wiedergegeben ist. Hierbei handelt sich um das Er­

gebnis einer Projektstudie, die eine Sonnenfarm in Huelva/Gibraltar als Primärener­

giequelle vorsieht. Dort soll Wasserstoff erzeugt werden, der durch eine Rohrleitung nach Karlsruhe geleitet und ins deutsche Verbundnetz eingespeist wird. Vor Ort soll er

o.IO Abbildung 7 Konkretisiertes Projekt von Bockris und Justi

WASSERSTOFF-ENERGIESPEICHERRÖHRE NACH JUSTI (HYDROGEN ECONOMY) 460 GW

verbrannt, verströmt oder als Rohstoff verwendet werden. Die Rohrleitung von Spa­

nien nach Karlsruhe soll durch wechselnden Betriebsdruck die tageszeitlich schwan­

kende Wasserstoffproduktion ausgleichen und eine gleichmäßige Einspeisung ins Netz erlauben. Die Autoren nennen sie deshalb »Speicherröhre«.

Bockris und Justi definieren »Wasserstoffwirtschaft« als » ... ein Energie-Regime, in dem alle Energiequellen benutzt werden, um Wasserstoff (H2) zu produzieren, der dann gesammelt, gespeichert und verteilt werden kann als ein restlos umweltfreundli­

cher Vielzweck-Brennstoff. Der Sonderfall einer ‘Sonnen-Wasserstoff-Wirtschaft’ liegt dann vor, wenn wenigstens ein Teil der in Wasserstoff umgesetzten Primärenergie aus der Sonnenstrahlung stammt« (ebenda, S. 13).

3.5.2 Bewertung des Konzepts von Bockris und Justi

Am Anfang des Sammelbandes, direkt im Anschluß an die erste Verwendung des Be­

griffes »Wasserstoffwirtschaft«, erheben Bockris und Justi einen hohen Anspruch:

»Diese zugegeben ebenso scharfe wie abstrakte Definition wird in den folgenden Kapi­

teln ausgiebig in allen Aspekten behandelt und dadurch veranschaulicht.« (ebenda, S.

13). Im ersten Kapitel werden die Erwartungen weiter geschürt. Nachdem ausführlich Standort- und Blockgrößen-Probleme, Kühlwassermangel und Klimagefahren von Kohle- und Kernkraftwerken diskutiert wurden, sowie eine Aufzählung von möglichen Vorteilen des Wasserstoffs (vor allem die billigere Fernleitung) erfolgt ist, schreiben Bockris und Justi auf Seite 34: »Durch diese Analyse der aktuellen Sorgen der Energie­

technik und durch die damit verbundene Vorausschau auf die (...) folgenden Kapitel haben wir die eingangs gegebene abstrakte Definition (...) mit soviel aktuellen tech­

nisch-wirtschaftlichen Einzelheiten und aktuellen Bezügen ausgefüllt, daß wir sie uns nun auch anschaulich im Zusammenhang vorstellen können ...« Darauf folgt das

»generelle Blockschema einer Wasserstoffwirtschaft«, welches aber weder Einzelheiten noch aktuelle Bezüge enthält (siehe Abbildung 8).

Zur Untermauerung eines ihrer Argumente für Wasserstoff, dem Vergleich der Transportkosten von Energie in Form von Erdgas, Wasserstoff oder Elektrizität über große Entfernungen, geben Bockris und Justi zwei Diagramme mit Ergebnissen einer Kosten-Untersuchung der American Gas Association (Gregory 1972) wieder und zie­

hen aus beiden den Schluß, daß ab etwa 380 km die Transportkosten für Energie durch

Wechselstrom. Allerdings zeigt das eine Diagramm nur die Investitionskosten verschie­

dener Übertragungssysteme, nicht die laufenden Kosten, und weist auch nur für die niedrigsten angesetzten Elektrolysekosten einen Vorteil für Wasserstoff aus (vgl. Bock- ris und Justi 1980: 29), überdies mit einer falschen Quellenangabe. Die in dem zweiten Diagramm (ebenda, S. 47) fehlende Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung er­

scheint im ersten Diagramm als gleich teuer wie die Wasserstoff-Pipeline, wird aber im Text als zu aufwendig bezeichnet.

Abbildung 8

Blockschetna einer Wasserstoffwirtschaft von Bockris und Justi

Quelle: Bockris und Justi 1980: 35.

Mein wesentlicher Kritikpunkt betrifft jedoch nicht diese Details, sondern die Behand­

lung der Umweltverträglichkeit der Wasserstoffwirtschaft, der immerhin ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Schon im ersten Teil ihres Buches weisen Bockris und Justi mehrfach auf das Verbrennungsprodukt Wasser hin und der Wasserstoff wird als »100 Prozent umweltfreundlicher« Energieträger bezeichnet (ebenda, S. 31, 48). Die Auto­

ren implizieren damit, daß ein Brennstoff, der nur Wasser erzeugt, keine negativen Einwirkungen auf die Umwelt haben könne, was so pauschal sicher nicht richtig ist.

Als erstes Ziel der Wasserstoffwirtschaft wird des weiteren die Steigerung des Ener­

gieumsatzes pro Kopf für jedermann genannt, »ohne in eine unerträgliche Umweltver­

schmutzung zu geraten«. Im Kapitel 14 »Umweltprobleme« (ebenda, S. 363-368) heißt es dann: »Wenn man indessen die Umwelteinwirkungen einer Energiewirtschaft be­

trachtet, darf man nicht nur den Einfluß auf die Qualität von Luft und Wasser ermit­

teln; wir müssen auch nach dem Verbrauch der Rohstoffvorräte fragen und nach ande­

ren Einflüssen auf die Umwelt, welche die Einführung der betreffenden Technologie mit sich bringen würde.« (ebenda, S. 363) Darauf folgt aber weder eine Bestandsauf­

nahme der möglichen Einflüsse auf Luft und Wasser, noch des Verbrauchs von Roh­

stoffen, sondern eine stark verkürzte Darstellung der Ergebnisse eines Systemver­

gleichs von H. J. Plass nach einer einfachen Gleichung von Barry Commoner zur Ab­

schätzung der Umwelteinwirkungen von Energieträgern. Diese werden in tabellari­

scher Form zusammengefaßt und sollen belegen, daß »eine auf Sonnenenergie gegrün­

dete H2-Wirtschaft nur ungefähr 40 Prozent der Umweltverschmutzung eines auf Kern­

spaltungsreaktoren beruhenden H2-Systems verursacht« (Bockris und Justi 1980: 366).

Erwähnt wird noch, daß Plass eine von S. Brubaker verwendete Klassifikation von Um­

weltschäden anhand einer »Umwelt-Matrix« benutzt habe, wobei aber offen bleibt, wie die Quantifizierung zustande kam.

Es folgt noch eine »Allgemeine Diskussion« auf zwei Seiten, in der festgestellt wird, daß als Luftemissionen Stickoxide und Wasser aufträten (hier fälschlich als »Immissio­

nen in die Atmosphäre« bezeichnet; ebenda, S. 367), wobei erstere durch katalytisch­

kalte Verbrennung unterhalb von 1000 °C oder durch Verstromung in ebenfalls kalten Brennstoffzellen »völlig vermieden« werden könne, während das Wasser als hochreines Nebenprodukt kondensiert und aufgefangen werden könne und eine »aktuelle Bedarfs­

lücke auszufüllen bestimmt« sei (ebenda).

Zwei weitere Punkte werden erwähnt: Die Entstehung von Peroxid (H2O2) in Wär­

mekraftmaschinen mit den Hinweis: » ... diese Verunreinigung von nur 0,02 Prozent in kondensiertem H2O ist wahrscheinlich belanglos, weil es in gewöhnlichen Gefäßen und in Gegenwart von Licht schnell wieder zerfällt«. Außerdem wird als ästhetischer Vor­

teil der Wasserstoffwirtschaft der Übergang von überregionalen Hochspannungs-Frei­

leitungen auf unterirdische Rohrleitungen genannt.

Im übrigen enthält das Buch von Bockris und Justi (1980) eine Vielzahl von Unge­

reimtheiten in der Angabe der Quellen und in den Literaturlisten. Die zum ersten Ent­

wurf (vgl. Abbildung 6) angegebene Quelle »Justi 1964 (2-8b)« taucht in der Literatur­

Die »konkretisierte Version von 1974« (vgl. Abbildung 7) taucht zweimal auf; einmal mit doppelter und falscher Quellenangabe auf Seite 38, zum anderen mit der richtigen Quelle »Justi 1974« und unter Angabe der richtigen Quelle zum ersten Blockdiagramm (Justi 1965), allerdings mit dem falschen Verweis auf »Fig. 2.2 in diesem Buch«. Unklar bleibt auch, warum in dem Buch ganz unterschiedliche Bezeichnungen für »Wasser­

stoffwirtschaft« verwendet werden. Zum Teil wird der Begriff für einzelne Projekte oder für grobe Schemata verwendet (vgl. Abbildung 8); Kapitel 2 mit dem Titel »Die Wasserstoff-Wirtschaft« nennt dagegen nur summarisch einige Ziele und mögliche Vorteile der Wasserstoffwirtschaft und geht ausführlicher nur auf den Ursprung des Konzepts ein.

Fazit: Das Buch von Bockris und Justi wird dem selbst gestellten Anspruch in seiner Verallgemeinerung nicht gerecht, da nur die direkten Einwirkungen der Wasserstoff- Verbrennung berücksichtigt werden. So bleiben vor allem die Umwelteinwirkungen der benötigten Infrastruktur und der Wirtschaftskraft (vgl. das Ziel, den Energieumsatz der Weltbevölkerung auf »einige 10 kW je Kopf« [Bockris und Justi 1980: 48] zu erhö­

hen!) völlig außer Betracht. Trotzdem heißt es: »Hinsichtlich der Verunreinigung von Wasser und Luft ist H2 ein durchweg idealer Energieträger, und seine allgemeine Ein­

führung würde es erst gar nicht zu einer Entstehung von unerwünschten Immissionen kommen lassen« (ebenda, S. 368).

3.5.3 Konzept von Dahlberg

Grundlage des Konzepts von Reinhard Dahlberg, dem langjährigen Leiter des Ge­

schäftsbereichs Halbleiter bei AEG-Telefunken, sind drei miteinander verknüpfte Ge­

danken, welche die technische, die räumliche und die zeitliche Struktur betreffen:

1. Technisch: Nutzung der Sonnenenergie allein durch Photovoltaik;

2. Räumlich: Nutzung allein in zentralen Großanlagen mit Solarfarmen (»Planta­

gen«).

3. Zeitlich: Aufbau eines globalen Systems der Wasserstoffwirtschaft durch selbstre­

produzierende automatische Fabriken (»Kombinate«).

Durch gewaltige Investitionen sollen damit die Grundlagen für den weltweiten Über­

gang zu einer stabilen, langfristig gesicherten Energieversorgung auf der Basis von So­

larem Wasserstoff gelegt werden. Im einzelnen schlägt Dahlberg ein dreiphasiges Ent­

In einer ersten Phase von etwa zehn Jahren (»Anlaufphase«) werden zwei Prototyp- Kombinate gebaut, die, mit Sonnenenergie betrieben, Material und Anlagen für gleich­

artige Kombinate herstellen (»Selbstreproduktion«). In der zweiten Phase von zehn Jahren entsteht die erste »Plantagenfamilie« aus zehn identischen Anlagen mit jeweils 10-20 km2 aktiver Solarzellenfläche. Die dritte Phase, etwa weitere fünfzig Jahre, bringt die eigentliche großtechnische Entwicklung: Jede Plantagenfamilie nebst Kom­

binat produziert weitere Plantagen nebst Kombinaten. »Durch diesen Prozeß der Selbstreproduktion könnten innerhalb von nur 60 Jahren an zehn verschiedenen Stel­

len der Erde notfalls mehr als 400 000 solare Wasserstoffplantagen entstehen.« (Dahl­

berg 1986: 12 f.; die Jahrsangabe enthält nicht die Zeit für die Anlaufphase) Zur Erläu­

terung fügt Dahlberg eine Weltkarte mit eingezeichneten vorgesehenen Plantagenflä­

chen und kurzer Erklärung hinzu:

Abbildung 9

Plantagenflächen des Dahlberg-Konzepts

Die Sonnenplantagen

Würde das Dahlberg-Programm in vollem Umfang realisiert, so könnten große Teile der Wüsten wirtschaftlich genutzt werden.

Die großtechnische Nutzung der Sonnen­

energie würde in sogenannten Plantagen­

familien (dunkle Flächen) erfolgen. Im Sonnengürtel der Erde, in dem über 2200

Kilowattstunden Sonnenenergie pro Quadrat­

meter und Jahr einfällt, könnte praktisch die gesamte Primärenergie erzeugt werden, die die Weltbevölkerung in rund 100 Jahren benötigen wird. Wollte man den Heizwert des von den Plantagen Familien erzeugten Wasserstoffs mit Hilfe von Biomasse gewin­

nen, bräuchte man mehr als zehnmal soviel Raum.

Quelle: Dahlberg (1986: 13).

In einer Abschätzung des Kapitalbedarfs für dieses, wie er selbst festeilt, » ... bisher größte Vorhaben der gesamten Menschheit«, kommt er unter verschiedenen Annah­

men bezüglich der erreichbaren Kostendegression und Wirkungsgradverbesserungen auf eine Summe zwischen 19 000 und 35 000 Milliarden DM (Dahlberg 1980: 51). In einer späteren Veröffentlichung nennt Dahlberg sogar bis zu 800 000 Milliarden DM (Dahlberg 1982: 13). Als Beleg für die prinzipielle Realisierbarkeit führt er eine Kapi- tal-Rückflußrechnung durch und zeigt, daß die über eine angenommene Lebensdauer von 50 Jahren insgesamt einzusetzenden Mittel etwa den 18-fachen Betrag erwirtschaf­

ten könnten, was einer jährlichen Verzinsung der Investitionen von sechs Prozent ent­

spräche (ebenda, S. 8).

Weiterhin geht Dahlberg auf Berechnungen von Walter Seifritz ein, mit denen die­

ser die Überlegenheit der Atomenergie gegenüber der Sonnenenergie als Substitut für fossile Energieträger zeigen wollte. Dessen Ansatz eines »statischen Emtefaktors« und einer »dynamischen Betrachtung« stellt Dahlberg den »integralen Erntefaktor« entge­

gen, der das Verhältnis des Energieoutput zum Energieaufwand für das gesamte Sy­

stem über den gesamten Zeitraum bis zur vollständigen Etablierung darstellt. Er schätzt diesen Faktor für seine verschiedenen Varianten einer solaren Wasserstoffwirt­

schaft auf 15 bis 60 (ebenda, S. 13).

Als Voraussetzungen für die Realisierung seines Konzepts nennt Dahlberg neben den immensen finanziellen Vorleistungen die Notwendigkeit, »viel effektivere« indu­

strielle Produktionsmethoden, beispielsweise durch weitgehende Automatisierung, Standardisierung und Durchplanung der Plantagen und Kombinate zu erreichen (vgl.

Dahlberg 1981: 27 ff.). Er fordert auch die Schaffung neuer politischer Randbedingun­

gen, ohne diese jedoch näher zu bezeichnen (ebenda, S. 29).

Zum Thema »Solarwirtschaft und Umweltbelastung« führt Dahlberg vier Punkte an:

Erstens die Vermutung, daß die großflächigen Sonnenplantagen örtliche Klimaände­

rungen bewirken könnten, da der Transport solaren Wasserstoffes zu einer »gewissen Umverteilung der Sonnenwärme« führt. Zweitens die saubere Verbrennung von Was­

serstoff zu Wasser, die ihn zu einem »durchweg idealen Energieträger« mache (hier zi­

tiert er Bockris und Justi 1980). Drittens die Möglichkeit, durch Auffangen dieses Ver­

brennungsprodukts die »Wasserknappheit in der Welt« zu beenden und die hygieni­

schen Verhältnisse der Bevölkerung zu verbessern. Und viertens die Nutzung des bei der Elektrolyse anfallenden Sauerstoffes für die Metallurgie und zur Beseitigung von Umweltgiften (»Umkehrung der Pollution«, ebenfalls Zitat aus Bockris und Justi 1980)

Weiterhin geht Dahlberg auf die Möglichkeit ein, die Plantagen so einzurichten, daß unter den Gerüsten der photovoltaischen Zellen Landwirtschaft möglich wird, was zwar eine Bewässerung notwendig machen würde, aber zu »einer Art Symbiose« von Solar- und Landwirtschaft führen könne (ebenda, S. 14).

Zum Schluß seiner Ausführungen beschreibt er die Grundlage seiner »optimisti­

schen« Perspektive für die Zukunft. Er bezieht sich auf die düstere Prognose des »Glo- bal-2000-Reports« und stellt fest: »Das Modell der Solaren Wasserstoff-Plantagen setzt gegen diesen apokalyptischen Pessimismus das Prinzip einer rationalen Hoffnung: Die Technik und die technische Industrialisierung, die unsere Welt in die heutige Situation geführt haben, geben uns auch die Mittel, welche aus der vermeintlichen Sackgasse herausführen können.« (ebenda, S. 16)

3.5.4 Bewertung des Konzepts von Dahlberg

Durch die Reduktion der Frage, ob das Konzept machbar und wirtschaftlich sei, ver­

meidet Dahlberg die Diskussion der grundsätzlichen Prämissen, auf denen seine tech­

nisch-wirtschaftliche Utopie ruht. Zwei dieser Prämissen sind:

1. Entscheidung für langfristige Sachzwänge

Das Dahlberg’sche Konzept kann nur funktionieren, wenn es über Jahrzehnte kon­

sequent und ohne wesentliche Änderungen ausgeführt wird. Der Zwang zur Auto­

matisierung und Standardisierung erlaubt nur geringe nachträgliche Anpassungen oder Abweichungen.

2. Notwendigkeit einer fehlerfreien Funktion

Das Prinzip der Selbstreproduktion technisch identischer Anlagen bei diesem Kon­

zept setzt eine weitgehende Fehlerfreiheit der Produkte, Prozesse und Organisa­

tionsformen voraus. Diese muß bei der Planung und beim Betrieb laufend garan­

tiert werden, und zwar sowohl bezüglich möglicher Konstruktionsfehler (Abwei­

chungen vom theoretischen Ideal), als auch bezüglich möglicher Produktionsfehler (Abweichungen vom Plan).

Diese Prämissen machen die Umsetzung des Konzepts meines Erachtens technisch, wirtschaftlich und politisch unmöglich, da sie prinzipiell nicht erreichbar sein dürften.

Insbesondere die Fehlerfreiheit dürfte utopisch sein, zumal im Konzept nicht vorgese­

hen ist, verschiedene Techniken und Organisationsformen ‘auszuprobieren’ und an

Auch die einseitige Betonung einer großtechnischen und zentralistischen Lösung für alle Bereiche der Energieversorgung erscheint utopisch, zumal nicht vorausgesetzt wer­

den kann, daß alle beteiligten Regierungen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger bereit wären, ein solch gigantisches Projekt mit zu tragen. Nicht zuletzt wäre eine der­

artige technische ‘Monokultur’ extrem sabotagegefährdet, so daß eine strikte hierarchi­

sche Kontrolle aller Beteiligten notwendig wäre - auch dies sicher kaum durchsetzbar, geschweige denn gesellschaftlich wünschenswert.

Daneben scheint mir die biologistische Verbrämung des Konzepts äußerst fragwür­

dig. Dahlberg hebt wiederholt das Prinzip der »Selbstreproduktion technisch identi­

scher Plantagen« hervor und nennt dies eine »Kopplung von höchster industrieller Technik mit Organisations- und Produktions-Formen der belebten Natur« (Dahlberg 1982: 16). Dies zeigt, daß er einem zweifelhaften Begriff von biologischer Fortpflan­

zung huldigt, denn in der Natur ist gerade die Variation der Nachkommen und die An­

passung an Vorgefundene Standortbedingungen eine wesentliche Eigenschaft der Re­

produktion. Nur unter Laborbedingungen ist eine identische Reproduktion von Lebe­

wesen möglich. Auch die Bezeichnung »Symbiose« für die gemeinsame Raumnutzung von Landwirtschaft und Energiewirtschaft zeigt, daß Dahlberg nicht inhaltlich, sondern eher plakativ argumentiert.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Frage der Umweltverträglichkeit bei Dahlberg auf einige pauschale Feststellungen reduziert wird und daß - wie auch bei Bockris und Justi - die Umwelteinwirkungen der Infrastruktur und der Wasserstoffher­

stellung nicht berücksichtigt werden.

Fazit: Dahlbergs Konzept entpuppt sich meines Erachtens als utopisch, weil es al­

lein auf perfekte und in gigantische Ausmaße gesteigerte industrielle Technik setzt und sowohl die menschlichen und historischen Wurzeln derselben, als auch die wirtschaftli­

chen, sozialen und ökologischen Folgen völlig außer acht läßt. Bezogen auf die wirt­

chen, sozialen und ökologischen Folgen völlig außer acht läßt. Bezogen auf die wirt­