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1 Einleitung

1.1 Aminosäuren – Bausteine des Lebens

Die ersten Aminosäuren wurden bereits 1830 isoliert aber erst 1902 entdeckte der Chemiker Emil Hermann Fischer, dass sie die kleinsten Bausteine der Proteine sind. Die Aminosäuren und deren Derivate gehören zu einer der wichtigsten und meist untersuchten Substanzklassen und spielen eine zentrale Rolle in Chemie und Biologie. Aminosäuren sind am Aufbau von Enzymen, Peptiden und Proteinen beteiligt und somit praktisch in allen Organismen vertreten. Für die fundamentale Bedeutung von α-Aminosäuren und ihrer Eigenschaften in der Natur spricht die Bezeichnung Monomerbausteine des Lebens.

Man kann zwischen essentiellen und nichtessentiellen Aminosäuren unterscheiden. Im Gegensatz zu Pflanzen und einer Reihe von Mikroorganismen, die alle für den Aufbau ihrer Zellproteine notwendigen Aminosäuren selbst synthetisieren können, sind tierische Organismen nicht in der Lage, alle Aminosäuren selbst aufzubauen. Essentielle Aminosäuren sind solche, von denen der Organismus eine gewisse Menge über die Nahrung aufnehmen muss. Zu den essentiellen Aminosäuren gehören die verzweigtkettigen (Valin, Leucin, Isoleucin, Threonin) und die aromatischen Aminosäuren (Phenylalanin, Tryptophan). Die als nichtessentiell bezeichneten Aminosäuren können bei Bedarf vom Körper aus anderen Aminosäuren über Transaminierung gebildet werden. Zu den nichtessentiellen Aminosäuren zählt man z.B. Asparagin und Glutamin. Histidin und Arginin sind semiessentiell, d. h. sie müssen nur in bestimmten Situationen von außen zugeführt werden, zum Beispiel in der Wachstumsphase oder bei Mangelerscheinungen. Inzwischen hat sich gezeigt, dass diese

„klassische Einteilung“ nur eingeschränkt zutrifft, weil verschiedene nicht essentielle Aminosäuren bei bestimmten Krankheiten und in verschiedenen Lebenssituationen essentiell werden können.

Die Aminosäuren werden nicht nur als Bestandteil von Peptiden, sondern auch für eigenständige Funktionen benötigt. Viele Organismen benutzen bestimmte Aminosäuren um Stickstoff in Form von Aminogruppen zu transportieren oder als Energiequelle. Oft fungieren Aminosäuren und ihre Derivate als chemische Boten für die Kommunikation zwischen Zellen. Glycin, γ-Aminobuttersäure (GABA, ein Decarboxylierungsprodukt von Glutamat) und Dopamin (ein Tyrosinderivat) sind Neurotransmitter, die von Nervenzellen freigesetzt

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werden, um das Verhalten der umgebenden Zellen zu beeinflussen. Histamin (aus Histidin) ist ein hochwirksamer lokaler Übermittler von allergischen Reaktionen und Thyroxin (ein Tyrosinderivat) ist ein iodhaltiges Schilddrüsenhormon, das den Metabolismus von Vertebraten stimuliert1.

Abbildung 1: Beispiele für biologisch aktive Aminosäurederivate

Von den über 700 in der Natur entdeckten Aminosäuren gehören zu den proteinogenen (Protein bildenden) nur 20 Aminosäuren, die im genetischen Code angelegt sind2. Es gibt auch Aminosäuren, die nicht am Proteinaufbau beteiligt sind, aber dennoch eine wichtige biologische Funktion im Organismus übernehmen; diese sind die nicht-proteinogenen Aminosäuren. Sie können meistens aus Pflanzen, Pilzen oder Mikroorganismen isoliert werden und sind zum Teil Bestandteile von verschiedenen Peptidwirkstoffen oder Peptidantibiotika (Abbildung 2).

Oxytocin (Wehenauslösende Wirkung)

Cyclosporin (Antibiotikum)

Leuprolid (GnRH-Analog) Abbildung 2: Peptide als Arzneistoffe3

3 1.2 Peptidomimetika

Bei dem Einsatz von Peptiden als Wirkstoffe gibt es allerdings bestimmte Hindernisse, die ihre Verwendbarkeit einschränken. Durch ein hohes Molekulargewicht und die hohe Polarität werden die Peptide bei oraler Gabe schlecht resorbiert und weisen eine geringe orale Verfügbarkeit auf. Weiterhin sind die Peptide metabolisch instabil und können nicht an ihren eigentlichen Wirkort gelangen, da sie vorher durch Proteolyse im Magen-Darm-Trakt und im Serum leicht gespalten werden. Ein anderes Problem stellt die biliäre und renale Eliminierung von Peptiden dar.Es ist also ein Ziel der Wirkstoffentwicklung, peptidähnliche Strukturen zu konstruieren, die die positiven Wirkungen der Peptide noch besitzen, aber die genannten Nachteile nicht mehr aufweisen. Die Lösung dieser Problematik verspricht man sich durch den Einsatz von Peptidomimetika.

Die grundlegenden Ansprüche an ein Peptidomimetikum (ein Wirkstoff, der kein Peptid ist aber ihre Wirkung imitiert) bestehen also darin, dass es eine metabolisch ausreichende Stabilität, ein geringes Molekulargewicht zur Erhöhung der oralen Verfügbarkeit sowie eine hohe Rezeptoraffinität besitzt, um eine feste Bindung am Target zu gewährleisten. Es bieten sich verschiedene Möglichkeiten um diese Anforderungen zu erfüllen. Die einfachsten Varianten sind der Austausch von in der Natur vorherrschenden L-Aminosäuren gegen D-Aminosäuren und die Modifizierung der Seitenkette von D-Aminosäuren. Diese führen zur Steigerung der metabolischen Stabilität. Eine andere Strategie ist die Konformationsstabilisierung durch die Einführung cyclischer Aminosäuren. Eine weitere Stabilisierung der Konformation erfolgt durch die Verwendung von Templaten, die bestimmte Sekundärstrukturen wie β-Schleifen erzwingen können.

Aus pharmakologischer und medizinischer Sicht ist es häufig erwünscht, nicht nur die Wirkung der Peptide auf Rezeptorebene zu imitieren (Agonismus), sondern auch bei Bedarf den Rezeptor zu blockieren (Antagonismus). Für peptidische Antagonisten gelten dieselben pharmakologischen Überlegungen, wobei hinzukommt, dass ihre Entwicklung in Ermangelung von Leitstrukturen schwieriger ist. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, welche Faktoren für die agonistische und welche für die antagonistische Wirkung ausschlaggebend sind. In den vergangenen Jahren wurde verstärkt versucht, Peptidomimetika zu entwickeln, die günstigere pharmakologische Eigenschaften haben als ihre Vorbilder4.

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Das klassische Beispiel ist Morphin 1 (Opioidalkaloid), ein nichtpeptidisches Mimetikum des körpereigenen aus 31 Aminosäuren bestehenden β-Endorphins 3. Es bindet als Agonist an den Opiatrezeptor. Es ist also möglich, ein relativ großes Peptid durch eine niedermolekulare Verbindung zu ersetzen, wenn beide Verbindungen die gleiche Erkennungsstelle am Rezeptor besitzen. Eine höhere Affinität und Selektivität zum μ-Opioidrezeptor weist Dermorphin 2, ein Naturstoff isoliert aus dem in Südamerika lebenden Makifrosch, auf. Es ist ein peptidisches Mimetikum das einen D-Alaninrest enthält. Bei der synthetisch hergestellten Variante, in der das D- durch das L-Alanin ersetzt wurde, konnte interessanterweise keine biologische Aktivität mehr nachgewiesen werden5.

1 Tyr-D-Ala-Phe-Gly-Tyr-Pro-Ser

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Tyr-Gly-Gly-Phe-Met-Thr-Ser-Glu-Lys-Ser-Gln-Thr-Pro-Leu-Val- Thr-Leu-Phe-Lys-Asn-Ala-Ile-Ile-Lys-Asn-Ala-Tyr-Lys-Lys-Gly-Glu

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Abbildung 3: Morphin 1, Dermorphin 2 und β-Endorphin 3

Peptidomimetika können entweder durch umfangreiches Screening von chemischen Verbindungen aus Probesammlungen von Bakterienkulturen oder von Pilz-Metaboliten entdeckt oder durch Design entwickelt werden. Es ist wichtig, die essentiellen Bestandteile für Rezeptorinteraktionen oder Faltung des Peptids zu identifizieren. Dies kann zum Beispiel durch einen Alanin-Scan erreicht werden. Beim Alanin-Scan wird nacheinander jede Aminosäure des Peptids durch Alanin ersetzt und überprüft, ob sich die Wirkungsweise des Peptids dadurch verändert. Verschlechtert sich diese durch Austausch einer Aminosäure durch Alanin, so bedeutet das, dass diese Aminosäure essentiell ist. Auf diese Weise kann das Peptid sequentiell getestet werden und am Ende kennt man die Bestandteile, die für die Aktivität des Peptids verantwortlich sind, und auf die sich das Peptidomimetikum in seiner

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Ausgangsform beschränken kann. Wenn die Bedeutung der einzelnen Aminosäuren bekannt ist, kann man versuchen, die biologische Aktivität des Peptids durch Modifikationen von Aminosäuren zu verbessern. Es ist beispielsweise möglich, dass eine unnatürliche Aminosäure das aktive Zentrum besser ausfüllt und somit eine verbesserte Aktivität zeigt.

1.3 Modifikationen an Aminosäuren

Die Synthese nicht natürlicher, das heißt nicht durch DNA codierter α-Aminosäuren ist in den letzten Jahren vielfältig erforscht worden, da sie häufig interessante pharmakologische Eigenschaften aufweisen. Insbesondere zeichnen sich nicht natürliche α-Aminosäuren meist durch eine höhere Stabilität gegenüber dem enzymatischen Abbau aus und sie schränken durch starre Strukturelemente die konformative Flexibilität ein.

Abbildung 4: Modifikationen der Aminosäuren in Peptidomimetika

Zahlreiche Möglichkeiten zur Synthese von konformativ eingeschränkten und/oder metabolisch stabilen Peptidomimetika bestehen auf der Ebene der Aminosäuren. So ist der systematische Austausch einzelner Aminosäuren durch α-C-alkylierte, N-alkylierte und durch D-Aminosäuren üblich. Darüber hinaus können auch α,ungesättigte, cyclische und β-Aminosäuren sowie β-Aminosäuren mit sterisch anspruchsvollen Seitenketten eingeführt werden (Abbildung 4). In Abbildung 5 werden einige metabolisch stabile Analoga von Phenylalanin dargestellt. Durch Substitution in para-Position mit Fluor oder Methoxygruppe kann eine mögliche Hydroxylierung an den Aromat unterdrückt werden. Die Stabilität kann durch Einführung zusätzlicher Substituenten (Methylgruppe oder Phenylring) in der β-Position oder durch verschiedene Cyclisierungen weiter erhöht werden3.

6 Abbildung 5: Bekannte Phenylalaninmimetika 1.4 Asymmetrische Synthese von Aminosäuren

Die Chiralität (abgeleitet von griechisch χείρ „Hand“) der Biomoleküle ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der Natur und gleichzeitig eines der großen Geheimnisse dieser Zeit. Die Natur ist in den meisten Fällen in der Lage, von den beiden Enantiomeren (Bild und Spiegelbild) ausschließlich ein einziges hervorzubringen (zum Beispiel fast alle natürlichen Aminosäuren liegen in der L-Konfiguration vor und es gibt keine Mischung von L und D-Isomeren).

Lange bevor Enantiomere chemisch rein isoliert werden konnten, war der Mensch selbst in der Lage diese zu unterscheiden, weil die Geschmackssensoren (Rezeptoren) auch chiral sind. Die bekanntesten Beispiele hierzu sind die Terpene Limonen und Carvon (Abbildung 6). (R)-(+)-Limonen duftet süßlich und nach Orange, während das (S)-(–)-Limonen scharf und nach Limone riecht. In gleicher Weise ist es möglich zwischen dem Geruch grüner Minze und jenem von Kümmel zu unterscheiden, obgleich es sich wiederum um zwei Enantiomeren von Carvon handelt. Die Enantiomeren von Aminosäuren besitzen auch einen unterschiedlichen Geschmack, so schmecken die meisten D-Aminosäuren süß, während die L-Aminosäuren bitter oder fast geschmacklos sind.

7 Abbildung 6: Limonen, Carvon und Asparagin

Die Enzyme sind oft in der Lage nur ein bestimmtes optisches Isomer zu erkennen, zu binden und damit zu interagieren und somit ist es nicht verwunderlich, dass Enantiomerenpaare sich in biologischen Reaktionen unterschiedlich verhalten. Abbildung 7 zeigt anhand dreier Beispiele aus der pharmazeutischen Chemie die Unterschiede in der Wirkung chiraler Arzneistoffeauf den menschlichen Organismus6.

Abbildung 7: Chirale Pharmazeutika

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Seit der Contagan® Tragödie ist bekannt wie drastisch solche Unterschiede sein können.

Thalidomid (Contagan®) war in den 1960ern als Mittel gegen Übelkeit in der Schwangerschaft erhältlich. Erst 20 Jahre später wurde erkannt, dass nur das (R)-(+)-Enantiomer lindernde Wirkung hat, während das (S)-(–)-Analogon allerdings schwer teratogen ist7.

Eine der Hauptaufgaben bei der chemischen Synthese von Wirkstoffen mit Aminosäurestrukturen ist es, Methoden zu entwickeln, die den Zugang zu den Aminosäuren in beiden enantiomeren Formen und in hohen optischen Reinheiten ermöglichen. Für die Herstellung chiraler Aminosäuren haben sich vier Strategien durchgesetzt8. Die biotechnologischen Methoden (durch Isolation aus dem Proteinhydrolysat, durch Fermentation oder durch mutagene Bakterien) sind eher geeignet um den Bedarf an Aminosäuren weltweit zu decken. Ca. 2,3 Millionen Tonnen Aminosäuren werden im Jahr produziert (stand November 20049), davon allein ca. 1,5 Millionen Tonnen Natriumglutamat, das zum Würzen von Speisen verwendet wird. Da nur wenige Aminosäuren aufgrund ihrer ernährungsphysiologischen Eigenschaften von wirtschaftlichem Interesse sind, können nicht alle Aminosäuren großtechnisch dargestellt werden. Die Trennung von racemischen Gemischen ist entweder klassisch wie Pasteur 1844 oder kinetisch mit Enzymen oder chiralen Reagenzien möglich und ist eine kosten- und entsorgungsintensive Methode.

Zu den chemischen Synthesen zählen zwei wichtige, weitaus ökonomischere und ökologischere Verfahren: Die Synthese mit Reagenzien aus dem „chiral pool“ (meistens Aminosäuren, Kohlenhydrate, Alkaloide und Terpene)10 und die asymmetrische Synthese.

Vor allem die asymmetrische Synthese, bei der enzymatische, stöchiometrische und katalytische Methoden zu unterscheiden sind, hat inzwischen besonders große Bedeutung erlangt. Zur Synthese von geringen Mengen unnatürlicher und häufig sehr spezieller Aminosäuren kommen asymmetrische Verfahren erfolgreich zum Einsatz.

Der Begriff „Asymmetrische Synthese“ wurde erstmals 1904 von Marckwald wie folgt definiert: “Asymmetrische Synthesen sind solche, welche aus symmetrisch konstituierten Verbindungen unter intermediärer Benutzung optisch aktiver Stoffe, aber unter Vermeidung jedes analytischen Vorganges, optisch aktive Substanzen erzeugen“11.

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Die Methodenfür die asymmetrische Synthese von Aminosäuren lassen sich in vier große Kategorien, die fast alleauf C-C- und C-N-Verknüpfungsreaktionen beruhen, unterteilen12. In Abbildung 8 sind die allgemeinen stereoselektiven Synthesemöglichkeiten von α-Aminosäuren zusammengefasst:

a) asymmetrische Strecker Synthese b) Alkylierung chiraler Glycinäquivalente

c) Aminierung geeigneter Vorstufen: elektrophile Aminierung von Enolaten und nukleophile Aminierung von α–substituierten Carbonsäuren

d) asymmetrische Hydrierung von achiralen Dehydroaminosäurebausteinen in Gegenwart optisch aktiver Katalysatoren

Abbildung 8: Ansätze zur Synthese von α-Aminosäuren8

1.5 Asymmetrische C-C Verknüpfungen

Aus diesen bekannten Methoden der asymmetrischen α-Aminosäurensynthesen werden nur einige, die im näheren Bezug zu dieser Arbeit stehen, vorgestellt und zwar die Synthesen, bei denen in α-Position eines chiralen Glycinäquivalents entweder durch nukleophile oder elektrophile Substitution unter Bildung eines neuen Chiralitätszentrums Reste eingeführt werden (Abbildung 9). Als die einfachste Aminosäure, bietet Glycin durch eine asymmetrische Derivatisierung eine vielseitige Anwendbarkeit in der Synthese enantiomerenreiner Aminosäuren.

10 Abbildung 9: Glycinderivatisierungstypen13

1.5.1 Glycin-α-Anionenäquivalente

Ein sehr bekanntes und erfolgreiches Beispiel für Glycin-α-Anionenäquivalente stellt der von Schöllkopf entwickelte chirale Baustein der Bislactimether dar. Er ist der älteste und bekannteste Baustein und wurde 1981 entwickelt14. Die neue Methode für die asymmetrische Synthese von verschiedensten α-Aminosäuren wurde als Bislactimetherverfahren bekannt und galt lange Zeit bezüglich Variabilität und Steroselektivität als konkurrenzlos.

Die Bislactimether entstehen durch Kondensation zweier Aminosäuren zum Diketopiperazin und O-Alkylierung mit Trimethyloxoniumtetrafluoroborat (Methyl-Meerweinsalz). Der Schlüsselschritt in diesem Bislactimetherverfahren ist die baseninduzierte Umsetzung mit Elektrophilen. Der Angriff erfolgt auf der weniger gehinderten Oberseite, die Unterseite wird durch den Alkylsubstituenten des verbleibenden Stereozentrums abgeschirmt. Die hydrolytische Spaltung gelingt unter schonenden Bedingungen und liefert die Aminosäure in bis zu 95% optischer Reinheit. Der chirale Hilfsstoff kann destillativ oder chromatographisch entfernt werden. Die Konfiguration der gewünschten Aminosäure ist von der Stereochemie des Bislactimethers abhängig.

Als chirales Auxiliar dient eine enantiomerenreine Aminosäure, besonders erfolgreich wurden Valin und tert-Leucin verwendet14. In Abbildung 10a ist der Syntheseweg dieser Verbindungen genauer beschrieben. Aus L-Valin wurde das L-Val-Gly-Dipeptid dargestellt, das weiter zu Diketopiperazin (oder Bislactam) kondensiert. Die O-Alkylierung liefert den Hauptbaustein.

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Nach der regiospezifischen Metallierung im Glycinteil, in der Regel mit nBuLi, reagiert das Lithiumazaenolat mit Alkyl- und Arylhalogeniden mit zum Teil > 95% Diastereoselektivität.

Der Rest tritt trans zur Isopropylgruppe an C6 ein, d. h. an C3 wird die (R)-Konfiguration induziert.

Abbildung 10a: Bislactimethermethode

Abbildung 10b: Bislactimether

Weitaus der bekannteste und am meisten untersuchte Bislactimether wurde aus cyclo-L-Val-Gly erhalten und ist in beiden Enantiomerenformen kommerziell erhältlich (Abbildung 10b).

Eine weitere wichtige Klasse stellen die Glycinderivate, synthetisiert durch asymmetrische Enolat Alkylierungen von Schiff’schen Basen, dar. McIntosh und Mitarbeiter berichteten über die Anwendung von Campheriminderivaten15. Diese Imine werden durch Glycinesterfunktionalisierung über ihre Aminofunktion mit einer Carbonyl- oder besser Thiocarbonylgruppe von Campherderivaten dargestellt (Abbildung 11). Mit starken Basen werden die Enolate generiert und dann weiter mit Elektrophilen alkyliert. Die Nachteile dieses Systems liegen in der eingeschränkten Wahl der Elektrophile (gute Stereoselektivitäten nur für Elektrophile, die π–π Wechselwikungen mit dem Enolat eingehen) und in den

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drastischen Bedingungen bei der Hydrolysereaktion. Die Glycinderivate können auch über ihre Säurefunktion zu Amiden oder Estern mit Naturstoffen, die eine freie Amino- oder Hydroxylgruppe enthalten, funktionalisiert werden. Ein Beispiel wurde von Katsumi entwickelt16,17 als Pyrolidinderivat (Abbildung 11).

Abbildung 11: Asymmetrische Enolat Alkylierungen von Schiff’schen Basen

Ein anderes Beispiel für chirale Glycinenolate aus Campherderivaten wurde von Lu et.al.

2003 veröffentlicht18. Das chirale Templat, ein tricyclisches Iminolacton wurde aus (R)-Campher in 5 Stufen mit 50% Gesamtausbeute synthetisiert. Durch eine selektive Reduktion des Campherchinons sind beide Aminosäurenenantiomere zugänglich19 (Abbildung 12). Die Vorteile dieser Methode sind die sehr guten Diastereoselektivitäten, die bei der Alkylierung erhalten wurden (über 98%) und die Anwendung eines einzigen Chiralausgangsstoffs für die Synthese beider Enantiomere.

Abbildung 12: Synthese beider Aminosäuren möglich durch variable Regiochemie am chiralen Auxiliar

1985 berichtete Belokon20 über Metalkomplexe, die auch zum Bereich der Glycinelektrophilen gehören. Die Komplexe werden unter Standard-Peptidkupplungsbedingungen aus N-Benzylprolin, ortho-Aminoacetophenon und Glycin gefolgt von Kupfer oder Nickel Komplexierung dargestellt21 (Abbildung 13, A). Durch milde Deprotonierung (z.B. mit Triethylamin oder Natriummethanolat) und Aldolkondensation können β-hydroxy-substituierte Aminosäuren erhalten werden. Weitere interessante

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Glycinbausteine sind von Myers22,23, ein Pseudoephedringlycinamid B (Abbildung 13), entwickelt worden. Zunächst wird Pseudoephedrin mit Glycin acyliert und nach einer Deprotonierungs-Alkylierungs-Hydrolyse-Sequenz können die enantiomerenreinen freien Aminosäuren erhalten werden.

Abbildung 13: Glycinenolate

Ein anderes sehr effizientes Verfahren für die asymmetrische Synthese von Aminosäuren ist die von Seebach24 ausgearbeitete Methode, die als „Selbstreproduktion der Chiralität“

bezeichnet wird. Im Gegensatz zu anderen Methoden wird die Chiralität des Bausteins nicht über ein chirales Auxiliar erzeugt, es wird kein anderer optisch aktiver Hilfsstoff außer Ausgangsstoff benötigt. Für die Methode wird als Ausgangsprodukt eine chirale Aminosäure wie L-Prolin verwendet (Abbildung 14). Durch Kondensation mit Pivalaldehyd wird L-Prolin in das Oxazolidinonderivat überführt, das sich dann nach Deprotonierung stereoselektiv alkylieren lässt. Der Angriff des Elektrophils am Enolat wird von der tert-Butylgruppe auf die ihr gegenüberstehende Seite dirigiert, wodurch die Konfiguration am reaktiven Zentrum festgelegt wird. Nach der Hydrolyse mit Bromwassersoff konnten Prolinderivate erhalten werden.

Abbildung 14: Selbstregeneration von Stereozentren

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Diese Methode kann nicht nur für die Synthese von Prolinderivaten sondern auch für andere, nicht cyclische Aminosäuren angewendet werden25. Dafür hat Seebach einen universell einsetzbaren chiralen Glycinbaustein, Boc-BMI (Boc-2-tert-Butyl-3-methyl-4-imidazolidinon) B entwickelt26,27 (Abbildung 15). Das ungeschützte cyclische Acetal von Glycinmethylamid und Pivalaldehyd wurde nach einer Racematspaltung über diastereomere Salze mit Mandelsäure erhalten. Die enantiomerenreinen Bausteine (R)-BMI oder (S)-BMI konnten nun zu den entsprechenden Boc-BMI derivatisiert werden. Diese Systeme erfordern relativ drastische Hydrolysebedingungen wie z.B. den Einsatz von Säuren bei hohen Temperaturen.

Um das Problem zu lösen, wurden Oxazolidinone, die viel leichter zu den Aminosäuren hydrolysiert werden können als analoge Imidazolidinone, eingeführt28,29. Der BOX (Z-2-tert-Butyl-4-oxo-oxazolidin) Baustein C (Abbildung 15) hat zwei entscheidende Nachteile: Die freien Oxazolidinone können nicht über diastereomere Salze in die Enantiomeren getrennt werden, weil sie zu instabil sind und werden durch präparative chromatographische Enantiomerentrennung gewonnen. Bei der NO-Heterocyclusanwendung ist man bei den Deprotonierungsreagenzien und Schutztruppen wegen der Enolatlabilität eingeschränkt.

Durch Verwendung von Lithiumhexamethyldisilazid (LHMDS) als Base und durch Wahl geeigneter Acylgruppen am Stickstoffatom der Oxazolidinone können relativ stabile Enolate erzeugt werden.

Durch Abwägen dieser Vor- und Nachteile wurde ein neuer und besserer Glycinbaustein gefunden.30 BDI (2-tert-Butyl-4-methoxy-2,5-dihydroimidazol-1-carboxylat) D (Abbildung 15) ist ein Hybrid aus BMI B und dem Bislactimether von Schöllkopf A (Abbildung 15). Die resultierenden Vorteile sind sehr gute Diastereoselktivitäten bei den mono- und di-alkylierten Produkten, milde Reaktionsbedingungen bei der Hydrolyse und einfache Entfernung des Nebenprodukts direkt während der Aufarbeitung (der nach Hydrolyse entstandene Pivalaldehyd ist leicht flüchtig und wird zusammen mit dem Lösungsmittel entfernt).

Abbildung 15: Wichtige Glycinbausteine

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Neben Seebachs chiralen Oxazolidinonen und Imidazolidinonen wurden noch andere ähnliche cyclische Systeme entwickelt. Die von Williams13 und Dellaria31 berichteten Diphenyloxazinone oder 5,6-Diphenylmorpholin-2-on-derivate stellen eine andere wichtige Klasse der chiralen Glycinäquivalente dar (Abbildung 16). Das Glycinenolat entsteht durch Deprotonierung nur mit Silazidbasen, wie NaN(SiMe3)2 oder LiN(SiMe3)2 und unter speziellen Bedingungen (genaue Temperaturen, bestimmte Zugabereihe von Reagenzien).

Das Enolat liegt in einer „twist-boat“ Konformation vor, der si-Seitenangriff wird bevorzugt und das Elektrophil kann mit hoher Selektivität von der nicht abgeschirmten Seite (anti zum Phenylring in der 5-Position) angreifen. Durch Auswahl geeigneter Bedingungen für die Hydrolyse können entweder die geschützten oder direkt die freien Aminosäuren erhalten werden32.

Abbildung 16: Williams Oxazinonderivate

Es wurde eine große Anzahl von vielseitig anwendbaren Glycinenolaten entwickelt aber etabliert haben sich insbesonders flexibel einsetzbare chirale Bausteine, die die Einführung unterschiedlicher Funktionalitäten und Substituenten erlauben. Immer neue Problemstellungen zeigen die Limitierungen der bestehenden Methoden auf und erfordern die Erarbeitung neuer Strategien.

16 1.5.2 Glycin-α-Kationenäquivalente

Im Glycin Fragment weist der α–Kohlenstoff die Kapazität zur Bildung von Carbanionen, Kationen und Radikalen auf (Abbildung 17), da das flankierenden Stickstoffatom und die Carbonylfunktion aufgrund der möglichen Resonanzstabilität und dipolaren Wechselwirkung stabilisierend wirken.

Abbildung 17: Glycinäquivalente

Der klassische Bislactimether von Schöllkopf tritt nicht nur als Glycinenolat auf, sondern

Der klassische Bislactimether von Schöllkopf tritt nicht nur als Glycinenolat auf, sondern