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Die allgemeine Entwicklung der Luftfahrt und die Rolle des Staats Im Ersten Weltkrieg wurde das Flugzeug zum ersten Mal in grossem Stil für

3 Die Zwischenkriegszeit als Initialphase des Luftverkehrs

3.1 Die allgemeine Entwicklung der Luftfahrt und die Rolle des Staats Im Ersten Weltkrieg wurde das Flugzeug zum ersten Mal in grossem Stil für

militärische Zwecke eingesetzt. Insgesamt dürften während der kriegerischen Auseinandersetzungen rund 200 000 Flugzeuge produziert worden sein. Aus-serdem wurden enorme technische Fortschritte erzielt.1 Der Erste Weltkrieg brachte jedoch nicht nur eine grosse Zahl neuartiger Flugzeuge hervor, sondern auch unzählige neu ausgebildete Piloten und sonstige Spezialisten, von denen viele nicht in ihren angestammten Beruf zurückkehren wollten – zumal sie in ihrer Kriegsfunktion teilweise als Helden verehrt worden waren.2 Was die In-frastruktur betrifft, wurden im Krieg unzählige Konstruktionswerkstätten zur Herstellung von Fluggeräten aus dem Boden gestampft sowie Flugplätze ausge-baut beziehungsweise neu geschaffen, wobei diese Bautätigkeit staatlich finan-ziert oder zumindest durch Staatsaufträge angekurbelt wurde.3

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brach die zuvor noch unter dem Ein-fluss der Materialschlacht stehende, beinahe unbegrenzte Nachfrage nach Kampfflugzeugen und Piloten sowie nach der entsprechenden Infrastruktur und Logistik innerhalb kürzester Zeit stark ein. Das Fachpersonal wurde mehr-heitlich aus dem Militärdienst entlassen, und nicht mehr benötigte Flugzeuge wurden versteigert. An einem eigenen Luftfahrzeug interessierte Piloten brauchten sich bei entsprechenden Auktionen teilweise lediglich gegen Altme-tallhändler durchzusetzen.4 Es wäre jedoch falsch, davon auszugehen, dass die genannten Faktoren allein bereits dazu geführt hätten, dass sich 1919 ein funk-tionierender ziviler Luftverkehr herauszubilden begann. Wohl strebten nach dem Krieg viele Piloten und wagemutige Unternehmer danach, ihren Lebens-unterhalt durch zivile Flugtätigkeit zu verdienen. Erfolgreich waren derartige Bestrebungen aber nur in den seltensten Fällen. Dierikx meinte sogar: “Ruin-ous finances were a thing all pioneers of the airline industry shared.”5 Dass sich 1 Schmidt, Flugzeug, 2004, S. 497–498; Metz, Ursprünge, 2006, S. 424, 426.

2 Erich Tilgenkamp, der im Ersten Weltkrieg auf der Seite Deutschlands freiwillig als Marineflieger Mili-tärdienst leistete (Curriculum Vitae in Tilgenkamp, Luftverkehr, 1924), meinte: «Der Krieg wandelte die Akrobaten und Selbstmordkandidaten der Jahre 1910–1914 plötzlich in ‹Helden der Luft›.» (Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 2, 1942, S. 317.)

3 Hallion, Flight, 2003, S. 375–379.

4 Heppenheimer, Skies, 1995, S. 11.

5 Dierikx, Clouds, 2008, S. 22.

der zivile Luftverkehr nach 1919 trotz mangelnder Rentabilität international zu entwickeln begann, lag – wie schon bei der Rettung des privatwirtschaftlich nicht überlebensfähigen Flugplatzes Dübendorf – vielmehr daran, dass staatli-che Akteure in das Gesstaatli-chehen einzugreifen begannen.

Der Einsatz von Flugzeugen im Ersten Weltkrieg hatte dazu geführt, dass die Luftfahrt im Allgemeinen fortan als Angelegenheit von nationaler Bedeutung betrachtet wurde. Als weitaus wichtigstes Mittel zur Unterstützung der natio-nalen Luftfahrt erwies sich in Europa die finanzielle Unterstützung von Flug-gesellschaften durch die öffentliche Hand.6 Ausschlaggebend für diese Unter-stützung dürfte einerseits das militärische Interesse daran gewesen sein, für den Fall eines neuen Kriegs über genügend einsatzbereite Flugzeuge, Piloten sowie über eine funktionierende Logistik und Infrastruktur zu verfügen. Ande-rerseits sahen die europäischen Kolonialmächte im Flugzeug eine Möglichkeit, die strategischen Verbindungswege zu ihren Kolonien zu festigen und zu ver-kürzen. Ausserdem stellten die Fluggesellschaften Instrumente zur Projektion von nationalem Prestige dar. Insofern sind die entsprechenden Förderungen auch als «an expression of nationalist competition» zu sehen.7 Viele Fluggesell-schaften wurden daher zu regelrechten Botschaftern, «national flag carriers», welche die Nationalflagge in die weite Welt zu tragen hatten und damit zeigen sollten, wie unabhängig, mächtig, leistungsfähig und modern ihr Heimatland war. Dem Luftverkehr wurde dadurch eine nationale Bedeutung zugeschrie-ben, die weit über das Militärische hinausging.8

Dank den genannten Rahmenbedingungen setzte der Entwicklungsprozess zur Ausbildung eines eigentlichen Luftverkehrsnetzes bereits in den ersten Zwischenkriegsjahren ein. Es entstanden in ganz Europa zahlreiche Fluggesell-schaften. Die erste tatsächlich internationale Fluglinie wurde 1920 von der nie-derländischen Koninklijke Luchtvaart Maatschappij (KLM) eröffnet.9 Was die Entwicklung in der Schweiz betrifft, gilt der im Jahr 1919 betriebene Luftpost-dienst zwischen Zürich-Dübendorf, Bern-Oberlindach und Lausanne-La  Blé-cherette als die erste nach einem festen Flugplan betriebene Luftverkehrslinie des Landes.10 Von Militärpiloten in Militärflugzeugen geflogen, diente sie an-fänglich ausschliesslich dem Transport militärischer Korrespondenz zwischen dem Militärflugplatz Dübendorf und dem Generalstab der Armee in Bern. Ab dem Mai 1919 wurde dieser Dienst jedoch auf die zivile Briefpost, Pakete und Zeitungen ausgeweitet und erfolgte fortan nach einem publizierten Flugplan.

Nach einem ersten Ansturm wurde von dieser versuchsweise eingerichteten Dienstleistung aber dermassen bescheiden Gebrauch gemacht, dass sie nicht

6 Staniland, Government, 2003, S. 20–22.

7 Lyth, Aspects, 1996, S. xii.

8 Staniland, Government, 2003, S. 14–22.

9 Spode, Luftfahrtpolitik, 2009, S. 494.

10 Burkhard, Luftamt, 1970, S. 7.

einmal kostendeckend angeboten werden konnte. Daran vermochten auch eine Verlängerung der Linie und die Ausdehnung des Angebots auf den Trans-port von Telegrammen und zahlenden Passagieren nichts zu ändern. Die Linie wurde daher bereits im November 1919 wieder eingestellt.11

Neben diesem durch den Staat betriebenen Luftpostdienst wurden in der Schweiz im Jahr 1919 verschiedene Versuche zur Gründung privatwirtschaft-licher Fluggesellschaften unternommen. Die Bestrebungen waren aber nur selten so erfolgreich wie im Fall der beiden Militärpiloten Walter Mittelhol-zer und Alfred Comte. Diese gründeten im Frühling 1919 die Aero-Gesellschaft Comte, Mittelholzer & Co. mit Sitz in Zürich und boten Passagierflüge, Flugtage und Luftfotografien an.12 Zwei weitere, 1919 erfolgreich gegründete schweize-rische Fluggesellschaften waren die mit Wasserflugzeugen operierende Zür-cher Frick & Co. Luftverkehrsgesellschaft Ad Astra, die kurz darauf in Ad Astra Schweizerische Luftverkehrs AG umbenannt wurde, sowie die in Genf ansäs-sige Avion-Tourisme S. A.13 Im Folgejahr übernahm die Ad Astra die Aero-Gesell-schaft wie auch die Avion-Tourisme und änderte ihren Namen in Ad Astra Aero Schweizerische Luftverkehrs AG um.14

Beim damaligen Luftverkehr in der Schweiz handelte es sich noch keineswegs um einen regelmässig durchgeführten Linienflugverkehr, sondern weitgehend um sogenannten bedarfsmässigen Luftverkehr, der auf Bestellung erfolgte. An-stelle von flugplanmässigen Verkehrsverbindungen wurden Rund-, Reise-, Fo-toflüge und Flugtage durchgeführt.15 Doch sollte sich bald einmal herausstellen, dass sich auf diese Weise nicht genügend Geld verdienen liess. Tatsächlich be-stand damals eine der grössten Schwierigkeiten darin, überhaupt Passagiere für Rundflüge oder Reiseflüge zu gewinnen. Die jährlichen finanziellen Verluste wurden allenfalls durch die Luftfotografie, den einzigen rentablen Betriebs-zweig der damaligen schweizerischen Fluggesellschaften, etwas gemindert.16 Dass die Ad Astra Aero dennoch fortbestehen konnte, lag nicht zuletzt daran, dass auch in der Schweiz eine staatliche Subventionierung von Fluggesellschaf-ten einsetzte. So wurde bereits ab 1920 jedem PiloFluggesellschaf-ten, der auch als Militärpilot tätig war und ein gewisses Minimum an Flugstunden absolvierte, eine monat-liche Prämie ausbezahlt.17 Zusätzlich zahlte das 1920 gegründete Eidgenössische Luftamt ab 1922 reguläre Bundessubventionen an die Fluggesellschaften aus.18 Die Pauschalentschädigungen, welche die PTT-Verwaltung den

11 Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 2, 1942, S. 329–330.

12 Isler/Dollfus, Weg, 1933, S. 34.

13 Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 2, 1942, S. 332–334.

14 Isler/Dollfus, Weg, 1933, S. 34.

15 Matt, Swissair, 2000, S. 33.

16 Schlaepfer, Flughafen-Immobilien-Gesellschaft, 1971, S. 15.

17 Dollfus, Beitrag, 1923, S. 86; Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 2, 1942, S. 342.

18 Nievergelt, Subventionierung, 1936, S. 125; Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 2, 1942, S. 344, 346.

ten für den Transport von Flugpost zukommen liess, hatten ebenfalls «einen sehr starken Subventionscharakter».19

Dank den staatlichen Subventionen war die Ad Astra Aero im Jahr 1922 als erste schweizerische Fluggesellschaft überhaupt in der Lage, auf der Strecke Genf–

Zürich–Nürnberg/Fürth eine regelmässige Luftverkehrslinie zu betreiben.20 Wie bereits erwähnt, existierten neben der Ad Astra Aero zeitweise noch an-dere, kleinere Schweizer Fluggesellschaften, wie etwa die Aéro-Lausanne S. A., die aber jeweils nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwanden.21 Er-folgreicher war die 1925 gegründete Basler Luftverkehrs AG Balair. Sie nahm bereits 1926 die Bedienung der Strecken Basel–Stuttgart, Frankfurt–Karlsruhe–

Basel–Genf–Lyon sowie Basel–La Chaux-de-Fonds auf und erweiterte ihr Ange-bot in den Folgejahren unter anderem um die Destinationen Zürich, Lausanne, St. Gallen, Brüssel, Rotterdam, Amsterdam, Marseille, München und Wien. Die Ad Astra Aero bot parallel dazu Verbindungen nach Stuttgart, München, Berlin, Konstanz, Innsbruck, Salzburg, Wien und weiteren Städten an.22 Zu den beiden erfolgreichen Schweizer Fluggesellschaften Ad Astra Aero und Balair kam 1929 mit der Alpar-Bern eine dritte hinzu, die kurz nach ihrer Gründung den Flugbe-trieb auf der Linie Bern–Biel–Basel eröffnete und sich auch in den Folgejahren auf Inlandflüge beschränkte.23

Die Subventionen der öffentlichen Hand an die schweizerischen Fluggesell-schaften wurden nach 1922 weiter erhöht. 1930 vollzog der Bund indes eine Wende, indem er der Ad Astra Aero und der Balair schriftlich ankündigte, er werde die Subventionen im Folgejahr um 10 Prozent kürzen. Dabei war sich das Luftamt offensichtlich bewusst, dass diese Massnahme den weiteren eigenstän-digen und rentablen Betrieb der beiden Fluggesellschaften erschweren oder sogar verunmöglichen würde. Dass es der Balair und der Ad Astra Aero ausser-dem «die Durchführung eines gemeinsamen Betriebes» nahelegte, lässt ver-muten, dass hinter der Kürzung sogar die Absicht einer Konzentration der im Ausland operierenden Kräfte in einer neuen starken Fluggesellschaft steckte.24 Tatsächlich beschlossen die Generalversammlungen der beiden Gesellschaften im März 1931 – rückwirkend auf den 1. Januar – die Fusion der Balair und der Ad Astra Aero zur Schweizerischen Luftverkehr-Aktiengesellschaft Swissair mit Sitz in Zürich.25

19 Tilgenkamp, Luftfahrt, Bd. 3, 1943, S. 404. Zur Geschichte des Schweizer Luftpostverkehrs in den Jahren 1919–1930 siehe auch Salvisberg, Flugpost, 2011.

20 Matt, Swissair, 2000, S. 36.

21 Isler/Dollfus, Weg, 1933, S. 40–41.

22 Ebd., S. 41–46.

23 Zahnd, Luftverkehr, 1979, S. 6.

24 Balair Basler Luftverkehr AG, Bericht 1930, S. 2.

25 Fehr, Swissair, 2013, S. 166. Zur weiteren Entwicklung des Luftverkehrs in den 1930er-Jahren siehe Schiedt, Anfänge, 2011, S. 25–26. Zur Gründung der Swissair siehe auch Meyer, Flug, 2013, S. 61.

3.2 Mehr als Start- und Landeplätze: Die Entstehung der Verkehrsflugplätze