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Nachdem Bunz und Herpich die Umlagerung von Bicyclo[1.1.1]pent-1-ylchlorcarbenoiden untersucht hatten und die ersten Hinweise auf den Mechanismus der Umlagerungsreaktion erbrachten[20], versuchte Podlech, ausgehend von der Tatsache, daß die Carbenoide durch Salzeliminierung zu den freien Carbenen reagieren, den Reaktionsmechanismus theoretisch zu untermauern[20]. Er berechnete alle Zwischenstufen auf dem MP2(full)/6-31G(d)-Niveau und fand eine abfallende Energiekaskade.

Cl

Cl

Cl -19.3 kcal

-4.0 kcal -691.494829

-691.525579

-691.531971

In dieser Untersuchung wurden nun nicht nur die Zwischenstufen der Reaktion, sondern auch alle Übergangszustände einschließlich der experimentell gefundenen H-Wanderung zu den Bicyclo[2.1.1]hex-2(3)enen berechnet.

Dabei wurden am unsubstituierten Grundkörper verschiedene Verfahren angewandt, um ihre Zuverlässigkeit und das bestmögliche „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ zu testen. Die Vor- und Nachteile der verwendeten Verfahren wurden bereits in Kapitel II.2 erörtert. Geometrien wurden zum einen auf dem MP2(fc)/6-31G(d)-Niveau und zum anderen auf dem Becke3LYP/6-31G(d)-Niveau optimiert[50]. Die Energien der MP2-Geometrien wurden anschließend noch durch MP4(fc)/6-31G(d)- bzw. QCISD(T)(fc)/6-31G(d)-, die Energien der Becke3LYP-Geometrien durch Becke3LYP/6-311G(d,p)-single point-Rechnungen verfeinert.

Alle stationären Punkte wurden durch Frequenzanalysen als lokale Minima oder Sattelpunkte

charakterisiert. Die Energien wurden um die skalierten Nullpunktsenergien nach folgender Formel korrigiert: Ekorr = E + (ZPVE * Fskal). Fskal = 0.9676 (MP2); 0.9804 (B3LYP)[59]. Die RB3LYP-Wellenfunktionen der Bicyclo[2.1.1]hex-1(2)-ene zeigten eine RHF-UHF-Instabilität und wurden deshalb alle mit dem UB3LYP-Verfahren berechnet. Die Spinkontamination der UB3LYP-Wellenfunktion war nach erster Korrektur jeweils kleiner als 0.2.

Weiterhin wurde die Umlagerung mit verschiedenen Substituenten sowohl am Carbenzentrum, als auch am Brückenkopf C3 des Bicyclo[1.1.1]pentans berechnet. Hierfür wurde das Becke3LYP-Verfahren mit dem 6-31G(d)- bzw. 6-311G(d,p)-Basissatz verwendet, das sich, wie in Kapitel II.2.2.6.2 gezeigt wird, gut zur Beschreibung dieses Problems eignet.

Wiederum wurden alle stationären Punkte durch Frequenzanalysen als lokale Minima oder Sattelpunkte charakterisiert und die Energien korrigiert.

II.2.2.6.2 Umlagerung des Bicyclo[1.1.1]pent-1-ylmethylen 115a

Das Bicyclo[1.1.1]pent-1-ylmethylen 115a stellt in den angewandten Verfahren kein Minimum auf der Hyperfläche dar. Alle anderen Zwischenstufen und Übergangszustände konnten lokalisiert werden.

Tab. 19: Absolute Energien nach Korrektur um ZPE in hartree

MP2(fc)/6-31G(d) MP4/6-31G(d) // MP2/6-31G(d)

QCISD(T)/6-31G(d) // MP2/6-31G(d)

B3LYP/6-31G(d) B3LYP/6-311G(d,p) //B3LYP/6-31G(d)

117a -232.321135 -232.407017 -232.411889 -233.151855 -233.210339 TS118a -232.307956 -232.391374 -232.394922 -233.131474 -233.194766 119a -232.336296 -232.422758 -232.426266 -233.161074 -233.223771 TS120a -232.317683 -232.401621 -232.403201 -233.139114 -233.203768 121a -232.430265 -232.511138 -232.512648 -233.244248 -233.306708

Die Übereinstimmung der Ergebnisse der verschiedenen Verfahren ist gut. Podlech berechnete einen Energieunterschied von 8.9 kcal/mol zwischen 117a und 119a mit

MP2(full)/6-31G(d)[20]. Das MP2(fc)/6-31G(d)-Verfahren weicht hier mit 6.1 kcal/mol als einziges deutlich ab, während MP4(fc)/6-31G(d)//MP2(fc)/6-31G(d) mit 9.9 kcal/mol, QCISD(T)(fc)/6-31G(d)//MP2(fc)/6-31G(d) mit 9.0 kcal/mol und B3LYP/6-311G(d,p)//

B3LYP/6-31G(d) schließlich mit einem Wert von 8.4 kcal/mol nahe an Podlechs Ergebnissen liegen. Die Übereinstimmung der Werte untereinander ist ebenfalls gut, wie dem unten gezeigten Schema der relativen Energien entnehmbar ist.

H H

Abb. 22: relative Energien bezogen auf 121a

Berücksichtigt man den schonenderen Umgang des Becke3LYP-Verfahrens mit den vorhandenen Rechnerresourcen, zum Beispiel der Menge benötigten Festplattenspeichers, so ist es bei gleicher Güte gegenüber den Post-SCF-Korrelationsmethoden deutlich im Vorteil und wurde deshalb auch für alle weiteren Berechnungen angewandt.

Eine detailliertere Auswertung der berechneten Energie- und Geometriedaten der Umlagerungskaskade von 115a erfolgt in den folgenden Kapiteln zusammen mit den Berechnungen der weiteren Derivate von 115.

II.2.2.6.3 Umlagerung substituierter Bicyclo[1.1.1]pent-1-ylcarbene 115

Die Substituenten am Carbenzentrum wurden so gewählt, das eine möglichst breite Palette an verschiedenen elektronischen Einflüssen studiert werden konnte und ein Bezug zu den experimentellen Daten vorhanden war.

Der zweifellos schwache elektronische Einfluß des experimentell eingesetzten tert-Butylsubstituenten in 3-Stellung des Bicyclo[1.1.1]pentankäfigs wurde wegen der Größe dieses Substituenten nicht berücksichtigt, sondern statt dessen ein Proton oder, den Experimenten von Ströter gemäß, ein Chloratom eingesetzt[18]. Bei den Verbindungen 115e und 115f wurde nur die experimentell gefundene Verzweigung der Reaktionswege vom

Carben ausgehend untersucht, über die Ergebnisse wird gesondert in Kapitel II.2.2.6.4.

berichtet.

Intramolekulare Umlagerungen von Carbenen verlaufen meist aus dem Singulett-Zustand heraus[69],[90]. Da aber für einige der hier betrachteten Carbene durch ihre Substituenten oder für die extrem verdrillten Brückenkopfolefine ein geringes Singulett-Triplett-Splitting bzw.

ein Triplett-Grundzustand erwartet werden konnte, wurden zusätzlich die Triplett-Zustände der Moleküle 115, 117 und 119 berechnet.

Tab. 20: Singulettenergien B3LYP/6-311G(d,p)//B3LYP/6-31G(d) nach Korrektur um ZPE in hartree

115S TS116 117S TS118 119S TS120 121

a - - -233.210339 -233.194766 -233.223771 -233.203768 -233.306708 b -272.477410 -272.467271 -272.514465 -272.503595 -272.524522 -272.504308 -272.606112 c -464.212161 -464.202307 -464.260400 -464.237077 -464.251149 -464.231183 -464.331060 d -523.877291 -523.877768 -523.923836 -523.899224 -523.925322 -523.905558 -524.007736 g -692.822638 -692.811409 -692.848810 -692.834545 -692.857348 -692.837520 -692.941272 h -692.806178 -692.806168 -692.849830 -692.834824 -692.858177 -692.837350 -692.941272 i -1152.461156 -1152.448522 -1152.487983 -1152.474626 -1152.491797 -1152.470724 -1152.574539

Tab. 21: Triplettenergien B3LYP/6-311G(d,p)//B3LYP/6-31G(d) nach Korrektur um ZPE in hartree

115T 117T 119T

a -233.173474 -233.209257 -233.202332

b -272.480098 -272.513135 -272.505024

c -464.222396 -464.260400 -464.231474

d -523.899500 -523.924048 -523.907994

g -692.811806 -692.844784 -692.836456

h -692.812566 -692.847643 -692.841115

i -1152.450131 -1152.481317 -1152.471737

Die Abbildungen 23 - 28 zeigen eine Auswahl der berechneten Moleküle

1.606

Abb. 23: Strukturen der Singulettcarbene 115S 115Si

1.888

Abb. 24: Strukturen der Übergangszustände TS116

1.470

1.458

Abb. 26: Strukturen von 117Sh, 117Si und der Übergangszustände TS118a - TS118d

Cl

Abb. 27: Strukturen von TS118g, TS118i und von 119Sa - 119Sd

C1

Abb. 28: Strukturen von 119Sg, 119Si, TS120a und 121a

II.2.2.6.3.1 Strukturen

II.2.2.6.3.1.1 Strukturen der Bicyclo[1.1.1]pent-1-ylcarbene 115

II.2.2.6.3.1.1.1 Singulettstrukturen 115S

Die Geometrieoptimierungen der Carbene 115S führten bei 115Sa zu keinem stationären Punkt auf der Singuletthyperfläche, während alle anderen nach Frequenzanalyse als Minima bestätigt werden konnten.

Die Geometrien und einige ausgewählte Strukturparameter sind in Abbildung 23 gezeigt sowie in Tabelle 22 aufgelistet. Allen Carbenen ist eine starke Wechselwirkung des leeren p-Orbitals am C1 mit den σ-Bindungen des Bicyclo[1.1.1]pentankäfigs gemeinsam. Aus dieser Wechselwirkung resultiert die Abweichung der Moleküle von der Cs-Symmetrie, da eine Rotation des Carbens aus der syn- bzw. antiperiplanaren Stellung zu einer optimalen Überlappung des freien p-Orbitals mit einer σ-Bindung des Käfigs führt.

R1 R2

Blickrichtung 1

2 3 4

6 5

H H

H

H H

H R1

H H

H

H H

H

R1

Das Carbenzentrum C1 orientiert sich durch diese Wechselwirkung noch zusätzlich in Richtung der σ-Bindung C2-C3, wodurch sie auf Werte bis 1.7 Å verlängert wird.

Der elektronische Einfluß des Substituenten wird an den Bindungsabständen C1-C2 und C2-C3 sichtbar. Je weniger Donoreigeschaften der Substituent besitzt, desto kürzer ist der C1-C2-Abstand und desto länger ist der C2-C3-C1-C2-Abstand. Der Winkel C1-C2-C3 wird ebenfalls kleiner. Besonders ausgeprägt ist dies bei den Strukturen von 115Sd und 115Sh, die schon stark den Charakter eines Übergangszustandes tragen. Zum Vergleich: In Kristallstrukturen 1,3-substituierter Bicyclo[1.1.1]pentane beträgt der Winkel C1-C2-C3 zwischen 127° und 128°[87].

Tab. 22: Ausgewählte Strukturdaten der Singulettcarbene 115S

115S C1-C2

b 1.446 1.606 1.588 1.562 1.552 1.549 1.554 113.4 112.0

c 1.447 1.599 1.596 1.567 1.552 1.547 1.552 118.5 115.0

d 1.394 1.706 1.577 1.562 1.558 1.547 1.549 123.4 89.9

g 1.457 1.601 1.567 1.567 1.554 1.553 1.554 109.4 116.1

h 1.421 1.702 1.572 1.556 1.544 1.544 1.541 106.1 88.6

i 1.460 1.600 1.568 1.572 1.544 1.544 1.554 109.6 116.2

Interessant ist auch die Stellung der Substituenten, besonders die des Phenylrests in 115Sc.

Der Diederwinkel C2-C1-C7-C8 beträgt 34.6°. Diese Abweichung vom Idealwinkel 0° dürfte auf eine sterische Abstoßung der o-Protonen des Phenylrings mit den exo-Protonen des Käfigs zurückzuführen sein, deren Abstand nur etwa 2.5 Å beträgt. Die resultierende schlechtere Überlappung des π-Systems mit dem p-Orbital am Carben macht sich wiederum in den oben bereits angesprochenen Bindungslängen und -winkeln bemerkbar. Vergleicht man die Daten von 115Sb mit 115Sc erkennt man fast identische Werte, so daß dem Phenylrest hier nur der elektronische Einfluß eines Alkylsubstituenten, ähnlich dem der Methylgruppe, zugesprochen werden kann.

Die Methylgruppe ihrerseits besitzt mit dem Proton H1 eine hyperkonjugative Wechselwirkung mit dem freien p-Orbital am Carbenzentrum. Der Bindungswinkel von H1 ist von ideal 109° auf 100° verkleinert, während die Winkel der anderen Protonen etwas auf 113° bzw. 118° vergrößert sind. H1 steht genau anti zu der Bindung des Bicyclo[1.1.1]pentan-Käfigs, die ebenfalls mit dem p-Orbital an C1 wechselwirkt.

H1

H H

115b

II.2.2.6.3.1.1.2 Triplettstrukturen 115T

Die Besetzung des im Singulettzustand freien p-Orbitals ergibt bei den Strukturen der Triplettcarbene 115T stark abgeschwächte Wechselwirkungen mit den Käfigbindungen, so daß nun eine den sterischen Ansprüchen gerechte Konfiguration eingenommen wird. Dabei orientieren sich die Substituenten antiperiplanar zu einer der Bindungen des Käfigs. Eine Abwinkelung des Carbenzentrums zum Käfig hin ist kaum mehr vorhanden, die Moleküle besitzen annähernd Cs-Symmetrie.

Tab. 23: Ausgewählte Strukturdaten der Triplettcarbene 115T

115T C1-C2

[Å]

C2-C3 [Å]

C2-C5 [Å]

C3-C4 [Å]

C4-C5 [Å]

R1-C1-C2 [°]

C1-C2-C3 [°]

a 1.436 1.569 1.588 1.553 1.550 134.6 128.4 b 1.440 1.567 1.590 1.553 1.549 135.5 128.2 c 1.441 1.568 1.585 1.553 1.551 140.0 128.6 d 1.426 1.586 1.584 1.551 1.551 165.5 128.2 g 1.451 1.562 1.582 1.555 1.552 128.9 128.5 h 1.433 1.571 1.592 1.544 1.540 134.3 128.0 i 1.447 1.566 1.584 1.545 1.542 129.0 128.3

Eine Ausnahme jedoch stellt 115Td dar. Der Silylrest ist nicht anti-, sondern synperiplanar zu einer der Käfigbindungen ausgerichtet. Der Winkel am Carbenzentrum ist mit 165.5° um 31°

stärker aufgeweitet als im Methylen (133.8°)[91].