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1.2 Zellfreie Proteinsynthese

1.2.5 Anwendungsgebiete der zellfreien Proteinsynthese

Früher war die CFPS fast ausschließlich eine Methode, um die Mechanismen der Translation aufzuklären. Heute, nachdem die Proteinsynthese anhand exogener Nachrichten möglich wurde und die Syntheseaktivität enorm gesteigert werden konnte, haben sich viele Anwendungen entwickelt. Diese machen sich alle die Hauptvorteile der CFPS zunutze, nämlich den Einsatz von PCR Fragmenten als DNA template, die Abwesenheit der Physiologie einer lebenden Zelle und die Offenheit des Systems, die die Zugabe aller möglicher Substanzen zu den Translationsreaktionen erlaubt (Übersichten in Jackson et al., 2004; Katzen et al., 2005; He, 2008).

Schwer exprimierbare Proteine

Viele Proteine lassen sich in vivo nur sehr schwer oder gar nicht exprimieren. Sie werden nur in geringen Mengen synthetisiert oder in Einschlusskörperchen verpackt, sind falsch gefaltet, aggregieren und Bilden unlösliche Präzipitate oder wirken zytotoxisch. Die Möglichkeiten, die Expression solch eines Proteins z.B. in E. coli zu verbessern, sind begrenzt. Die Offenheit von CFPS Systemen, verursacht durch das Fehlen von Membranen, erlaubt weitreichende Manipulationen der Translationsreaktion, um die Expression problematischer Proteine zu verbessern.

Die wichtigste Gruppe der schwer exprimierbaren Proteine, deren Herstellung durch die CFPS enorm verbessert wurde, sind die Membranproteine, die etwa ein Drittel des proteincodierenden Anteils nahezu aller bekannten Genome ausmachen und oft Angriffspunkte für Medikamente sind. Durch ihre Hydrophobizität sind sie meist schlecht löslich und bilden bei Expression in E. coli oft unzugängliche Aggregate. Zellfrei ist die Expression von Membranproteinen als zugängliche Aggregate, die wieder in Lösung aufgenommen werden können, oder direkt in löslicher Form möglich. Um Membranproteine löslich zu exprimieren werden den CFPS Reaktionen micellenbildende Detergenzien oder Liposomen zugesetzt, in die die Membranproteine dann, wie in vivo auch, hineinsynthetisiert werden und dabei ihre native Konformation annehmen (Abb. 1.15). Mittlerweile existieren zahlreiche Protokolle zur zellfreien Synthese von Membranproteinen (z.B. Schneider et al., 2010) und immer mehr werden erfolgreich hergestellt (z.B. Junge et al., 2010).

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Eine andere wichtige Gruppe von Proteinen, deren Expression durch die zellfreie Technologie verbessert wurde, sind zytotoxisch wirkende Proteine. Dadurch, dass in CFPS Reaktionen die Integrität von lebenden Zellen aufgehoben wurde, können auch toxische Proteine, solange sie nicht auf den Translationsapparat wirken, synthetisiert werden (z.B. Orth et al., 2010).

Weitere Anwendungen auf dem Gebiet der schwer exprimierbaren Proteine umfassen sowohl die Zugabe von bestimmten Chaperonen, um nativ gefaltete Proteine zu erhalten (z.B. Jiang et al., 2002), die Schaffung des richtigen Milieus für die Bildung von Disulfidbrücken (z.B. Yin and Swartz, 2004), oder die Peptidsynthese (Lee et al., 2010). Bei der Verwendung eukaryotischer Systeme sind außerdem, wie im vorigen Punkt bereits erwähnt, bestimmte post-translationale Modifikationen möglich.

Labeln von Proteinen

Die CFPS hat sich ebenfalls als kostengünstige Alternative beim Labeln von Proteinen mit bestimmten markierten Aminosäuren herausgestellt, was vor allem in der Strukturbiologie eine gängige Methode ist. Durch den exklusiven Einbau in das gewünschte Protein, sind viel kleinere Mengen der oft teuren gelabelten Aminosäuren notwendig als in vivo (z.B.

Yokoyama et al., 2010). CFPS Systeme haben sich auch beim Einbau von unnatürlichen Aminosäuren, wie z.B. von chlorierten Aminosäureanalogons, in Proteine bewährt (z.B.

Stigers et al., 2010).

Abb. 1.15: Zellfreie Synthese von Membranproteinen

Links: Synthese als Präzipitat; die aggregierten Membranproteine können nach ihrer Synthese mit geeigneten Puffern resolubilisiert werden; mitte: lösliche Synthese nach Zugabe micellenbildender Detergenzien; rechts:

lösliche Synthese nach Zugabe von Liposomen; (aus Schneider et al., 2010).

30 Hoher Durchsatz und Automatisierung

CFPS Reaktionen eignen sich hervorragend für Automatisierungen, da keine lebenden Zellen mehr beteiligt sind, die z.B. kultiviert und aufgeschlossen werden müssen. Die Möglichkeit, viele Proteine gleichzeitig zu exprimieren, sowie lineare DNA templates zu verwenden, was das enorm zeitaufwendige Klonieren überflüssig macht, könnte den Fortschritt in der Erforschung des Proteoms enorm beschleunigen. Mittlerweile werden ganze DNA Bibliotheken mit Hilfe der CFPS in ihre Proteinprodukte translatiert und auf potentielle Bindungspartner (andere Proteine, DNA, RNA, Liganden usw.) oder auf bestimmte enzymatische Aktivitäten gescreent. Erstmals können auch sog. ‚protein arrays‘, durch die kombinierte Transkription und Translation von DNA ‚microarrays‘, hergestellt werden und ermöglichen die Erforschung ganzer Proteome (z.B. Ramachandran et al., 2008).

In vitro Evolution

Die CFPS ermöglichte erstmals die Evolution bestimmter Eigenschaften von Proteinen in vitro. Die bekanntesten Methoden hierzu sind das Ribosomen-Display (Hanes and Plückthun, 1997), das mRNA-Display (Roberts and Szostak, 1997) und die in vitro Kompartimentierung (Tawfik and Griffiths, 1998). Allen drei Methoden liegt zugrunde, dass das translatierte Proteinprodukt mit seiner codierenden Nukleotidsequenz, mRNA oder DNA, verbunden bleibt. Fehlerbehaftete PCRs können einen fast endlos großen Pool an codierenden Sequenzen erschaffen, die alle für Variationen eines Proteins mit den unterschiedlichsten Mutationen codieren. Nach der zellfreien Transkription und Translation eines solchen Pools, kann auf Variationen eines Proteins mit einer bestimmten Eigenschaft, z.B. die Bindung an ein anderes Protein, selektiert werden. Dadurch, dass die Proteinprodukte mit ihren codierenden Sequenzen verbunden bleiben, kann nach der Selektion z.B. die mRNA des selektierten Proteins in DNA umgeschrieben und erneut als template für fehlerbehaftete PCRs verwendet werden, wobei der daraus entstehende Pool an codierenden Sequenzen erneut in CFPS Reaktionen eingesetzt und nochmals auf die gleiche Eigenschaft hin selektiert wird. Wird dieser Zyklus noch einige weitere Male wiederholt, wird in jeder Runde die Eigenschaft des Proteins, auf die selektiert wird, bis zu einem gewissen Grad ausgeprägter sein. Die verschiedenen Methoden unterscheiden sich dabei lediglich, wie das zu evolvierende Protein mit seiner codierenden Sequenz in Verbindung bleibt (Abb. 1.16).

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Im Gegensatz zu den anderen hier vorgestellten Systemen soll das von der GENEART AG entwickelte in vitro Evolutionssystem eine kontinuierliche Evolution von hochaffinen Proteinliganden ermöglichen. Dabei soll sowohl die fehlerbehaftete DNA Amplifikation, die Transkription und Translation des Pools an codierenden DNA Sequenzen, als auch die Selektion auf verbesserte Bindungseigenschaften des evolvierten Proteins kontinuierlich in nur einer einzigen Reaktion stattfinden. Grundlage dieses Systems ist eine spezifische und im Gegensatz zur PCR isotherme Amplifikationsmethode, die ‚nucleic acid sequence based amplification‘ (NASBA)-Reaktion. Hier wird ein DNA template mit T7 Promotor von der T7 RNA Polymerase in viele Kopien der entsprechenden mRNA transkribiert. Diese mRNAs können dann, durch den Einsatz eines spezifischen Primers und einer reversen Transkriptase wieder in doppelsträngige DNA umgeschrieben werden, die wiederum als template für die T7 RNA Polymerase dienen. Auf diese Weise wird das DNA template sowohl amplifiziert, als auch, durch die fehlende ‚Proofreading‘-Aktivität der T7 RNA Polymerase und der reversen Transkriptase, mutiert. Eine Koppelung der NASBA-Reaktion an ein CFPS System sollte somit zur Synthese von vielen Variationen eines gewünschten Proteins führen. In einem solchen System kann eine gerichtete Evolution stattfinden, indem das eingesetzte DNA template für ein Fusionsprotein aus reverser Transkriptase und des zu evolvierenden Proteins Y codiert. Die verwendete T7 RNA Polymerase wird als Fusionsprotein mit dem Bindepartner X eingesetzt, an den die Bindung des zu evolvierenden Proteins Y verbessert

Abb. 1.16: Verschiedene Methoden der in vitro Evolution

Beim Ribosomen-Display entstehen Komplexe aus synthetisiertem Protein, zugehöriger mRNA und Ribosom, auf die selektiert werden kann, indem mRNAs ohne Stopcodons verwendet werden. Beim mRNA-Dispay wird auf kovalente Verbindungen aus synthetisiertem Protein und zugehöriger mRNA selektiert, die durch die Verwendung modifizierter mRNAs entstehen. Diese mRNAs tragen an ihrem 3‘

Ende eine kurze, einzelsträngige DNA Sequenz, an die Puromycin gekoppelt ist. Erreicht das Ribosom bei der Translation die Grenze von RNA und DNA hält es an und katalysiert die kovalente Bindung des neu synthetisierten Proteins an das Puromycin seiner mRNA. Bei der in vitro Kompartimentierung findet die Transkription und Translation einzelner DNA Moleküle in winzigen Kompartimenten statt (z.B.

Wasser in Öl Emulsionen). Proteinprodukte werden dabei an ihre DNA Sequenzen gekoppelt, indem sie als Fusionsproteine mit DNA Bindungsdomänen exprimiert werden. Die Komplexe aus DNA und Protein werden dann für die Selektion verwendet (aus He, 2008).

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werden soll. Höher affine Variationen von Y reichern sich in einem solchen System an, da sie, aufgrund der räumlichen Nähe, bevorzugt von dem Fusionsprotein aus T7 RNA Polymerase und X an ihre eigene mRNA rekrutiert werden und diese revers transkribieren, wobei die dabei entstehende doppelsträngige DNA wiederum als template für die T7 RNA Polymerase dient (Meysing, 2010; Doktorarbeit).