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Ausgangslage

Im Dokument Polizeigesetz (PolG) (Seite 4-7)

2.1 Entstehung und Entwicklung der heutigen Rechtsgrundlagen

Mitte der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts bestanden hinsichtlich Aufgaben und Zu-ständigkeiten der bernischen Polizeiorgane zahlreiche verschiedene Erlasse. Vor diesem Hin-tergrund war unschwer zu erkennen, dass das Polizeirecht des Kantons Bern einer Revision bedurfte, sowohl bezüglich des Organisationsrechts der Kantonspolizei als auch des materiel-len Polizeirechts. Insbesondere waren die polizeilichen Aufgaben von Kanton und Gemeinden auf Gesetzesstufe zeitgemäss neu zu regeln. Mit Ausnahme des gerichtspolizeilichen Be-reichs waren zudem die polizeilichen Massnahmen und der polizeiliche Zwang auf Gesetzes-stufe noch gänzlich ungeregelt. Pièce de résistance des neuen Gesetzes war die erstmalige umfassende Regelung der Grundsätze des polizeilichen Handelns und die kaskadenhaft auf-gelisteten und genau umschriebenen polizeilichen Zwangsmassnahmen. Der Kanton Bern hat hier, zeitgleich mit Basel-Stadt, schweizweit Pionierarbeit geleistet. Zahlreiche andere Kanto-ne sind ihm seither gefolgt. Die einschlägigen Bestimmungen dürfen noch heute als hervorra-gende Gesetzesarbeit gewertet werden. Das Polizeigesetz (PolG) wurde zur Grundlage des polizeilichen Handelns im Kanton, und zwar sowohl für die Kantonspolizei als auch für die damaligen Gemeindepolizeien.

Mit einer Teilrevision vom 11. März 2007 wurden die verschiedenen damals bestehenden kommunalen Polizeieinheiten in die Kantonspolizei überführt (Projekt «Police Bern»); es sollte somit im Kanton Bern in Zukunft nur noch eine uniformierte Polizei, nämlich die Kantonspolizei geben. An der Kompetenzaufteilung zwischen den Gemeinden und dem Kanton sollte sich aber mit der so verstandenen Einheitspolizei grundsätzlich nichts ändern: während die Ge-meinden nach wie vor für die Sicherheits- und Verkehrspolizei sowie die Amts- und Vollzugs-hilfe zuständig sind, ist die Kantonspolizei zuständig für die Aufgaben der Gerichtspolizei. Nur sollten die Gemeinden ihre Aufgaben neu nicht mehr umfassend mit eigenen Mitarbeitern er-füllen. Sind nämlich polizeiliche Massnahmen erforderlich, deren Ausübung eine polizeiliche Ausbildung voraussetzt, obliegt der Vollzug, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, insbesondere im gewerbepolizeilichen und vereinzelt im Migrationsbereich, einzig der Kan-tonspolizei. Demnach liegt das Gewaltmonopol grundsätzlich nur noch beim Kanton. Die Ge-meinden erhalten polizeiliche Leistungen, abgestuft nach ihren Bedürfnissen:

 Die meisten kleineren Gemeinden beanspruchen von der Kantonspolizei nur einzelne Leistungen, insbesondere solche die keinen Aufschub ertragen, sowie Einsätze bei aus-serordentlichen Ereignissen. Solche Leistungen der Kantonspolizei erfolgen im Rahmen von deren Grundauftrag unentgeltlich. Wird indessen eine gewisse Anzahl solcher Ein-zeleinsätze der Kantonspolizei überschritten, wird den Gemeinden von der Kantonspolizei dafür Rechnung gestellt.

 Eine Gemeinde kann bei der Kantonspolizei einzelne, klar definierte Leistungen bestellen.

Sie schliesst dafür mit der Kantonspolizei resp. der Polizei- und Militärdirektion einen so-genannten Leistungseinkaufsvertrag ab. Der Umfang der Arbeitsleistung von zwei Perso-naleinheiten im Mittel pro Jahr darf dabei nicht überschritten werden.

 Wird das eben erwähnte Limit überschritten, können grössere Gemeinden für den Einkauf von umfassenden Leistungen sogenannte Ressourcenverträge mit der Kantonspolizei bzw. der Polizei- und Militärdirektion abschliessen. Wie damals angenommen, bestehen heute mit 26 Gemeinden 17 solcher umfassenden Vertragswerke. In den Jahresplanun-gen werden die zu erbrinJahresplanun-genden LeistunJahresplanun-gen sowie deren Umfang festgelegt. Dabei wer-den zwischen der Gemeinde und der Kantonspolizei die Einsatzschwergewichte, Ziele und Rahmenbedingungen abgesprochen. Die Festlegung der operativen und taktischen Be-lange, insbesondere die Einsatzstärke sowie die einzusetzenden Mittel, obliegen der Kan-tonspolizei. Ist der Umfang der vertraglich vereinbarten Leistungen im Durchschnitt eines Jahres, insbesondere in Folge Schwerpunktsetzungen, dauerhaft über- oder unterschrit-ten, so ist der Vertrag anzupassen.

Das bestehende Polizeigesetz erfuhr in der Zeit seines Bestehens zudem verschiedene klei-nere Teilrevisionen.

2.2 Evaluation Police Bern

2.2.1 Gegenstand und Rahmenbedingungen der Evaluation

Im Auftrag der Polizei- und Militärdirektion wurde gemeinsam und unter Einbezug der Ge-meinden von Januar 2012 bis April 2013 das Projekt «Evaluation Police Bern» durchgeführt.

Zweck der Evaluation war es einerseits, die bisherigen Erfahrungen mit der Neuregelung zu würdigen und andererseits, aktuelle neue Fragestellungen klären und zukünftig mögliche Probleme und deren Lösungen aufzeigen. Sie sollte insbesondere Möglichkeiten darlegen, wie die Kantonspolizei ihr Angebot für die Gemeinden kurzfristig sinnvoll ausweiten und ver-bessern kann. Die bestehende Grundkonzeption mit einer unveränderten Verantwortung der Gemeinden für die gemeindepolizeilichen Aufgaben und der operativen Umsetzung durch eine Kantonspolizei, der das Gewaltmonopol zukommt und die einheitlich, uniformiert und unter der Leitung des Polizeikommandos auftritt, sollte dabei unverändert bleiben. Es standen weder eine Kantonalisierung der Polizeiaufgaben noch die Rückkehr zur Situation vor dem Projekt Police Bern zur Diskussion. Untersucht wurden die Bereiche Steuerung der vertraglich vereinbarten Leistungen durch Gemeinden, Grundversorgung, Leistungserbringung, Finanzie-rung der Sicherheitsleistungen und Umfeldbedingungen.

2.2.2 Ergebnisse der Evaluation und Optimierungsvorschläge

Die Evaluation ergab, dass das System «Police Bern» gut funktioniert. In den Bereichen Steuerung, Grundversorgung, Leistungserbringung und Finanzierung haben Kanton und Ge-meinden gemeinsam folgende Optimierungsvorschläge ausgearbeitet, wobei nicht in allen Bereichen Konsens erzielt wurde:

Im Bereich Steuerung bestand dahingehend Übereinstimmung, dass neue Steuerungsmög-lichkeiten bei Geschwindigkeits- und Verkehrskontrollen sowie bei Brennpunkten und gezielte Verbesserungen der Informationsinstrumente wünschenswert sind. Innerhalb dieses Themen-bereiches wurden im Einzelnen für folgende Punkte Massnahmen und Anpassungen vorge-schlagen:

- Steuerung Geschwindigkeitskontrollen - Steuerung Verkehrskontrollen

- Brennpunktsteuerung

- Bessere Verankerung der Sicherheitsdiagnose - Verbesserung Jahresberichterstattung

- Optimierung und Vereinheitlichung der Journalauszüge der Kantonspolizei

Als Folge dieser Fragestellungen wurde als Sofortmassnahme der Leitfaden Gemeinden erar-beitet, in welchem bereits verschiedene Punkte umgesetzt werden konnten, sofern dies im Rahmen des geltenden Rechts möglich war (vgl. auch sogleich Ziff. 2.2.3).

Im Bereich Grundversorgung umfassen die Empfehlungen von Kanton und Gemeinden drei Elemente: Ein Modell zur Berechnung des vom Kanton zu tragenden «Grundbereitschaftsan-teils» der Ressourcengemeinden, einen stundenmässigen Pauschalabzug der unentgeltlichen

«einzelnen Ereignisse» bei Ressourcengemeinden sowie eine Präzisierung der Definition der

«ausserordentlichen Ereignisse». Hier musste festgestellt werden, dass die Problemstellung im Rahmen der vorliegenden Totalrevision des Polizeigesetzes zu beantworten ist.

Innerhalb des Bereichs Leistungserbringung, insbesondere der Kompetenzabgrenzung, fanden sich unterschiedliche Auffassungen über deren Ausmass und Tragweite. Vorab im Bereich der Identitätsfeststellung, wo die Gemeinden zusätzliche Kompetenzen fordern, sowie im Bereich der Amts- und Vollzugshilfe, wo die Frage des zusätzlichen Leistungseinkauf über

sicherheitspolizeilich gebotene Leistungen hinaus zur Diskussion steht, sollen allfällige An-passungen im Gesetz erfolgen.

Auch der Bereich der Finanzierung soll im Rahmen der Arbeiten zur Totalrevision des Poli-zeigesetzes eingebracht werden. Die bestehenden Regelungen lassen keinen Raum für kurz-fristige Anpassungen, zumal Änderungen der Finanzierungsmodelle zu massgeblichen finan-ziellen Verschiebungen führen können.

2.2.3 Umgesetzte Optimierungsmassnahmen

Soweit zwischen Kanton und Gemeinden Einigkeit bestand und vorgeschlagene Empfehlun-gen nicht zwinEmpfehlun-gend eine Gesetzesänderung erforderten, wurden sie im Zug der Evaluation im Jahr 2014 umgesetzt. Im Bereich Steuerung wurden die Steuerungsmöglichkeiten der Ge-meinden bei Geschwindigkeits- und Verkehrskontrollen und die Information für Ressourcen-gemeinden verbessert sowie die Möglichkeit eingeführt, sicherheitspolizeiliche Brennpunkte zu definieren. Im Bereich der Grundversorgung wurde die Anzahl Einzelereignisse (Interven-tionen) definiert, welche die Ressourcenvertragsgemeinden zugute haben. Im Bereich Leis-tungserbringung kam es mit der Einführung der Verbindungsbusse zu einer Kompetenzerwei-terung bei den Ordnungsbussen. Zudem können Gastgewerbekontrollen neu über den Res-sourcenvertrag abgewickelt werden.

2.3 Gestoppte Teilrevision 2013

Anders als ursprünglich vorgesehen, wurden mit der Teilrevision vom 4. April 2011 in einer zeitlich beschleunigten Gesetzesänderung nur die angesichts des Inkrafttretens der Eidge-nössischen Strafprozessordnung per 1. Januar 2011 dringenden Punkte Observation und ver-deckte Ermittlung zur Straftatverhinderung umgesetzt. Die übrigen Punkte bildeten zwar Ge-genstand eines entsprechenden Gesetzesentwurfs, der im Sommer 2012 auch das ordentli-che Vernehmlassungsverfahren durchlief. Dieses hat zu gemischten Reaktionen geführt. Ins-besondere betrafen zahlreiche Kritikpunkte das Verhältnis Gemeinden – Kanton. Dieses stand indessen in einem engen Zusammenhang mit der damals kurz vor dem Abschluss stehenden Evaluation von «Police Bern». Es war absehbar, dass nach dessen Behandlung im Grossen Rat im Herbst 2013 erneuter Handlungsbedarf entstehen würde. Betreffend der vorgesehenen ergänzenden Bestimmungen zur verdeckten Fahndung und vorbereitenden Legendierung wurde mit gutem Grund eingewendet, der diesbezüglich schon weit fortgeschrittenen Revision der Eidgenössischen Strafprozessordnung sollte nicht vorgegriffen werden. Schliesslich wur-den von verschiewur-denen Seiten weitere, zusätzliche Revisionspunkte beliebt gemacht. Um die Revisionskadenz des Polizeigesetzes nicht ungebührlich zu erhöhen, hat der Regierungsrat daher Ende 2012 beschlossen, auf die vorgesehene Teilrevision zu verzichten und das Poli-zeigesetz unmittelbar nach Abschluss der erwähnten Evaluation von Police Bern einer umfas-senden Revision zu unterziehen. Folgende Punkte aus der Teilrevision 2013 wurden nun an-lässlich der aktuellen Totalrevision erneut geprüft:

- Verstärkung des Bereichs Prävention

- Konkretisierung der rechtlichen Grundlage für Polycom (Sicherheitsfunknetz des Kan-tons für alle Blaulichtorganisationen)

- Erweiterung der Kompetenz zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zur Observation sowie zur verdeckten Vorermittlung und zur verdeckten Fahndung

- Die Möglichkeit zur Legendierung von verdeckten Ermittlern

- Zusammenarbeit mit privaten Informanten und verdeckten Ermittlern - Grundlage zur Sicherstellung und Prüfung sowie Vernichtung von Hanf

- Grundlage zur Einführung eines direkten Abrufverfahrens zu Gunsten des Bundes und der Kantone in Bezug auf polizeiliche Daten

- Grundlage der Kompetenzzuteilung für Videoüberwachungen an öffentlichen Orten

- Abgrenzung der anwendbaren Datenschutzbestimmungen, d.h. Übernahme der Be-stimmungen zum Datenschutz des Bundes, soweit Applikationen des Bundes betroffen sind

- Grundlage zur Verrechnung von Aufwendungen an den Verursacher, insbesondere auch wenn Dritte zur Aufgabenerfüllung beigezogen werden müssen

- Grundlage für die Bearbeitung der Personendaten durch die Fachstelle Drohung und Gewalt

- Erweiterte Grundlagen im Bereich Häusliche Gewalt 2.4 Parlamentarische Vorstösse und Planungserklärungen

Seit der letzten Revision des PolG sind verschiedene parlamentarische Vorstösse im Grossen Rat angenommen worden, mit welchen dem Regierungsrat konkrete Prüfaufträge oder ver-bindliche Gesetzgebungsaufträge erteilt worden sind. Zudem hat der Grosse Rat am

11. September 2013 im Nachgang an die Evaluation «Police Bern» verschiedene Planungser-klärungen erlassen. Die Vorstösse und PlanungserPlanungser-klärungen betreffen schwergewichtig die Leistungserbringung im Bereich öffentliche Sicherheit und Ordnung (Übertragung der politi-schen Verantwortung für die Kantonspolizei an den Kanton, Einkauf von Vollzugshilfeleistun-gen bei der Kantonspolizei, Übertragung polizeilicher Kompetenzen an die Gemeinden im niederschwelligen Ordnungsbereich) aber auch Fragen der Finanzierung (Tragung der Si-cherheitskosten durch den Kanton, Überwälzung von Veranstaltungskosten auf den Verursa-cher) sowie der Prävention (Gewaltprävention, inkl. Daten- und Informationsaustausch, Ver-kehrsunterricht). Ob und inwiefern die zahlreichen Vorstösse mit der Revision des Polizeige-setzes umgesetzt werden, wird später im Rahmen der Grundzüge der Neuregelung (Ziff. 3) oder der Kommentierung der einzelnen Bestimmungen (Ziff. 7) erläutert.

2.5 Projektorganisation der Gesetzesrevision

Die Projektorganisation setzt sich zusammen aus dem Gesamtprojektausschuss (GPA) als strategischem Organ, der Gesamtprojektleitung als koordinierendem Element und Dach über zwei operativ tätige Teilprojekte, die unterschiedliche Themenfelder bearbeiten. Während sich das eine Teilprojekt der Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden im komplexen Gesamtsystem «Leistungserbringung Sicherheit Kanton Bern» annimmt, widmet sich das zweite Teilprojekt der Vielzahl der weiteren Revisionspunkte. Der GPA trägt die strategische Gesamtverantwortung für das Projekt und vertritt dieses in der Öffentlichkeit. Er trägt die grundlegende Entscheidkompetenzen und beaufsichtigt die operativen Tätigkeiten im Projekt.

Die Gesamtprojektleitung wurde in einer ersten Phase mit einer externen Person besetzt, in einer zweiten Phase dem stellvertretenden Generalsekretär der Polizei- und Militärdirektion übertragen. Das Projekt wird unterstützt durch den Rechtsdienst sowie weitere Abteilungen der Kantonspolizei, einen externen Rechtskonsulenten sowie eine externe Juristin.

Die Gemeinden wurden im Rahmen von Workshops und Arbeitsgruppensitzungen in die Mo-deldiskussion sowie anschliessend in die Erlassredaktion zum sicherheitspolizeilichen Bereich einbezogen.

Im Dokument Polizeigesetz (PolG) (Seite 4-7)