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Arbeit adelt.

Arbeit macht das Leben süß.

Arbeit ist das halbe Leben.

Deutsche Redensarten

Was jeweils als Arbeit bezeichnet wird und was nicht ist nicht naturgegeben, sondern abhängig von geschichtlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Faktoren. So haben sich die Formen und Inhalte dessen, was jeweils als „Ar-beit“ bezeichnet wird, „kontinuierlich gewandelt und werden sich weiter ver-ändern.“ (Willke 1999, 115) Die geschichtliche Entwicklung und Wandlung des Arbeitsbegriffs reicht von der Arbeit als mühevoller Tätigkeit der Armen und unteren Schichten, von der die Herrschenden befreit und klar getrennt sind bis zur kapitalistischen Systemlüge, dass man nur durch harte Arbeit zu Reichtum kommen könne.

Die Worte für Arbeit in europäischen Sprachen sind ihrer Wortherkunft nach meist mit Unlust, Mühsal und Anstrengung verbunden (Negt 1987, 170).

Das Wort Arbeit enthält die Wurzel „arb“ und die Ableitung „eit“. Es hat seinen Ursprung im mittelhochdeutschen „arebeit“, was Mühsal oder Not bedeutet und sich wiederum aus dem germanischen „arbm“ ableitet, ebenso wie unser Wort „arm“. Aus „arb“ wird in den slawischen Sprachen „rab“ bzw.

„rabota“, Knechtsarbeit, Frondienst (Burger 1923, 40). Die „alte Hierarchie zwischen ‚niederen‘ und ‚höheren‘ Tätigkeiten, zwischen bloß nützlichen oder notwendigen Verrichtungen und sinnerfüllten Lebensäußerungen“ schlägt sich in den meisten europäischen Sprachen in Wortpaaren wie ponos/ergon, labor/opus, labour/work, Arbeit/Werk nieder (Offe 1984, 14f). Das französi-sche Wort „traveil“ kommt vom lateinifranzösi-schen „tripalium“ (tripalare=quälen).

In frühzeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften ist der Begriff ‚Arbeit‘

sinnlos, weil man die einzelnen Tätigkeitsformen noch nicht kategorial tren-nen konnte. Es gab keitren-nen sinnvollen Gegensatz zu Arbeit (Krempl 2011, 35).

Später, in der griechischen Antike, war Arbeit Sklavenbeschäftigung. „Sie schloss diejenigen, die sie ausführten, von der Bürgerschaft, also der Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten, aus.“ (Gorz 1989, 28) Die Tätigkeit der Bürger im antiken Griechenland, der polites, wurde nicht als Arbeit angesehen, dafür waren die Sklaven und die Frauen da. Die Bürger diskutierten über De-

mokratie und Dreiecke. Wer arbeitete, war von der Teilnahme an den öffent- lichen Angelegenheiten ausgeschlossen. Muße war der würdevolle Zustand.

Nach Aristoteles ist die würdige Lebensform die der Freiheit, frei von ordi-nären Alltagssorgen. Alle, die sich den Anstrengungen des Erwerbs unterzie-hen müssen, „fallen aus diesem anspruchsvollen Katalog wirklich menschli-cher Lebensformen heraus.“ (Negt 1987, 170) Freiheit definierte sich „vor-nehmlich durch frei sein von Arbeit. Wer arbeiten musste, war nicht nur un-frei, er oder sie galt nicht als Mitglied der Gesellschaft.“ (Beck, U. 1999, 17) Somit war die einzige Möglichkeit, frei zu sein, die Versklavung anderer Men-schen. Freiheit im antiken Griechenland, der „Wiege unserer Demokratie“, setzte die Existenz einer „außermenschlichen Sklavengesellschaft“ und die Un-terdrückung der Frauen voraus (Beck, U. 1999, 17).

Diese Gedanken setzten sich im antiken Römischen Reich fort. Bei Cicero heißt es: „Alle Handwerker befassen sich mit einer schmutzigen Tätigkeit;

denn eine Werkstatt kann nichts Edles an sich haben.“

Im frühen Christentum war der Begriff „Arbeit“ zunächst ambivalent, war Segen und Fluch.

Jesus und seine Jünger waren Handwerker (Jesus war Zimmermann) und Fischer, der Gott des Christentums ist ein arbeitender Gott. Er war in den Tagen der Schöpfung fleißig tätig und übergab dem Menschen den Garten Eden, „dass er ihn bebaue und bewahrte.“ (1. Mose, Genesis 2,15)8. Als Eben-bild Gottes ist der Mensch zur Gestaltung der Welt mittels Arbeit berufen.

Nicht erst der damalige Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering meinte, dass wer nicht arbeite, auch nicht essen solle. Schon der Apostel Paulus verlangte: „Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen.“ (2. Brief an die Tessalonicher, Kap. 3, 10, man beachte den fei-nen Unterschied zwischen beiden Aussagen.)9

Andererseits ist ein wesentliches Merkmal des Paradieses, dass dort nicht gearbeitet werden musste. Wenn überhaupt eine den Garten Eden pflegende Tätigkeit durch Adam und Eva nötig war, so war sie positiv besetzt. Erst nach dem Sündenfall beginnt die menschliche Arbeit als Mühsal und göttliche Strafe. In der Bibel wird schon im 1. Buch Mose (3,17 und 19) gesagt, dass wir uns „ein Leben lang mit Mühsal nähren“ und „im Schweiße unseres Ange-sichts“ für uns zu sorgen haben. Im Psalm 90,10 steht geschrieben, dass unser Leben, wenn es gut war, bis ins hohe Alter aus „Mühsal und Beschwer“ bestehe.

8 Den Bibelzitaten liegt der Text der Zürcher Bibel zugrunde.

9 „Der biblische Fluch, daß, wer nicht arbeite, auch nicht essen solle, hat sich immer nur auf die unterdrückten und ausgebeuteten Klassen ausgewirkt. Eine ganze Menge von Leuten, die nicht gearbeitet haben, hat zu allen Zeiten sehr gut gegessen. Betrachtet man die Geschichte, so drängt sich sogar die Überzeugung auf, daß die Nichtarbeitenden immer viel und die Ar-beitenden immer wenig Essen haben.“ (Negt 1987, 183f)

Im Mittelalter war das, was wir heute Arbeit nennen zwar notwendig, aber nicht erstrebenswert oder ehrenhaft. Dadurch, dass man arbeiten, sich plagen und mühen musste, gab man zur Kenntnis, dass man nicht zu den Herr-schaftsständen gehörte. Mit Mühe und Last verbundene Arbeit wurde zum Zeichen der Gottesferne (vgl. Pracht 1993, 23). „Arbeit ist unwürdige Müh-sal, Strafe, die Folge des Sündenfalls.“ (Negt 1987, 42) Die Handwerker, die etwas auf sich hielten, arbeiteten nicht, sie „werkten“ (Gorz 1989, 31). Viele Jahrhunderte gab es „eine wohl etablierte Trinität des Betens, Kämpfens und Arbeitens, wobei oratores und bellatores, die Priester und Soldaten, im gesell-schaftlichen Ansehen immer vor der Arbeit (bzw. dem Landmann) rangier-ten.“ (Willke 1999, 15) Hoch angesehen waren Menschen, die Krieg führten, über Vermögen verfügten oder dem Klerus angehörten, aber nicht die, die viel arbeiten mussten (vgl. Mutz 2001, 162).

Arbeit war „die Mühsal der Knechte und Tagelöhner“ (Gorz 1989, 31) und enthielt kein Glücksversprechen, keine utopische Dimension. „Selbst Arbeit im Mönchsgewand ... wurde als Sündenabtragung verstanden, und wo Klöster auf andere Weise reich werden konnten, durch Beraubung der Bau-ern und durch ergaunerte Stiftungen, taten sie es mit Vorliebe.“ (Negt 1987, 172) Erst die bürgerliche Gesellschaft entwickelte einen zwiespältigen Ar-beitsbegriff mit Arbeit als Ausbeutung und Selbstbefreiung.

Dies begann in den mittelalterlich-frühneuzeitlichen Städten. Dort ent-wickelte sich eine Verbindung von Arbeit und Bürgerrecht, die gegenseitige Voraussetzung des Betreibens von Gewerbe und des Rechts als Bürger. Vor der Zeit der Reformation war Arbeit nur Notwendigkeit zur Erhaltung des Lebens. Wenn das erfüllt war, entfiel die Vorschrift. „Sie trifft nur die Gat-tung, nicht den einzelnen. Wer ohne Arbeit von seinem Besitz leben kann, auf den bezieht sie sich nicht.“ (Weber, M. 1904/2006, 138f)

Die Aufwertung von „Arbeit“ vollzog sich zur Zeit und in Folge der Re-formation. Erst „Luther verankert Arbeit, und sei sie auch eine reine Qual, in der Natur des Menschen“ (Negt 1987, 42). Das Konzept „Beruf“ stammt aus der Bibelübersetzung von Martin Luther (1483-1546) „und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals.“ Der Gedanke ist

„ein Produkt der Reformation.“ (Weber, M. 1904/2006, 66) Aus der Beru-fung, Gott zu dienen, machte Luther den Beruf. Arbeit war nun nicht mehr Last, sondern Berufung und göttliche Aufgabe (vgl. Schatz/Woeldike 2001, 18)10. Der Beruf wurde das, „was der Mensch als göttliche Fügung hinzuneh-men, worin er sich ‚zu schicken‘ hat“ (Weber, M. 1904/2006, 72).

10 Schatz und Woeldicke (2001) weisen darauf hin, dass Luther die „deutsche ehrliche Ar-beit“ dem „jüdischen Schmarotzertum und Wucher“ gegenüberstellte.

„Denn Gott will keine faulen Müssiggänger haben, sondern man soll treu-lich und fleissig arbeiten, ein jegtreu-licher nach seinem Beruf und Amt, so will er den Segen und das Gedeihen dazu geben. Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“ (Martin Luther, zit. nach Spieler 2013, 22) „Wer nicht arbeitet soll nicht essen“ sollte nun bedingungslos und für alle gelten.

Nur demjenigen wird Gottes Gnade in Aussicht gestellt, „der durch seine tag-tägliche (mit Ausnahme des Sonntags) Arbeit unter Beweis stellt, wie fromm sein Lebenswandel ist.“ (Baecker 2002, 11)

Der Züricher Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531) betonte, „dass aus der Hand des Arbeiters Frucht und Gewächs entspringt, so wie aus der Hand Gottes bei der Schöpfung; der Arbeitende ist also äusserlich Gott ähn-licher als irgendein Wesen auf der Welt.“ (zit. nach Spieler 2013, 22) Zwingli bezog sich dabei ausdrücklich auf Handarbeit: „Also wollte ich, daß alle Christen, doch vornehmlich diejenigen, die das Wort Gottes zu verkünden haben, es halten müßten wie in der Stadt der alten Massilier, welche nieman-dem das Bürgerrecht gewähren, der nicht einer Handfertigkeit (artificii) kun-dig war. Wo solches geschehe, würde der Müßiggang, der Same alles Mutwil-lens, vertreiben und der Leib viel gesünder, langlebiger und stärker werden.“

(Zwingli nach Burger 1923, 44)

Auch der Reformator Johannes Calvin aus Frankreich (1509-1564) stellte die Arbeit ins Zentrum des irdischen menschlichen Lebens. Arbeit wird zur einzigen Möglichkeit, der ewigen Verdammnis zu entgehen. So konnte der Mensch schon im Hier und Jetzt an seinem Arbeitserfolg ablesen, ob er zu den Auserwählten gehörte (Pracht 1993, 35).

Arbeit wandelte sich von der göttlichen Strafe nach der Vertreibung aus dem arbeitsfreien Paradies zu einer Pflicht für Jedermann, beruflicher Erfolg zu einem Indikator für göttliches Wohlgefallen. Friedrich Schiller schreibt 1799 in dem Gedicht „Die Glocke“: „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis, Ehrt den König seine Würde, ehret uns der Hände Fleiß…“.

Das hätte man 250 Jahre vorher noch nicht so gesehen. Es entstand die pro-testantische Arbeitsethik mit den „Arbeitstugenden“ wie Disziplin und Fleiß.

Dieses asketische Lebensideal „drückt sich aus im Verzicht und Sparen und schafft so die Basis für Kapitalinvestitionen“ (Reichmann 2001, 231) und da-mit für den Kapitalismus. Mit dessen Aufstreben wurde die „Erziehung zur Arbeit“ das vordringliche Ziel des beginnenden Schulwesens.

Für bedürftige Menschen, die nicht in der Lage waren, für ihren Lebens-unterhalt selber zu sorgen, hatte dieser Paradigmenwechsel Folgen. Die Mit-telverteilung war nicht mehr nur Akt der reinen Nächstenliebe, sondern wurde mit Anforderungen an die sittliche Haltung des Empfängers verbun-den. Diese Einstellungen und Normen, die teilweise bis in unsere heutigen Alltagsvorstellungen Bestand haben, haben sich in bestimmten Kultur-

zusammenhängen gebildet und sind weder ewig noch natürlich (vgl. Grampp et al. 2010, 28; Weber, M. 1904/2006).

Bis ins 19. Jahrhundert war der Begriff „Arbeit“ noch keine allgemeine Bezeichnung für die verschiedensten beruflichen Tätigkeiten und Ämter.

Erst im Kapitalismus, als sich Arbeit vom zünftigen Handwerk und der feu-dalen Abhängigkeit löste, als Arbeitskraft zur Ware wurde, entstand ein abs-trakter Begriff von Arbeit (vgl. Senghaas-Knobloch 2005, 55ff), der etwa mit unserer heutigen „Alltagsvorstellung“ übereinstimmt. Diese Vorstellung ist von der kapitalistischen Produktion geprägt und meint im Kern, dass Arbeit ist, was wirtschaftlich verwertbar, d.h. profitabel und auszubeuten ist. „Es ist die kapitalistische Eigentümergesellschaft, die ‚Arbeit‘ schlechthin der Ver-marktung zugänglich macht und damit die Kategorie Arbeit überhaupt erst in die Welt setzt.“ (Senghaas-Knobloch 2005, 58)

Den Gipfel erlangte dieses kapitalistische Paradigma in der Zeit des Nati-onalsozialismus. Der Selektion von Menschen nach dem Kriterium der Ver-wertbarkeit ihrer Arbeitsleistung entsprach eine gesamtgesellschaftlich ver-breitete und propagierte Deutung des Arbeitsbegriffs. Arbeit war das Kriterium, was über Inklusion bzw. Exklusion aus der „Volksgemeinschaft“

entschied. Wie die Rassenideologie ist auch das Arbeitsethos des Nationalso-zialistischen Staates nicht dessen eigene Erfindung, sondern hatte zum Teil jahrhundertealte Vordenker (vgl. Hafeneger 1988).

In der Ideologie der NSDAP als „Arbeiterpartei“ war „Arbeit“ ein zentra-ler Begriff. Bald nach der Machtübergabe wurden Gesetze wie das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ erlassen. Eingesetzte „Treuhänder der Arbeit“ ersetzten die Gewerkschaften. „Zahlreiche neue Institutionen wie der Reichsarbeitsdienst, die Deutsche Arbeitsfront, die nationalsozialistische Volkswohlfahrt oder die NS-Betriebszellenorganisationen machten den Ge-staltungsanspruch der neuen Machthaber auf diesem Gebiet deutlich.“ (Nüt-zenadel 2013, 1)

Am 26.1.1936 wurde die allgemeine dem Militärdienst vorgelagerte sechsmonatige Arbeitsdienstpflicht zunächst für alle männlichen, dann auch für alle weiblichen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren eingeführt und damit die Arbeit militarisiert. Der „Arbeitsmann“ (bzw. die „Arbeitsmaid“) sollte zum „Soldaten der Arbeit“ erzogen werden. In der „Arbeitsarmee“

wurde der Dienst mit dem Spaten in der schwieligen Hand zum Dienst an der Volksgemeinschaft (vgl. Hafeneger 1988, 154f).

Das Arbeitsbuch, ohne das niemand beschäftigt wurde, machte eine lü-ckenlose Kontrolle der arbeitenden Menschen möglich. Wesentlicher Faktor war zunächst die Wiederbewaffnung und Aufrüstung, später dann die Kriegsproduktion. Spätestens seit 1938 fand eine massive Verfolgung von Menschen statt, die nicht arbeiten wollten oder konnten. Aus Arbeitslosen wurden „Arbeitsscheue“ und „asoziale Elemente“. Neben den Konzentra-

tionslagern gab es ein Netz von „Arbeitserziehungslagern“ für „Arbeitsver-weigerer sowie arbeitsvertragsbrüchige und arbeitsunlustige Elemente“

(Heinrich Himmler, zit. nach BLPB o.D., o.S.). Spätestens mit dem offen-sichtlichen Scheitern der „Blitzkrieg-Strategie“ 1942 ging es um die „umfas-sende Mobilisierung des Arbeitskräftepotentials für die Kriegswirtschaft“, dazu gehören auch die „ins Reichsgebiet verbrachten über 12 Millionen Zwangsarbeiter“ und die Arbeitspflicht in den besetzten Gebieten (Nutzena-del 2013, 3). In den Konzentrationslagern entschied die Fähigkeit zur wirt-schaftlich verwertbaren Arbeit über Leben und Tod der Häftlinge. Bei der

„Vernichtung durch Arbeit“ ging es nicht in erster Linie um die Vernichtung von Menschengruppen, sondern um die maximale wirtschaftliche „Verwer-tung“ der Arbeitskraft der Häftlinge, deren Tod dann in Kauf genommen wurde. Wie auch die Rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozia-listen ihre Vorläufer und Nachfolger in breiten Kreisen der bürgerlichen Ge-sellschaft hatten (und haben) so ist auch zu fragen, wie viel dieses Verständ-nisses von Arbeit wir heute noch haben. Alexander Nützenadel (2013,4) fragt nach den „langfristigen Prägungen deutscher Sozialstaatlichkeit durch den Nationalsozialismus“, nach sozialpolitischen Leitbildern, die „von der Wei-marer Republik über den Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit rei-chen“. Dies betrifft auch das Verständnis von Arbeit.

Nach dem 2. Weltkrieg und der Befreiung vom Nationalsozialismus erlebte die von den westlichen Siegermächten neu gegründete BRD schnell ein rasan-tes Wirtschaftswachstum. Neben dem Mythos von Ludwig Erhard als „Vater des Wirtschaftswunders“ der BRD hat sich bis heute auch der Mythos vom Ar-beitseifer und Fleiß der Deutschen als Basis dieses sogenannten Wirtschafts-wunders gehalten. Aber wesentlich bedeutsamer für die hohen Wachstumsra-ten der Wirtschaft in der BRD waren der Schuldenerlass der hochver-schuldeten jungen BRD durch 22 Staaten im Londoner Abkommen 1953, der Verzicht der ehemaligen Kriegsgegner auf Reparationszahlungen und Wei-chenstellungen der US-amerikanischen Außenpolitik (Weber, C. 2014).

Als Ende der 1960er Jahre die erste Generation von Menschen langsam erwachsen wurde, die nicht direkt in die Geschehnisse des Nationalsozialis-mus verwickelt waren, änderte sich das politische und gesellschaftliche Klima in der BRD.

Ab etwa 1965 begann ein Wertewandel. Ideale der bürgerlichen Leis-tungsethik wie Fleiß, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Respekt oder Disziplin wur-den von jungen Menschen abgelehnt und das bürgerliche Arbeitsethos ver-änderte sich.

Zu gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen, wie sie damals vielfach prognostiziert wurden, führte dieser Wandel indes nicht. Heute wünschen sich gerade junge Manager wieder „Disziplin und Respekt bei ihren Unter-gebenen“ (Spiegel 2007).

In der DDR vollzog sich nach 1945 eine andere Entwicklung. Arbeit wurde ein gesellschaftlicher Grundwert. Sie sollte vom Zweck der Pro-fitschöpfung befreit und zur Selbstverwirklichung des Menschen weiterent-wickelt werden. Es sollte eine freie und bewusste Arbeitsdisziplin mit einer hohen Arbeitsmoral entstehen. „Die schöpferische Arbeit der sozial gleichen und hochgebildeten Arbeiter kennzeichnet die zum ersten Lebensbedürfnis gewordene Arbeit im Kommunismus.“ (Klaus/Buhr 1974, 113) Der Mensch werde „schöpferischer und planender Lenker der Produktionsprozesse“

(ebd. 114). Dazu seien eine hohe Bildung und die Fähigkeit nötig, schöpferi-sches Mitglied eines Arbeitskollektives zu sein.

Arbeit sollte in der DDR zu einer Sache der Ehre für jeden Einzelnen wer-den. Der Staat DDR, der dieses im Sinne einer sittlichen Pflicht verlangte, sorgte im Gegenzug dafür, dass jeder einen Arbeitsplatz bekommen sollte, was auch weitgehend gelang. In der Verfassung der DDR war in Artikel 24.2 festgelegt: „Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Ein-heit.“

Alle Bürger der DDR hatten dadurch das Recht auf einen Arbeitsplatz, auf gleiche Entlohnung für gleiche Arbeitsleistung, auf Mitwirkung an der Aus-arbeitung der Pläne und an der Leitung der Betriebe. Dafür war jeder Werk-tätige verpflichtet, die sozialistische Arbeitsdisziplin einzuhalten.

Die staatliche Auszeichnung zum „Helden der Arbeit“, die eng limitiert und mit bis zu 10.000 Mark sehr hoch dotiert war, wurde für besonders bahn-brechende Taten verliehen und war Ausdruck dieses Arbeitsethos, der in der Realität meist ein Arbeitsmythos blieb. Menschen, die nicht arbeiten wollten, galten schnell als „arbeitsscheu“ und kamen in Konflikt mit dem Strafgesetz-buch der DDR11.

„Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch ver-steht.“ prophezeite Hannah Arendt (1960/2010, 13) in den 1950er Jahren.

Der Gedanke, dass der Kapitalismus die Arbeit abschaffen könnte, beschäf-tigte Sozialwissenschaftler immer wieder.

Besonders in Krisenzeiten oder Zeiten neu aufkommender Technologien und Produktionsmittel wurde das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ mit unter-schiedlichen Prognosen und Lösungsvorschlägen vorhergesagt (z.B. Beck, U.

1996 und 1999, Rifkin 1996). Die Vorhersage von Jeremy Rifkin aus den frü-

11 Strafgesetzbuch der DDR, §249,1: „Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, dass er sich aus Arbeitsscheu einer geregel-ten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht oder wer sich auf andere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft, wird mit Verurtei-lung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.“

hen 1990er Jahren, dass „die industrielle ‚Massenbeschäftigung‘ in allen ent-wickelten Ländern der Welt der Vergangenheit angehören“ werde (Rifkin 1996, 17), hat sich nur bedingt als richtig erwiesen. Ein großer Teil dieser industriellen Massenproduktion ist inzwischen lediglich aus unserem Blick-feld verschwunden und findet unter erbärmlichen Bedingungen in Asien und Afrika oder zuhause vor dem PC als „clickworking“ statt. Nicht bewahrheitet hat sich, dass, wie Rifkin und andere vermuteten, Arbeit an Bedeutung für die Gesellschaft verliere, weil die Computer und Roboter die Menschheit ar-beitslos machten.

Nach wie vor ist Arbeit ein „zentrales konstitutives Element der sozialen Struktur unserer Gesellschaften.“ (Gurny/Tecklenburg 2013, 9) Die Frage ist nicht, ob Arbeit zentral für unsere Gesellschaft ist oder nicht, sondern wie sie organisiert ist. „Die These von der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, trifft nicht den Kern der Sache.“ (Willke 1999, 266) Die Arbeitswelt verändert sich, und zwar so schnell, dass die Analyse nicht mehr nachkommt. Nicht verändert hat sich aber die Abhängigkeit der Arbeitnehmer von den Arbeit-gebern. So hat sich unser heutiges Alltagsverständnis von „Arbeit“ langsam entwickelt und verändert sich weiter. Wir nutzen heute den Begriff Arbeit in verschiedenen Zusammenhängen, wenn es uns betrifft. „Arbeit ist zu einer Schlüsselkategorie der heutigen Gesellschaft geworden. Wegen seines hohen Prestiges wird der Begriff Arbeit inzwischen auf alle möglichen Formen der Tätigkeit angewendet.“ (Willke 1999, 15) Es arbeiten der Politiker, der Künstler, der Philosoph, wer zu Hause kocht und putzt macht Hausarbeit, wer mit seinem Partner diskutiert macht Beziehungsarbeit, Eltern machen Erziehungsarbeit, wer Großmutter zuhause behält macht Betreuungsarbeit, wer sich erholt macht Regenerationsarbeit, wenn ein lieber Mensch stirbt, machen wir Trauerarbeit, wer zur Therapie geht arbeitet an sich selbst, an-dere arbeiten an ihren Gefühlen, im Fitnessstudio machen wir Körperarbeit und im Urlaub Erholungsarbeit usw. usf. (Liessmann 2000, Krafeld 2000).

„Erst wenn es uns gelingt, unsere unterschiedlichen Tätigkeiten des Lebens vor uns und den anderen als Arbeit zu klassifizieren, scheinen wir etwas Wertvolles und Sinnvolles zu tun.“ (Liesmann 2000, 86f)

Viele Tätigkeiten treten sowohl als Erwerbs- als auch als Eigentätigkeit auf: Kochen, Putzen, Waschen, Erziehung, Pflege. Die Tätigkeit der

Viele Tätigkeiten treten sowohl als Erwerbs- als auch als Eigentätigkeit auf: Kochen, Putzen, Waschen, Erziehung, Pflege. Die Tätigkeit der