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Altersübergänge und Erwerbsminderungsrenten

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5. ERWERBSMINDERUNGSRENTEN ALS AUSWEG?

5.1 Altersübergänge und Erwerbsminderungsrenten

Wie beschrieben unterliegen viele Beschäftigte dem Risiko, aus gesundheitlichen Grün-den bereits vor dem Erreichen der Altersgrenzen nicht mehr in der Lage zu sein, einer Erwerbstätigkeit allgemein bzw. ihrer Berufstätigkeit im Speziellen nicht mehr nachgehen zu können. Auch die steigende Lebenserwartung ändert an diesem Befund nichts. Nun kann darauf verwiesen werden, dass für genau diese Fälle der Bezug einer Erwerbsmin-derungsrente vorgesehen ist. Die Frage ist jedoch, ob ErwerbsminErwerbsmin-derungsrenten wirklich all die Probleme jener Beschäftigten lösen, die mit der Politik einer andauernden Herauf-setzung der Altersgrenzen nicht mithalten können.

Zu berücksichtigen ist nämlich, dass sich Erwerbsminderungsrenten grundsätzlich von Al-tersrenten unterscheiden (vgl. dazu Bäcker 2013: 572 ff.; Hagen/Himmelreicher 2014: 115 ff.). Sie müssen in einem aufwändigen Verfahren im Einzelnen beantragt und bewilligt werden. Dabei sind strenge Voraussetzungen zu erfüllen. Geprüft wird in jedem Einzelfall, ob und in welchem Maße noch die Fähigkeit vorhanden ist, eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können und ein Einkommen zu erzielen. Maßstab ist dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, d. h. in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt. Die subjektive Zumutbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Ausbildung und des Status der bisherigen bzw. zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit ist hierbei ohne Bedeutung.

In Abhängigkeit vom gesundheitlichen Restleistungsvermögen kann die Rente wegen Er-werbsminderung in voller oder halber Höhe geleistet werden:

 Ein Versicherter ist voll erwerbsgemindert, wenn er aus gesundheitlichen Gründen auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als drei Stunden pro Tag (innerhalb einer Fünf-tagewoche) arbeiten kann. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung wird wie eine Altersrente berechnet.

 Eine halbe Erwerbsminderungsrente erhalten Erwerbsgeminderte bei einem Restleis-tungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von 3 bis unter 6 Stunden täglich.

Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist deshalb nur halb so hoch wie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil die Betroffenen mit dem ihnen verbliebe-nen Restleistungsvermögen grundsätzlich noch das zur Ergänzung der Rente notwen-dige Einkommen erarbeiten können.

Wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stun-den pro Tag arbeiten kann, ist also nicht erwerbsgemindert und wird, obwohl eine voll-schichtige Tätigkeit (acht Stunden pro Tag) nicht möglich ist, völlig aus dem Leistungsbe-zug ausgeschlossen.

Anspruchsvoraussetzung ist darüber hinaus, dass die allgemeine Wartezeit von fünf Jah-ren mit Versicherungszeiten, Beitrags- oder Ersatzzeiten erfüllt ist und dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt waren.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen kann es nicht verwundern, dass ein hoher Anteil der Neuanträge auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt wird, weil

entweder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Wartezeit) fehlen oder weil ent-schieden wird, dass Erwerbsfähigkeit noch vorhanden ist. Seit vielen Jahren schwankt die Ablehnungsquote zwischen 40 und 42% (Mittag/Reese/Meffert 2013: 149 ff.).

Abbildung 45:

Zugänge von Alters- und Erwerbsminderungsrenten, Anteile von EM-Renten, 1995-2015

Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund (zuletzt 2016), Rentenversicherung in Zahlen

Gleichwohl liegt die Zahl der jährlich neu zugehenden Erwerbsminderungsrenten auf ei-nem hohen Niveau: 2015 waren dies gut 174 Tausend. Im längerfristigen Vergleich zwi-schen den Zugangszahlen von Altersrenten und Erwerbsminderungsrenten zeigen sich interessante Verschiebungen: Während die Zugänge in Altersrenten Schwankungen un-terliegen, im Trend aber bis 2013 rückläufig sind, kommt es seit etwa 2005 zu einem leich-ten, aber anhaltenden Zuwachs der Erwerbsminderungsrenten. Im Ergebnis ist der An-teilswert der neu zugehenden Erwerbsminderungsrenten an den Versichertenrenten ins-gesamt zwischen 2005 und 2013 von 17,3% auf 21,4% merklich angestiegen (Abbildung 45).

Im besonderen Maße vom Risiko der vorzeitigen Erwerbsminderung betroffen sind Versi-cherte, die in belastenden Berufen tätig waren (Mika 2013: S. 391 ff.). Dies gilt auch für Arbeitnehmer/-innen mit durchbrochenen Erwerbsbiografien und Phasen der Arbeitslosig-keit. Arbeitslosigkeit, und hier insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit, stellt ein zentrales Eintrittstor in die Erwerbsminderung dar. Die Zusammenhänge lassen sich in zweifacher Hinsicht erklären: Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben ein be-sonders hohes Risiko, arbeitslos zu werden und zu bleiben. Zugleich führt ein mehrjähriger Verbleib in der Arbeitslosigkeit zu einer Gefährdung der physischen und vor allem psychi-schen Gesundheit bzw. verstärkt schon vorhandene Einschränkungen.

Ab 2005, mit der Einführung des SGB II, waren Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II Beitragszeiten, die zur Erfüllung der Wartezeiten genutzt werden konnten. Nach lang-jähriger Arbeitslosigkeit war es deshalb möglich, einen Anspruch auf den Bezug einer Er-werbsminderungsrente aufzubauen. Während dies für die Bezieher der vormaligen Ar-beitslosenhilfe nach dem SGB III auch schon zuvor galt, stand diese Möglichkeit den vor-maligen Empfängern von Sozialhilfe bis dato nicht offen. Dadurch konnten zusätzliche An-sprüche erworben und auch Anträge auf Erwerbsminderungsrenten generiert werden. Da seit 2011 werden für Empfänger von ALG II keine Rentenversicherungsbeiträge mehr ge-zahlt werden, ist diese Möglichkeit entfallen. Seitdem gelten Zeiten im ALG-II-Bezug als Anrechnungszeiten (vgl. Mika/Lange/Stegmann 2014: 277 ff.).

Eine Sondersituation hinsichtlich der Zugangsquoten von Erwerbsminderungsrenten zeigt sich in den Jahren 2014 und 2015 (Abbildung 45): Der scharfe Rückgang des Anteils der Erwerbsminderungsrenten am Gesamtrentenzugang auf 18,4% und 17% ist Ergebnis von Sondereffekten: Viele Frauen haben erst durch die Anerkennung eines weiteren Kinder-erziehungsjahres pro Kind für Geburten vor 1992 die Wartezeit von 5 Jahren für einen erstmaligen Rentenanspruch erlangt. Dies betrifft auch Frauen, die das Alter der Regelal-tersgrenze (z.T. weit) überschritten haben. Hinzu kommt die starke Inanspruchnahme der abschlagsfreien Altersrente ab 63, so dass sich die Zahl der neuen Altersrenten in 2014 und 2015 stark erhöht hat (850.000 im Jahr 2015 gegenüber 648.000 im Jahr 2013). Durch diese hohen Zugangszahlen fällt der Anteil der EM-Renten an allen Versichertenrenten rein rechnerisch stark ab.

Es spricht alles dafür, dass nach dem Auslaufen dieser statistischen Sondereffekte der Bedeutungszuwachs von Erwerbsminderungsrenten wieder einsetzen wird. Denn die Be-antragung von Erwerbsminderungsrenten steht in einem engen Zusammenhang mit der Heraufsetzung der Altersgrenzen: Wenn die Regelaltersgrenze immer weiter nach oben verschoben wird und sich die Möglichkeiten eines frühzeitigen Bezugs von Altersrenten – auch um den Preis von Abschlägen – zunehmend beschränken, rücken vermehrt Versi-cherte, die weit über 60 Jahre alt sind, in den Kreis potenzieller Erwerbsminderungsrentner nach.

Aktuell konzentrieren sich die anerkannten Fälle von Erwerbsminderungsrenten auf die 50 bis 60-Jährigen. Etwa 30% der Zugänge in Erwerbsminderungsrenten erfolgten 2015 im Alter von 55 bis 59 Jahren und gut 20% im Alter von 50 bis 54 Jahren. Zu erkennen ist allerdings, dass das durchschnittliche Eintrittsalter der neuen Versichertenrenten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seit 2004 kontinuierlich steigt - auf 51,2 Jahre bei den Frauen und auf 52,1 Jahre bei den Männern (2015) (Abbildung 46).

Abbildung 46:

Durchschnittliches Zugangsalter in Erwerbsminderungsrenten 1993-2015, Männer, Frauen

Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund (zuletzt 2016), Rentenversicherung in Zahlen

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