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5. Die chronologische Anordnung des Korans bei Nöldeke

5.2. Nöldekes Chronologie des Korans

5.2.1. Analyse von Nöldekes Quellen und Hilfsmittel

„Die erste Quelle für uns ist die geschichtliche und exegetische Überlieferung“527, so schreibt Nöldeke. Am sichersten ist ihm die Überlieferung, die mit Ereignissen verknüpft ist, „die für die Geschichte des Islāms von großer Bedeutung sind.“528 Dabei handelt es sich seiner Meinung nach um eine kleine Anzahl von den sichersten Informationen, die sich vor allem auf die medinensischen Suren beziehen. Der Grund dafür liege darin, dass es keine großen geschichtlichen Geschehnisse in Mekka gegeben habe. Angesichts der Überlieferungen, die von den Historikern und Exegeten über allerlei kleine Geschehnisse angeführt und durch die einzelne Verse erklärt würden, meint Nöldeke, dass sie viel zweifelhafter seien. Aber nicht nur die von den Historikern wie auch von den Exegeten angeführten Überlieferungen sind Nöldeke zweifelhaft, sondern auch die Erklärungen dazu, die er für falsch und gegenseitig widersprüchlich hält. Man könne sich nur daher auf eine geringe Auswahl stützen.529

Die auf den Ort der Herabsendung kompletter Suren oder einzelner Koranverse bezogenen Überlieferungen würden sich nicht nur aus den geschichtlichen und exegetischen Werken ergeben, sondern auch aus den masorethischen Werken530 und den meisten Handschriften des Korans, die vor langer Zeit geschrieben worden seien.531

Anschließend geht Nöldeke auf die Listen der chronologischen Anordnung des Korans ein, die sich in den Werken der muslimischen Koranwissenschaftler befinden. Seines Erachtens berücksichtigen diese Listen nur den Anfang der Suren. Sie beschäftigen sich nicht mit den Versen, die später hinzugefügt worden seinen.532 Im Folgenden werden wir die Auffassung Nöldekes zu einigen der von den Muslimen für die Chronologie des Korans aufgestellten

526 Neuwirth 2008, S. 34.

527 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 58.

528 Ebd., S. 58.

529 Vgl. Ebd., S. 58-59.

530 Was Nöldeke mit den masorethischen Werken in diesem Kontext meint, ist nicht klar. Unter dem Begriff

„Masora“ versteht man die Traditionen, die sich der Lesart und Schreibweise der hebräischen Bibel zuwenden.

Ursprünglich waren diese Traditionen mündliche Überlieferungen, die in die Zeit der Amoräer zurückgehen. Im 8. Jh. nach Christus wurden sie gesammelt und niedergeschrieben. Vgl. P. Brock, Sebastian: Bibelhandschriften I, in: Theologische Realenzyklopädie, in Gemeinschaft mit Horst Robert Balz [u.a.], hrsg. von Gerhard Krause u.

Gerhard Müller, 1. Aufl., Berlin, New York: de Gruyter 1980, Bd. 6. Bibel-Böhmen und Mähren, S. 111.

531 Vgl. Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 59.

532 Vgl. Ebd., S. 59.

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Listen analysieren. Denn es ist von großem Wert zu wissen, wie Nöldeke mit den Listen umgeht und ob er sich auf sie stützt.

Eine der Überlieferungen über die chronologische Anordnung der koranischen Suren wird im Buch von ʿUmar b. Muḥammad b. ʿAbd al-Kāfī erwähnt. Nöldeke vertritt die Ansicht, dass diese Überlieferung mit der zweiten in Al-mabānīs Werk und mit einer in Al-itqāns Werk angeführten Überlieferung übereinstimme. Nur die Suren 58 ff. seien ausgelassen.533 In dem Buch von ʿUmar b. Muḥammad b. ʿAbd al-Kāfī findet sich eine Liste über die chronologische Anordnung der Suren. Diese Liste wird Ibn ʿAbbās durch ʿAbdallāh b. ʿUmar, seinen Vater, Uṯmān b. ʿAṭāʾ und dessen Vater zugeschrieben.534 Beim Vergleich dieser Liste mit der zweiten in Al-mabānī und mit einer in Al-itqān angeführten Liste wird jedoch offensichtlich, dass anstatt von ʿAbdallāh b. ʿUmar und seinem Vater ein anderer Überlieferer namens ʿUmar b. Hārūn genannt wird. Der Editor des Buches von ʿUmar b. Muḥammad b. ʿAbd al-Kāfī betont auch, dass ʿUmar b. Hārūn von Uṯmān b. ʿAṭāʾ überlieferte.535 Dieser ʿUmar b. Hārūn wird von muslimischen ḥadīṯ-Gelehrten unter anderem als schwach, unzuverlässig, sehr schwach oder Lügner hinsichtlich des ḥadīṯes bezeichnet.536 Der andere Überlieferer Uṯmān b. ʿAṭāʾ wird von muslimischen ḥadīṯ-Gelehrten ebenfalls für schwach, sehr schwach, unzuverlässig und matrūk (Lügner, unzuverlässig) im Hinblick auf den ḥadīṯ gehalten. Über ihn sagte Ibn Abī Ḥātim: „Sein ḥadīṯ wird geschrieben, aber als ein Argument nicht genommen.“537

Die zweite in Al-mabānī erwähnte Überlieferung würde von ʿUmar b. Hārūn nach ʿUṯmān b.

ʿAṭāʾ nach seinem Vater nach Ibn ʿAbbās überliefert. Bei genauerer Betrachtung dieser Überlieferung wird allerdings deutlich, dass der Autor des Al-mabānīs von 113 koranischen Suren spricht. Aber bei der Aufzählung der in dieser Überlieferung angeführten Suren handelt es sich bemerkenswerterweise nur um 109 Suren, und nicht um 113 Suren. Suren 61, 48, 9 und 5 sind ausgelassen.538

533 Vgl. Ebd., S. 59.

534 Vgl. Ibn ʿAbd al-Kāfī, ʿUmar b. Muḥammad: ʿAdad suwar al-Qurʾān wa-āyātihī wa-kalimātihī wa-ḥurūfihī wa-talḫīṣ makkīhī wa-madanīhī, ediert von Ḫālid Ḥassan Abū l-Ǧūd, 1. Aufl., Maktabat al-Imām al-Buḫārī li-n-našr wa-t-tauzīʿ, Kairo 2010, S. 174-177.

535 Vgl. Ebd., S. 174.

536Vgl. Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī, Aḥmad b. ʿAlī: Kitāb tahḏīb at-tahḏīb, 1. Aufl., Dār al-fikr li-ṭ-ṭibāʿa wa-n-našr wa-t-tauzīʿ, Beirut 1984, Bd. 7, S. 441-444; vgl. Ibn Abī Ḥātim, Abī Muḥammad ʿAbd ar-Raḥmān b. Abī Ḥātim Muḥammad b. Idrīs b. al-Munḏir at-Tamīmī al-Ḥanẓalī ar-Rāzī: Kitāb al-ǧarḥ wa-t-taʿdīl, 1. Aufl., Dār al-kutub al-ʿilmīya, Beirut 1952, Bd. 3, S. 140-141.

537Vgl. Ibn Ḥaǧar 1984, Bd. 7, S. 126-127; vgl. Ibn Abī Ḥātim 1952, Bd. 3, S. 162.

538 Vgl. Jeffery, Arthur (ed.): Muqaddimatān fī ʿulūm al-Qurʾān wa humā Muqaddimat Kitāb Al-mabānī wa Muqaddimat Ibn ʿAṭīya, Maktabat al-ḫānǧī, Kairo 1954, S. 10-12. (Es muss hier gesagt werden, dass Jeffery in seiner Einleitung zu Muqaddimat kitāb Al-mabānī und Muqaddimat Ibn ʿAṭīyasagt, dass der Autor des kitābs

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Die von as-Suyūṭī in seinem Werk Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān angeführte Überlieferung wird auch durch ʿUmar b. Hārūn, ʿUṯmān b. ʿAṭāʾ und seinen Vater auf Ibn ʿAbbās zurückgeführt.

Nach dieser Überlieferung sind die mekkanischen Suren 85 und die medinensischen 28 an der Zahl. Das heißt, dass es sich um 113 Suren handelt. Sure 1 ist aus dieser Überlieferung ausgelassen. In der Al-itqān fī ʿulūm al-Qurʾān-Edition von Markaz ad-dirāsāt al-Qurʾānīya in Saudi-Arabien wird diese Überlieferung für sehr schwach gehalten, mit der Begründung, dass ʿUmar b. Hārūn, einer der Überlieferer, von den muslimischen ḥadīṯ-Gelehrten als matrūk (Lügner, unzuverlässig) bezeichnet wird.539

Eine andere Überlieferung finde sich in Al-mabānī, nach der es ungewiss sei, ob Sure 93 mekkanisch oder medinensisch ist, so Nöldeke.540 Diese Überlieferung wird auch durch ʿUmar b. Hārūn, ʿUṯmān b. ʿAṭāʾ und seinen Vater von Ibn ʿAbbās abgeleitet.541 Es wurde schon oben genannt, dass ʿUmar b. Hārūn von muslimischen Gelehrten für matrūk erklärt wird. Hier wird der Unterschied zwischen den beiden durch ʿAṭāʾ von Ibn ʿAbbās abgeleiteten Überlieferungen ersichtlich. Während Sure 93 in der ersten Überlieferung für mekkanisch gehalten wird, handelt es sich in der zweiten Überlieferung um eine Abweichung, ob diese Sure der mekkanischen oder medinensischen Offenbarung angehört.

Eine andere Gestalt, die sich in Taʾrīḫ al-Ḫamīs finde, „lässt aus Versehen Sur. 68 und 73 aus, stellt Sur. 50 und 90 vor Sur. 95, 61 vor 62 und 9 vor 5“542, so schreibt Nöldeke. Bei der Überprüfung der in Taʾrīḫ al-Ḫamīs gegebenen Gestalt wird ersichtlich, dass sie auf al-Ḥusain b. Wāqid zurückgeht. In ihr werden aber die beiden Suren 68 und 73 nicht aus Versehen ausgelassen. Die beiden Suren 50 und 90 werden auch nicht vor Sure 95 gestellt.

Sure 61 wird jedoch vor Sure 62 gestellt. Was aber die Sure 9 angeht, die vor Sure 5 gestellt wird, wie Nöldeke bereits schreibt, fällt auf, dass Nöldeke den restlichen Teil dieser Überlieferung nicht erwähnte. In ihr wird angeführt, dass einige Gelehrte die Sure 5 vor Sure 9 stellten. Denn der Prophet habe die Sure 5 al-Māʾida in der Predigt der letzten Pilgerfahrt gelesen und gesagt: „O ihr Menschen! Die letzte offenbarte Sure des Korans ist al-Māʾida

Al-mabānī unbekannt ist. Aber die Sprache und die Überliefererkette des Buches weisen seiner Meinung nach darauf hin, dass der Autor Marokkaner sei.)

539 Vgl. as-Suyūṭī 1426 H./2005, Bd. 1, S. 54. Das Wort matrūk ist eine Bezeichnung für eine der Stufen des Ǧarḥs, bei der es sich um einen Überlieferer handelt, dessen ḥadīṯe nicht aufgeschrieben werden dürfen. Dem als matrūk bezeichneten Überlieferer vertraut man nicht, weil er der Lüge oder der Erfindung (waḍʿ) verdächtigt wird. Vgl. as-Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn ʿAbd ar-Raḥmān: Tadrīb ar-rāwī fī šarḥ taqrīb an-Nawāwī, ediert von Abū Qutaiba Naẕr al-Fāryābī, Dār ṭība, o. O., o. J., Bd. 1, S. 404, 409.

540 Vgl. Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

541 Vgl. Muqaddimatān fī ʿulūm al-Qurʾān, S. 12-13.

542 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

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(Sure des Tisches (Sure 5). Ihr sollt daran festhalten, was in ihr als erlaubt oder verboten ist.“543

Die im Al-itqān angeführte Liste der chronologischen Anordnung des Korans, die „durch alḥusain Ibn Wāqidī und andere auf ʿIkrima und Alḥasan Ibn Abīʾlḥasan zurückgeführt wird, läßt einige Sūren aus, stellt Sur. 44 nach 40, 3 nach 2 und macht 83 zur ersten medīnischen,“544 so Nöldeke.In dieser Liste fallen die Suren 1, 7 und 19 aus, wird Sure 44 nach Sure 40, Sure 3 nach Sure 2 gestellt und Sure 83 zur ersten medinensischen Sure gemacht545, genau wie Nöldeke schreibt.

Über die vierte Aufzählung in Al-mabānī, die durch Saʿīd b. al-Musaiyab auf ʿAlī und den Propheten Muḥammad selbst zurückgeführt wird, „erklärt Sur. 1 für die älteste, macht Sur. 53 zur letzten medīnischen (sic), stellt 84 hinter 83 und läßt 111 und 61 aus.“546 Nach seiner Darstellung dieser Aufzählung sagt der Autor des Al-mabānīs, in vielen Überlieferungen werde ersichtlich, dass die Sure 96 die erste koranische Offenbarung sei. In anderen Überlieferungen werde die Sure 74 für die älteste Offenbarung erklärt. Die Suren 113 und 114 gehörten nach dieser Aufzählung der mekkanischen Offenbarung an, obwohl es bekannt sei, dass sie in Medina herabgesandt worden sei, als der Prophet von Labīd b. al-Aʿṣam verzaubert worden sei. Die Sure 53 werde nach dieser Tradition als die letzte Offenbarung des Korans angesehen. Bekannt sei aber, dass diese Sure zu den ersten offenbarten Suren gehörte und viele Hinweise auf ihre mekkanische Entstehung wie z. B. die Rede von der Himmelsreise beinhalte. Darüber hinaus halte diese vierte Aufzählung in Al-mabānī die Sure 100 für mekkanisch, obwohl es bekannt sei, dass sie auf einem Feldzug herabgesandt worden sei.547

Die erste Liste der chronologischen Anordnung des Korans in Al-mabānīs Werk, die Ibn ʿAbbās durch al-Kalbī und Abū Ṣāliḥ zugeschrieben wird, stelle, so Nöldeke, Sure 93 vor Sure 73, 55 nach 94, 109 nach 105, 22 vor 91, 63 vor 24, zähle die Sure 13 zur ersten Sure der medinensischen Suren und die Suren 56, 100, 113 und 114 zu den allerletzten medinensischen Suren.548 Bei genauerer Untersuchung dieser Liste in Al-mabānī wird deutlich, dass nach die Sure 94 die Sure 103 gestellt wird, nicht die Sure 55. Außerdem wird die Sure 13 nicht zur

543 Vgl. ad-Diyār Bakrī, Ḥusain b. Muḥammad b. al-Ḥassan: Taʿrīḫ al-ḫamis fī aḥwāl anfas an-nafīs, Muʾassasat Šaʿbān li-n-našr wa-t-tauzīʿ, Beirut, o. J., S. 10-11.

544 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

545 Vgl. as-Suyūṭī 1426 H./2005, Bd. 1, S. 50-53.

546 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

547 Vgl. Muqaddimatān fī ʿulūm al-Qurʾān, S. 16.

548 Vgl. Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

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ersten Sure der medinensischen Offenbarungen gemacht. Die erste Sure der medinensischen Offenabrungen ist die Sure 83. Sure 13 gehört nach dieser Liste zu den mekkanischen.549 Eine Liste in al-Yaʿqūbī wird auch von Nöldeke erörtert. Seiner Meinung nach werden in ihr die Gewährsmänner genannt, die in der ersten Liste Al-mabānīs vorhanden seien. Danach spricht Nöldeke davon, dass diese Liste mit der ersten in Al-mabānī erwähnten Liste nur hinsichtlich der beiden ersten Stellen und der letzten übereinstimme.550 Die Liste, die sich in Taʾrīḫ al-Yaʿqūbī findet und in deren isnād (Überliefererkette) auch al-Kalbī, Abū Ṣāliḥ und Ibn ʿAbbās angeführt sind, entspricht schon nicht der ersten in Al-mabānī angeführten Liste.

Während Sure 1 in Al-mabānī fehlt, wird sie nach Sure 74 in al-Yaʿqūbī gestellt. In al-Yaʿqūbīs Liste werden die Suren 109, 112 und 99 ausgelassen. Außerdem gehen die beiden Überlieferungen hinsichtlich der Zahl der mekkanischen und medinensischen Suren auseinander. In al-Yaʿqūbīs Werk betragen die mekkansichen Suren 79, in Al-mabānī 83. In al-Yaʿqūbīs Werk wird von 32 medinensischen Suren geredet. In Al-mabānī gehören 30 Suren der medinensischen Offenbarung an.551

Schließlich werden zwei andere Listen von Nöldeke zur Sprache gebracht. Die erste erwähnt Ibn an-Nadīm in seinem Werk Al-fihrist552. Sie werde von al-Wāqidī nach Maʿmar b. Rāšid nach al-Zuhrī nach Muḥammad b. Nuʿmān b. Bašīr überliefert. Die zweite werde im Al-itqān erwähnt und Gābir b. Zaid und ʿAlī zugeschrieben, so Nöldeke.553 Bei der Überprüfung dieser im Al-itqān befindlichen Liste wird deutlich, dass sie nur Gābir b. Zaid zugeschrieben wird.

Der Name ʿAlī wird nicht genannt. As-Suyūṭī selbst hält diese Gābir b. Zaid zugeschriebene Liste für eine fremde Ordnung. Seines Erachtens muss sie überprüft werden. Gābir b. Zaid

war einer der Gelehrten, die zu den Nachfolgern der Prophetengefährten (tābiʿūn) zählten.554 Nach seiner Darstellung verschiedener Formen der Überlieferungen, die der chronologischen

Anordnung der Suren des Korans gewidmet sind, vertritt Nöldeke den Standpunkt, dass man dadurch zu keinem brauchbaren Ergebnis komme. Der Grund dafür bestehe seines Erachtens im Folgenden: „Denn in ihnen allen werden Sūren, welche sich durch verschiedene sichere

549 Vgl. Muqaddimatān fī ʿulūm al-Qurʾān, S. 8-10.

550 Vgl. Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 60.

551Vgl. Ibn Wāḍiḥ (al-Yaʿqūbī), Aḥmad b. Abī Yaʿqūb b. Ǧaʿfar b. Wahb: Taʿriḫ al-Yaʿqūbī, Leiden 1883, Bd.

2, S. 32-33 und 43 und vgl. Muqaddimatān fī ʿulūm al-Qurʾān, S. 8-10.

552 Vgl. Ibn an-Nadīm, Abū l-Farǧ Muḥammd b. Isḥāq b. Muḥammad al-Warrāq: Al-fihrist, ediert von Ibrāhīm Ramaḍān, 2. Aufl., Dār al-maʿrifa, Beirut 1997, S. 42.

553 Vgl. Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 61-62.

554 Vgl. as-Suyūṭī 1426 H./2005, Bd. 1, S. 169.

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Zeichen als sehr alt zu erkennen geben, hinter viel spätere gestellt, ja unzweifelhaft mekkanische zu medīnischen gemacht.“555

Auch wenn diese Tradition sehr alt sei und auf Ibn ʿAbbās zurückginge, sieht Nöldeke in ihr

„nur einen rohen Versuch.“556 Kaum denkbar sei „eine genaue Überlieferung der Folge der älteren, überhaupt der mekkanischen, Sūren.“557 Es ist damit bemerkenswert, dass Nöldeke, der alle von den muslimischen Gelehrten aufgestellten Reihen der Chronologie des Korans für einen unvollkommenen Versuch hält, einen neuen Versuch unternehmen will.

5.2.1.2. Inhalte und Sprache des Korans

Nöldeke will sich nicht „allein oder doch fast allein auf das von den älteren Lehrern Überlieferte“558 stützen, weil sie selten ein festes, noch seltener ein richtiges Ergebnis lieferten. Deshalb sucht er ein anderes Kriterium. Für ihn gibt es ein zuverlässigeres Kriterium, das ihm die Verwendung der Tradition fruchtbar macht. Dieses Kriterium besteht in der sorgfältigen Überprüfung des Sinnes und der Sprache des Korans selbst. Nöldeke zufolge sind z. B. die Abschnitte mit feuriger Sprache und begeisterten Gedanken älter als

„die ruhig und breit gehaltenen“559. Muḥammad, den Nöldeke für den Autor des Korans hält, gestalte den Übergang von der ersten Art zur zweiten nicht abrupt, sondern fließend. In den beiden Arten scheinen dabei einzelne Abstufungen zu existieren. Ein wichtiges Element dieser von Nöldeke angewendeten Quelle sei die Länge der Verse, die seines Erachtens von der Art und Weise der Rede abhänge. „Denn die bewegte, rhythmische, dem echten Sagʿ näher stehende, Rede der älteren Zeit hat weit mehr Ruhepunkte nötig, als die nach und nach zur reinen Prosa werdende der späteren.“560

Die Wiederholung im Koran werde als ein wichtiges Mittel betrachtet, durch das die Originalstelle von der nachgeahmten unterschieden werden könne. Da Nöldeke davon ausgeht, dass der Korantext keine göttliche Offenbarung ausdrücke, sondern ein dem Propheten Muḥammad zugeschriebener Text sei, sei die Wiederholung im Koran bei ihm mit

555 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 62.

556 Ebd., S. 62.

557 Ebd., S. 62.

558 Ebd., S. 63. Gemeint sind damit natürlich die historischen und exegetischen Überlieferungen, d. h. die erste Quelle für Nöldekes Untersuchung der einzelnen Teile des Korans.

559 Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Bd. 1, S. 63.

560 Ebd., S. 63.

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Muḥammad selbst verbunden. Dazu schreibt er: „Da sich nämlich Muhammed oft deutlich selbst wiederholt.“561

Es muss hier außerdem darauf geachtet werden, dass Nöldeke, der vorher von der Annahme ausgeht, dass Muḥammad von den feurigen Gedanken zu den „ruhig und breit gehaltenen“

nicht sprunghaft übergeht, sich selbst am Ende des Abschnittes widerspricht. Dort schreibt er:

„Eine durchgehende Eigentümlichkeit des qorānischen Stiles“ ist es, „daß sich die Gedanken nur selten ruhig entwickeln, sondern gerne hin und her springen.“562 Ein anderes Kennzeichen des koranischen Stils ist laut Nöldeke die fehlende Verbindung zwischen den koranischen Stellen.563

Was aber die von den muslimischen Koranwissenschaftlern für die Unterscheidung der mekkanischen Offenbarungen von den medinensischen unternommenen Versuche betrifft, die die Beobachtung des Sprachgebrauches als ein Kriterium entwickelt hatten, so lehnt Nöldeke diese ab. Es bleibt für ihn unsicher. Aus diesen Versuchen könnte für seine Zwecke nichts nutzbar gemacht werden.564

Abschließend sucht Nöldeke andere Hilfsmittel für seine Untersuchung der chronologischen Anordnung der koranischen Suren. Sowohl der Koran selbst wie auch die Tradition könnten seines Erachtens viele sichere Angaben über die Entstehung der einzelnen Teile des Korans bieten; „aber freilich haben diese Erkenntnisse noch sehr bedenkliche Lücken; manches bleibt ganz ungewiß, manches wenigstens zweifelhaft.“565

Es ist hier anzumerken, dass sowohl die von den Muslimen aufgestellten Listen der Chronologie des Korans als auch die Beobachtungen der Muslime zur Sprache des Korans von Nöldeke zurückgewiesen wurden. Während die Überlieferungen ihm als unvollkommene Bemühung gelten, handelt es sich bei der Untersuchung der Muslime für die Sprache und den Inhalt des Korans um einen unsicheren Ausgangspunkt.

561 Ebd., S. 63.

562 Ebd., S. 64.

563 Vgl. Ebd., S. 64.

564 Vgl. Ebd., S. 64-65.

565 Ebd., S. 65.

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