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Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Bioenergie

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3

Landnutzung oder die Einhaltung von Sozialstan-dards.

3.1

Ökologische Nachhaltigkeit

3.1.1

Leitplanke für den Klimaschutz

Aus Sicht des WBGU sind Auswirkungen von Kli-maänderungen intolerabel, die mit einem mittle-ren globalen Anstieg der bodennahen Lufttempera-tur um mehr als 2°C gegenüber dem vorindustriel-len Wert oder einer Temperaturänderungsrate von mehr als 0,2°C pro Jahrzehnt verbunden sind. Diese Leitplanke wurde in früheren Gutachten des WBGU ausführlich begründet (WBGU, 1995, 2006). Die Ein-haltung dieser Leitplanke erfordert, dass die Konzen-tration von Treibhausgasen in der Atmosphäre unter-halb von 450 ppm CO2eq stabilisiert wird. Dafür soll-ten die globalen Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts mindestens halbiert werden.

Ein erheblicher Anteil des durch den Menschen freigesetzten CO2 löst sich im Meerwasser und führt dort zu einer Versauerung. Um unerwünschte bzw. riskante Veränderungen der marinen Ökosys-teme zu vermeiden, sollte der pH-Wert der obersten Meeresschicht in keinem größeren Ozeangebiet um mehr als 0,2 Einheiten gegenüber dem vorindustriel-len Niveau absinken. Eine Einhaltung der 2°C-Leit-planke würde gleichzeitig eine Einhaltung der Ver-sauerungsleitplanke nach sich ziehen, sofern nicht nur der gesamte „Korb“ der Treibhausgasemissionen, sondern auch die CO2-Emissionen separat betrach-tet ausreichend reduziert werden (WBGU, 2006).

Eine Bioenergienutzung, die mit Klimaschutz begründet wird, sollte an ihrem Beitrag zur Ein-haltung der Klimaschutz- und der Versauerungs-leitplanke gemessen werden. Für die Einhaltung der 2°C-Leitplanke ist nicht von Belang, ob ein bestimmter Wirtschaftssektor (etwa der Verkehr) eine bestimmte Emissionsreduktion erreicht. Aus-Der WBGU leitet die Anforderungen an eine

nach-haltige Bioenergienutzung im Wesentlichen aus dem von ihm entwickelten Leitplankenkonzept ab (WBGU, 1995). Darunter versteht der Beirat quanti-tativ definierte Schadensgrenzen, deren Überschrei-tung nicht tolerierbare oder gar katastrophale Fol-gen hätte, etwa eine Erhöhung der globalen Mittel-temperatur um mehr als 2°C, bezogen auf den vor-industriellen Wert. Nachhaltige Entwicklungspfade verlaufen innerhalb des durch die Leitplanken einge-grenzten Bereichs. Dahinter steht die Einsicht, dass es kaum möglich ist, eine wünschenswerte, nachhal-tige Zukunft positiv, also im Sinne eines zu erreichen-den Ziels oder Zustands zu definieren. Man kann sich aber auf die Abgrenzung eines Bereichs eini-gen, der als inakzeptabel anerkannt wird und den die Gesellschaft vermeiden will. Wenn das System sich auf Kollisionskurs mit einer Leitplanke befindet, sol-len Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verlet-zung der Leitplanken zu verhindern.

Die Einhaltung der in diesem Kapitel vorgestell-ten Leitplanken ist jedoch nur ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Kriterium für Nachhaltig-keit (WBGU, 2000). Denn sowohl die Anforderun-gen an die sozioökonomischen als auch an die öko-logischen Dimensionen von Nachhaltigkeit lassen sich nicht immer stringent als Leitplanken formulie-ren. Im sozioökonomischen Bereich etwa sind viele Anforderungen an eine nachhaltige Bioenergiepoli-tik nicht quantifizierbar. Zudem sind die meisten der grundsätzlich quantifizierbaren sozioökonomischen Anforderungen nicht in eine globale Leitplanke transformierbar, da sie landes- und situationsabhän-gig sind. Aber auch ökologische Schadensgrenzen lassen sich nicht in allen Fällen als Leitplanken for-mulieren, etwa wegen zu großer regionaler Unter-schiede oder weil sich kein überzeugender globaler Indikator benennen lässt. Aus den genannten Grün-den benennt der WBGU über Leitplanken hinaus weitere Nachhaltigkeitsanforderungen, die zusätz-liche, nicht als Leitplanken beschreibbare Kriterien für eine nachhaltige Bioenergienutzung liefern. Dies betrifft beispielsweise verschiedene Aspekte der

30 3 Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Bioenergie

Die internationale Gemeinschaft hat sich darauf geeinigt, bis 2010 ein solches Schutzgebietssystem aufzubauen (Kap. 10.5; CBD, 2004b). Es ist positiv zu bewerten, dass in den letzten Jahren die Zahl der Schutzgebiete und ihr Flächenanteil stark gestiegen sind, so dass letzterer derzeit bei ca. 12 % der glo-balen Landfläche liegt (Kasten 5.4-1). Viele dieser Schutzgebiete erweisen sich bei näherem Hinsehen aber als „paper parks“ (Dudley und Stolton, 1999a), d. h. sie sind zwar laut Verordnung geschützt, aber das Management vor Ort ist so unzureichend, dass es oft nicht einmal gelingt, den Raubbau an biolo-gischen Ressourcen zu stoppen (z. B. illegaler Holz-einschlag, Raubfischerei). Zudem sind streng genom-men nur die Gebiete der IUCN-Kategorie I–IV mit-zurechnen, da die Kategorien V und VI eher den Schwerpunkt auf nachhaltige Nutzung als auf Erhal-tung biologischer Vielfalt legen. Die Forderung nach einem effektiv betriebenen Schutzgebietssystem ist daher nur auf einem Bruchteil der 12 % erfüllt (Kas-ten 5.4-1).

Analog zu den im Rahmen der Biodiversitätskon-vention vereinbarten Zielen der Global Strategy for Plant Conservation (GSPC) sollte diese globale Leit-planke regional ausdifferenziert und konkretisiert werden (CBD, 2002a; Kap. 10.5). Zu den 16 Zielen der GSPC bis 2010 gehört unter anderen, dass – 10 % aller ökologischen Regionen der Welt

geschützt sein sollen,

– 50 % der für die Pflanzenvielfalt wichtigsten Gebiete geschützt sein sollen. Mögliche Kriterien für die Auswahl dieser Gebiete wären Artenreich-tum, Endemismus sowie Einzigartigkeit der Habi-tate und Ökosysteme.

– 60 % der gefährdeten Arten in situ erhalten sein sollen (z. B. durch Schutzgebiete).

– 70 % der genetischen Vielfalt der sozioökono-misch wertvollen Pflanzenarten erhalten sein soll (Genbanken und On-farm-Erhaltung).

Allerdings kann auch ein noch so gut funktionie-rendes Schutzgebietssystem den Verlust der biolo-gischen Vielfalt nicht stoppen. Hinzu kommen muss zum einen die Integration der Schutzgebiete bzw. der Schutzgebietssysteme in die umgebende Landschaft (CBD, 2004b) und zum anderen die Integration des Schutzgedankens in die Fläche durch differenzierte Anwendung nachhaltiger Landnutzung auf allen land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen. Das Ziel ist ein „integriertes, nachhaltiges Management von Land, Wasser und lebenden Ressourcen“ (Eco-system Approach: CBD, 2000, 2004a). In diesem Sinn werden zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit der Landnutzung weitere ökologische Nachhaltigkeits-anforderungen benötigt, die der Naturschutzdimen-sion Rechnung tragen (Kap. 3.1.4).

schlaggebend ist allein die zeitliche Entwicklung der globalen Emissionen und der Treibhausgasaufnahme durch Senken über alle Sektoren hinweg. Für eine realistische Beurteilung des Klimaschutzbeitrags der Bioenergienutzung muss die Emissionsentwicklung in allen Sektoren betrachtet werden. Zur Einhaltung der Versauerungsleitplanke ist darüber hinaus die Auswirkung der Bioenergienutzung auf den globa-len Kohgloba-lenstoffkreislauf zu beachten.

3.1.2

Leitplanke für den Biosphärenschutz

Für den Biosphärenschutz hat der Beirat folgende Leitplanke vorgeschlagen: 10–20 % der weltweiten Fläche terrestrischer Ökosysteme (bzw. 20–30 % der Fläche mariner Ökosysteme) sollten für ein globales, ökologisch repräsentatives und effektiv betriebenes Schutzgebietssystem ausgewiesen werden (WBGU, 2000, 2006). Zudem sollten auch etwa 10–20 % der Flussökosysteme inklusive ihrer Einzugsgebiete dem Naturschutz vorbehalten sein (WBGU, 2003a).

Diese Leitplanke hat ihre Begründung u. a. in der Erkenntnis, dass Ökosysteme und ihre biologische Vielfalt für die Menschheit überlebenswichtig sind, weil sie eine Vielzahl an Funktionen, Dienstleistun-gen und Produkten bereitstellen (MA, 2005a). Ins-besondere Schutzgebiete sind als Instrument nach-haltiger Entwicklung unverzichtbar (CBD, 2004b;

Kap. 5.4). Dabei müssen sich der Schutz und die nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt keines-wegs ausschließen: Je nach ökologischen Gegeben-heiten sind Schutz und Nutzung biologischer Vielfalt in unterschiedlichem Ausmaß miteinander vereinbar (WBGU, 2000). Dementsprechend hat die Weltna-turschutzunion (World Conservation Union; IUCN, 1994) ein abgestuftes Kategoriensystem für Schutz-gebiete erarbeitet, das unterschiedliche Verhältnisse von Schutz und nachhaltiger Nutzung zulässt.

Besonders dringlich ist der Schutz in den Brenn-punkten biologischer Vielfalt, in denen sich auf gerin-ger Fläche sehr viele wild lebende Arten befinden, eine hohe Anzahl endemischer Arten oder einzigar-tige Ökosysteme zu finden sind und die daher für die Erhaltung der biologischen Vielfalt besonders wert-voll sind (Hotspots: Mittermeier et al., 1999; Myers et al., 2000). Der Schutz sollte zudem die besonders schutzwürdigen Arten sowie Gebiete einschließen, in denen noch großflächig ungestörte Ökosysteme existieren (Wildnisgebiete, z. B. tropische und bore-ale Wälder). Für die globbore-ale Ernährungssicherheit ist darüber hinaus die Erhaltung der „Genzentren“

wichtig, in denen eine große genetische Vielfalt von Kulturpflanzen oder ihrer wild lebenden Verwand-ten vorkommt (Vavilov, 1926; Stolton et al., 2006).

31 Ökologische Nachhaltigkeit 3.1 hohem Wasserstress können durch gezielte Maßnah-men viele der negativen Auswirkungen von Bewäs-serung vermieden und Nachhaltigkeit erreicht wer-den. Zudem berücksichtigen die Indikatoren nicht das „grüne“ Wasser, also Niederschlagswasser, das den Pflanzen als Bodenfeuchte zur Verfügung steht.

Auch bei den global formulierbaren Leitplanken, wie etwa bei der Erhaltung biologischer Vielfalt oder dem Bodenschutz muss die Anwendung der globa-len Leitplanke im jeweiligen lokagloba-len und agroöko-logischen Kontext betrachtet werden. Im Sinne des ökosystemaren Ansatzes der CBD (2000) muss das Ziel ein „integriertes, nachhaltiges Management von Land, Wasser und lebenden Ressourcen“ sein, das den Menschen als integrale Komponente vieler Öko-systeme einschließt. Dazu können die Addis-Abeba-Prinzipien und Leitlinien zur nachhaltigen Nutzung biologischer Vielfalt herangezogen werden (CBD, 2004d; Kap. 10.5), ebenso wie die Definition der FAO zu nachhaltiger Landnutzung: „Nachhaltige Land-nutzung umfasst Technologien, Politiken sowie Pro-gramme und Aktivitäten mit dem Ziel, sozioökono-mische Prinzipien und ökologische Anliegen zu ver-einbaren, um dadurch geichzeitig: die Produktion zu erhalten oder zu verbessern (Produktivität), Produk-tionsrisiken zu mindern (Sicherheit), natürliche Res-sourcen zu schützen und die Degradation von Böden und Wasser zu verhindern (Schutz), ökonomisch ren-tabel (Rentabilität) und gesell schaftlich akzeptiert zu sein (Akzeptanz)“ (Smyth und Dumanski, 1993).

Die Regelungen auf europäischer und deutscher Ebene sind deutlich ausdifferenzierter und konkre-ter formuliert. In der EU wird im Rahmen der Cross-Compliance die Gewährung von Direktzahlungen an Landwirte an die Einhaltung verbindlicher Vorschrif-ten über den Umweltschutz, die Nahrungs- und Fut-termittelsicherheit, die Tiergesundheit und den Tier-schutz geknüpft (BMELV, 2006; UBA, 2008a). Diese Konditionierung der Beihilfezahlungen stellt ein umweltpolitisches Steuerungsinstrument dar (SRU, 2008). Für die deutsche Landwirtschaft ist in verschie-denen Gesetzen und Verordnungen die so genannte

„gute fachliche Praxis“ im Sinne der von Landwir-ten einzuhalLandwir-tenden ökologischen und sicherheits-technischen Standards definiert. Allerdings sind viele Regelungen der guten fachlichen Praxis in Gesetzen und Verordnungen immer noch sehr unbestimmt for-muliert (SRU, 2008).

Die bestehenden Regelungen bzw. grundlegenden Arbeiten sollten genutzt werden, um konkrete, inter-national anerkannte Managementregeln oder Stan-dards für nachhaltige Landnutzung herzuleiten (Kap.

10.3). Dabei sollte auch die Klimabilanz der Anbau-systeme berücksichtigt werden, da z. B. die Intensi-vierung von Landnutzung N2O-Emissionen als Folge 3.1.3

Leitplanke für den Bodenschutz

Wegen der Bedeutung von Bodenschutzmaßnahmen für die künftige Ernährungssicherung sind Leitplan-ken für den weltweiten Bodenschutz sinnvoll. Damit sind konkrete Werte gemeint, deren Überschreitung zu einem irreversiblen und für die Menschen exis-tenzbedrohenden Zustand der Böden führen würde (WBGU, 2004a; UBA, 2008a). Schwertmann et al.

(1987) setzten die Toleranzgrenze für anthropogen bedingte Bodendegradation so fest, dass das natürli-che Ertragspotenzial in einem Zeitraum von 300–500 Jahren nicht entscheidend geschwächt wird. Bei der Konkretisierung dieser Leitplanke ist zwischen der Bodendegradation durch Erosion und durch Versal-zung, den beiden größten Gefährdungen von Böden, zu unterscheiden.

Für diese beiden Faktoren hat der WBGU Tole-ranzgrenzen vorgeschlagen (WBGU, 2004a). Für die Bodenerosion bedeutet dies, dass streng genom-men nicht mehr Boden abgetragen bzw. anderwei-tig degradiert werden dürfte, als neu gebildet wird, da dies langfristig das Ertragspotenzial schwächen würde. Da die Bodenbildung aber in geologischen Zeiträumen abläuft, kann dies nur ein Fernziel dar-stellen. Je nach Gründigkeit der Böden sieht der WBGU z. B. in der gemäßigten Zone die Toleranz-grenze bei einem Bodenverlust von 1–10 t pro ha und Jahr. Als Toleranzgrenze in Bezug auf Bodenversal-zung in der Bewässerungslandwirtschaft schlägt der WBGU (2004a) vor, dass die Salzkonzentration und -zusammensetzung innerhalb von 300–500 Jahren nicht über ein Maß ansteigen sollte, das von gängi-gen Nutzpflanzen noch toleriert werden kann.

3.1.4

Weitere ökologische

Nachhaltigkeitsanforderungen

Nicht alle ökologischen Nachhaltigkeitsdimensionen lassen sich als global gültige Leitplanken formulie-ren, etwa wegen zu großer regionaler Unterschiede oder weil kein überzeugender globaler Indikator anwendbar ist. Daher benennt der WBGU hier wei-tere ökologische Nachhaltigkeitsanforderungen für eine nachhaltige Bioenergienutzung.

Zum Beispiel geht es bei der nachhaltigen Nut-zung von Wasserressourcen im Zusammenhang mit Bioenergie vor allem um den Umgang mit Bewässe-rungswasser, wenn Konkurrenzen zur Wassernutzung für die Nahrungsproduktion drohen. Der WBGU hält die in der Literatur zu findenden Wasserstress-indikatoren nicht für die Quantifizierung einer global gültigen Leitplanke geeignet. Auch in Regionen mit

32 3 Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Bioenergie

alle Menschen Zugang zu ausreichend Nahrung gesi-chert sein soll.

Notwendige, aber nicht hinreichende Vorausset-zung dafür ist, dass genügend Nahrung produziert wird, um den Kalorienbedarf aller Menschen zu decken. Für die Operationalisierung der Leitplanke lässt sich daraus schließen, dass global mindestens so viel landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung stehen muss, um für alle Menschen eine durchschnitt-liche Kalorienversorgung von 2.700 kcal pro Person und Tag (entsprechend etwa 11,3 MJ pro Person und Tag) zu ermöglichen (Kasten 3.2-1). Nach Angaben der FAO (2003b) liegt die globale Nahrungsmittel-produktion derzeit bei ca. 2.800 kcal pro Person und Tag (Beese, 2004). Global gesehen wird derzeit also genügend Nahrungsenergie erzeugt, so dass Hunger und Unterernährung primär ein Zugangs- bzw. Ver-teilungsproblem darstellen.

Abhängigkeit des Flächenbedarfs von Ernährungsweise und Flächenproduktivität Wesentlich für die Höhe der Potenziale zur Versor-gung der Weltbevölkerung mit ausreichender und ausgewogener Nahrung sind die Ernährungsgewohn-heiten der Menschen sowie die Flächenproduktivi-tät. So hängt das Ernährungspotenzial der vorhande-nen Agrarflächen wesentlich von der Nutzungsform ab. Beispielsweise wird der größte Teil der Maisernte in Nordamerika und Europa an Tiere verfüttert.

Der Mais liefert also nur auf dem Umweg über die Fleisch- und Milchproduktion Nahrung für den Men-schen. Bei dieser „Veredelung“ geht ein Großteil der ursprünglich im Mais vorhanden Nahrungskalorien verloren. Bereits heute wird etwa ein Drittel der Weltgetreideernte als Futtermittel eingesetzt. Insge-samt muss die globale Nahrungsproduktion bis 2030 von Stickstoffdüngung und CO2-Emissionen etwa

durch Umbruch von Grünland mit sich bringt.

3.2

Sozioökonomische Nachhaltigkeit

3.2.1

Leitplanke zur Sicherung des Zugangs zu ausreichend Nahrung

Zugang zu Nahrung für alle Menschen Der Ausbau der Bioenergienutzung kann sich auf die Nahrungsproduktion und besonders in einkommens-in einkommens-schwachen Entwicklungsländern, die Nettoimpor-teure von Nahrungsmitteln sind (Low-Income Food-Deficit Countries, LIFDC) negativ auf die Ernäh-negativ auf die Ernäh-auf die Ernäh-rungssicherheit auswirken, weil Landflächen, Was-serressourcen und landwirtschaftliche Betriebsmittel (z. B. Maschinen, Düngemittel, Saatgut, Futtermittel, Treibstoffe) der Nahrungsmittelproduktion zuguns-ten des Energiepflanzenanbaus entzogen werden.

Die Sicherung der Welternährung muss aus Sicht des WBGU Vorrang vor allen anderen Nutzungsformen der zur Bewirtschaftung geeigneten globalen Land-flächen haben. Bioenergie ist durch andere Energie-träger substituierbar, Nahrungsmittel sind dies aber nicht. In der FAO-Definition bedeutet Ernährungs-sicherheit, dass alle Menschen zu jeder Zeit unge-hinderten physischen, sozialen und ökonomischen Zugang zu ausreichender und ausgewogener Ernäh-rung haben sollen, um ein aktives und gesundes Leben zu führen (FAO, 2008b). Dementsprechend schlägt der WBGU hier als Leitplanke vor, dass für

Kasten 3.2-1

Exkurs: Kalorienbedarf eines Menschen

In der Vorbereitung des Welternährungsgipfels 1996 gab es intensive Diskussionen um Mindestwerte der Kalorienver-fügbarkeit. Der ursprüngliche Plan, die Verfügbarkeit von 2.700 kcal pro Person und Tag (entsprechend etwa 11,3 MJ pro Person und Tag) als Ziel zu formulieren, wurde aufge-geben, da eine durchschnittliche Pro-Kopf-Kalorienversor-gung die Ungleichheiten in der VersorPro-Kopf-Kalorienversor-gung innerhalb eines Landes verdeckt und zur Nahrungsqualität keine Aussage macht. Dennoch ist eine Operationalisierung einer „Ernäh-rungsleitplanke“ ohne einen solchen Wert kaum möglich.

Der Energiebedarf eines Menschen setzt sich aus dem Basisenergieverbrauch (Grundumsatz, abhängig von Alter, Geschlecht und Gewicht), der körperlichen Aktivität sowie den persönlichen Lebensumständen zusammen (Schwan-gerschaft, Stillzeit; FAO, 2004). Die körperliche Aktivität hat einen erheblichen Anteil am Energieverbrauch des

Menschen und wird als Physical Activity Level (PAL) gemessen. Die üblichen PAL-Werte erstrecken sich von 1,2 für ausschließlich sitzende Lebensweise bis zu 2,4 für Schwerstarbeiter (DGE, 2007). Die Richtwerte für die durchschnittlich erforderliche Energiezufuhr liegen bei Männern bzw. Frauen im Alter von 19–25 Jahren bei 3.000 bzw. 2.400 kcal pro Person und Tag. Bei schwerer körperli-cher Arbeit kann dieser Wert für einen Mann knapp 4.000 kcal pro Person und Tag erreichen. Für Männer bzw. Frauen im Alter von 25–51 Jahren liegen die Richtwerte für die durchschnittliche Energiezufuhr bei 2.900 bzw. 2.300 kcal pro Person und Tag und für Männer bzw. Frauen im Alter von 51–65 Jahren bei 2.500 bzw. 2.000 kcal pro Person und Tag (DGE, 2007).

In Industrieländern beträgt die tatsächliche durch-schnittliche Kalorienzufuhr ca. 3.400 kcal pro Person und Tag, in vielen Entwicklungsländern liegt dieser Wert bei unter 2.000 kcal pro Person und Tag (Äthiopien liegt mit ca. 1.600 kcal pro Person und Tag am unteren Ende; Meade und Rosen, 1997; FAO, 2006a).

33 Sozioökonomische Nachhaltigkeit 3.2

3.2.3

Leitplanke zur Vermeidung von

Gesundheitsschäden durch Energienutzung Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, sozi-ale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) formu-liert Gesundheit als fundamentales Menschenrecht (Art. 12), aber ebenso das Recht auf einen angemes-senen Lebensstandard (Art. 11) und meint damit auch den Zugang zu Energie, z. B. zum Kochen und Heizen. In vielen Ländern und Regionen ergibt sich daraus ein Spannungsverhältnis, weil keine „sau-bere“ oder der Nutzungsform angepasste Energie zur Verfügung steht. Die dort eingesetzten Energie-träger können die menschliche Gesundheit erheblich belasten. Insbesondere bei der Verfeuerung fossiler Brennstoffe und von Biomasse entsteht Luftver-schmutzung durch Gase und Partikel, die erhebliche gesundheitliche Risiken birgt (WBGU, 2003a).

Zur Formulierung von Gesundheitsleitplanken im Sinn nicht tolerierbarer Grenzen der Gesund-heitsbelastung als Folge von Energiegewinnung und -nutzung können Disability Adjusted Life Years (DALYs) herangezogen werden. DALYs sind ein in verringerter Lebenszeit ausgedrücktes Maß für die Gesundheitsbelastung. Sie setzen sich zusammen aus Lebensjahren, die mit Gesundheitseinschrän-kungen oder Krankheit gelebt werden müssen und den Lebensjahren, die durch vorzeitigen Tod verlo-ren gehen (Murray und López, 1996). Bereits heute werden für städtische Luftverschmutzung und Ver-schmutzung der Innenraumluft in großen Teilen der Welt Werte unter 0,5 % Anteil an den regionalen DALYs erreicht. Der WBGU schlägt daher als Leit-planke vor, dass der Anteil der regionalen DALYs, welcher durch beide Risikofaktoren verursacht wird, für alle WHO-Regionen und -Subregionen auf unter 0,5 % gesenkt werden soll (WBGU, 2003a).

3.2.4

Weitere sozioökonomische Nachhaltigkeitsanforderungen

Bei der Produktion und Nutzung von Bioener-gie gilt es eine Reihe sozioökonomischer Faktoren zu berücksichtigen, um die Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung zu erfüllen.

Entsprechend geht der WBGU auf Maßnahmen zu ihrer Berücksichtigung ein (Standards: Kap. 10.3).

Sozioökonomische Nachhaltigkeitskriterien sind im Kontext der Bioenergie sowohl in Indus trie- als auch in Entwicklungsländern relevant. Vor allem drei Gründe sprechen jedoch dafür, besonderes Augen-merk auf die Entwicklungsländer zu legen: Erstens sind in Entwicklungsländern die mit traditio neller um 50 % und bis 2050 um etwa 80 % gesteigert

wer-den. Dies muss im Wesentlichen durch eine Steige-rung der Flächenproduktivität gelingen (Kap. 5.2).

3.2.2

Leitplanke zur Sicherung des Zugangs zu modernen Energiedienstleistungen

Zur Sicherstellung elementarer Energiedienstleis-tungen ist nach Auffassung des WBGU (2003a) der Zugang zu modernen Energieformen notwen-dig. Daher schlägt der WBGU folgende Leitplanke vor: Der Zugang zu moderner Energie sollte für alle Menschen gewährleistet sein. Dazu müssen vor allem der Zugang zu Elektrizität sichergestellt und die Nutzung gesundheitsschädigender Biomasse durch moderne Brennstoffe ersetzt werden. Der WBGU erachtet mittelfristig eine Endenergiemenge von 700–1.000 kWh pro Kopf und Jahr als Minimum für den elementaren individuellen Bedarf.

Die Ermittlung eines individuellen Mindestbedarfs an Energie pro Kopf ist mit erheblichen Problemen normativer wie methodisch-technischer Art behaf-tet. So müssen klimatisch-geographische Aspekte ebenso berücksichtigt werden wie kulturelle, demo-graphische und sozioökonomische Faktoren. Ferner müssen bei der Überführung der Energiedienstleis-tungen in die benötigen Energiemengen Annahmen über die eingesetzten Technologien getroffen wer-den. Daher gibt es in der Literatur nur wenige

Die Ermittlung eines individuellen Mindestbedarfs an Energie pro Kopf ist mit erheblichen Problemen normativer wie methodisch-technischer Art behaf-tet. So müssen klimatisch-geographische Aspekte ebenso berücksichtigt werden wie kulturelle, demo-graphische und sozioökonomische Faktoren. Ferner müssen bei der Überführung der Energiedienstleis-tungen in die benötigen Energiemengen Annahmen über die eingesetzten Technologien getroffen wer-den. Daher gibt es in der Literatur nur wenige

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