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Allgemeine Grenzflächeneffekte

Im Dokument Interphase verstärkter Polymere (Seite 15-18)

2. Grenzflächeneffekte bei Polymeren

2.1 Allgemeine Grenzflächeneffekte

Der Einfluß von Füllteilchen (im folgenden kurz als Partikel bezeichnet) auf die Mobilität von Polymerketten wurde u.a. mittels Dilatometrie, Differentialkalorimetrie (DSC), Neutronen-streuung und magnetischer Kernspinresonanz (NMR) untersucht.

Die NMR-Relaxationszeitmessungen an mit Rußpartikeln gefüllten cis-Polybutadien-Proben [2.1] deuten auf die Existenz verschiedener Bereiche unterschiedlicher Segmentbeweglichkeit hin. Die in den Messungen von [2.1] beobachteten verschiedenen Spin-Spin-Relaxations-zeiten T2 wurden schalenartigen Regionen um die Rußpartikel zugeordnet, die sich in ihrer lokalen Mobilität unterscheiden. Die niedrigste Relaxationszeit T2, die sich auch bei Über-streichen der Glastemperatur kaum ändert, wird der innersten Schale zugeordnet, die der Partikeloberfläche unmittelbar benachbart ist und die stärksten Mobilitätsbeschränkungen erwarten läßt (quasi-immobile Schicht). Die Relaxationszeit der nächsten, weiter außen liegenden Schale zeigt einen deutlichen Glasübergang, aber die T2-Werte bei Temperaturen oberhalb von der Glastemperatur TG sind etwa eine Größenordnung kleiner als diejenigen des ungefüllten cis-Poly-butadiens. Somit ist auch die lokale Mobilität dieser zweiten Schale gegenüber derjenigen des Volumenmaterials eingeschränkt (Schicht eingeschränkter Beweglichkeit). O’Brien et al. [2.1] konnten die Dicke dieser beiden Schalen in Abhängigkeit der Größe und des Volumenanteils der Rußpartikel zu etwa 5 - 20 Å (innere, immobile Schicht) bzw. zu etwa 25 - 90 Å (äußere Schicht eingeschränkter Beweglichkeit) abschätzen.

Oberflächen-Polymer Wechselwirkungen sind nicht nur wichtig für das Verständnis des Verhaltens verstärkter Polymerwerkstoffe, sondern bestimmen auch die Struktur und die Eigenschaften dünner Polymerfilme, die durch vorgegebene Oberflächen auf molekulare Dimensionen beschränkt sind und bei Adhäsionseffekten oder geschmierter Reibung (lubricated friction) eine Rolle spielen.

So hängt etwa das Scherverhalten dünner Silikon-Filme, die von zwei Glimmer-Oberflächen beschränkt sind, von der Filmdicke ab. Für Filmdicken unterhalb von 50 Å wurde festkörper-artiges Verhalten beobachtet [2.2], da eine kritische Scherkraft notwendig ist, bevor Gleit-reibung einsetzt. Umgekehrt ist bei Filmdicken oberhalb von 50 Å keine kritische Scherkraft erforderlich, es liegt flüssigkeitsartiges Verhalten vor; die effektive Viskosität ist aber noch deutlich größer als diejenige bei Volumenmessungen.

Ferner zeigen dielektrische Messungen an Propylenglykol, das in feinen Poren (Durchmesser etwa 100 Å) eines Glases eingeschlossen ist, nicht nur vergrößerte Relaxationszeiten und eine erhöhte Glastemperatur TG infolge der beschränkten Volumina, sondern zusätzliche Relaxationsphänomene, die einer an der Porenoberfläche adsorbierten Schicht von Molekülen zugeordnet werden [2.3].

Auch molekulardynamische Untersuchungen ergeben, daß die Dichte der ersten beiden zur Oberfläche benachbarten Flüssigkeitsschichten deutlich erhöht ist (Abb. 2.1 a)), was in einer Abnahme des lokalen freien Volumens und einer Zunahme der lokalen Relaxationszeiten resultiert [2.4]. Die Stärke der attraktiven Wechselwirkung εWS zwischen Kettensegmenten und angrenzender Substratoberfläche bestimmt den Grad der oberflächeninduzierten Ordnung der Kettensegmente in Schichten. Diese Ordnungseffekte spiegeln sich im Profil der mittleren Kettendichte senkrecht zur Substratoberfläche wider. Das Dichteprofil zeigt oszillatorisches Verhalten, das mit wachsendem Abstand von der Substratoberfläche abnimmt.

Wie die Rouse-Moden-Analyse in [2.4] ergibt, zeigen diese Dichtevariationen insbesondere starken Einfluß auf die Segmentbeweglichkeit innerhalb der Schichten: das geringe freie Volumen innerhalb der ersten beiden Schichten erlaubt nur langsame Relaxationen (Abb. 2.1 b)). So zeigt der Abfall der Zeit-Korrelationsfunktion für den ersten Rouse-Mode ein bimodales Verhalten, das umso ausgeprägter ist, je stärker die attraktive Wechselwirkung εWS

zwischen Wand und Polymersegmenten ist. Im betrachteten Oligomerfilm tritt also eine schnelle Relaxation von Segmenten mit ungestörter Umgebung auf und eine deutlich lang-samere Relaxation von Segmenten, die an der Substratoberfläche adsorbiert sind.

Damit scheinen sowohl in flüssigen als auch festen Polymerphasen typische Effekte aufzutreten, die mit einer angrenzenden Oberfläche zusammenhängen. Diese Effekte können entropischen Ursprungs sein, von einer lokalen Ordnung herrühren oder aus einer Zunahme der lokalen Dichte resultieren.

Eine ausreichende spezifische Oberfläche der in die Polymermatrix eingebetteten Teilchen vorausgesetzt, sind die Beschränkungen der Kettenbeweglichkeit in der Umgebung der Partikel-Oberflächen so groß, daß bei temperaturabhängigen dynamisch-mechanischen Mes-sungen (DMA) ein zusätzlicher Glasübergang beobachtet werden kann, der bei einer höheren Temperatur TG2 als derjenige des „Volumen“-Polymers liegt (TG1). Die Messungen in [2.5]

beispielsweise wurden an Proben mit Silikatteilchen von etwa 7 nm Durchmesser durch-geführt, die in Poly(vinylacetat) (PVAc), Polystyrol (PS), Poly(methylmethacrylat) (PMMA), Poly(4-vinylpyridin) (P4VP), Poly(dimethylsiloxan) (PDMS), Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR) oder Poly(styrol-xmol% 4-vinyl-pyridin) (P(S-4VP)) eingebettet sind (Abb. 2.2). Die Zuordnung dieses zweiten tanδDMA-Peaks zu Polymermolekülen mit reduzierter Ketten-beweglichkeit basiert auf den Beobachtungen der Peak-Position, der hohen zugehörigen Aktivierungsenergie und der Abhängigkeit vom Molekulargewicht.

Die Lage des zweiten TG-Peaks verschiebt sich mit steigendem Molekulargewicht der polymeren Phase zu höheren Temperaturen. Längere Ketten erfahren also eine stärkere Ein-schränkung ihrer Mobilität als kurze Ketten. Berechnungen von Kosmas et al. [2.6] zeigen, daß die mittlere Zahl von Kontakten zwischen einer Polymerkette und einer angrenzenden Oberfläche proportional zur Wurzel des Molekulargewichtes des Polymers ist. Mit zu-nehmender Zahl der Kontakte nimmt aber die Mobilität der Kette ab. Ferner steigt für lange Ketten die Wahrscheinlichkeit, daß sie an die Oberflächen mehrerer Teilchen adsorbieren.

Derartige Brücken sollten in ihrer Beweglichkeit stark beschränkt sein und also eine hohe Glastemperatur TG aufweisen.

Abb. 2.1. a) Lokale Dichteschwankungen und b) Zeitverlauf des ersten Rouse-Modus für einen zwischen zwei Wänden eingesperrten Oligomerfilm, berechnet für verschiedene Wechselwirkungsenergien εws. Die Kurven resultieren aus molekulardynamischen Simulationen [2.4].

Bei Variation des Gehaltes der Silikatpartikel und damit ihres gegenseitigen mittleren Abstandes D wurde beobachtet, daß die Fläche unter dem zweiten tanδDMA-Peak und die Temperaturdifferenz TG2TG1 zwischen beiden Peak-Lagen abnehmen, wenn der Gehalt an Füllteilchen zunimmt. Die erwartete Überlappung der Regionen reduzierter Kettenbe-weglichkeit mit sinkendem mittlerem Abstand D der Silikatteilchen ist in Abb. 2.3 schematisch in Querschnittsdarstellung skizziert. Die Füllerteilchen (gepunktet dargestellt) sind von einer dünnen Schicht von Polymermolekülen (dunkelgrau) umgeben, die in ihrer Kettenbeweglichkeit stark eingeschränkt sind und zu keinem der beiden Glasübergänge einen Beitrag leisten (kurz immobilisierte oder eng gebundene Schicht).

Diese Quasi-Immobilisierung wird etwa hervorgerufen durch mehrfache Adsorption einer Polymerkette an der benachbarten Oberfläche (Multisegment-Adsorption) (Abb. 2.4).

Polymerketten, die zum Glasübergang bei der höheren Temperatur beitragen (hellgrau) können als locker gebunden bezeichnet werden, da sie nur wenige oder gar keine Kontakt-stellen mit der festen Oberfläche haben. Ist der mittlere Abstand D der Füllerteilchen im Vergleich zu deren mittlerem Durchmesser groß, so daß es zu keiner Überlappung der Regionen reduzierter Kettenbeweglichkeit kommen kann, dann ist der Volumenanteil der locker gebundenen Bereiche vernachlässigbar (Abb. 2.3 a)).

Abb. 2.2. Semilogarithmische Darstellung von tanδDMA als Funktion von (TTG) für PDMS, PS, PMMA und P4VP-Composite mit jeweils verschiedenen Anteilen von Silikat-Partikeln. Die Meßkurven ergaben sich aus dynamisch-mechanischen Experimenten [2.5].

Abb. 2.3. Schematische Darstellung der immobilen Schicht (dunkelgrau) und der schwach gebundenen Schicht (hellgrau) um die Füllerpartikel (gepunktet) nach [2.5]. Mit abnehmendem mittlerem Abstand D der Partikel kommt es zu einer Überlagerung und Ausdehnung der Bereiche mit eingeschränkter Segmentbeweglichkeit.

Der Hochtemperatur-Glasübergang kann nicht beobachtet werden. Erreicht D jedoch einen kritischen Wert Dcr (Abb. 2.3 b)), so wird die Kettenbeweglichkeit von Polymermolekülen zwischen den Füllerteilchen reduziert, der Volumenanteil von Ketten mit eingeschränkter Dynamik wird signifikant und der zugehörige Glasübergang detektierbar. Infolge der weiten Verteilung der Partikelabstände sind auch die Beweglichkeitseinschränkungen sehr inhomogen. Im Grenzfall D<<Dcr (Abb. 2.3 c)) schließlich können manche Ketten in ihrer Beweglichkeit so stark eingeschränkt werden, daß sie nahezu vollständig immobilisiert sind und nicht mehr zum Hochtemperatur-Glasübergang beitragen, so daß die Fläche des zugehörigen tanδDMA-Peaks abnimmt. Da die Moleküle mit den stärksten Mobilitäts-einschränkungen und folglich dem höchsten TG zuerst immobilisiert werden, verschiebt sich der Schwerpunkt des zusätzlichen Glasüberganges zu kleineren Temperaturen. Ferner kann vermutet werden, daß die Stärke der Mobilitätseinschränkungen der TG2-Ketten etwas ab-nimmt, was den Effekt der Abnahme in TG2 unterstützen würde, denn mit wachsender Dicke der immobilisierten Schicht wird der Abstand der Moleküle mit behinderter Kettendynamik von der Partikeloberfläche immer größer.

Nach dem Tempern dieser Komposit-Proben wird eine Dichtezunahme beobachtet, was auf eine Abnahme des freien Volumens hindeutet. Weiterhin ergibt sich eine Abnahme der Fläche des TG2-Peaks, während sich der TG1-Peak nicht signifikant verändert. Ein Teil der schwach in ihrer Bewegung eingeschränkten Ketten wird also immobilisiert, so daß sie zu keinem der beiden Glasübergänge mehr beitragen.

Im Dokument Interphase verstärkter Polymere (Seite 15-18)