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Jeder kennt die Schilder im Hotelbadezimmer, die daran appellieren, die Handtücher auf den Haken zu hängen, um die tägliche Wäsche zu vermeiden: »Leisten Sie einen Beitrag zum Umweltschutz.«

Ich stelle mir jetzt vor, dort stünde: »Können Sie sich vorstellen, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen, wenn Sie Ihr Handtuch am Haken lassen? Leisten Sie einen Beitrag für die Wirtschaft. Werfen Sie Ihr Handtuch auf den Boden, damit es täglich gewaschen wird. Das sichert Jobs und Beschäftigung und ist gut für den Wohlstand.«

Klingt absurd? Genau das ist der Normalfall. Deswegen werden heute immer noch ganze Dörfer weggebaggert und Flughäfen aus-gebaut. Und deshalb gibt es auch kein Tempolimit auf der Autobahn oder eine blaue Plakette für saubere Autos, weil das ja womöglich Arbeitsplätze gefährden könnte. Auch die National Rifle Association, die mächtige Waffenlobby der USA, ist sich nicht zu schade, das Job-argument zu bemühen, um jede Regulierung der Waffengesetze ab-zuschmettern.

Was hilft denn der gesunde Wald, was das intakte Klima, wenn die Menschen keine Arbeit haben? Gute Frage. Dann also erst mal den Wald »verbrauchen«. Den Hinweis unter Mails »Save Paper – Think Before You Print« ändern wir in: USEPAPERANDPRINT – DON’T LETTHEECONOMYSHRINK.

Müssten wir uns nicht vielmehr fragen: Was helfen die Jobs, wenn sie der Selbstzerstörung dienen? Und was ist mit den Jobs, die dem Klimaschutz dienen?

Es ist verständlich, dass Stromkonzerne im Bündnis mit den Ge-werkschaften der Braunkohleindustrie die Energiewende ausbremsen wollen. Nachvollziehbar ist auch die Sorge um Stellenabbau und Job-verlust.

Aufgabe der Politik ist es jedoch, nicht nur auf partielle Interessen einzugehen, sondern das Ganze, die ganze Gesellschaft, im Blick zu haben. Inzwischen verdienen weit mehr als 360.000 Menschen mit erneuerbaren Energien ihr Einkommen. In der Braunkohleindustrie sind noch 20.000 Menschen beschäftigt. Da müsste eigentlich klar sein, was zu tun ist.

Haben Sie Visionen? Können Sie sich vorstellen, dass Reformen und Veränderungen positive Effekte haben? Gut so! Denn: Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

Unterwegs

Freitagnachmittag. Feierabend. Wochenendstimmung. Wenn da nicht der Verkehr wäre. Wo man hinschaut, die Straßen sind verstopft. Fast 50 Millionen Pkw sind in Deutschland mittlerweile zugelassen, dazu kommen noch mal drei Millionen Lkw und vier Millionen Motorrä-der. Als wäre das nicht längst schon viel zu viel, wächst die Fahrzeug-dichte immer weiter. Allein in den letzten zehn Jahren kamen sieben Millionen weitere Kraftfahrzeuge hinzu.

Dabei sprechen Umfragen regelmäßig eine ganz andere Sprache.

Die Mehrheit der Bundesbürger ist vom ewigen Stau genervt, 90 Pro-zent wünschen sich weniger Autos in der Stadt. Viele junge Leute wol-len gar kein Auto mehr besitzen. Carsharing wird immer beliebter, die Nutzung von E-Bikes, mit denen sich auch längere Strecken mü-helos zurücklegen lassen, wächst rasant. Haben diese Entwicklungen denn gar keinen Effekt?

Leider nein. Entgegen der kollektiven Selbstimagination hat sich die Situation verschlimmert. Die Energiewende ist – zwar langsam, aber immerhin – auf dem Weg, die Verkehrswende findet nicht statt.

Auch beschauliche Städtchen wie Münster oder Osnabrück müssen einräumen, dass der Autoverkehr in der Stadt in den vergangenen Jahren noch mal um zehn bis 15 Prozent zugelegt hat.

Bei keinem anderen Thema ist die Bilanz der letzten zwanzig Jahre so düster wie beim Verkehr. Die Energiewirtschaft hat ihre CO2- Emission um fast 30 Prozent verringert, die Industrie um ein Drit-tel, und bei Gebäuden liegt die Reduktion bei 40 Prozent. Nur bei der Mobilität, da gibt es keine Fortschritte.

Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist klar, dass es langfristig nicht

so weitergehen kann wie bisher. Beim Abendessen mit Freunden ist Klimaschutz immer häufiger ein Thema. Alle sind sich einig, dass et-was getan werden muss gegen die globale Erwärmung. Der Hitzesom-mer 2019 hat deutlich vor Augen geführt, dass es ohne entschiedenen Klimaschutz nicht geht. Nach dem Abendessen fahren die Gäste dann mit dem Auto nach Hause, womöglich keine drei Kilometer.

Erklärungen sind leicht bei der Hand. Man müsse ja nicht gleich sofort und bei sich selbst anfangen. Außerdem bringe es nichts, wenn einer sein Auto stehen lässt, aber alle anderen weitermachen wie bis-her. Und sowieso seien China oder Indien die sehr viel größeren Pro-duzenten von Treibhausgasen. Das bisschen CO2, das man selbst, ja selbst ganz Deutschland verursacht, falle da doch kaum ins Gewicht.

Individuell betrachtet, ist das eine ganz rationale Überlegung.

Schließlich kann der zum Klimaschutz geneigte Bürger seine Nach-barn nicht zwingen, auf das Auto zu verzichten. Auch werden es nur wenige wagen, ihn darauf anzusprechen. Wer möchte schon als Mie-sepeter dastehen. Und so führt das individuell rationale Verhalten zu einem kollektiv irrationalen Ergebnis. Niemand will den Klima wandel, niemand will sinnlos Ressourcen verfeuern. Trotzdem passiert es.

Dass die Zahl der Fahrzeuge immer weiter zunimmt, ist gar kein Problem, erwidern viele Experten aus der Autobranche. Schließlich würden die Autos ja immer effizienter und klimafreundlicher. Mag sein. Doch für den Klima- und Umweltschutz bringt das wenig, weil die Kraftfahrzeuge immer schwerer und leistungsstärker werden. Im Schnitt hatte im Jahr 2018 jeder Neuwagen 152 PS unter der Haube.

Im Jahr 1995 waren es noch 95 PS.9 Diese Entwicklung wird sogar politisch befördert durch das sogenannte Dienstwagenprivileg.10 Zwei Drittel aller Pkw werden in Deutschland als Dienst- beziehungsweise Firmenwagen gekauft, Tendenz steigend.11

Zugleich hat der Straßengüterverkehr dramatisch zugenommen, weil Unternehmen ihre Lager auf die Straße verlegt haben – »Just in Time«, auf Kosten von Steuerzahlern und Umwelt. Um 20 Prozent liegen die CO2-Emissionen des Lkw-Verkehrs mittlerweile über dem Niveau von 1995.

Ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit hat sich etabliert. Und alle machen mit. Weil wir Kartoffeln aus Ägypten

kau-fen statt bei den Bauern aus der Region. Weil an den Flug- und See-häfen immer mehr Überflüssiges landet und ins Land gekarrt wird.

Weil selbst die Herstellung einer einfachen Lasagne auf fünfzehn Na-tionen verteilt ist.

Eine Politik für enkeltaugliche Mobilität sorgt hingegen für kurze Wege zu Einkaufsmöglichkeiten für den alltäglichen Bedarf. Sie schafft eine exzellente Anbindung zum kostengünstigen Nahverkehr und sorgt für verlängerte Wege zum Auto. Sie reduziert schrittweise die Stellplätze und fördert den Einsatz von besonders sparsamen Per-sonenwagen. Und sie traut sich, die steuerliche Begünstigung von Dienstwagen und Dieselkraftstoff endlich abzuschaffen.