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V Entwicklung der Wissenschafts- und Hochschulpolitik in der SBZ/DDR bis zur Zweiten Hochschulreform 1951

5.3 Arbeiter- und Bauernfakultäten 1949

Einen besonderen Stellenwert im Hochschulwesen der DDR genossen die Gesellschaftswissenschaften und die Pädagogischen Fakultäten, „um die alten -alt im Sinne von ‚bürgerlich dominiert’- Philosophischen Fakultäten

‚auszutrocknen’“333 sowie die Vorstudienanstalten.334

Neben dem Begriff der ‚Demokratisierung’ war die andere Maxime der ersten Hochschulreform die „Brechung des Bildungsprivilegs“335. Nunmehr erhielten nicht mehr Nachkommen aus bürgerlichen Familien bevorzugt die Zugangsberechtigung.

Arbeiter- und Bauernkinder sollten die neue Intelligenz der Deutschen Demokratischen Republik bilden. Um an den Universitäten und Hochschulen studieren zu können, war das Abitur weiterhin die Voraussetzung. Dennoch bestand nun die Möglichkeit, ohne diese Art von Hochschulberechtigung, ein Studium aufzunehmen. Richtlinien dafür fanden sich in den Hinweisen für die Zulassung

331 Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 267ff.

332 Andreas Malycha: „Alle Wege führen zum dialektischen Materialismus”. Wissenschaft und Politik in der SBZ/DDR von 1945 bis 1952, in: Deutschland Archiv 3/2001 (34. Jahrgang), S.

410-426, hier: S. 412.

333 Peter Th. Walther: Bildung und Wissenschaft, in: Matthias Judt (Hrsg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1997, S. 225-291, S. 231.

334 Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk/Stefan Wolle: Roter Stern über Deutschland, Berlin 2001, S. 78.

335 Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung, Widerstand, Verfolgung. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, 26.

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vom Juni 1946. Personen ohne Reifezeugnis mussten Vorstudienanstalten besuchen336, welche ab 1949 in die so genannten Arbeiter- und Bauernfakultäten (ABF) übergingen, die „in der SED-Ideologie wie kaum eine andere Institution der Verklärung und Legitimation des neuen Staates“337 dienten.

„Mit der Brechung des bürgerlichen Privilegs und der Öffnung des Zugangs zu den Universitäten und Hochschulen für die Kinder der Arbeiter und Bauern unternahm die Arbeiterklasse im Bündnis mit den werktätigen Bauern und der Intelligenz einen entscheidenden Schritt zur Verwirklichung des demokratischen Grundrechts der Werktätigen auf Bildung.“338

Die Vorstudienanstalten, deren Mitglieder nicht den Status eines Studenten besaßen, wurden auf der Grundlage von Länder- und Provinzialverwaltungsverordnungen eingerichtet. Zunächst dauerten die Vorstudienkurse nur wenige Monate; ab Herbst 1946 wurde ihre Dauer jedoch auf ein Jahr verlängert. Die Schulungen umfassten einen gesellschaftlichen wie einen naturwissenschaftlichen Teil. Jeder Teilnehmer hatte den Anspruch auf einen Studienplatz erworben. Zwischen Dezember 1947 und Februar 1948 wurden die Vorstudienanstalten den Universitäten angegliedert, womit die Kursteilnehmer die Rechte und Pflichten eines Studenten übertragen bekamen.

Eine Ausnahme bildete das Land Sachsen. 1949 wurde damit begonnen, darüber nachzudenken, wie sich die Vorstudienanstalten umwandeln ließen. Bereits am 24.

Februar 1949 beriet das Zentralsekretariat der SED zum Thema und machte neue, straffere Lehrpläne ebenso zur Bedingung wie eine stärkere politische Durchdringung.339

336 Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/ DDR 1945-1961, Berlin 2003, S. 263.

337 Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/ DDR 1945-1961, Berlin 2003, S. 142.

338 Zit. nach Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung-Widerstand-Verfolgung.

Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, S. 28.

339 Vgl. Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung-Widerstand-Verfolgung. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, S. 30f.

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„Im Mittelpunkt der Erziehung der jungen Erbauer des Sozialismus stand die Vermittlung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse, die sichere Aneignung im Studium und in der sozialistischen Praxis gewonnener Einsichten und Erkenntnisse, die Herausbildung eines festen Klassenstandpunktes und der Fähigkeit, ihn in den politischen Kämpfen um die Festigung und Stärkung des Sozialismus und des Friedens überzeugend vertreten zu können.“ 340

Die gewählte Reihenfolge spiegelt auch die Sicht und die Prioritäten der Parteiführung wider: An erster Stelle standen ideologische Punkte wie Erziehung, Weltanschauung, Klassenstandpunkt. Erst danach folgte die Wissensvermittlung.

Am 31. März 1949 schließlich erfolgte die Erlassung der ‚Kulturverordnung’, welche die Grundlage für die neue Intelligenzpolitik darstellte und die Umwandlung der Vorstudienanstalten in die ABF regelte.

„11. Die bestehenden Kurse zur Vorbereitung von Arbeitern, Bauern und ihren Kindern für das Studium an den Hochschulen (Vorstudienanstalten) sind in dreijährige Arbeiter- und Bauern-Fakultäten umzugestalten. Den volkseigenen Betrieben, Gewerkschaften und öffentlichen Institutionen wird empfohlen, sich an der Sicherung des Unterrichts der von ihnen an die Hochschulen entsandten Studierenden zu beteiligen.“341

Schließlich erließ die DZVV am 21. Mai 1949 die „Richtlinien zur Schaffung von Arbeiter- und Bauernfakultäten“, wodurch Ende Oktober 1949 die ABFs, mit dem Gelöbnis der Absolventen, feierlich eröffnet werden konnten.

„Wir geloben, würdige Vertreter der deutschen Jugend zu sein und danken den Werktätigen unserer Republik, die durch ihre unermüdliche Arbeit die Voraussetzungen für unser Studium geschaffen haben. Wir danken besonders unserem Präsidenten Wilhelm

340 Zit. nach Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung-Widerstand-Verfolgung.

Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, S. 31f.

341 Zit. nach: Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung-Widerstand-Verfolgung.

Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, S. 32.

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Pieck. Vor allem gilt unser Dank der Sowjetunion, der Partei der Bolschewiki ... Unser Dank soll darin bestehen, daß wir für den Frieden lernen, arbeiten und kämpfen.“342

Die Arbeiter- und Bauernfakultäten wurden nach sowjetischem Vorbild errichtet. In der SU existierten bis 1940/41 Arbeiterfakultäten, die so genannten ‚rabfak’, in denen Arbeiter eine Art „Notabitur“ ablegen konnten.343

21 Prozent der Studenten im gesamten Gebiet der SBZ hatten im August 1947 kein Abitur. Den geringsten Prozentsatz hatte Greifswald mit 16,2 Prozent, den höchsten die Technische Universität Dresden mit 39,1 Prozent vorzuweisen. Dennoch fiel die Resonanz auf die Einrichtungen der Vorstudienanstalten und Arbeiter- und Bauernfakultäten nicht durchweg positiv aus. Vor allem gegen Ende der 1940er Jahre wurden immer wieder Zweifel laut, inwieweit diese Einrichtungen wirkliche Garanten für die Heranbildung einer neuen sozialistischen Intelligenz darstellten, zumal sie dem Anspruch nicht Rechnung trugen, dass mindestens 50 Prozent der Studenten aus Arbeiter- und Bauernfamilien stammen sollten.344 Die SED-Betriebsgruppe der ABF Chemnitz begründete dies wie folgt:

„Dabei wurden Menschen angesprochen und [...] geworben, die niemals die Forderung einer zukünftigen klassenbewussten Intelligenz erfüllen können. Die diesjährige Erfahrung zeigt, daß man dadurch eine sehr schlechte Auswahl von Bewerbern erzielte, da nicht mehr die besten jungen Menschen für das Arbeiter- und Bauernstudium gewonnen wurden, sondern alles, was sich selbst meldete bezw. Durch die Agitationsarbeit angesprochen fühlte. [...] Die kurzfristig aufgenommene Werbearbeit zeigte, daß gerade unsere Aktivisten und fortschrittlichen Betriebsarbeiter ... sich nicht kurzfristig zu so einem wichtigen lebensverändernden Schritt entschließen wollten.“345

342 Zit. nach: Waldemar Krönig/Klaus-Dieter Müller: Anpassung-Widerstand-Verfolgung.

Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, Köln 1994, S. 33.

343 Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk/Stefan Wolle: Roter Stern über Deutschland, Berlin 2001, S. 78.

344 Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/ DDR 1945-1961, Berlin 2003, S. 263ff.

345 Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/ DDR 1945-1961, Berlin 2003, S. 269.

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Diejenigen, die erreicht werden sollten, wurden nicht angesprochen. Stattdessen meldeten sich viele, von denen von vornherein klar schien, dass sie die Aufgaben nicht erfüllen können. Der Schritt ging eindeutig in die falsche Richtung.

Bis 1949 hatten 14.550 Personen die ABF besucht. Von ihnen gelang es jedoch nur 4.680, das entspricht ca. 32 Prozent, geschafft, die Hochschulreife zu erlangen. 1951 studierten insgesamt ca. 28.000 Personen an Universitäten und Hochschulen der DDR. 10.000 von ihnen lernten an den Arbeiter-und Bauernfakultäten. Ab Mitte der 1950er Jahre verloren diese immer mehr an Bedeutung, da zunehmend auch Kinder aus den bevorzugten Schichten vor Studienbeginn ihr Abitur ablegten.346

Der Erfolg der ABF ließ in der Praxis zu wünschen übrig, denn die Arbeiter- und Bauernkinder wollten nicht zwangsläufig studieren, und wenn sie sich dennoch dazu entschieden, brachten sie oftmals nicht die dafür notwendigen Voraussetzungen mit.

Tabelle 3: Studenten und Absolventen der Arbeiter-und Bauerfakultäten (zwischen 1949 und 1961) DDR-weit347

Jahr Anzahl ABF Studierende ABF-Kinder (%)

346 Vgl. Werner Wolter: Geschichte der Hochschulreform in der DDR, in: Hilde Schramm (Hrsg.):

Hochschule im Umbruch. Zwischenbilanz Ost. Orientierungen und Expertenwissen zum Handeln, Berlin 1993, S. 60-69, hier: S.6f.

347 Ilko-Sascha Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/ DDR 1945-1961, Berlin 2003, S. 261.

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Tabelle 4: Aufnahmen in die ABF; davon SED-Mitglieder (zwischen 1951 und 1957)348 Jahr Neuaufnahmen davon SED-Mitglieder SED-Mitglieder (%)

1951 3.996 704 17,6

1952 4.596 381 8,3

1953 6.654 524 7,9

1954 4.500 633 14,1

1955 3.326 137 4,1

1956 2.899 117 4,0

1957 2.244 157 7,0