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4 Die DNA-Analyse als Bestandteil einer erkennungsdienstlichen Behandlung In diesem Kapitel werden zunächst die Maßnahmen, die in Zusammenhang mit einer

5.1 Tangierte Grundrechte durch eine DNA-Analyse im nicht-kodierenden Bereich

5.1.3 Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Mit der Durchführung der DNA-Analyse dringt der Staat in die DNA, einen höchst sensiblen Bereich des Bürgers, ein und erhebt Daten. Für die Frage der

126 Vgl. hierzu z.B.: BVerfGE 33, 1 [11 f.]; 34, 165 [192]; 40, 400 [417]; 41, 251 [259 f.]; 45, 400 [419 f.]; 47, 46 [55, 78 f.]; 49, 89 [126 f.]; 57, 295 [320 f.]; 58, 257 [275]; S. a. Katz (2002), S. 97 m.w.N.

127 Zum Voranstehenden: BVerfGE 47, 46 [78 f.]; 49, 89 [126 f.]; 53, 30 [57 f., 65 f.].

128 BGHSt 11, 211 [212 f.].

129 BVerfG, Beschl. v. 18.08.1981 = NJW 1982, 375 [375]; BGHSt 5, 332 [335].

130 S. BGH, Urt. v. 16.02.1954 = NJW 1954, 649 [650]; vgl. auch BGH, Urt. v. 08.07.1955 = NJW 1955, 1765 [1766]; BGH, Urt. v. 11.11.1959 = NJW 1960, 586 [586]; dazu auch Kleinknecht / Meyer-Goßner (2004), S. 524 f.

rechtlichen Zulässigkeit des Verfahrens spielt daher das Allgemeine Persönlichkeits-recht nach Art. 2 Abs. I GG i.V.m. Art. 1 Abs. I GG eine bedeutende Rolle.

Art. 2 Abs. I GG garantiert dem Einzelnen das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Es schützt ihn somit insbesondere in „seiner Qualität als Subjekt“131. Bei der Bestimmung von Inhalt und Rechweite des Art. 2 Abs. I GG ist die Unan-tastbarkeit der menschlichen Würde nach Art. 1 GG zu beachten132. Für die nähere Bestimmung des Eingriffes ist nach der Rechtssprechung des BVerfGs die bekannte Sphärentheorie133 anzuwenden, die durch das Volkszählungsurteil134 ergänzt wurde.

Nach der Sphärentheorie ist zwischen einer der öffentlichen Gewalt schlechthin ver-schlossenen und somit unantastbaren Intimsphäre135, einer Privatsphäre136 für den autonomen Bereich privater Lebensgestaltung und einer Individualsphäre zu unter-scheiden. Eingriffe in die beiden letzteren Bereiche sind zulässig, sofern sie von der Schrankentrias des Art. 2 Abs. I GG gedeckt werden. Darunter sind die verfassungs-mäßige Ordnung, die Rechte anderer und das Sittengesetz zu verstehen137. Maßgeb-liches Kriterium für die Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen ist dabei die Abwä-gung mit dem Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeits-gebotes138.

Durch die Untersuchung könnte die als unantastbar bewertete Intimsphäre betrof-fen sein. Ein schwerwiegender Eingriff in diesen innersten Kernbereich des Men-schen ist dann anzunehmen, wenn seine individuellen biologiMen-schen Grundlagen und genetisch bedingten Abweichungen von der Normalität ermittelt werden. Dies gilt umso mehr, da das Allgemeine Persönlichkeitsrecht neben dem Recht auf Kenntnis auch und vor allem ein Recht auf Unkenntnis der eigenen genetischen Verfassung beinhaltet139. Verglichen mit verfassungsrechtlichen Entscheidungen, in denen ein Eingriff in den absolut geschützten Bereich abgelehnt wurde, berührt die DNA-Analyse zum jetzigen Zeitpunkt einen weniger intensiv zu bewertenden Sachverhalt.

Zu nennen sind hier das Homosexualitäts-Urteil140 sowie die Urteile zur Verwertbar-keit von Tagebüchern141, heimlichen Tonbandaufnahmen142, Krankenblättern143 und Karteikarten einer Suchtberatungsstelle144. In diesen Fällen, wo es um höchst private und persönliche Angelegenheiten ging, wurde die Intimsphäre durch das Vorliegen eines Gemeinschaftsbezuges als verlassen angesehen. Eine Abgrenzung zwischen

131 Pieroth / Schlink (2003), S. 87.

132 Dazu: BVerfGE 25, 230 [234]; 27, 36 [42]; 27, 344 [351] m.w.N.; 34, 269 [281]; 35, 202 [219 f.].

133 Zum Begriff und zum engeren persönlichen Lebensbereich S. BVerfGE 27, 1 [6 f.]; 34, 238 [245 f.]; 54, 148 [155].

134 BVerfGE 65, 1.

135 Dazu: BVerfGE 6, 32 [41]; 6, 389 [433]; 27, 1 [6]; 27, 344 [350 f.] m.w.N.; 32, 373 [378 f.]; 33, 367 [377]; 34, 269 [281]; 35, 202 [220]; 38, 312 [320]; 54, 143 [146]; den Intimbereich ebenfalls bejahend: BGHSt 29, 244 [249]; 31, 296 [299].

136 S. BVerfGE 32, 373 [381]; 35, 35 [39]; 38, 312 [320].

137 Vgl. BVerfGE 27, 344 [351].

138 Vgl. BVerfGE 34, 238 [246].

139 So auch Donner / Simon (1990), S. 913.

140 BVerfGE 6, 389.

141 BVerfGE 18, 146; 80, 367; BGHSt 19, 325.

142 BGHSt 14, 358; BGH, Urt. v. 12.04.1989 = NJW 1989, 2760.

143 BVerfGE 32, 373.

144 BVerfGE 44, 353.

Kernbereich und Privatsphäre wurde anhand des Merkmals Sozialbezug vorgenom-men. Lediglich der Bundesgerichtshof hat die Verletzung der unantastbaren Intim-sphäre bejaht, wo sie unbeabsichtigt enthüllt wurde145.

In der wissenschaftlichen Literatur werden vereinzelt Fälle diskutiert, bei denen aus den nicht-kodierenden Bereichen der DNA Rückschlüsse auf kodierende Berei-che in unmittelbarer Nachbarschaft und somit eventuell auf genetisch bedingte Er-krankungen denkbar sind. Dieser Umstand wird als Kopplung bezeichnet. Bei der für die DAD benutzten Systemen konnte bis jetzt jedoch noch kein Fall von Kopplung nachgewiesen werden. Der geistig-seelische Eigenraum in seiner Gesamtheit wird demnach nicht betroffen146. Außerdem endet die Intimsphäre regelmäßig dort, wo Handlungen des Menschen in den Bereich eines anderen hinüberwirken. Sobald ein Gemeinschaftsbezug vorliegt, ist der unantastbare Intimbereich verlassen. Im kon-kreten Fall einer begangenen Straftat stellen die aufgefundenen biologischen Spuren beziehungsweise die begangene Tat einen Gemeinschaftsbezug des Spurenverursa-chers zu dieser her147.

Die Untersuchung der nicht-kodierenden Sequenzen greift nicht in die Intimsphä-re ein148. Der geschützte innere Kernbereich eines Menschen ist nicht berührt, da über das zu vergleichende DNA-Identifizierungsmuster hinaus keine weiteren Infor-mationen erlangt werden können. Allein die Möglichkeit, dass in unbestimmter Zeit daraus weitergehende Erkenntnisse gewonnen werden könnten149 sowie die Tatsa-che, dass die Untersuchungsmethode überhaupt ein vages Unbehagen erweckt, weil sie am genetischen Kern des Menschen und damit sozusagen an seinen innersten Schichten anknüpft, steht dem jedenfalls nicht entgegen150.

Die DNA-Analyse kann daher als Eingriff in die weniger geschützte Privatsphäre gesehen werden. Dies ergibt sich auch schon aus dem Umstand, dass sich die zu un-tersuchenden Körperzellen im oder am Körper befinden. Somit sind sie von der Pri-vatsphäre umschlossen und nehmen an deren Schutz teil. Eingriffe sind nur nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zulässig151. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Strafverfolgungsinteresse sind dabei gegeneinander abzuwägen. Daraus er-gibt sich z.B., dass eine DNA-Untersuchung, die Informationen über Erbanlagen zu Tage fördern kann, jedenfalls nicht erforderlich ist, um ein DNA-Identifizierungs-muster zu erstellen. Das gilt auch für die Aufbewahrung des Genmaterials. Ist das Identifizierungsmuster erstellt, bedarf es keiner weiteren Speicherung der DNA. Das Ziel der Unersuchung wurde mit diesen Ergebnissen erreicht. Nach diesem Maßstab ließe sich zwar schon ohne eine gesetzliche Regelung jede einzelne Untersuchung

145 BGHSt 31, 296 [299 f.], in dem die technische, von der Polizei nicht beabsichtigte Aufzeichnung eines Raumgespräches zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung über ihren strafbaren Dro-genhandel als Eingriff in die Intimsphäre gewertet wurde; dazu auch Gössel (1984), S. 361 ff.

146 A.A. Rademacher (1992), S. 126, die den Kernbereich der Persönlichkeit verletzt sieht.

147 So auch Sternberg-Lieben (1987), S. 1245.

148 Vgl. LG Heilbronn, Urt. v. 19.01.1990 = NJW 1990, 784 [786]; BGH, Urt. v. 21.08.1990 = NJW 1990, 2944 [2945]; BVerfG, Beschl. v. 18.09.1995 = NJW 1996, 771 [771 f.]; BVerfG, Beschl.

v. 18.09.1995 = NJW 1996, 771 [773]; ebenso Kimmich u. a. (1993), S. 23.

149 So berichten Vesting / Müller (1996), S. 479 m.w.N., z.B. von einem Fall, bei dem die gleiche kurze DNA-Sequenz bei unterschiedlichen Patienten vorkam. Die untersuchten Personen litten alle an Muskelschwund.

150 So oder so ähnlich auch schon LG Berlin, Beschl. v. 14.12.1988 = NJW 1989, 787 [788].

151 Vgl. hierzu und zum Folgenden Vesting / Müller (1996), S. 480.

auf ihre Zulässigkeit hin überprüfen, allerdings hat auch hier der Gesetzgeber selbst eine Regelung zu treffen. Denn bei der Festlegung des Eingriffsumfanges in die Rechte des Betroffenen handelt es sich um wesentliche Fragen152.

Des Weiteren soll das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die Integrität der Person vor allem gegenüber neuen Gefahren durch die wissenschaftlich technische Entwick-lung schützen und in diesem Zusammenhang den Gesetzgeber zu Entscheidungen veranlassen153. Die Anwendung der DNA-Analyse mit ihren weitreichenden Mög-lichkeiten der Kontrolle des Einzelnen ist ein typischer Fall solch technisch wissen-schaftlich begründeter neuer Gefährdung. Deshalb ist es angemessen ihre Anwen-dung unter Gesetzesvorbehalt zu stellen. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Wahr-heit nicht um jeden Preis erforscht werden darf. Die staatliche Verbrechensbekämp-fung rechtfertigt somit nicht den Einsatz jeden Mittels. Der Wahrheitsforschung sind schon im Strafverfahren Grenzen gesetzt154.

Von besonderer polizeirelevanter Bedeutung in Zusammenhang mit Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung (kurz: RiS)155. Es wurde als Ausformung des Persönlichkeitsrechts entwi-ckelt156, um den Herausforderungen und Bedürfnissen moderner Informations- und Kommunikationssysteme gerecht zu werden.