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Angebot von unten, Nachfrage von oben - und die Folgen

Es ist eine besondere partielle Intelligenz, die ln ..

habern der Macht im Gemeinwesen Selbstbehaup-tung ermöglicht. Diese fast beneidenswerte, freilich nur punktuelle Begabung richtet sich vornehmlich auf alles das, was der Erhaltung, der Stärkung und natürlich auch der Ausdehnung von Macht dienen kann. Wer nämlich die Macht im Staate hat, be-stimmt das Recht, die Moral, gewisse Verhaltenswei-sen und- die Musik. Sie werden einwenden, dies sei doch wohl eine grobe Verallgemeinerung und so un-spezifisch, wie autoritäre Utopien nun einmal sind.

Richtig, denn in derTat handelt es sich um eine auto-ritäre Utopie. Es ist sozusagen das Handlungsmodell für fast alle Inhaber der Macht, von wenigen Ausnah-men abgesehen. Was die historisch belegbare Praxis angeht, ist zu differenzieren. Politische Realität setzt selbst dem barbarischen Diktator an irgendeinem Punkt Grenzen. Lassen Sie mich also differenzieren:

Der Besitz der Macht zwingt den Machthaber zu unablässigen Versuchen, nicht nur sein Recht und seine Moral zu bestimmen, sondern auch seine Ton-kunst. Dies ist so etwas wie ein Situationszwang, dem er nicht ausweichen kann. Er kann gar nicht anders als sich aller Instrumente zur Erhaltung und Ausübung der Macht fortwährend zu versichern. 0 b es sich dabei überhaupt um praktikable Instrumente für diesen Zweck handelt, oder ob er sie nur für solche hält, ist unerheblich. Jedenfalls liegt es in der Natur der Macht, daß sie den Untertanen, den Beherrschten, bewußt gemacht werden muß. Nicht nur das. Sie muß auch nach außen demonstriert und fortwährend verteidigt werden. Zur Macht gehört die Macht-Show. Inhaber von Macht geraten von selber in eine Wahnweit Sie leiden unter der unvermeidli-chen Vorstellung, ihre Macht könnte irgendwie schwinden. Diese paranoische Angst erfordert stän-, dig vorsorgliche Gegenmaßnahmen. Daher handeln

Machthaber unter dem Zwang, alle unter ihre Herr-schaft fallenden Bereiche kontrollieren und persön-lich gestalten zu müssen. Ob ihre Moral, Phantasie oder geistige Potenz dazu überhaupt hinreichen, bleibt außer Betracht. So stellte sich Stalin ungeniert als der erste und größte Sprachwissenschafter der UdSSR vor; so belehrte der deutsche Reichspropa-gandaminister Goebbels die Komponisten und Musi-ker des NS-Staates über die Ideale der Tonkunst in der Nachfolge Beethovens und Wagners.

Die Politiker der sogenannten freiheitlich-demo-kratischen Länder, mag ihre Macht auch vergleichs-weise mittelbar sein, halten sich in dieser Frage kei-neswegs klug zurück. Zwar sind sie- anders als etwa Diktatoren und Putschgeneräle- wahlperiodenweise austauschbar; das System der sogenannten

demo-kratischen Mehrheitsentscheidung bringt aber mit wenigen Ausnahmen immer einen bestimmten Typus an die Spitze. Mehrheiten sind Quantitäten, zu zäh-len, nicht zu wägen. Die numerisch kärgliche Elite der Informierten, Kritischen, Verantwortungsbewußten wird perWahlordnungund völlig demokratisch drau-ßen gehalten. Und noch immer gilt das Sprichwort

"G Ieich zu gleich gesellt sich gern" ... auch mit dem Wahlzettel. Dieser Zusammenhang erklärt, weswe-gen unsere demokratisch und mit Willen eines bestimmten Volksteils an die Macht gekommenen Politiker so normal reagieren. Rang ist auch für sie Zwang. Auch sie verbreiten sich von Fall zu Fall, welche öffentlich bedeutsame Rolle die Tonkunst im Lande habe, erst recht aber jenseits der Grenzen und hier zwecks Sympathiewerbung, vor allem zur Teilnahme am friedlichen internationalen Wettbe-werb der Künste. Gemeint ist Kunst von und mit Künstlern, die überhaupt keine andere Beziehung zu solchen Politikern haben müssen - außer der glei-chen Staatsbürgerschaft

Diese eher formelle Kennzeichnung verschafft den Staatsmännern - und bislang handelt es sich größtenteils immer um Männer - eine praktische Möglichkeit der Identifikation. Nicht daß sie sich ver-sucht sehen, die Künstler als gleichberechtigt zu akzeptieren, gar die Macht mit ihnen zu teilen. Die Identifikation funktioniert gerade umgekehrt. Der Politiker identifiziert die Künstler nicht mit sich, son-dern sich mit den Künstlern. So wird einer- wie einst Hitler - der "erste Künstler des Staates". Wann immer dann ein Künstler politischen Ehrgeiz in Rich-tung Reform entwickeln sollte, kann er kleingehalten werden mit dem Sprichwort "Künstler bilde, rede nicht". Nachdrücklichere Mittel, einen kritischen Geist aufs Metier zu reduzieren, stehen im Arsenal eines jeden Staates bereit. Da Macht bei den Unter-tanen Achtung gebietet und Vorsicht weckt, haben Politiker, wenn sie nicht ganz und gar ungeschickt sind im Umgang mit dem Geist, gute Chancen, die Künstler zu Komplizen zu machen.

Dies geschieht regelmäßig, denn es begünstigt die Erhaltung der Macht. Bekanntlich erscheint an einem bestimmten Punkt der Geschichte ein Wun-derwesen, das sich selber den Ehrentitel "freier"

Künstler zulegt. Bis zu diesem Punkt war Kunst- mit wenigen Ausnahmen- ein Erzeugnis der handwerkli-chen Arbeit von begabten Lohnempfängern in Dien-sten der Rathäuser, der Kirchen, der Schlösser. Be-dienstete produzierten Turmmusiken, liturgische Kantaten, Huldigungsgesänge für den Fürsten. Dafür erhielten sie satt zu essen und jene fürsorgliche Auf-merksamkeit des Brotgebers, der im Zweifelsfalle

natürlich der größere Künstler war und sich durch häufige Mängelrügen auch als solcher beweisen mußte. Diese gottgefällige Weltordnung- oben und unten klar unterscheidbar - erlitt durch die franzö-sische Revolution Schaden.

Nun plötzlich erfreuten sich dieMusikereiner Frei-heit, die ganz anders aussah als jene, die sie gemeint und die ihr Herz erfüllt hatte. Kein Potentat mehr, der ihnen über die Schulter schaute und gelegentlich sogar die Flöte aus der Hand riß und indigniert vor-machte, wie es richtig sei. Dafür die strikte Notwen-digkeit zu produzieren, immer ins Blaue hinein und auf der Suche nach einem tunliehst beständigen Markt. Die Freiheit der Kunst ging unvermeidlich mit Magenknurren einher. Für die Kunst war das ein för-derlicher Effekt. Die Notwendigkeit, in solcher himm-lischer Freiheit zu bestehen, sich gegen die Konkur-renz zu wehren, sich Neuesund Unerhörtes einfallen zu lassen, resultierte in einem schier unerschöpfli-chen Reichtum an Formen und Stilen. Methoden der Vermarktung, der Werbung, der Urhebersicherung rankten sich daran mit empor. Findige Verwerter schnitten sich mit unsäglichen Techniken der Aus-beutung künstlerischer Arbeit ein Riesenstück aus dem wachsenden Kuchen heraus.

Wer den Gürtel im letzten Loch hat, dem fließen leicht umstürzlerische Gedanken zu. Aber die Revo-lutionen schlugen fast durchweg fehl. Die Zusam-menschlüsse der Musiker in Musikvereinen, Orche-stergesellschaften und sonstigen praktischen Grup-pierungen halfen nur begrenzt. Die Restauration marschierte. Der immer weiter sich verschärfende Zwang, im sogenannten .,freien" Wettbewerb mit-zuhalten, zerstörte die notwendige Solidarität. Wer es dennoch schaffte, ein eigenes Publikum zu gewin-nen und auf Dauer zu erhalten, konnte sich für ein auserwähltes Genie halten. Die anderen fühlten sich inzwischen als verkannte Genies. Aber der existen-tielle Schock durch die französische Revolution ließ nach. Fürsten und Könige triumphierten, nachdem Napoleon diese Revolution verraten und verspielt hatte. Noch einmal feierte die autokratische Gewalt der Könige und Kaiser bedrückende Urständ. in die-ser Situation gingen Machthaber und Musiker erneut ein Bündnis ein. Die Potentaten wollten nutzen, was ein kulturhistorischer Zufall ihnen in den Schoß gelegt hatte: das unvergleichliche Erbe an klassi-scher und romantiklassi-scherMusikvon Bach bis Wagner und Bruckner. Die weltweite Beliebtheit zum Beispiel Beethovens war Ereignis. Seine Partituren schienen Symbol für deutsche schöpferische Begabung, deut-sches Wesen und vor allem deutsche politische Be-deutung. Unkritische Allegorien wie diese fallen ja besonders leicht, und die Einsicht, daß Beethoven absolut nichts mit deutschen oder Österreichischen Regierungen zu tun hatte, hätte das gepflegte Selbstbewußtsein der Reichsherren angekratzt. Kein Zufall, daß noch so realitätsferne Stimmen Gehör fanden. So verkündete der Musikschriftsteller Paul M arsop 1885:

.,Weswegen ist denn unsere Musik so gewaltig her-angewachsen, weswegen erzwingt sie sich heute gebieterisch allüberall Ehre und Einfluß, weswegen beugt sie Jeden durch ihre überwältigende Macht zu Boden, der sich mit chauvin.lstischer Grimasse gegen sie auflehnt? Weil sie aus nationaler Erde herausgewachsen und zu nationaler Kraft erstarkt ist. Wo gäbe es heute ein Land, welches uns auf musikalischem Gebiet nicht tributpflichtig wäre?., Das ist durchaus in militärtaktischen Kategorien ge-dacht. Der Autor pervertiert dieMusikzur Waffe, die imponiert, expandiert, niederwirft und Beute in Form von Tributen der Besiegten einbringt. Musik- nicht mehr Sprache des Friedens und der Liebe? Musik ein Medium der politischen Herrschaft und gezielt ein-setzbar zur Kriegsführung mit anderen Mitteln und womöglich noch mit der heuchlerischen Entschuldi-gung, daß niemand durch Musikhören zu Tode komme?

Fest steht freilich, daß Musik Wirkung ausübt und deswegen therapeutisch angewendet werden kann.

Ihre physiologischen Wirkungen sind absolut sicher verbürgt und im Experiment weithin wiederholbar.

Sie treten jedoch nicht unter allen Umständen ein.

Wir wissen aber, daß bestimmte Kompositionen auf bestimmte Versuchspersonen körperlich verändernd wirken. Solches funktioniert keineswegs automa-tisch. Musik ist eben keine Droge.Musikalische Bil-dung und Gewohnheit, das kulturelle Ambiente des Hörers, sein Erwartungshorizont spiegelt sich in der Unterschiedlichkeit der Ergebnisse. Erzeugt werden individuelle Reaktionen, nicht Massenwirkungen.

Derart lassen sich Herzschlag, Hirnströme, Pulsfre-quenz, Blutdruck, Hautfeuchtigkeit und dergleichen meßbar beeinflussen. Musik kann das. Aber was heißt schon Musik? Diese Komposition macht einen anderen Effekt als jene, und eine dritte wirkt wieder anders. Wer ein bestimmtes Stück kennt und liebt, liefert sich seiner Wirkung leichter aus als jemand, der diese Musik nie zuvor gehört hat, also keine Erin-nerung mit ihr verbindet und sie vielleicht gar ver-abscheut. An der individuellen physiologischen Wir-kung von Musik läßt sich jedenfalls nicht zweifeln.

Diese Wirkung hat aber keine Bedeutung, wenn es darum geht, derMusikpolitische Kampfkraft abzuge-winnen. Hierzu bedarf es eines Mediums, das große Massen beeinflußt und nicht nur den Enzelmen-schen. Diese Wirkung muß undifferenziert in eine, zudem im Voraus bestimmbare Richtung drängen.

Alle Herzen müssen höher schlagen, nicht nur einige wenige. Musik muß also bringen, was nur eine Droge vermag, das aber zeitlich nicht begrenzt. Es ist leicht einzusehen, daß kurzfristige und vorübergehende Wirkungen für eine tönende politische Überzeu-gungs- und Glaubenskampagne nicht hineinreichen.

Wenn schon Droge, dann mit Depot, aus dem das Gift nach und nach ins Blut oder auf den Geist geht.

Musikstücke fangen an und enden. Mit politischem Sinn aufzufüllende Formen sind zumeist kürzer als andere. Für die Dauer von Strophenliedern gibt es sicher eine Grenze der Erträglichkeit. Zumindest hält es kein Mensch aus, vierundzwanzig Stunden am Tag mit Musik vollgestopft zu werden; schließlich liegt er

rund ein Drittel dieser Zeit im Schlaf. Viele Lebens-verrichtungeo sind mit tönender Begleitung gar nicht möglich. Hat aber die Musik ihre beschränkte Zeit, dann äußert sich jede denkbare Wirkung in dieser selben Zeit. Zum Kummer der Politiker ist Musik flüchtig; ihr fehlt der Langzeiteffekt, mit dem poli-tische Glaubenslehre steht und fällt. Deswegen muß-te der Anspruch an sie modifiziert werden.

Folgerichtig schränkte Hitler 1938 ein:

"Es ist aber gänzlich unmöglich, eine Weltan-schauung als Wissenschaft musikalisch zum Aus-druck zu bringen. Man kann unter Zuhilfenahme vor-handener musikalisch, d.h. besser inhaltlich festge-legter Arbeiten von früher bestimmte Zeitgemälde entwickeln, es ist aber unmöglich, bestimmte wis-senschaftliche, politische Erkenntnisse oder poli-tische Vorgänge musikalisch deuten oder gar vertie-fen zu wollen. Es gibt daher weder eine musikalische Parteigeschichte, noch eine musikalische Weltan-schauung, ebenso gibt es auch keine musikalische Illustrierung oder Deutung philosophischer Erkennt-nisse. Dafür ist ausschließlich die Sprache da." Wie wahr. Aber dann wäre die Existenz politischer Musik bloßes Wunschdenken. Wenn mitMusikkeine Politik zu machen ist, wieso konnte sie dann immerfort poli-tisch benutzt werden? Schließlich war und ist zum Beispiel die "Marseillaise" gewiß ein politisches Sym-bol. Selbst ohne ihren traditionellen blutrünstigen Text hat sie ganz klar umrissene Bedeutung. Sogar irgendein neuer Text und sei es zwecks Waschmittel-reklame zerstört nicht den originalen Sinn der Melo-die. Noch in der Verkürzung- etwa auf die fünf ersten Töne- ist sie wiedererkennbar.lmmer aber entfaltet sie ihre politische Signalwirkung nur für den, der mit diesem Lied und seinem historischen Sinn ungefähr vertraut ist. Vordergründig handelt es sich um einen geschwinden Marsch. Marschmusik- und das erklärt ihre Beliebtheit bei Machthabern jeder Couleur- ani-miert zum Marschieren. So ein motorischer Viervier-teltakt duldet keinen Widerstand; die meisten Natio-nalhymnen - also Staatssymbole - bedienen sich dieser Bewegung. Nachweisbar ist der motorische Reiz, der zum Zwang ausarten kann; was dem Men-schen sonst nicht geschieht, scheint eine Frage der Spekulation. Mit theoretischen Erörterungen halten sich die Benutzer von Musik und Menschen indes nicht auf. Für sie ist es näherliegend zu hoffen, die derart angewandte Tonkunst möge so wirken wie sie soll und muß und wie eh und je.

Sollen wir es für einen Zufall halten, daß immer dann, wenn ein Machthaber sein Interesse für die Musik bekundet, unweigerlich ein ehrfurchtgebieten-der Kronzeuge aufgerufen wird? Seine klassische Autorität verleiht dem allerhöchsten Musikfreund sozusagen den Bruderkuß letzterer und höchster Weltweisheit. Es genügt schon, den Namen zu

nen-nen. Gegen Platon ist jeder Widerstand zwecklos. Da der antike Philosoph nicht mehr unter den Lebenden weilt, braucht man nicht mit ihm zu diskutieren. Er kann beliebig benutzt werden. Kein Problem, daß wir inzwischen andere Zeiten haben; was macht es denn, daß Musik und Musikbetrieb heute nur der

Be-zeichnungnach mit ihren griechischen Vorläufern zu tun haben? So ein Philosoph hält ewig. Jedes Zitat beschwört knapp zweieinhalb Jahrtausende abend-ländischer Geistesgeschichte. Politiker beherrschen diesen imposanten Trick. Und wenn sie nicht wissen, wer Platon war, helfen Gelehrte und Musiker ihnen gern. Der griechische Denker unterschied gute und nützlicheMusikvon der schlechten und schädlichen.

Aus der Mythologie leitete er moralische Kategorien ab. Für ihn symbolisiert Tonkunst sehr direkt den Staat; sie nützt oder schadet dem Gemeinwesen.

Folglich muß die rechte Art Musik gepflegt, die falsche unterbunden werden. Kontrolleure haben für die systemerhaltende Musik zu wachen ... denn -nicht wahr?- "eine Art von Musik einzuführen, muß man sich hüten, weil es das Ganze gefährden heißt;

denn nirgends wird an den Weisen der Musik gerüt-telt, ohne daß die wichtigsten Gesetze des Staates mit erschüttert würden". So weit Platon. Klar, daß seine Definition von Tonkunst auf die Verbindung von Melodie und Text sich beschränkt; er will Darstellung, volkspädagogischen Inhalt. Nur Instrumentales gilt ihm als "leeres Gaukelspiel".

Aus diesem Vorrat von Wertungen konnten die Politiker ablesen, welchen Nutzen die Musik in ihrem Herrschaftsbereich zu stiften imstande war. Akade-mische Ideenzuträger sahen ihre Chance. So verkün-dete der Universitätsprofessor D r. Karl G ustav Feile-rer 1933:

"Die Musik ist Ausdruck des Menschen und der Mensch Träger des Gemeinwesens, das einheitlich im Sinne des alten Polis-Ideals gerichtet sein muß;

deshalb dürfen nicht Menschen durch eine neue fremdartige Musik verändert werden, und wenn aus ihnen eine neue Musik spricht, dann hat sich auch ihr Charakter verändert, so daß eine polizeiliche

Beauf-sichtigung und Zurechtweisung dieser Menschen notwendig wird."

So viel schamloser Zynismus bleibt unvergessen.

Der Musikgelehrte Feilerer formulierte Platons Postu-late wahrhaft zeitgemäß. Es war der erste einer Reihe von Akten der Anbiederung, die ihm den Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Universität Köln bescher-ten. Es kann ihm nicht entgangen sein, daß Platon von seinem Ideal einer menschenfeindlichen Despo-tie sprach. Die Empfehlung dieses Vorbilds kam frei-lich nicht von ungefähr. Das neue Regime hatte er-kennen lassen, daß es von einer ganz bestimmten Musik gleichsam ideologische Stärkung erwartete, überzeugende Demonstration der schöpferischen Kräfte des deutschen Volkes, nicht zuletzt auch Übertönung des nationalen Minderwertigkeitskom-plexes nach dem Verlust des Ersten Weltkriegs. Wir sind noch da, hieß das; und: Wir sind wieder wer.

Schon 1921 hatte der Musikforscher Konrad Huschke ungeniert. über Tonkunst als Waffe "gegen unsere Feinde" theoretisiert. Seine Kernsätze:

"Die deutscheMusikhat (außer durch ihre Vielsei-tigkeit) durch ihre Tiefe, ihren hohen sittlichen Ernst und ihre edle Menschlichkeit in der ganzen Weit Siege errungen, auch wo sie nicht die Hände nach Weltgeltung ausstreckte, sondern bodenständig blieb, ja sogar oft gerade da, wie sie - ich erwähnte oben schon Bach und Wagner- im stärksten Maße national gebunden war. Sorgen wir dafür, daß sie ihre in der Geschichte bewährten hohen Eigenschaften behält und nicht von kosmopolitischen Schwarmgei·

stern und Firlefanzen, die von ihrem wahren Wert kaum einen Hauch verspüren, ins Schlepptau ge-nommen und ihrer Wesensart entfremdet wird. Was die uns als engherzigen Chauvinismus auslegen, ist bei anderen Nationen eine Selbstverständlichkeit, nämlich die Liebe zum Vaterlande, auch in der Kunst."

Solches freut die Konservativen; es war sozu-sagen ihre Bestätigung von der hohen Warte der Wissenschaft. Sie brauchten sich nur zu bedienen.

Die Republikaner standen ihnen keineswegs nach.

Fortan galt Musik nur so viel, wie ihre politische An-wendung einbrachte oder einzubringen versprach.

Musik mußte der Volkserziehung dienen, rechts wie links und gegeneinander. Der Bedarf an anpassungs-fähigen Musikern wuchs. Kunst und Staat kamen einander weiter entgegen als je zuvor. Beide gingen ein Zweckbündnis ein, das in der weitgehenden Ver-staatlichung der musikalischen Produktionseinrich-tungen gipfelte. Kommunen, Provinzialregierungen und das Reich eigneten sich Konservatorien und Musikhochschulen an, übernahmen Sinfonieorche-ster und Musiktheater, schenkten dem einzelnen Musiker Daseinssicherung von nie gekannter Voll-ständigkeit. Gesetze regelten Urlaub und Arbeitszeit, Überstundenentgelte, Familienzuschläge, Rentenan-sprüche und Krankenversicherung. Der bestgestellte Hofmusicus früherer Jahrhunderte hätte vor Neid er-blassen können.

Alle diese Privilegien schafften die strapaziöse und immer auch Unruhe stiftende "freie" Kunst fast

gänzlich ab. Denn was der Staat nun leistete, war kein Geschenk. Er wünschte dafür Gegenleistung.

Die Musiker sollten Musik machen, nicht irgendeine, sondern die von den Lenkern des Staates für ge-eignet befundene. Ob Diktatur oder parlamenta-rische Demokratie: Der Kunstwille der Obrigkeit unterscheidet sich nicht im Grundsatz, nur in Gra-den. Klar, es war Goebbels, der 1935 verkündete:

"Wir haben nicht den Ehrgeiz, dem Dirigenten vorzu-schreiben, wie er seine Partitur zu dirigieren habe.

Aber was gespielt wird und was dem Geiste unserer Zeit entspricht, darüber behalten wir uns das souve-räne Vorrecht vor zu bestimmen."

Andererseits war es zehn Jahre zuvor das demo-kratische Stadtoberhaupt von Köln, Konrad Ade-nauer, mit dem Verbot einer Bartok-Aufführung im Stadttheater. Fast gleichzeitig unterband die Stadt-verwaltung Prag, nicht weniger demokratisch, eine Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck" im Natio-naltheater. Solche und ähnliche Fälle von Mißbilli-gung unterstrichen zugleich die Vorzüge, die amt-liche Billigung mit sich brachte. Und nicht immer waren garstige politische Lieder verlangt; die Musi-ker brauchten also nur klitzekleine Teilchen ihrer Seele zu verkaufen und mußten sich daher auch nicht korrupt vorkommen. Zudem hatten viele natür-lich von vornherein die richtige politische

Andererseits war es zehn Jahre zuvor das demo-kratische Stadtoberhaupt von Köln, Konrad Ade-nauer, mit dem Verbot einer Bartok-Aufführung im Stadttheater. Fast gleichzeitig unterband die Stadt-verwaltung Prag, nicht weniger demokratisch, eine Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck" im Natio-naltheater. Solche und ähnliche Fälle von Mißbilli-gung unterstrichen zugleich die Vorzüge, die amt-liche Billigung mit sich brachte. Und nicht immer waren garstige politische Lieder verlangt; die Musi-ker brauchten also nur klitzekleine Teilchen ihrer Seele zu verkaufen und mußten sich daher auch nicht korrupt vorkommen. Zudem hatten viele natür-lich von vornherein die richtige politische