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»Wir brauchten eigentlich ein neues Wort für Religion und Religionsunterricht, um nicht mißverstanden zu werden.

Es geht um das religiöse Element, das das Herz erwärmt und das es in die Sicherheit führt, daß sich des Menschen Seele zu allen Zeiten finden kann im Geistesreich, in der eigentli-chen Heimat des „Ich selbst“.« Diese Sätze wenden sich an Waldorflehrer und stammen aus Helmut von Kügelgens Schrift Hinweise zu den Handlungen des freien christlichen Religionsunterrichts und zur Raumgestaltung. Für Waldorf-schüler, die nicht einen anderen konfessionsgebundenen Re-ligionsunterricht besuchten, etablierte Rudolf Steiner zwar kein neues Wort für Religion, aber eine neue religiöse Erleb-nismöglichkeit, deren kultische Formen ein eigenes Design beinhalteten.

Die Entstehungszeit dieses Designs liegt um das Jahr 1920, also nicht in der chronologischen Folge des bisher Dar-gestellten und weist Gestaltungselemente auf, die ich später ausführlicher besprechen werde. Was in die Abfolge passt, und ihr eine neue Nuance einfügt, ist das Farbdesign der Handlungsräume und ihrer Möblierung.

Nach den Angaben Steiners sollten die Räume durch Vorhänge rundum in jenes starke Rot gekleidet werden kön-nen, das »kraftvoll weder Zinnober noch Karmin ist«. Von gleicher Farbe sollten der erhöhte Altar und die zwei Stühle sein, und in gedämpftem Rot sollten zwei Läufer in Kreuz-form unter dem Altar liegen. Der Altarentwurf war ausge-sprochen schlicht: eine Quaderform, dessen Frontansicht ziemlich genau ein »Goldenes Rechteck« zeigt, wo Länge und Breite im Verhältnis des Goldenen Schnittes stehen und nach dem auch die Höhen von Altar und Altaraufsatz pro-portioniert sind. Die Spitzen des Altaraufsatzes und der Stühle enden in geschnitzten Pentagonen. Der schmälere Aufsatz gleicht schematisch der Giebelansicht eines Hauses mit leicht gestrecktem Quadrat, dem ein annähernd gleichseitig-recht-winkliges Dreieck aufsitzt. »Giebeldreieck« und »Fassaden-quadrat« werden von einem »Fenster« verbunden, das in

ei-nem blauen Rahmen die helle Abbildung eines Christuskop-fes von Leonardo da Vinci zeigt (Entwurf zum Abendmahls-bild).

In einem seiner Farbvorträge, gut sieben Jahre nach dem Münchner Kongress, beschrieb Rudolf Steiner welche Wir-kung von einem »stark zinnobrig leuchtenden« Rot ausgeht, wenn es den Menschen ganz umhüllt und er es im Inneren der Seele so intensiv empfindet, bis ein moralisches Erleben des Rot resultiere.

»Wenn man so gleichsam die Welt durch-schwimmt als Rot, identisch geworden ist mit dem Rot, wenn einem also selbst die Seele und auch die Welt ganz rot ist, so wird man nicht umhin können, in dieser rot gewordenen Welt, mit der man selber rot ist, zu empfinden, als wenn diese ganze Welt im Rot zugleich uns durchsetzt mit der Substanz des göttlichen Zornes, der uns von allen Seiten entgegen-strahlt für alles dasjenige, was an Möglich-keiten des Bösen und der Sünde in uns ist. Wir werden uns gleichsam in dem unendlichen ro-ten Raum wie in einem Strafgerichte Gottes empfinden können, und unser moralisches Empfinden wird wie eine moralische Empfin-dung unserer Seele im ganzen unendlichen Raum sein können. Und wenn dann die Reak-tion kommt, wenn irgend etwas auftaucht in unserer Seele, wenn wir uns also im unendli-chen Rot erleben, ich könnte auch sagen, im einzigen Rot erleben, so kann es nur so sein, daß man es bezeichnen möchte mit dem Wor-te: Man lernt beten.«206 [Hervorhebung RJF]

Steiners Schilderungen des moralischen erlebten Rot als Empfindung göttlichen Zorns vermitteln einen dynamischen Farb-Verlauf, während dessen sich die Zorn-Empfindung in diejenige der göttlichen Güte und Barmherzigkeit

verwande-Altar einer Waldorfschule nach Angaben Rudolf Steiners.

le, und sich das Gefühl einstelle, dass inmitten des Rot eine

»Art Rosaviolett« punktförmig auftauche, »als hineinstrah-lend in das auseinanderstiebende Rot«. Diese Schilderungen bieten sich als literarische Referenz für eine Analyse der Ge-staltung des Altarraumes an: Inmitten des kräftigen, raum-umfassenden Rot des schulischen Handlungsraumes soll »be-ten gelernt« werden, und als entsprechender Mittelpunkt gött-licher Barmherzigkeit in hellen rötlich-rosa Tönen könnte das Christus-Bild interpretiert werden, das im Lichte von sieben Kerzen erstrahlt. Ein Münchner Programmheft- respektive Rosenkreuzer-Bezug wäre ebenso gegeben durch die auf dem Altaraufsatz sowie auf dem Programmheft vorhandene blaue Rahmung auf rotem Grund mit der Korrespondenz von Chris-tusbild und sieben Kerzen auf schwarzen Ständern hier, und dem schwarzem Kreuz mit sieben Rosen dort (das rote Pro-grammheft hatte eine schwarze Rückseite – die Handlungs-haltenden tragen schwarze Kleidung). Schließlich sei noch eine andere Analogie erwähnt: Die optische Abfolge von Rot (Altaraufsatz) – Blau (Bilderrahmen) – Hell (Christusabbil-dung) des dreieckig abschließenden Aufsatzes, entspricht der Farbfolge des Dreiecks auf der Stirn Gottvaters in einem der Weihnachtsspiele, die als beliebte Tradition immer noch in vielen deutschsprachigen Waldorfschulen aufgeführt werden.

Stuttgarter Altar und Stühle nach Angaben Rudolf Steiners.

Farbdesign der Waldorfschulbauten

Als eine weitere Art von »Ton-in-Ton Farbdesign« könnte man die provisorische »Hofbaracke« der im Herbst 1919 gegründeten Waldorfschule Stuttgart bezeichnen, da deren Klassenräume sämtlich in einem bläulichen Lila gehalten waren, abgestuft nach verschiedenen Helligkeitsgraden für Wände und Decken (die Gänge kontrastierten in Gelb und allein der Gesangssaal war indigofarben gehalten). »Ferner wurde für die Räume ausdrücklich eine farbige Behandlung der Schulmöbel bestimmt und zwar mit der Wandfarbe ver-wandt.«207 Der violette Farbton, der als Farbmischung aus Rot und Blau entsteht, wurde durch das komplementäre Gelb der Gänge zur Grundfarben-Harmonie nach dem Goetheschen Farbkreises geschlossen. Für das Farbdesign des Stuttgarter Neubaus 1923, sowie für zwei weitere Schulbauten in Hamburg 1920 und London 1925 entfaltete Steiner den Far-benkreis regenbogenartig, wobei den ersten Klassen die wär-meren Rot- und Gelbtöne zugeordnet wurden, den höheren Klassenstufen die bläulichen Farbtöne. Gleiche Tönungen stuften sich in der Klassenzimmerabfolge teilweise nach Hel-ligkeitsgraden ab. Vergleicht man dazu noch die differenzier-ten Angaben für die einzelnen Fachunterrichtsräume, wird die Sorgfalt und Wichtigkeit, die Steiner der farbpsychologi-schen Konzeption beimaß, deutlich. Eine derartige Konzep-tion von Farbdesign, die in ihrer differenzierten Buntheit Bo-denbeläge, Vorhänge und Möblierung umfasste, dürfte ih-resgleichen seinerzeit vergeblich gesucht haben.

Man bedenke hier das revolutionäre Gesamtkonzept der Waldorfschule, die zunächst für die Arbeiter- und Angestell-tenkinder einer Zigarettenfabrik als Ganzheitsschule begrün-det worden war und die für alle Kinder gleichermaßen eine mindestens zwölfjährige Schulbildung einforderte.

Steiner, der sich auch an der Arbeiterbildungsschule in Berlin engagierte, sprach im Mai des Revolutionsjahres 1919 in Stuttgart eindringlich über Volkspädagogik. Folgender Pas-sus aus seinen Ausführungen soll wiederum ein Licht auf Anliegen und Kontext seiner Gestaltungsimpulse werfen, die

Kunst nicht von Design, d.h. vom praktischen Leben trenn-ten, sondern »eine Ehe von Kunst und Leben anstrebten«208 und die beispielsweise vom Kunstmaler auch praktische Ma-lerarbeiten erwarteten.

»Oh, welcher Jammer, meine lieben Freunde, daß unsere Kinder in Schulstuben geführt werden, die wahrhaftig barbarische Umgebungen für die jungen Gemüter sind! Man denke sich jede Schulstube – nicht in der dekorativen Weise künstlerisch ausge-staltet, wie man sich das heute oftmals denkt, aber man denke sie sich von einem Künstler so ausgestal-tet, daß dieser Künstler die einzelnen Formen in Ein-klang gebracht hat mit dem, worauf das Auge fallen soll, während es das Einmaleins lernt.

Die Gedanken, die sozial wirken sollen, können nicht sozial wirken, wenn nicht, während diese Ge-danken sich formen, in einer Nebenströmung des geis-tigen Lebens in die Seele dasjenige einzieht, was aus einer wirklich lebensgemäßen Umgebung herkommt.

Dazu aber bedarf es auch, sagen wir, für das Künstlertum eines ganz anderen Lebensganges, als ihm heute gegönnt ist während des Heranwachsens.

Es wird ja heute gerade derjenige, der den künstleri-schen Trieb in sich fühlt, gar nicht die Möglichkeit haben, dem Leben nahezukommen. Fühlt er in sich, sagen wir, den Trieb, Maler zu werden, dann drängt ihn das Leben dazu, möglichst früh irgendwelche Schinken anzustreichen, denn er meint, es käme dar-auf an, irgend etwas zu schaffen, was innere Befrie-digung gibt. Selbstverständlich kommt es darauf an;

aber es handelt sich darum, ob zuerst der Impuls für diese innere Befriedigung den Weg hinaus ins Leben gefunden hat, so daß man die größte innere Befriedi-gung dann empfindet, wenn man das Leben zuerst frägt: was ist zu schaffen? und wenn man auch immer die Verpflichtung, die gewissenhafte Verpflichtung fühlt, daß man dem Leben nichts entnimmt, was man

ihm nicht wieder zurückgibt. Dadurch daß heute, sa-gen wir, die Maler Landschaften liefern für diejeni-gen Leute, die doch nicht viel verstehen davon, dadurch wird nicht Kunst gefördert, sondern Kunst in den Abgrund hineingeworfen. Wir haben so eine unnötige Luxuskunst neben einer barbarischen Ge-staltung unserer Lebensumgebung.«209

Farbschemata Rudolf Steiners für die Waldorfschulen Stuttgart, Hamburg und London

Viele reformerische Anliegen Rudolf Steiners wurden in Stuttgart mehr als in anderen Städten begeistert aufgenom-men und beispielgebend umgesetzt. Es war die erste anthro-posophische Reformschule, die im Herbst 1919 auf der Stuttgarter Uhlandshöhe begründet wurde. Neben den sozia-len und pädagogischen Neuerungen spielte die »lebensge-mäße Umgebung« eine wichtige Rolle, d.h. zu dem pädago-gischen und sozialen Lebensumfeld gehörte das künstleri-sche Environment unabdingbar hinzu. Nach Steiner vereint schulisches Environmental Design die Funktionalität eines typischen Zweckbaus mit der Funktion eines Formfaktors der geistigen Entwicklung: »Ein Schulbau ist ein künstle-risch gestalteter Utilitätsbau.« – so die, manchen noch immer etwas paradox klingende, Formulierung Steiners.210

Die Stuttgarter Schulinitiative strebte folglich einen Schulneubau an, der das Farbdesign der provisorischen Ba-racken um Formaspekte ergänzte. Auf der Abbildung sieht man das Eingangsportal mit zwei Säulen und einem ausgekragten, gewölbten Architravband, – Formelemente, die in ihrer Ausführung formal schon in Richtung des zwei-ten Goetheanum weisen.

Stuttgart blieb beispielge-bend für die meisten nachfol-genden Waldorfschulgründun-gen, sowohl in der Vermittlung pädagogischer Methodik und Didaktik, als auch im An-spruch an die Gestaltung des schulischen Ambientes, was in der Regel zu Schulneubauten mit charakteristischen Form-und Farbgebungen samt neu entwickelten Schulmöbeln führte.

Waldorfschule Stuttgart