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Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse in NRW, Bremen und Hamburg

Die ersten Bundesländer, in denen die bisheri-gen Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen im Lichte der UN-BRK vollständig beseitigt wurden, waren Nordrhein-Westfalen im Juni 2016, gefolgt von Bremen im Februar 2018 und Hamburg im Mai 2018. In diesen Bundesländern dürfen nun beide bislang von Wahlrechtsausschlüssen betroffene Personen-gruppen – sowohl Menschen mit einer Betreuung in allen Angelegenheiten als auch schuldunfähige Straftäter_innen, die sich auf richterliche Anord-nung in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden – gleichberechtigt wählen und gewählt werden.

Positiv hervorzuheben ist, dass die Abgeordne-ten während der parlamentarischen Befassung

mit den jeweiligen Gesetzesvorlagen auch auf die menschenrechtlichen Vorgaben aus Arti-kel 29 UN-BRK verwiesen, sich mit den daraus resultierenden Verpflichtungen auseinanderge-setzt und trotz damals gängiger verfassungs-rechtlicher Vorbehalte entsprechend gehandelt haben.

Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Sozia-les zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Erstes allgemeines Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein- Westfalen (Drucksache 16/12130), S. 66 f. https://www.

landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenar-chiv/Dokument/MMD16-12130.pdf

Blickt man auf die Landtags- und Kommunalwah-len, bestand von Anfang an ein heterogenes Bild, denn in etwa der Hälfte der Bundesländer war die zweitgenannte Gruppe von Menschen mit Behin-derungen schon 2009 nicht vom Wahlrecht aus-geschlossen. Dieses Bild ist seitdem noch bunter geworden. Mit der Verpflichtung konfrontiert, auch ihr Landeswahlrecht konventionskonform gestalten zu müssen, sind in einigen Ländern echte Umsetzungserfolge zu verzeichnen: Bereits 2016 haben Nordrhein-Westfalen und Schles-wig-Holstein, gefolgt 2018 von Bremen, Hamburg und Brandenburg sowie 2019 von Berlin, ihr Wahlrecht im Lichte der UN-BRK geändert und die bisherigen Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderungen aufgehoben.158 Thüringen hat vergleichbare änderungen angekündigt. Die restli-chen Bundesländer warten dagegen bis heute ab, wie der Bund mit den Wahlrechtsausschlüssen bei Bundestags- und Europawahlen verfährt.

Auch im Bund ist jetzt nach langem Zögern der Kurs eingeschlagen, allen Menschen mit Behinderungen das Wahlrecht einzuräumen.

Nachdem der aktuelle Koalitionsvertrag der

Regierungsfraktionen im Bund vorsah, wenigs-tens einen der beiden Ausschlusstatbestände zu beseitigen159, ohne dass dies bis Ende 2018 in die Tat umgesetzt worden wäre, hat nun das Bundesverfassungsgericht Klarheit geschaf-fen. In einem am 21.02.2019 veröffentlichten Beschluss hat das Gericht festgestellt, dass die bestehenden Wahlrechtsausschlüsse von Men-schen mit Behinderungen bei Bundestagswah-len verfassungswidrig sind und deshalb nicht mehr angewendet werden dürfen.160 Kraft dieser Entscheidung sind die bundesrechtlichen Vor-schriften zur Wahlberechtigung und zur Wählbar-keit, soweit sie die Bundestagswahl betreffen, nunmehr konventionsgemäß. Leider gilt das noch nicht in Bezug auf die Europawahl: Da die Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht automatisch auch auf das Europawahlgesetz wirkt, bestehen die dortigen identischen, glei-chermaßen diskriminierenden, Wahlrechtsaus-schlussregelungen formal weiter fort. Hier bedarf es also nach wie vor eines aktiven Tätigwerdens des Deutschen Bundestages, um diese grund- und menschenrechtswidrigen Wahlrechtsaus-schlüsse zu beseitigen.

158 Zu den Einzelheiten siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (2016), S. 116 und Deutsches Institut für Menschenrechte (2018), S. 132–134.

159 CDU / CSU / SPD (2018), Ziff. 4380–4384.

160 Bundesverfassungsgericht (2019): Beschluss vom 29.01.2019.

Hinweise:

(1) Die Angaben zu den Bundesländern beziehen sich sowohl auf die Landtags- als auch die Kommunalwahlen.

(2) In Sachsen haben Personen, die im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, nur bei Kommunalwahlen das aktive und passive Wahlrecht.

(3) Die im Bundeswahlgesetz enthaltenen Ausschlüsse für Bundestagswahlen wurden durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und sind deshalb nicht mehr anwendbar (Beschluss vom 29. Januar 2019 – 2 BvC 62/14)

Quelle: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle-un-brk/monitoring/wahlrecht/ (Stand: März 2019) Wahlrecht für Personen, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten haben

Wahlrecht für Personen, die im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind oben: aktives Wahlrecht | unten: passives Wahlrecht

Landtags- und Kommunalwahlen

Europawahl Bundestagswahl(3)

DAS RECHT, SICH AN DEMO KRATISCHEN WAHLEN ZU BETEILIGEN 55

7.3 Fazit und Empfehlungen

In den letzten zehn Jahren sind Fortschritte bei der Ausübung des Wahlrechts zu vermelden: Vor allem Informationen zur Wahl und Wahlunterlagen sind inzwischen zugänglicher gestaltet. Kritikwürdig bleiben die im Bund und vielen Bundesländern wei-ter bestehenden wahlrechtlichen Ausschlusstat-bestände. Der ausdrücklichen Empfehlung des UN-Ausschusses von 2015, diese Wahlrechts-ausschlüsse von Menschen mit Behinderungen aufzuheben161, sind bislang nur sechs Bundeslän-der nachgekommen. Auf Bundesebene bedurfte es erst einer Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts, um die Wahlrechtsausschlüsse betref-fend die Bundestagswahl zu beseitigen.

Die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskon-vention empfiehlt dem Deutschen Bundestag, – die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit

Behinderungen im Europawahlgesetz ersatzlos aufzuheben; vor dem Hintergrund der bundes-verfassungsgerichtlichen Entscheidung sollten sich die Fraktionen des Deutschen Bundestags neuer Regelungsversuche enthalten, die gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen oder in unauflösbare Wertungswidersprüche führen.

Daneben empfiehlt die Monitoring-Stelle den Landtagen aller Bundesländer,

– ihr Landes- und Kommunalwahlrecht, soweit noch nicht geschehen, unter Beachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts grundgesetz- und konventionskonform auszu-gestalten und die verbliebenen Wahlrechtsaus-schlüsse schnellstmöglich aufzuheben.

Die Monitoring-Stelle empfiehlt darüber hinaus, – den Regierungen in Bund und Ländern, die

Rahmenbedingungen kontinuierlich weiter zu verbessern, damit Menschen mit Behinderun-gen ihr aktives und passives Wahlrecht nicht nur bei Wahlen, sondern auch im politischen Alltag gleichberechtigt ausüben können, so etwa beim Zugang zu politischer Information und Meinungsbildung; und

– den Parteien in Bund und Ländern, die Mög-lichkeit zur politischen Mitwirkung ihrer Mitglie-der mit BehinMitglie-derungen zu verbessern.

161 UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2015), Ziff. 53 f.