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Ansätze für Individualisierung bei weiteren Erkrankungen

Im Dokument Individualisierte Medizin (2014) (Seite 62-65)

6 Individualisierte Diagnostik und Therapie

6.4 Ansätze für Individualisierung bei weiteren Erkrankungen

In der Onkologie und Virologie sind in Hinblick auf die Individualisierte Medizin Fortschritte zu verzeichnen, die Anlass zur Hoffnung geben. Auch bei zahlreichen anderen Krankheiten sind bereits indivi-dualisierte Ansätze erkennbar.

Erste Ansätze für eine auf Bio-markern basierende medizinische Vor-gehensweise bei Herz-Kreislauf-Erkran-kungen sind die troponingesteuerte Therapie akuter Koronarsyndrome und die Steuerung der Herzinsuffizienzthe-rapie mit Hilfe des Brain natriuretic peptide sowie des N-terminal pro-brain natriuretic peptide (Eschenhagen &

Blankenberg, 2013; Völzke et al., 2013a).

Eine breitere Anwendung setzt jedoch noch ein deutlich verbessertes Verständ-nis der komplexen Zusammenhänge zwi-schen Genomveränderungen und dem klinischen Phänotyp kardiovaskulärer Krankheiten voraus (Eschenhagen &

Blankenberg, 2013; Völzke et al., 2013a).

Im Rahmen der SHIP­Studie (s. Kap. 9.1) konnten bereits genetische und metabo-lische Risikofaktoren zur Ausprägung von Bluthochdruck identifiziert und ein entsprechendes Vorhersagemodell er-stellt werden (Völzke et al., 2013b).

Viele der derzeit bekannten mo-nogen erblichen Krankheiten (s. Kap.

5.1) sind Stoffwechselstörungen. Nur für eine begrenzte Anzahl von ihnen stehen bereits wirksame gezielte Behandlungen zur Verfügung. Die autosomal­rezessiv erbliche Gaucher­Krankheit ist eine sel-tene Störung des Fettstoffwechsels, die durch einen Ausfall des Enzyms Gluko-cerebrosidase verursacht wird. Die klini-schen Symptome können je nach Subtyp der Krankheit stark variieren, sodass zwischen verschiedenen Therapieopti-onen wie beispielsweise der Enzymer-satztherapie (Weinreb et al., 2002) oder Substratinhibitionstherapie (McEachern et al., 2007) entschieden werden muss.

Der kurz nach der Geburt auftretende neonatale Diabetes mellitus konnte auf verschiedene genetische Defekte zu-rückgeführt werden, die wahrscheinlich individuelle therapeutische Eingriffe er-fordern (Greeley et al., 2010). Kürzlich wurde ein Medikament zur zielgerichte-ten Therapie eines selzielgerichte-tenen Subtyps der rezessiv erblichen Zystischen Fibrose

(Mukoviszidose) zugelassen (Antunovic et al., 2013; Davis et al., 2012).16

Ähnliche Fortschritte könnten bald auf dem Gebiet der Augenheilkunde er-zielt werden. Die Lebersche kongenitale Amaurose (LCA) wird durch eine Funk-tionsstörung des Pigmentepithels der Netzhaut hervorgerufen, die eine starke Sehbeeinträchtigung bis zur Blindheit zur Folge hat. Bei etwa 15 Prozent der Betrof-fenen liegt ein erblicher Defekt im RPE65-Gen vor und klinische Studien geben An-lass zur Hoffnung, dass diese und weitere monogene Formen der LCA­Erkrankung gentherapeutisch behandelt werden kön-nen (Sahel & Roska, 2013). Vergleichba-re Fortschritte zeichnen sich in präklini-schen Studien zur Gentherapie bei einer bestimmten Form der Retinopathia pig-mentosa ab (Michalakis et al., 2014).

In der Neurologie sollen molekular-biologische Analysen Wege für die frühzei-tige Diagnose und Differenzierung unter-schiedlicher Formen von Demenz eröffnen (Albert et al., 2011; Bateman et al., 2012;

Jahn et al., 2011). Eine frühzeitige und präzise Diagnose molekularer Ursachen ei-ner langsam fortschreitenden Erkrankung wie M. Alzheimer ist der erste notwendi-ge Schritt zur Entwicklung einer Therapie bzw. von Präventionsmaßnahmen (Debré et al., 2012; Langbaum et al., 2013). Für die X­chromosomal­rezessiv erbliche Du-chenne­Muskeldystrophie sind zahlreiche pathogene Mutationen im Dystrophin­Gen bekannt. Therapeutisch wird an unter-schiedlichen Strategien zur gezielten Kor-rektur des Genproduktes gearbeitet (Anda-loussi et al., 2012; Seto et al., 2012). Es ist bereits möglich, bei bestimmten Mutatio-nen durch Korrektur des RNA­Spleißens (s. Kap. 2.3) die schwere frühmanifeste Form der Krankheit in eine milde

spätma-16 Für die Zulassung dieses Wirkstoffs (Ivacaftor) durch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA war in Phase III der klinischen Studie die Teilnahme von 213 Patienten ausreichend (FDA, 2013). Ivacaftor gilt als ein Vorzeigebeispiel für die Pharmakogenomik.

nifeste Form umzuwandeln und somit die Lebenserwartung der Patienten im Schnitt um Jahrzehnte zu verlängern (van Ommen

& Aartsma­Rus, 2013). Interessanterweise ist Heterozygotie für Mutationen, die das Gaucher­Syndrom verursachen, mit einem Risiko von 30 Prozent verbunden, bis zum 80. Lebensjahr eine Parkinson­Krankheit zu entwickeln (Böttcher et al., 2013). Die-se und weitere ErkenntnisDie-se über die Rolle bestimmter Genvarianten bei der Ausprä-gung der Parkinson­Krankheit könnten neue Strategien zur Entwicklung zielge-richteter Therapien eröffnen (MacLeod et al., 2013; Zheng et al., 2010).

In der Therapie der häufigen rheumatoiden Arthritis nimmt die Ver-wendung monoklonaler Antikörper, die spezifisch an den sogenannten Tumor­

Nekrose­Faktor (TNF) binden, seit ih-rer ersten Zulassung im Jahr 1996 stetig zu. Die Nebenwirkungen und Kosten der Therapie sind sehr hoch und es sprechen nicht alle Patienten darauf an. Vor kur-zem wurden erste Biomarkerkandidaten, z. B. bestimmte Antikörper, identifiziert, die diejenigen Patienten identifizieren könnten, welche auf eine Therapie mit diesen Medikamenten ansprechen (Sim-sek, 2012). Auch bei anderen Autoim-munerkrankungen, wie beispielsweise der Sklerodermie, gibt es aussichtsreiche Ansätze, insbesondere eine Reihe geneti-scher Biomarkerkandidaten, für die Ent-wicklung einer zielgerichteten Diagnostik und Therapie (Assassi et al., 2013).

Auch für die Indikationsstellung von Cochlea­Implantaten bei einer ange-borenen Gehörlosigkeit spielt die geneti-sche Diagnostik bereits eine bedeutende Rolle (Brown & Rehm, 2012; Yang et al., 2012; Żak, 2011). Weiterhin wird erwar-tet, dass bildgebende Verfahren in Ver-bindung mit 3D­Drucker­Technologie und hochentwickelten Materialstoffen in Zukunft die Herstellung maßgeschneider-ter Implantate deutlich vereinfachen und verbessern werden (Zopf et al., 2013).

6.5 Fazit

Eine steigende Anzahl validierter geneti-scher Parameter lässt die Voraussage von Nebenwirkungen bzw. das therapeutische Ansprechen auf bestimmte Therapien zu.

Wegen unzureichender Datenlage im Sin-ne prospektiver klinischer Studien wer-den gegenwärtig nur wenige Arzneistoffe nach einem vorausgehenden genetischen Test verschrieben. Dies liegt unter ande-rem daran, dass die Arzneimittelwirkung, insbesondere bei multifaktoriell beding-ten Erkrankungen, in der Regel von einer hohen Anzahl teils noch unzureichend verstandener genetischer, phänotypischer und exogener Faktoren abhängt. In der Onkologie ist ein fundamentaler Wandel in Richtung zu einer Individualisierten Medizin im Gange. Die Hoffnung ist groß, dass ein vertieftes Verständnis der mo­

lekularen Mechanismen der Tumorentste-hung es ermöglicht, weitere wirksame und zielgerichtete Medikamente zu entwickeln.

Diese Medikamente sind in der Regel mit geringeren Nebenwirkungen verbunden als konventionelle, weniger spezifische Behandlungen. Zielgerichtete Substan-zen wie die Tyrosinkinase­Inhibitoren werden im Hinblick auf die Vermeidung von Resistenzbildung weiterentwickelt.

Die Erforschung immunotherapeutischer Verfahren, wie die Tumorvakzinierung und krebszellbindende Antikörper, sollte weiter vorangetrieben werden.

Neben Fortschritten in der Onkolo-gie gibt es in der molekularen Diagnostik übertragbarer Erkrankungen wie HPV, HIV und Hepatitis C ähnliche Entwick-lungen. Unter Berücksichtigung des vira-len Genotyps und weiterer Patientenpara-meter können präzise Prognosen erstellt und strategische Therapieentscheidun-gen getroffen werden. In der Kardiologie, Rheumatologie, Neurologie und der Be-handlung monogen erblicher Stoffwech-selerkrankungen sind bereits Ansätze zielgerichteter molekularer Therapien er-kennbar.

7 Ethische Grundlagen und rechtliche

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