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Anforderungen an das Persönliche Budget

Aus diesen Vorbemerkungen lassen sich einige An-forderungen ableiten, die wir an das Persönliche Budget stellen.

1. Nicht nur einem ausgewählten Personenkreis Das Persönliche Budget sollte nicht nur einem aus-gewählten Kreis von Personen eröffnet werden, son-dern es sollte eine Möglichkeit für behinderte Men-schen mit allen Hilfebedarfen sein. Es kann nicht zwei Gruppen von Budgetfähigen und Budgetunfä-higen geben, sondern es sollte möglichst allen Per-sonenkreisen offen stehen. Unsere bundesrepubli-kanische Tradition der Nichtausgrenzung, wie sie zum Beispiel in der Überwindung des Begriffes der Bildungsunfähigkeit ihren Niederschlag gefunden hat, sollte von vornherein dazu führen, dass wir ein neues Modell integrativ für die Anwendung auf alle Menschen mit Behinderungen entwerfen. Wir soll-ten aufpassen, dass wir nicht neue Diskriminierun-gen einführen.

Holländische Kollegen haben es zum Beispiel bedau-ert, dass es in Holland – jedenfalls im ostholländi-schen Gebiet, wo wir Gespräche geführt haben – nicht gelungen ist, das Persönliche Budget auch schwerstbehinderten Menschen nutzbar zu ma-chen. Ich kann mir gut vorstellen, dass unterschied-liche Initiativen umgesetzt werden. Holländische Eltern und behinderte Menschen zusammen haben mit ihrem Budget eine Wohnform entwickelt, wo sie ihre Betreuung durch Fachleute selbst organisieren und das zur Verfügung stehende Budget auch miteinander verwalten. Das gleiche kann ich mir auch für schwerstbehinderte Menschen vorstellen, wie ich es in Helsinki erlebt habe, wo durch die Zu-sammenarbeit von Angehörigen, Betreuern und Fachleuten das Konzept einer Wohngruppe von schwerstbehinderten Menschen auf einer Ebene in einem Wohnblock entstanden ist. In einer Gruppe von acht Bewohnern gab es in diesem Wohnhaus genauso einen Snoezelenraum wie ein kleines Be-wegungsbad, der rollstuhlgerechte Ausbau war na-türlich selbstverständlich. Neben den Fachleuten haben sich aber auch die Angehörigen oder mit der

Betreuung betraute Personen in die Arbeit mit ein-gebracht. Ich kann mir vorstellen, dass die Kreativi-tät bei der Gestaltung der Hilfsangebote durch die Initiativmöglichkeiten auf Seiten der Kunden, also der Menschen mit Behinderung, ihren Angehörigen und Betreuern, noch vielfältiger werden könnten.

Die Vielfalt kann jedoch nicht bedeuten, dass es kei-ne Kriterien für die Beurteilung und Gekei-nehmigung der Vielfalt geben kann. Die wie auch immer orga-nisierten Hilfen müssen dem tatsächlichen Bedarf der Menschen mit Behinderungen entsprechen.

2. Bedarfsgerechte Hilfen

Es muss gewährleistet sein, dass die Hilfen bedarfs-gerecht sind. Zur Ermittlung des Hilfebedarfs sind Methoden entwickelt worden. Ich will jetzt nicht auf die Diskussion GBM, Metzler-Verfahren oder Hegg-bacher Modell eingehen. Aber es bedarf eines Instru-mentariums, um den Hilfebedarf zu ermitteln und in pauschalen Hilfebedarfsgruppen zusammenzu-fassen. Die Bedarfsgerechtigkeit ist nach wie vor auch Gesetzesauftrag. Wenn der Hilfebedarf festge-stellt ist und entsprechende Leistungsmodule aner-kannt sind, dann muss darauf geachtet werden, dass die wie auch immer in Anspruch genommene be-ziehungsweise organisierte Hilfe bedarfsgerecht ist.

Es müssen also Qualitätssicherungsmaßnahmen vorhanden sein, die gewährleisten, dass der An-spruch sowohl geleistet, als auch tatsächlich genom-men wird. Wir halten es deshalb für erforderlich, dass auch selbstorganisierte Hilfen Qualitätsmaßstäben genügen. Das bedeutet, dass jegliche, wie auch immer, organisierte Hilfe ein System des Qualitäts-managements eingeführt haben muss, um aner-kannt und damit auch als Leistungserbringer akzep-tiert zu sein. Bedarfsgerechtigkeit kann bedeuten, dass alle Hilfen aus einer Hand kommen, aber auch dass es ein Zusammenspiel von vielfach vernetzten Hilfen geben kann.

Das bisher Gesagte impliziert automatisch, dass es keine Monostruktur der Hilfen geben kann, sondern dass eine Vielfalt von Leistungserbringern die Folge des persönlichen Budgets ist.

3. Wunsch- und Wahlrecht

Daher ist als selbstverständlich zu unterstreichen, dass das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsemp-fängers zum integrierten Bestandteil des Persönli-chen Budgets gehört, dies natürlich auch, wenn

überlegt wird, dieses in Modell-Regionen einzufüh-ren. Dieses bedeutet, dass die Sozialplanung dem freien Spiel der Kräfte unter den Leistungsanbietern und den aus Gründen der Leistungserbringung ge-wählten Allianzen, mehr Raum geben muss. Die So-zialplanung bekommt eher die Aufgabe, sich auf die Bedarfsplanung bezüglich der einzusetzenden Mit-tel zu konzentrieren. Sozialplanung ist vorausschau-end und reaktiv, aus meiner Sicht bedarf sie jedoch weniger eines steuernden Instrumentariums. Dies erscheint mir eine logische Konsequenz aus dem Gedanken der Selbstbestimmung, der dem Persön-lichen Budget zugrunde liegt.

4. Das Beratungs- und Vermittlungsgremium Deshalb ist die vierte Anforderung, dass geklärt wird, wie der Leistungsempfänger einerseits zu seinem Budget kommt und wie er zum anderen die bedarfs-gerechten Leistungen empfangen kann. Da ist un-seres Erachtens ein unabhängiges Beratungs- und Vermittlungs-gremium notwendig. Das holländi-sche Vorbild kann hier wegweisend sein. Diesem Gremium, das zum einen den Bedarf zu prüfen und festzulegen hat, zum anderen aber auch über die Leistungserbringung wacht, müssen unterschiedli-che Kompetenzen zusammenkommen. Die Kompe-tenz von Leistungserbringern, Leistungsträgern und möglicherweise auch unabhängigen Fachleuten. Ob das Vorbild des Fachausschusses für die Werkstatt für Behinderte hier Pate stehen kann, sollte geprüft werden.

Dieses Vermittlungsgremium kann nicht identisch sein mit den neuen Service- und Beratungsstellen nach SGB IX, die bei den Leistungsträgern und den Wohlfahrtsverbänden angesiedelt sind, weil eine multiprofessionelle und multiinstitutionelle Kompe-tenz erst für Unabhängigkeit dieses Gremiums sorgt. Es hat für den Bedarf des Menschen mit Be-hinderungen Sorge zu tragen und über die geset-zeskonforme Bedarfserfüllung zu wachen.

Dazu muss es

• den Hilfebedarf erheben und feststellen und in regelmäßigen Abständen überprüfen

• Vereinbarungen treffen über die Deckung des Be-darfes des individuellen Anspruchsberechtigten (z. B. mit Leistungserbringern),

• Leistungserbringer ermitteln und vermitteln und die Qualität von Leistungserbringern überwa-chen,

• überwachen, dass der ermittelte Hilfebedarf durch den Leistungserbringer auch gedeckt wird,

• dafür Sorge tragen, dass das zur Verfügung ge-stellte Budget auch bedarfsgerecht ausgegeben wird.

Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, dem Menschen mit Behinderung, der eine Hilfe organisiert benötigt, ei-nen Case-Manager an die Seite zu geben, der ihn sowohl bei der Bedarfsermittlung als auch bei der Findung des angemessenen Leistungsträgers und bei der Beurteilung der Leistungserbringung unter-stützt. Auf diese Weise kann auch Menschen mit Behinderung der Zugang zum Persönlichen Budget eröffnet werden, die nicht in einem sozial engagier-ten Umfeld leben.

Nach meiner Auffassung spielt dieses Beratungs-und Vermittlungsgremium mit dem dazugehörigen Case-Management die Schlüsselrolle bei der be-darfsgerechten Ausgestaltung des Modells eines Persönlichen Budgets. Deshalb sollte bei der Konkre-tisierung den Überlegungen zur Kompetenz dieses Gremiums besonderes Augenmerk gelten. Deutlich ist, dass durch diese Überlegung bezüglich einer bedarfsgerechten Hilfe, die mit einem Persönlichen Budget finanziert wird, die bisherige Trennung in unterschiedliche Leistungsträgerschaften aufgege-ben werden muss.

5. Finanzierung aus einer Hand

Daraus ergibt sich die Anforderung: Die Finanzierung des Budgets muss aus einer Hand erfolgen. Die Zer-splitterung in unterschiedliche Leistungsträger-schaften muss zumindest durch Koordinierung, am besten aber durch Zusammenfügung zu einem Bud-get überwunden werden. Der Leistungsempfänger darf nicht durch unkoordinierte, unterschiedliche Kostenträgerschaften um sein Recht gebracht wer-den. Die jetzt dem örtlichen und im überörtlichen Sozialhilfeträger zugeordneten Kosten für die ge-trennten ambulanten und stationären Leistungen, als auch die isolierten Leistungen der Pflegeversiche-rung und die solitäre FinanziePflegeversiche-rung der Arbeitsver-waltung müssen überwunden werden und in die

Finanzierung eines Budgets einfließen. Die Zuord-nung des ambulant-betreuten Wohnens zur Kosten-trägerschaft des Landeswohlfahrtsverband ist der richtige Schritt, die Abrechnung der Pflegeleistun-gen im stationären, binnendifferenzierten Bereich an den Landeswohlfahrtsverband genauso. Hier sind schon Vorgänge geschaffen, die für die Finanzierung des Persönlichen Budgets aus einer Hand gute ers-te Schriters-te sein können. Die Einführung des Persön-lichen Budgets wird scheitern, wenn es nicht gelingt, unterschiedliche Kostenträger, sprich Leistungsträ-gerschaften in ein Budget zusammen zu fassen, denn so besteht die Gefahr, dass sich die differen-zierten Leistungsansprüche im Gestrüpp von Zu-ständigkeit und dem manchmal auch nicht immer umfassenden Know-how bei Sachbearbeitern unter-schiedlicher Leistungsträger verfangen.

Man könnte sich vorstellen, dass alle Leistungsträ-ger für ein Modellprojekt ein gemeinsames Budget zur Verfügung stellen, in das anteilig die jeweiligen Mittel nach einem zu ermittelnden Schlüssel einge-bracht werden. Dieses kann vom Landeswohlfahrts-verband entsprechend den Beschlüssen des Bera-tungs- und Vermittlungsgremiums bewirtschaftet werden. Es sind auch andere Modelle denkbar, die gewährleisten, dass die Leistungsträgerschaft zur Finanzierung der Leistungserbringung aus einer Hand erfolgt. Jedoch ohne diese Zusammenfügung wird es schwierig, das Modell umzusetzen.

6. Berücksichtigung der strukturellen Bedingtheit der Leistungserbringer

Nun ist noch der Blick auf die Festlegung des Per-sönlichen Budgets zu werfen. Beim PerPer-sönlichen Budget muss die strukturelle Bedingtheit des Leis-tungserbringers berücksichtigt werden. Ein pau-schales Budget, mit dem der Leistungsempfänger wie im Supermarkt einkaufen kann, wird zu einem Wettbewerb der Leistungserbringung auf niedrigs-tem Niveau führen, wenn die Entstehungskosten der Leistung wie Personalqualität, Standortkosten, räumliche Qualität, Ausstattungsqualität nicht be-rücksichtigt werden. Wirtschaftlichkeit bedeutet, dass das Preis-Leistungsverhältnis für eine festge-legte Qualität in einem entsprechenden Verhältnis stehen.

Im Bereiche der Beruflichen Bildung war zu lernen, dass allein auf den Preiswettbewerb orientierte Leis-tungen die Bedarfsgerechtigkeit verfehlen. Die Strukturqualität, die zur Ergebnisqualität führt, muss

im Budget ihren Niederschlag finden, denn wir be-ginnen ja nicht mit der Stunde Null, sondern haben unsere Geschichten und auch geschichtlich gewor-dene Bedingungen unserer Leistungserbringung hinter uns. Aus diesen Bedingungen (wie zum Bei-spiel Arbeitsrecht, Vergütungsrichtlinien usw.) kön-nen wir ja nicht von jetzt auf nachher aussteigen.

Ein pauschal festgelegtes Leistungsentgeld ohne Berücksichtigung der Bedingungen der Leistungser-bringung könnte in einem Fall zu Gewinn, im ande-ren Fall zu Verlustsituationen fühande-ren. Damit wäre für die bedarfsgerechte und damit gesetzeskonforme Hilfe nicht entsprechend Sorge getragen.

7. Die Verwaltung des Persönlichen Budgets Abschließend möchte ich noch etwas zur Verwal-tung des Persönlichen Budgets sagen. Um die Selbst-bestimmung und die Mündigkeit des Leistungsemp-fängers ernst zu nehmen, spricht manches dafür, ihm den Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. Es muss dann aber sicher gestellt sein, dass das Geld sachgemäß, bedarfsgerecht und für den vorgegebe-nen Zweck Verwendung findet. Das Beispiel der Pri-vatpatienten, die ihre Leistungen über Beihilfe und Privatkrankenkassen abrechnen, mag hier denkbar sein. Gleichwohl ist der Aufwand für die Abrechnung nicht unerheblich und muss von entsprechenden Personen geleistet werden, wenn nicht vom Leis-tungsempfänger selbst, so von Familienangehöri-gen, Betreuern oder damit beauftragten Personen.

Auf einen Verwendungsnachweis verzichtet werden kann sicherlich bei der treuhänderischen Verwaltung des Persönlichen Budgets durch eine Kasse, eventu-ell durch den Case-Mananger oder die Beratungs-und Vermittlungsstelle. Dabei sollte jedoch Transpa-renz der Leistung durch den Leistungserbringer und die entsprechenden Kosten gewährleistet sein, da-mit objektiviert wird, dass die erda-mittelten Hilfebe-darfe auch bedarfsgerecht geleistet werden.

Andererseits sollte deutlich werden, dass die ermit-telte Leistung auch entsprechend in Anspruch ge-nommen wird. Dabei sollte natürlich auf kleinglie-derige Nachweise verzichtet werden, sondern es geht auch hier um den Überblick darüber, dass die pauschal ermittelten Hilfebedarfe gemäß den Hil-febedarfsgruppen auch eingelöst werden. Bei der treuhänderischen Verwaltung des Budgets wird dem Hilfeempfänger eine persönliche Pauschale zur Verfügung gestellt, über die er frei verfügen kann.

Ob diese nur dem persönlichen Bedarf, Freizeitkos-ten und kulturelle KosFreizeitkos-ten beinhaltet oder auch

Miet-und Verpflegungskosten enthält, müsste bedacht werden. Auf jeden Fall sollte die am wenigsten auf-wendige, sachgerechte und zweckentsprechende Lösung gefunden werden. Ich sehe mich hier noch nicht in der Lage, konkrete Vorschläge zu machen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend möchte ich darlegen, dass wir den Überlegungen für ein Persönliches Budget auf-geschlossen gegenüberstehen und uns gerne in die Entwicklung eines Modellprojekts einbringen wol-len. Andererseits konnte man sicherlich merken, dass hinter meinen Ausführungen unabgeschlossene Suchbewegungen stehen. Ich kann nicht in An-spruch nehmen, alle Aspekte schon durchdacht zu haben.

Aber das ist ja der Charme eines Modellprojektes, dass man Erfahrungen sammeln kann. Es wäre da-her durchaus lohnend, ein paar Erlkönigbezirke oder

–regionen auszuweisen und für diese Modelle mit begrenzter Laufzeit zu planen. Wichtig scheint mir auch die Begleitung und Auswertung des Vorhabens und der Mut, auch ein Modell aufzugeben, wenn es sich nicht als sinnvoll oder praktikabel erweist. Zur schwäbischen Sorgfalt gehört auch, dass man sich nicht von Ideologien verführen lässt, sondern dass man sich an menschengerechten Lösungen orien-tiert. Deshalb ende ich mit dem weisen Satz des Apostel Paulus: „Alles prüfet, das Gute behaltet“ (2.

Thess. 5, 22).

Helmut Staiber

Vorstand Stiftung Liebenau

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