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Die Annahme, dass die Apokalypse des Johannes ein Pseudepigraph sei, wird oft damit begründet, dass Werke der apokalyptischen Literatur des Juden‑

in der Apokalypse  – mit einem Seitenblick auf das Corpus Johanneum

2. Die Annahme, dass die Apokalypse des Johannes ein Pseudepigraph sei, wird oft damit begründet, dass Werke der apokalyptischen Literatur des Juden‑

tums Pseudepigraphen seien.26 Wir lassen jetzt einmal die Frage offen, inwieweit die Apokalypse überhaupt mit der (nach ihr benannten) apokalyptischen Li‑

teratur in eine Kategorie gehört (beziehungsweise inwieweit diese Kategorie für Forschungszwecke zu gebrauchen ist). Es sei nur das Folgende angedeutet.

Typisch für viele Werke der frühjüdischen Literatur ist die zentrale Stellung (nicht notwendigeweise implizite Autorschaft; s. u.) eines Protagonisten aus der biblischen Erzählwelt (Henoch, Daniel, Baruch, Esra), der sein Wissen – speziell dann, wenn es sich auf die Endzeit bezieht – durch prophetische Geschichts‑

überblicke legitimiert, die in Wahrheit Vaticinia ex eventu des (prophetisch meist ausgesprochen unbegabten) realen Verfassers sind. Solche in der Perspek‑

tive des realen (und vom realen Autor auch angezielten) Lesers retrospektiven

25 Dochhorn 2010, 50–52. Als orthonymes Werk sieht die Apc Joh offenbar auch Satake 2008, 32–44.

26 Vgl. Frey 1993, 425; Strecker 1992, 274.

Geschichtsüberblicke gibt es aber in der Apokalypse nicht, und ihr Johannes stammt auch nicht aus einer biblischen Erzählwelt, biblisch im Sinne dessen, was damals Schrift war (grosso modo unser Altes Testament). Er verzichtet auf einen Erweis seiner prophetischen Kompetenz – wohl deswegen, weil er nicht erst sicherstellen muss, dass er wirklich der Johannes ist, den man offenbar kennt.

Zwischen ihm und den Gemeinden besteht wohl schon eine Beziehung, was viel‑

leicht der bestimmte Artikel bei der Nennung der sieben Gemeinden in Apc Joh 1,4 andeutet (vgl. § 2.2) und wohl auch das Lokalkolorit27 in den Sendschreiben.

Nur nebenbei sei angedeutet, dass mit dem gattungsbezogenen Pseudepigra‑

phie‑Argument schwerwiegende methodische Defizite verbunden sind: Voraus‑

gesetzt wird die Pseudepigraphizität von Werken der jüdischen Offenbarungs‑

literatur, was keineswegs durchgehend stimmt, denn viele dieser Werke haben einen anonymen narrativen Rahmen (etwa das Danielbuch), durch den sie gerade nicht als Werk eines Autors erscheinen, etwa eines sagenhaften Verfassers aus alter Zeit. Aber selbst, wenn Pseudepigraphizität unfraglich zu konstatieren ist, etwa bei dem vielleicht später als die Apokalypse verfassten vierten Esrabuch, so kann noch nicht geschlossen werden, dass diese jemandem, der selber ein Pseudepigraph schreiben will, zum Vorbild dienen konnte, weil gar nicht so sicher ist, dass dieser sich bewußt sein konnte, es mit mit Pseudepigraphizität zu tun zu haben! Es müsste erst einmal gesichert sein, dass Pseudepigraphizität durchschaubar war, vielleicht auch sein sollte, und damit als Gattungskonvention fungieren konnte. Es gab in der Literatur der Menschheit Pseudepigraphizität, die so funktionierte, etwa in der koptischen Literatur des Mittelalters28, aber hier sind wir in einer anderen Zeit und in anderen Milieus. Pseudepigraphie hat viele Gesichter. Und manchmal ist sie auch gar nicht gegeben, so etwa im Falle der Apokalypse des Johannes.

Wer der Apokalypse des Johannes Orthonymie attestiert, sollte theoretisch dazu bereit und in der Lage sein, Auskunft darüber zu erteilen, wer dieser Johannes war. Ich bin dazu bereit, aber gegenwärtig nicht in der Lage. Auf‑

grund des Autoritätsanspruches der Apokalypse rechne ich mit einem Verfasser, der nicht ganz unbedeutend im christlichen Milieu gewesen sein wird. Als ein solcher kommt der Presbyter Johannes in Frage, den Papias unter anderem als Approbanden des Markusevangeliums erwähnt (vgl. Euseb, Hist Eccl III,39,15 (Schwartz/Mommsen 290–292). Auf ihn dürfte indes eher das Corpus Johan‑

neum zurückgehen29, und der Verfasser des Corpus Johanneum muss aus Grün‑

den der Stilkritik ein anderer sein als derjenige der Apokalypse.30 Ein anderer

27 Zum Lokalkolorit in den Sendschreiben vgl. Wood 1962 und Hemer 1986.

28 Vgl. Dochhorn 2014, 51–52; 119–120 (dort Anm. 8d).

29 Vgl. Hengel 1993.

30 Nach wie vor bin ich überzeugt durch Frey 1993, da er auch auf Unterschiede im Sprach‑

gebrauch abhebt, die weniger Ausdruck eines unterschiedlichen Stilwillens sind, der auch bei einem Autor wechseln kann, als vielmehr von Prägung.

Johannes, der prominent war, ist der Zebedaide, den schon Justin als Verfasser der Apokalypse ansieht.31 Von diesem sagen etwas unsichere Papiastraditionen allerdings, dass er genauso wie Jakobus von den Juden umgebracht worden sei, freilich ohne notwendigerweise auf eine Gleichzeitigkeit des Martyriums hinzudeuten (die ausweislich Acta 12,1 und Gal 2,9 auch ausgeschlossen ist), so dass Johannes dies Martyrium, wenn es denn geschehen ist, auch im hohen Alter widerfahren sein kann.32 Mk 10,35–40 ist kein Argument für einen frühen (vormarkinischen) Tod des Zebedaiden, der ihn als Verfasser der Apokalypse ausschließen würde: Die Ankündigung Jesu, dass die Zebedaiden seinen Becher trinken und seine Taufe empfangen würden, ist wohl kaum ein Vaticinium ex eventu33 als vielmehr eine Ankündigung von Leidensnachfolge, bei der man nicht unbedingt ums Leben kommen muß (vgl. die Worte von der Kreuzesnachfolge in Mk 8,34–38, die zu Mk 10,35–40 eine kompositorische Parallele bilden, insofern beide Texte auf eine Leidensweissagung folgen, vgl. Mk 8,31–33 // 10,32–34).

Der Zebedaide ist also noch nicht ausgeschlossen, aber damit haben wir wohl noch nicht genug in der Hand, ihn als Verfasser zu sichern. Es bleibt immer zu beachten, dass die Apokalypse nicht gerade am Anfang der urchristlichen Literaturproduktion steht und christliche Traditionsbildung in starkem Maße voraussetzt, was sich gerade auch in diesem Beitrag zeigt. Allerdings wird auch nur eine sehr schematische Betrachtung von Geschichte einem Christen der ersten Generation verwehren, zum ersten ein höheres Lebensalter zu erreichen und zum zweiten ein Spätwerk zu verfassen bzw. ein Werk, das auf der Synthese von mehreren Jahrzehnten Christentumsgeschichte beruht. Ein alter Mensch ist selten darauf beschränkt, der Botschafter der Ideen und Erlebnisse seiner Jugend zu sein, und wenn er ist, dann ist er zumeist unbedeutend.

31 Justin erwähnt in Dialogus cum Tryphone 81,4 (Goodspeed 193–194) „einen Mann mit Namen Johannes, einer der Apostel des Christus“ als Verfasser der Apokalypse; die Be‑

zeichnung „Apostel“ deutet auf den Zwölferkreis, vgl. Dial 42,1 (Goodspeed 138–139); vgl.

Dochhorn 2010, 47–48.

32 Vgl. Papias, Fragment Nr. 10 nach Körtner 1998, 62–63. Dieses Fragment findet sich in einer Sammlung von Euseb‑Exzerpten im Codex Oxford, Baroccianus 142, stammt aber nicht aus Euseb und wurde in der Forschung (auch bei Körtner) fälschlich Philipp von Side zu‑

geordnet, vgl. Michael Oberweis: Das Papias‑Zeugnis vom Tode des Johannes Zebedäi, New Testament Studies 38 (1996), 277–295, speziell 281–283. Es enthält mehrere Papiasnotizen, teilweise solche, die sich mit Euseb‑Material überlappen. Entscheidend ist der Satz Παπίας ἐν τῷ δευτέρῳ λόγῳ λέγει, ὅτι Ἰωάννης ὁ θεόλογος καὶ Ἰάκωβος ὁ ἀδελφὸς αὐτοῦ ὑπὸ Ἰουδαίων ἀνῃρέθησαν („Papias sagt im zweiten Buch, dass der Theologe Johannes und sein Bruder von den Juden ge‑

tötet worden seien“). Vgl. auch Fragment Nr 17 bei Körtner 68–69, ein Konvolut von Informa‑

tionen über Johannes (Rückkehr aus Patmos unter Nerva; Abfassung des Evangeliums; Tötung durch die Juden laut dem zweiten Buch des Papias; Beweis aus dem Jesuslogion Mk 10,38–39 //

Mt 20,23). Dem Kontext nach fand das Martyrium des Johannes im hohen Lebensalter statt, aber der Kontext ist nicht papianisch. Das Fragment Nr. 17 stammt aus einem Textzeugen des Georgius Monachus (Paris, Coislianus 305), vgl. Oberweis (wie oben), 279–280.

33 Als Vaticinium ex eventu, das auf einen Märtyrertod des Johannes Zebedäus vor Abfassung des Markusevangeliums deutet, wird Mk 10,35–40 verstanden bei Kraft 1974, 10.

3. Zur historischen Bedeutung der Autorschaftskonstruktion der Apokalypse des Johannes

Wie aus dem bisher Erörterten hervorgegangen sein dürfte, ist die Apokalypse des Johannes ein eher spätes Werk urchristlicher Literaturproduktion, in dem neben der Autorschaft Christi als des Offenbarers die Person eines – orthony‑

men – Autors namens Johannes sehr deutlich vor Augen tritt, deutlicher als in den narrativen Werken des Urchristentums und etwa so klar in der Ich‑Perspek‑

tivierung wie bei den Briefen des Paulus. Als Hintergrund dieser Autorschafts‑

konstruktion ist zum einen die neutestamentliche Briefliteratur identifiziert worden und zum anderen die Autorschaftskonstruktion eines Mose‑Pseudepi‑

graphs, der Apokalypse des Mose, die ihrerseits ihr Vorbild hatte in der Autor‑

schaftskonstruktion eines anderen Mose‑Pseudepigraphs, des Jubiläenbuchs. Es sind also eine typisch frühchristliche Traditionslinie und eine bereits im frühen Judentum etablierte Tradition miteinander kombiniert worden. Das Ergebnis ist eine Autorschaft, der einerseits die persönliche Greifbarkeit des Briefautors eignet und die andererseits so abgeleitet erscheint wie bei dem Offenbarungs‑

empfänger Moses, so dass hinter dieser Autorschaft eine weitere aufscheint, die nicht nur irdischer Natur ist. Der Autor Johannes erscheint mit dieser Konst‑

ruktion nicht geschwächt, im Gegenteil: Er kann auf eine außerhalb seiner selbst befindliche Autorität verweisen, ihm eignet Selbersein gleichermaßen wie Aufge‑

hobensein in einem anderen. Das Aufgehobensein in einem anderen war typisch für die Autorenkonzeption der Moseapokalypse, aber interessanterweise war sie eben auch bei dem Briefautor Paulus zu beobachten (Gal 2,20). Die Amalga‑

mierung der zwei im Hintergrund befindlichen Autorschaftskonzepte erscheint damit prästabilisiert durch Ansätze in diesen Konzepten selbst.

Schwer zu klären bleibt, wie die traditionsgeschichtlichen Prozesse genau abgelaufen sind, die dieser Amalgamierung vorausgegangen sein mögen. Dafür müsste eine Geschichte des neutestamentlichen Briefformulars rekonstruiert werden, was hier kaum geleistet werden kann. Nur die folgenden Bemerkungen seien gewagt:

1. Eine besondere Nähe weist das briefliche Incipit der Apokalypse zu dem echter Paulusbriefe auf. Dies ergibt sich aus dem Nebeneinander von Gnade und Friede in der Grußformel sowie aus dem Nebeneinander von Gott und Christus daselbst, die beide spezifisch paulinisch sind. Die Apokalypse teilt diese Eigen‑

heit mit dem ersten Petrusbrief, mit dem sie auch sonst einiges gemein hat und der im Übrigen eine starke Nähe zur paulinischen Theologie aufweist.34

2. Die Gegenprobe: Es fehlen Spezifika der Pastoralbriefe (zusätzliches „Er‑

barmen“ neben Gnade und Friede in der Salutatio der Timotheusbriefe, der Hin‑

34 Vgl. hierzu Goppelt 81978, 48–51.

weis auf Christus als Retter im Titusbrief). Auch mit den Incipits der zwei klei‑

nen Johannesbriefe hat das briefliche Incipit der Apokalypse nicht viel gemein.

3. Erst recht abständig im Vergleich zur Apokalypse sind das Incipit des Jako‑

busbriefes und das des Apostelbriefes in Acta 15, das mit dem des Jakobusbriefes die völlige Abhängigkeit von einem vorchristlich‑griechischen Briefformular teilt35 (zufällig? In Acta 15 ist Jakobus als am Brief beteiligt gedacht; was beide Briefe mit dem historischen Jakobus zu tun haben, kann hier indes nicht geklärt werden).

Es sieht insgesamt so aus, als habe die Apokalypse wie der erste Petrusbrief selbständig auf paulinisches Formular zurückgegriffen. Ob ihr Verfasser Pau‑

lusbriefe gelesen hat, ist schwer zu klären; zu beachten ist, dass ausweislich der echten Ignatianen Briefe des Paulus im kleinasiatischen (und antiochenischen Milieu) zumindest kurz nach dem Jahre 100 nicht unbekannt waren (vgl. Ign, Eph 12,2).36 Aber gerade Konventionen der Briefstellerei können vielleicht auch ohne direkte literarische Abhängigkeit weitervermittelt werden.

Erstaunlich erscheint auf den ersten Blick der Einfluss eines Mose‑Pseudepi‑

graphs aus dem frühjüdischen Milieu. Doch dies liegt historisch näher als man zunächst annehmen mag. Zunächst: Dass es ein Pseudepigraph ist, welches hier einen orthonymen Verfasser für die Konstruktion des Autorenbildes beeinflusst, muss nicht überraschen: Die Pseudepigraphizität der Apokalypse des Mose muss ihm nicht unbedingt bekannt gewesen sein, oder er hat ein Verständnis einer solchen Verfasserschaft, mit dem das betreffende Werk nicht als Fälschung er‑

scheint, wie auch immer dieses Verständnis ausgesehen haben mag. Abgesehen davon: Es erscheint tatsächlich naheliegend, dass es genau dieses Pseudepigra‑

phon war, welches hier im Hintergrund steht. Es war schon aufgezeigt wor‑

den, dass die Apokalypse des Mose im frühen Christentum auch sonst Spuren hinterlassen hat; hier bleibt hinzuzufügen, dass gerade Mose‑Parabiblica im frü‑

hen Christentum und seinem Entstehungsmilieu offenbar eine besondere Rolle spielten: Auch das der Mose‑Apokalypse nahestehende Jubiläenbuch ist ein Mose‑Parabiblicum. Es war schon im Judentum sehr prominent, und später war es in christlichen Kreisen derart etabliert, dass es zumindest in der äthiopischen Kirche kanonisch werden konnte.37 Sein lateinischer Text ist fragmentarisch in einem Mailänder Palimpsest aus dem sechsten Jahrhundert überliefert, in dem es mit der Assumptio Mosis zusammensteht, einem weiteren Mose‑Parabiblicum, das von der Apokalypse des Mose abhängig sein dürfte und vom Judasbrief wohl

35 Unter anderem besteht die Salutatio in beiden Briefen wie gewöhnlich in griechischen Briefen aus einem bloßen χαίρειν (Acta 15,23; Jak 1,1), vgl. die Parallelen in Papyrusbriefen bei Lietzmann 1934, 4–15.

36 Zur Rezeption der Paulusbriefe bei Ignatius vgl. Zahn 1889, 816–819.

37 Das Jubiläenbuch wird im Damaskusdokument zitiert, vgl. CD XVI,3–4 und ist mehrfach in den Qumranfunden bezeugt, vgl. 1Q 18; 2Q 19, 2Q 20; 3Q 5; 4Q 221; 11Q Jub. Zu seiner Verbreitung im Christentum vgl. Rönsch 1874, 251–382. Zum äthiopischen Bibelkanon vgl.

Brandt 2000 , 79–115.

genauso als kanonische Schrift vorausgesetzt wird wie später bei Kirchenschrift‑

stellern des alexandrinischen Christentums (Clemens von Alexandrien, Orige‑

nes, Didymus).38 Mose‑Parabiblica konnten offenbar eine besondere Autorität entfalten im frühen Christentum.

Bei der Konstruktion von Verfasserschaft in der Apokalypse fand also neben einem Rückgriff auf spezifisch Urchristliches (paulinische Briefstellerei) auch die Aufnahme von nichtchristlich‑jüdischem Traditionsgut statt. Dies ist gar nicht so untypisch für die Apokalypse: Konstitutiv für ihre Visionen und Auditionen ist einmal der Bezug zu alttestamentlichen Texten und daneben der Einsatz von Traditionswissen, und letzteres kann sowohl spezifisch christlich sein wie dem breiteren Kontext des frühen Judentums entstammen.39

Das Autoren‑Ich der Apokalypse hat Eindruck bei christlichen Lesern ge‑

macht, und dies schon in ziemlich früher Zeit. Dies gilt zunächst für Justin, der die Apokalypse mit deutlicher Autorenreferenz zitiert, anders als im Falle der Evangelienüberlieferung: Die Evanglienüberlieferung, der man ja einiges an Prominenz zutrauen wird, führt er unter der kollektiven und damit auch ano‑

nymisierenden Bezeichnung ἀπομνημονεύματατῶνἀποστόλων („Dokumente der Apostel“) an40, doch den Verfasser der Apokalypse nennt er namentlich: „Ein Mann bei uns mit Namen Johannes, einer der Apostel des Christus“ (παρἡμῖν ἀνήρτις, ᾧὄνομαἸωάννης, εἷςτῶνἀποστόλωντοῦΧριστοῦ), habe „in einer Offen‑

barung, die ihm zuteil geworden“ (ἐνἀποκαλύψει γενομένῃαὐτῷ), eine Periode von 1000 Jahren prophezeit, in welcher die Gläubigen vor der Auferstehung der Toten in Jerusalem leben würden.41 Hier tritt uns Johannes genauso als Person entgegen wie er als Offenbarungsempfänger ausgewiesen wird, aber der primäre Autor der Offenbarungsmitteilung an Johannes, also Jesus, wird nicht mehr ex‑

plizit erwähnt. Es passt zu dieser Entwicklung, wenn der Titulus der Apokalypse dann nicht Jesus, sondern Johannes als personales Element mit sich führt, ein Vorgang freilich, der die Evangelien genauso betrifft, deren Tituli ja nicht den allen gemeinsamen Jesusbezug explizit machen, sondern einen unterscheidbaren Evangelistennamen enthalten.

In voller Entfaltung tritt uns ein Bild des Autors der Apokalypse bei Irenäus entgegen. In Adversus Haereses V,30,1 (Stieren I, 799–801) lehnt Irenäus unter Hinweis auf Augenzeugen, die Johannes von Angesicht zu Angesicht gesehen hätten, eine Textvariante ab, die als Zahl des Tieres 616 liest und nicht 666, und in

38 Vom Codex Ambrosianus C 73 inf (6. Jh.) sind 40 Folien mit dem Jubiläenbuch und 8 Folien mit der Assumptio Mosis in verwirrter Reihenfolge erhalten, vgl. Rönsch 1874, 1–3.

Zur Aufnahme der Assumptio Mosis in Judas 9 und bei Kirchenschriftstellern vgl. das Material bei Clemen 1904, 15–16. Ich bereite eine Studie vor, die unter anderem nachweist, dass die Assumptio Mosis von mehreren dieser Kirchenschriftsteller wie wohl auch vom Judasbrief als autoritativ gültiges Schriftzeugnis verstanden wurde.

39 Vgl. hierzu Dochhorn 2010, 64–76.

40 Vgl. Apologia Prima 66,3; 67,3; Dialogus cum Tryphone 101,3; 102,5; 103,6.8; 104,1; 106,1,

41 Vgl. Dialogus cum Tryphone 81,4 (Goodspeed 193–194).

Adv Haer V,30,3 wird dann über den, der die Apokalypse gesehen hat, mitgeteilt, dass dieser das Geheimnis der Zahl 666, den Namen des Antichristen, schon mitgeteilt hätte, wenn dies angemessen gewesen wäre, und dann heißt es schließ‑

lich, die Apokalypse sei „beinahe zur Zeit unserer Generation gesehen wor‑

den“, nämlich gegen Ende der Regierungszeit Domitians. Hier haben wir einen Autor der Apokalypse, den andere gesehen haben und dessen Zugänglichkeit über Augenzeugenberichte seinen Text gegen Variantenbildung autorisiert. Wie glaubhaft diese Konstruktion immer auch erscheinen mag, wir sollen uns hier als implizite Leser in einer Lage sehen, in der wir uns grosso modo auch bei den Tischgesprächen Luthers wiederfinden, nur dass die Tradenten anonym bleiben.

Ein Moment bleibt hervorzuheben, das auch schon bei den anderen Belegen eine Rolle gespielt hat: Der Autor, der als Person so lebendig vor Augen tritt, wird vorrangig als Seher präsentiert; es scheint, dass ein Seher besonders gute Chancen hat, bei frühchristlichen Rezipienten eine Karriere als Autorenpersön‑

lichkeit zu machen. Eine Parallele hierzu findet sich in einem Buch, das nur kurz nach dem von Irenäus angegebenen Entstehungsdatum der Apokalypse (mag dies nun stimmen oder nicht) entstanden sein soll, und diesmal ist der Gewährsmann Hippolyt. Dieser berichtet in Refutatio IX,13–17 (Marcovich;

PTS 25, 357–363) von einem Buch des Elchasai, das für das dritte Jahr des Kaisers Trajan eine allgemeine Gelegenheit zur Buße verkündet (Refutatio IX,13,4) und mit dessen Sieg über die Parther Zukunftsweissagungen assoziiert (Refutatio IX,16,4). Signifikant ist, dass hier sehr klar ein Autor zutagetritt, und dieser wie‑

derum ist ein Seher: Sein Buch sei Elchasai, so Hippolyt, von einem Engel offen‑

bart worden, dessen mehrere Meilen umfassende Leibesgröße ebenso geschildert wird wie die eines ebenso großen weiblichen Engels, der ihn begleitet; die beiden Gestalten werden als der Sohn Gottes und der Heilige Geist identifiziert (vgl.

Refutatio IX,13,2–3). Wie im brieflichen Incipit der Apokalypse scheint hier ein Stück christliche Offenbarungsliteratur bemüht, neben Jesus Christus auch dem Heiligen Geist einen gebührenden Ort zuzuweisen. Auch die bei Elchasai stark hervortretende Engelchristologie hat vielleicht Entsprechungen in der Apo‑

kalypse, deren Eingangsvision (Apc Joh 1,9–20) sich wohl nicht unbeträchtlich an der Angelophanie in Dan 10,6–11 orientiert.42 Vielleicht ist Elchasai abhängig von der Apokalypse, vielleicht hat sie ihn darin bestärkt, sich als Seher‑Autor zu präsentieren.43

42 Vgl. Frey 2001, 161–185, speziell 170–173.

43 Einen Seher‑Autor hat auch der Hirt des Hermas, den ich hier aber nicht berücksichtigen kann; zur Autorschaft und Kommunikationsstruktur dieses – wie die Apc Joh orthonymen – Werkes vgl. Rüpke 2005 und seinen Beitrag hier im Band.

4. Appendix: Eine parallele Entwicklung im Corpus Johanneum

Die Konstruktion von Autorschaft in der Apokalypse findet Parallelen im Cor‑

pus Johanneum. Dort tritt Autorschaft zwar nicht so deutlich vor Augen wie bei der Apokalypse, aber ein Konzept von Autorschaft ist vorhanden, und es beruht wie bei der Apokalypse auf Amalgamierungsprozessen. Es ergibt sich meines Erachtens die folgende Situation, die hier in knapper Form zu umreißen ist:44