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Der Aufbau von Humankapital

Im Dokument Januar ostdeutschen (Seite 37-43)

BRD Abnehmernetzwerk des VEB Thüringer Teppichfabriken 1990 Abbildung 15:

D. Der Aufbau von Humankapital

Der Aufbau eines Humankapitals, das den ostdeutschen Betrieben das Überleben sichert, ist daher von grundlegender Bedeutung. Er erfolgt durch Lernen und durch Import von Know-How.

Unsere Untersuchungen in ostdeutschen Betrieben zeigen, daß die eigenen Anstrengun-gen, das erforderliche Humankapital durch Lernen zu bilden, außerordentlich groß sind.

Das gilt nicht nur für den Besuch von Lehrgängen und Schulungsmaßnahmen, sondern in besonders hohem und bewunderungswürdigem Maße auch für die persönliche Lern-bereitschaft der Mitarbeiter. Lernen aber braucht Zeit, und eine gesamte Organisation lernt langsamer als ein einzelner. Die Zeit aber arbeitet gegen die ostdeutschen nehmen im Transformationsprozeß. Die Zeit kann verkürzt werden, wenn die Unter-nehmen westliches Wissen "importieren", also z.B. dadurch, daß sie westdeutsche Mitarbeiter einsetzen.

Die LEW Hennigsdorf ist ein gutes Beispiel. Die AEG bekundete bereits im Februar 1990 gegenüber der Treuhandanstalt ihre Übernahmeabsicht. Bis zum 1.6.1992 waren Mitarbeiter der AEG als Berater bei LEW Hennigsdorf tätig. Dadurch wurden unsichere Pfade in der Umstrukturierung des LEW Hennigsdorf vermieden. Die AEG gewährte den ausgegliederten Betrieben eine Starthilfe. Dadurch blieb das in diesen Betrieben vorhandene Humankapital erhalten. Es blieb für die AEG Schienenfahrzeuge GmbH auch weiterhin nutzbar. Das war wichtig. Die AEG-Berater nahmen auch schon vor der endgültigen Übernahme des Werkes durch die AEG umfangreiche Schulungsmaß-nahmen für die Mitarbeiter von LEW Hennigsdorf vor.

Der Aufbau des erforderlichen Humankapitals ist dort am effizientesten verlaufen, wo es zu einer konfliktfreien Zusammenarbeit von Mitarbeitern aus dem Osten mit Wissensträgern aus dem Westen kam1 1. Die positiven Erfahrungen einer solchen Zusammenarbeit überwiegen die negativen. Im Transformationsprozeß sind die Kenntnisse des ostdeutschen Mitarbeiters, insbesondere seine Improvisationsfähigkeit, seine Menschen- und Mentalitätskenntnisse unverzichtbar. Gleichzeitig ist aber auch eine gewisse Härte und Durchsetzungskraft im Umstrukturierungsprozeß erforderlich.

Sie ist nur bei den westdeutschen Mitarbeitern vorhanden. Der entscheidende Unter-schied besteht offenbar in den Einstellungen und weniger im Wissen. Wissen kann, ent-sprechende Lernbereitschaft vorausgesetzt, schnell erworben werden. Einstellungen ändern sich langsamer. In der DDR mußte man einen Plan machen, aber er wurde nicht ernstgenommen Nun muß der Plan auch tatsächlich erfüllt werden. Die Einstellung zur

Verbindlichkeit der Pläne war i m Osten eine grundsätzlich andere als i m Westen. Diese Einstellung ändert sich nur langsam. Vor wie nach 1989 gab es in den Industriebetrieben Pflichtenhefte. Der ostdeutsche Mitarbeiter ist jedoch geneigt, aufgrund seiner früheren Verhaltensprägung das Pflichtenheft auch heute noch nicht ernst zu nehmen. Der west-deutsche Mitarbeiter besteht darauf, daß das Pflichtenheft erfüllt wird. Diese Einstellung muß der westdeutsche Mitarbeiter bei seinen ostdeutschen Kollegen bewirken und festi-gen, wenn der Transformationsprozeß gelingen soll. Der Aufbau des erforderlichen Humankapitals in den Betrieben Ostdeutschlands erfordert mithin nicht nur einen mas-siven Transfer von Geld in die neuen Bundesländer, sondern auch einen beträchtlichen Transfer von Humankapital. Dieser hat offenbar mit den Finanztransfers nicht Schritt gehalten. Hier liegt nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen eines der großen Probleme der Transformation ostdeutscher Betriebe in die Marktwirtschaft. Die Mobili-tät des Humankapitals ist offenbar im Westen nicht groß genug. Rühmliche Ausnahmen bestätigen die Regel.

E . Schlußfolgerungen für die Transformation

Der theoretische Ansatz, den wir bei den empirischen Arbeiten, über die ich hier berich-tet habe, verfolgen, ist der Ansatz der Humankapitaltheorie. Aus unseren Untersuchun-gen ergeben sich eine Reihe von SchlußfolgerunUntersuchun-gen für die Weiterentwicklung dieser Theorie.

Die mikroökonomischen Humankapitalmodelle nehmen nur geringe Differenzierungen beim Humankapital vor. Das Verständnis des Transformationsprozesses erfordert weitergehende Differenzierungen..

Die Unterscheidung zwischen systembezogenem und systemindifferentem Humankapi-tal erscheint geboten. Diese Unterscheidung greift bei den verschiedenen Faktoren, hier z.B. objektbezogener Arbeit und dispositiver Arbeit. Die Produktionsfaktoren können folglich nicht eindeutig dem systemindifferenten Bereich zugerechnet werden.

Die Unterscheidung zwischen systembezogenem und systemindifferentem Humankapi-tal erscheint jedoch nicht hinreichend. Systembezogenes HumankapiHumankapi-tal ist weiter zu unterscheiden in solches, das auch gemeinsamen kulturellen Wurzeln herrührt, und solches, das aus unterschiedlichen Systemen stammt. Vierzig Jahre Sozialismus in der DDR haben gemeinsame kulturelle Wurzeln nicht tilgen können. Das erleichtert den Aufbau von Humankapital für das Überleben der Volkseigenen Betriebe in der Markt-wirtschaft. Abbildung 17 faßt diese Überlegungen zusammen.

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Abb. 17: Weiterentwicklung der Humankapitaltheorie

Humankapital ist ein Netzfaktor. Wissen bei jedem einzelnen Mitarbeiter setzt entspre-chendes Wissen bei den Partnern in den Abnehmer- und Lieferantennetzwerken, in den Informationsnetzwerken und in den Normensystemen voraus. In der Theorie sind bisher nur Netzprodukte untersucht worden. Es ist zu prüfen, ob die Theorie der Netzprodukte auch für Netzfaktoren entwickelt werden kann.

Probleme der Messung von Humankapital sind hier nicht angesprochen worden. Sie bereiten uns erhebliche methodische Schwierigkeiten. Die Messung von der Kostenseite knüpft an die Arbeitsplatzbewertung und an die Leistungslöhne sowie an die Ausgaben für Schulungsmaßnahmen in den Betrieben an. Die Messung von der Ertragsseite her folgt den qualitativen Meß- und Bewertungsverfahren, die die Sachverständigen-kommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung entwickelt hat. Es ist noch viel zu tun.

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Anmerkungen:

1 Parmentier, K., Plicht, H., Stooß, F . , Troll, L . : Berufs- und Erwerbsstrukturen West- und Ostdeutschlands im Vergleich. Ergebnisse aus der BIBB/IAB-Erhebung 1991/92, in: Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nr. 176, Nürnberg 1993.

2 Vogt, H.: Bildung für die Zukunft. Entwicklungstendenzen im deutschen Bildungswesen in West und Ost, in:

Cor.ze, W. u.a. (Hrsg.): Die deutsche Frage in der Welt, Bd. 5, Göttingen, S. 52 ff.

3 ebenda, S. 33.

4 Hegelheimer, A.: Meßkonzepte des gesamtwirtschaftlichen Bildungskapitals, in: Schmidt, H. (Hrsg.):

Humanvermögensrechnung, Berlin-New York 1982, S. 303-333, hier S. 325 ff. Die Angaber. gelten für das Jahr 1957.

^ Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band: Die Produktion, 1. Aufl., Berlin-Göttingen-Heidelberg 1951. Der Einsatz des Faktors Arbeit in dem von Gutenberg als systemindifferent gedachten Kombinationsprozeß ist nur in einem sehr engen technischen Sinne "systemindifferent".

6 vgl. etwa den Human-Research-Report und das Human-Research-Capitai-Budget der R.G. Barry-Corporation, in:

Woodruff, R. L . jr.: Die Humankapitalrechnung der R.G. Barry-Corporation - Konzepte und Erfahrungen, in:

Schmidt, H. (Hrsg.): a.a.O., S. 99-126.

•' Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung: Studien und Materialien, Bd. 1:

Anlagen zum Abschlußbericht, Bielefeld 1974, S. 89 ff.

8 vgi. Aibach, H.: Zum Einfluß der Belegschaft auf die Willensbildung in den Betrieben der Bundesrepublik Deutschland und der sogenannter. 'Deutschen Demokratischen Republik", in: Kloten, N. u.a.m. (Hrsg.): Systeme und Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwisser.schaften, Festschrift für Erwin von Beckerath zum 75. Geburtstag, Tübingen 1964, S. 423-457.

9 Es ist darauf hingewiesen worden, daß sich unsere Definition der Netzwerke vor. der in der Soziologie üblichen unterschiede. Diese Ansicht ist irrig. Allerdings sind diese Beschaffungsnetzwerke im Gegensatz zu Informations¬

und Ethik-Netzwerken der Soziologie gerichtete Netzwerke: Güterströme fließen wie die Ströme von der !sourcc" zur

"sink" und nicht bergauf. Informationsnetzwerke sind zweiseitige Netzwerke.

10 Albach, H.: Zerrissene Netze, Berlin 1993.

'1 vgl. auch Schuster, F.: Das Innovationspotentiai der Pharmaindustrie in den neuen Bundesländern, Working Paper No. 6, WHU Koblenz, 1993.

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