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ein Begriff der Philosophie des 20. Jahrhunderts __________

3. Spezifika der Medienethik __________

3.1. Abgrenzung gegenüber anderen Bereichsethiken

Eine Abgrenzung der Medienethik94 gegenüber anderen Bereichsethiken scheint dann sinnvoll zu sein, wenn die Überschneidungen derart bedeutend oder zahlreich sind, dass die Gefahr besteht, die Unterschiede könnten in den Hintergrund treten, ein unpräziser Sprachgebrauch könnte sich einschleifen und eine klare Zuordnung folglich schwierig werden95. Solche Bereichsethiken sind die Kommunikationsethik und die Informationsethik, die häufig gemeinsam mit der Medienethik unter Doppel-namen wie ‚Medien- und Kommunikationsethik‘, ‚Informations- und Medienethik‘

etc. geführt werden, weiters die Technikethik, eventuell auch Wissenschaftsethik und Wirtschaftsethik. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Überschneidungen zu an-deren Bereichsethiken, wenn man etwa diskutiert, ob es für einen Politiker moralisch vertretbar ist, in einer Talk Show die Wähler zu beeinflussen, oder ob es verantwort-bar ist, Tonnen an Werbematerial zu drucken, von dem ein hoher Anteil im Altpa-piercontainer verschwindet, ohne überhaupt wahrgenommen worden zu sein. Trotz

gere Bedeutung von Kommunikation. Der engere Kommunikationsprozess bezieht sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Menschen, auf einen sozialen Prozess.

Der umfassende Begriff wird in vielen verschiedenen Bereichen und in den entsprechen-den Wissenschaften angewandt, so auch auf Prozesse unter Tieren (animalische Kom-munikation), Prozesse innerhalb lebendiger Organismen (Biokommunikation) wie auch innerhalb oder zwischen technischen Systemen (technische Kommunikation, Maschi-nenkommunikation) oder zwischen Menschen und technischen Apparaten, zum Beispiel Computern (Mensch-Maschine-Kommunikation).“

93 Krämer S. (2008), S. 12-19, nennt dieses Verständnis von Kommunikation „postalisches Prinzip“ und hebt es vom „personalen“ oder „erotischen Prinzip“ der Verständigung ab, bei dem es um ein „Zusammenfallen“ der Innenwelten zweier Individuen geht.

94 Zur Frage der Abgrenzung der unterschiedlichen Bereichsethiken siehe Nida-Rümelin J.

(²2005), S. 63-69. Düwell M. (1999), S. 851, spricht davon, dass es sich bei der Aufteilung von Bereichsethiken lediglich um eine grobe Gliederung des Feldes angewandter Ethik handeln kann.

95 Filipović A. (2016), S. 45, weist zurecht darauf hin, dass es sich bei vielen Bereichen um

„Querschnittsfelder“ handelt, „auf denen eine Zusammenarbeit der Bereichsethiken not-wendig ist“, und es für den Bereichsethiker daher eine bleibende Herausforderung sei, sich auf der Suche nach einer adäquaten Beschreibung des eigenen Forschungsgegenstan-des weiter zu entwickeln.

49 solchen und anderen Problemen wird kaum jemand ernsthaft bezweifeln, dass es sinnvoll ist, Politische Ethik und Medienethik als getrennte Disziplinen zu betreiben, ebenso Umweltethik und Medienethik.

Und auch bei der Wissenschaftsethik und der Wirtschaftsethik sind die Berüh-rungspunkte zur Medienethik überschaubar. In der Wissenschaftsethik werden ethi-sche Probleme bei der Gewinnung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert. Wenngleich wissenschaftliche Erkenntnisse in der Regel medial vermittelt, d. h. schriftlich fixiert, veröffentlicht und (zumindest) dem Fachpublikum zugänglich gemacht werden, richtet die Wissenschaftsethik ihre Aufmerksamkeit nicht primär auf die Kommunikation dieser Erkenntnisse, sondern auf das Auffinden und den Umgang mit ihnen96: Gibt es Wissen, nach dem wir nicht streben sollten?97 Trifft den einzelnen Wissenschaftler eine moralische Verantwortung98, wenn die Ergebnisse seiner Forschung dazu gebraucht werden, Massenvernichtungswaffen herzustellen99, oder dazu, Menschen politisch zu manipulieren?

Von derartigen, klar der Wissenschaftsethik zuordenbaren Fragen abgesehen, bestehen dennoch Überschneidungen und es mag insofern durchaus hilfreich sein, wenn die eine Disziplin sich in Bezug auf diese Problemfelder von der anderen berei-chern lässt und umgekehrt. Zu nennen wäre etwa der Themenbereich „Wissenschaft und Öffentlichkeit“: Ist es ausreichend, wissenschaftliche Erkenntnisse den Fach- kollegen zugänglich zu machen100 oder haben auch wissenschaftliche Laien das Recht, informiert zu werden? Können die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in eine für jeden und jede verständliche Sprache „übersetzt“ werden oder ist die Gefahr zu groß, dass es dadurch zu Unsauberkeiten, Interpretation und Verfälschung der Inhalte kommen könnte? Haben Forscher das Recht, Wissen zurück zu halten, d. h.

nicht zu kommunizieren? Einen weiteren Themenbereich könnte man mit „Medien und Wahrheit“ überschreiben. Ist es Aufgabe der Journalisten nachzuforschen, ob die eigenen Behauptungen und Annahmen dem aktuellen Stand der Wissenschaft

96 Noch einfacher wäre die Unterscheidung zwischen Medien- und Wissenschaftsethik, wenn man nur dann von Medienethik spricht, wenn die Inhalte mithilfe von Massen-medien transportiert werden, was in der Wissenschaft üblicherweise nicht der Fall ist.

Allerdings erscheint mir eine solche Einschränkung nicht plausibel. Es ist nämlich unklar, in was für einer Bereichsethik dann medienethische Probleme behandelt werden sollten, die nicht durch Massenkommunikation entstanden sind. Macht man die Unterscheidung jedoch nicht daran fest, ob es tatsächlich zur Massenkommunikation kommt, sondern daran, ob das eingesetzte Medium zur Massenkommunikation tauglich ist, handelt es sich nur scheinbar um eine Einschränkung. Denn neben Internet, Fernsehen, Rundfunk und Tageszeitungen sind auch Bücher prinzipiell zur Massenkommunikation geeignet.

97 Zur Spannung zwischen epistemischer Rationalität und Folgenverantwortung siehe Ni-da-Rümelin J. (2005), S. 854.

98 Jonas H. (1991), S. 193-214; Lenk H. (1992), S. 53-75.

99 Lenk H. (1986), S. 128.

100 Frey B. S. (2006), S. 53-63, beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Zwang zu zahl-reichen und gut gereihten Publikationen auf Qualität und Innovation in der Forschung auswirkt.

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entsprechen oder ist es ausreichend zu meinen, Recht zu haben und den Leser nicht absichtlich zu täuschen? Müssen Sachinformationen immer nüchtern dargestellt werden oder ist es zulässig, ihnen Erlebnischarakter zu verleihen, sie zu inszenieren?

Während also die Berührungspunkte zwischen Medienethik und Wissenschafts-ethik hauptsächlich die mediale Aufbereitung von Inhalten betreffen, besteht ein ge-meinsamer Fragebedarf mit der Wirtschaftsethik, wenn die Ebene der Produktion im Blick ist. Denn Wirtschaftsethik reflektiert ethische Probleme, die sich bei der Herstellung, der Verteilung und dem Verbrauch materieller Güter ergeben. Diese Ebene von Produktion und Verkauf betrifft aber nicht allein das Management der Medienunternehmen, sondern auch deren redaktionelle Mitarbeiter, die in Themen-wahl und Aufbereitung von Marktüberlegungen abhängig sind. Nicht zuletzt können die Konsumenten durch ihr Kaufverhalten, ihre Aufmerksamkeit oder den Entzug von Aufmerksamkeit Marktprozesse gestalten101.

Wenngleich sich Medienethik nicht in Wirtschaftsethik erschöpft102, ist es daher dennoch wichtig, wirtschaftsethische Überlegungen zu berücksichtigen, wenn über die Verantwortung und die Handlungsmöglichkeiten der medialen Akteure – Kon-sumenten, Redakteure und Unternehmer – diskutiert wird.

Überschneidungen mit der Technikethik bestehen insofern, als das moralphiloso-phische Interesse hier – neben der Erzeugung und Entsorgung von Werkzeugen und Maschinen – hauptsächlich deren verantwortlicher Nutzung103 gilt. Ist es erlaubt, Fotos zu manipulieren, nur weil ich die technischen Möglichkeiten dazu habe? Ist es richtig, beim Navigieren im Netz ständig Entscheidungen zu treffen ohne mich mit den Wahlmöglichkeiten bewusst auseinandergesetzt zu haben? Bin ich für mein Handeln in virtuellen Welten moralisch verantwortlich und hat es Auswirkungen auf mein Offline-Verhalten? Wie aus diesen Beispielen ersichtlich, bestehen die Be- rührungspunkte zwischen Medienethik und Technikethik hauptsächlich im Bereich der Internetethik, wo die Vielzahl der neuen technischen Möglichkeiten104 Verhal-tensunsicherheiten seitens der User hervorruft105. Das digitale Bearbeiten von In-halten – von Bildern und Tonaufzeichnungen – schafft aber auch im Bereich der Printmedien, von Rundfunk und Fernsehen moralphilosophischen Fragebedarf.

101 Zum Verhältnis zwischen Individualethik und Institutionenethik siehe Zimmerli W. C. / Aßländer M. S. (2005), S. 322-327. Fenner D. (2010), S. 351-418, unterscheidet zwischen Wirtschaftsordnungsethik, Unternehmensethik und einer Mitarbeiter-, Führungs- und Konsumentenethik.

102 Medienethik mit einem starken Akzent auf wirtschaftsethische Überlegungen betreiben u. a. Karmasin M. (1993; 1998; 1999) und Zerfaß A. (1999). Zuletzt erschienen ist von Erdmann H.-C. (2012) eine Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Medienun-ternehmen aus der Perspektive der Ökonomischen Ethik.

103 Ropohl G. (2002), S. 97-108, entwickelt Technikethik als eine Berufsethik der Ingenieure.

Fenner D. (2010), S. 233-240, unterscheidet zwischen einem herstellungsorientierten und einem gebrauchsorientierten Verantwortungskonzept.

104 Grimm P. / Capurro R. (2008).

105 Paganini C. (2011), S. 238-239.

51 Medienethik auf Technikethik zu reduzieren, würde jedenfalls den Umstand

ver-nachlässigen, dass die Akteure nicht nur für den Einsatz der technischen Hilfsmittel verantwortlich sind, sondern – wenn nicht sogar in erster Linie – für die Inhalte der durch Technik vermittelten Kommunikation, für die Art und Weise, wie sie mitei-nander umgehen. Ansätze, die stark von der Technikethik herkommen106, bringen daher häufig eine neue Perspektive und interessante Impulse ein, können aber nur für einen Teil der medienethischen Herausforderungen Lösungsvorschläge liefern.

Die größte Nähe besteht schließlich zur Kommunikationsethik und zur Infor-mationsethik. Denn – wie in der Arbeitsdefinition angedeutet – interessiert sich Medienethik insofern für den Umgang von Menschen mit den Medien Buch, Zei-tung, Rundfunk, Fernsehen und Internet, als diese zum Zweck der Kommunikation genützt werden. Sollte das Verhältnis Medien- und Kommunikationsethik also der-art banal sein, dass es sich bei der Medienethik lediglich um einen Teilbereich der Kommunikationsethik handelt? Im Zusammenhang mit dieser Überlegung sind zwei Fragen zu klären: 1) ob es in der Medienethik tatsächlich immer um Kommu-nikationsprobleme geht, und dazu werde ich am Ende dieses Kapitels Stellung neh-men; 2) – sollte dies der Fall sein – ob man nicht auf die Medienethik verzichten und stattdessen Kommunikationsethik betreiben sollte. Gegen den zuletzt genannten Vorschlag lässt sich zum einen argumentieren, indem man auf das faktische Beste-hen der Disziplin der Medienethik und auf ihre wachsende Bedeutsamkeit verweist.

Dies ist aber ein schwaches Argument, weil das Vorhandensein von etwas noch keine Rechtfertigung dafür liefert, dass dieses Etwas sein soll. Zum anderen könnte man vorbringen, dass der Kommunikationsaspekt sich zwar wie ein roter Faden durch die Problemstellungen der Medienethik zieht, jedoch nicht immer leicht erkennbar ist, wohingegen sich der Einsatz von Medien einfach nachweisen lässt. Doch auch mit dieser Beobachtung ist nicht gezeigt, dass Medienethik mehr bzw. etwas anderes sein sollte als Kommunikationsethik.

Dies tatsächlich nachweisen zu wollen, scheint mir in der Tat kein sehr Erfolg ver-sprechendes Unternehmen, hängt doch sehr viel davon ab, welche Definitionen man wählt, wie eng oder weit man Kommunikation fasst etc. In gewisser Weise lässt sich die Berechtigung einer eigenständigen Medienethik aber mit der folgenden Überle-gung begründen: Die ursprünglichste Form von Kommunikation findet statt, wenn sich (mindestens) zwei Menschen gegenüberstehen. Daher darf man von einer Kom-munikationsethik erwarten, dass es hier primär um eine solche Face-to-Face-Kom-munikation gehen wird. Sobald die KomFace-to-Face-Kom-munikation aber durch Medien vermittelt wird107, entstehen neue Probleme, die sich – je nachdem, welches Medium zum Ein-satz kommt – von den Problemen, die wir von der Face-to-Face-Kommunikation her kennen, unterscheiden können. Eine medial vermittelte Kommunikationssituation (Chat mit Unbekannt) und eine unmittelbare Kommunikationssituation

(Unter-106 Zuletzt Irrgang B. (2011).

107 Folgt man den Überlegungen, die Krämer S. (2008) im Zusammenhang mit dem von ihr entwickelten Botenmodell anstellt, kann man allerdings daran zweifeln, ob Kommunika-tion jemals nicht durch Medien vermittelt sein kann.

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haltung mit der Nachbarin) weisen auf der Ebene der Situationsbeschreibung nicht irrelevante Unterschiede auf. Von daher scheint eine Schwerpunktsetzung, d. h. das Reden von zwei unterschiedlichen Bereichsethiken, legitim.

Was zuletzt die Informationsethik betrifft, ergibt sich deren enge Beziehung zur Medienethik allein schon aus der gängigen Definition einer „ethischen Beschäftigung mit der Digitalisierung“108. Wenngleich die Sinnhaftigkeit einer strikten Trennung zu hinterfragen ist, könnte man darauf hinweisen, dass die Informationsethik stärker technisch109, die Medienethik dagegen eher gesellschaftlich orientiert ist und primär Kommunikationssituationen zwischen Menschen im Blick hat, während die Infor-mationsethik insbesondere mit Fragestellungen im Zusammenhang mit Mensch- Maschine-Interaktionen, mit autonomen Systemen etc. befasst ist. Ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen Medien- und Kommunikationsethik ist daher mit Jes-sica Heesen darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine „Schwerpunktsetzung im untrennbaren Gegenstandsbereich Medien/Information“ handelt und nicht um eine

„trennscharfe bereichsethische Differenzierung“110. 3.2. Bestimmung der Teilbereiche

Wer Medienethik betreiben will, steht aber nicht nur vor der Aufgabe, eine Abgren-zung gegenüber anderen Bereichsethiken vorzunehmen, er wird auch Gründe an-geben müssen, warum er es für sinnvoll erachtet, von Medienethik zu sprechen und nicht vielmehr von Journalismusethik, Bildethik, Internetethik etc. Bei der Medien- ethik handelt es sich nämlich um eine Bereichsethik mit sehr starken und eigenständi-gen Teildisziplinen111. Die älteste solche Teildisziplin ist die Journalismusethik. Denn wenngleich sich medienkritische Notizen bereits mit dem Aufkommen der Print-medien112 nachweisen lassen, hatte die Medienethik als wissenschaftliches Unter- fangen ihren Ursprung in der Journalismusethik des 20. Jahrhunderts. Und selbst wenn die ersten individualethischen Ansätze von Otto Groth (1875-1965) und Emil Dovifats (1890-1969) heute kaum mehr Nachahmer finden, wird Journalismusethik – besonders im englischen Sprachraum113 – immer noch als selbstständige Bereichs- ethik betrieben. Außerdem hat der rasante Fortschritt in den Neuen Medien dazu ge-führt, dass sich mehr und mehr Fachkollegen der Internetethik widmen, ohne dabei Bezüge zu einer allgemeinen Medienethik herzustellen114. Daneben ist häufig auch von Ethik der Public Relations die Rede, von Werbeethik oder Bildethik. Journalis-108 Hausmanninger T. / Capurro R. (2002), S. 9.

109 Filipović A (2016), S. 45.

110 Thies C. (2011), S. 207.

111 Thies C. (2011), S. 207.

112 Bei näherem Betrachten lässt sich diese Kritik bereits im Zusammenhang mit den ersten Zeugnissen von Verschriftlichung im Alten Orient beobachten. Dazu Paganini C. (2012), 195-207.

113 Zuletzt Meyers C. (2010).

114 Zuletzt Irrgang B. (2011). Positiv dagegen fallen die Beiträge von Bernhard Debatin auf, der seine Forschung im Bereich der Internetethik stets in das größere Ganze einer auf dem Prinzip der Verantwortung basierenden Medienethik einbindet.

53 mus, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Bildarbeit und Neue Medien konfrontieren uns

nämlich – so wird argumentiert – mit derart unterschiedlichen Problemstellungen, dass es (die) eine Medienethik nicht geben könne.

Zugleich lässt sich aber feststellen, dass die einzelnen Teilbereiche des Medialen nicht überall streng voneinander zu trennen sind, sondern z. T. ineinanderfließen – wie etwa im Fall von Online-Spielen mit Informations- und Dokumentations- blöcken, bei digitalen Werbewelten, die sich als Spiel tarnen, oder bei Fernseh- und Rundfunksendungen, die interaktive Partizipations-Modelle aufweisen. Wenngleich also eine alle Teilbereiche umfassende Medienethik eine – vielleicht zu große – Herausforderung sein mag115, erscheint es unbefriedigend, den Zerfall der Medien- ethik in weitere Bereichsethiken hinzunehmen.116 Wenn die mediale Wirklichkeit nicht als Ganzes diskutiert, beurteilt und gestaltet werden kann und wenn anstatt einer Medienethik kleine und kleinste Bereichsethiken unverbindlich nebeneinander stehen, läuft der medienethische Diskurs Gefahr, sich selbst zur Bedeutungslosigkeit zu degradieren.

Obwohl ich also vorhabe, Medienethik zu betreiben und nicht Journalismusethik, Internetethik etc., möchte ich dennoch das Anliegen jener Kollegen117 aufgreifen, die befürchten, eine allgemeine Medienethik würde den spezifischen Anforderungen von Public Relations, Werbung, Internet etc. nicht gerecht werden. Daher werde ich die Anwendungsfelder der Medienethik einzeln bearbeiten (III.) und erst in einem weiteren Schritt überlegen, welche normativen Aussagen im Kontext einer (ihre Teil-bereiche) umfassenden Medienethik Geltung beanspruchen können (IV.).

Allerdings ist das Benennen dieser Anwendungsfelder nicht unproblematisch. Ich folge daher zunächst einer Einteilung, die historisch gewachsen ist, häufig rezipiert wurde und 2010 dem „Handbuch Medienethik“ von Christian Schicha und Cars-ten Brosda118 als Grundlage gedient hat. Demnach wird zwischen den Anwendungs- feldern Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Bildarbeit und Neue Medien unterschieden, die ich im Folgenden kurz charakterisieren möchte:

Der Journalismus zielt auf das Entstehen und Funktionieren von Öffentlichkeit, gehorcht einer – nicht unbedenklichen – Maxime des Veröffentlichens.119 Er berich-tet und kommentiert, befriedigt das Informationsbedürfnis seines Publikums und bringt sich kritisch in das öffentliche Gespräch ein. Insofern Journalisten den An-115 Rühl M. / Saxer U. (1981), S. 475.

116 Dazu Funiok R. (2011), S. 14: “Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Unterbereiche ist von einem integrativen Konzept von Medienethik auszugehen. Statt die einzelnen Konkretio-nen gegeneinander auszuspielen oder zu verabsolutieren, gilt es aufzuzeigen, wie sie sich ergänzen, teilweise überlappen […]. Wichtige Grundnormen gelten für alle genannten Ebenen. Dies zu betonen, erhöht die Chance, ethische Orientierung auch in Feldern zu verankern, wo ihre Bedeutung noch weniger deutlich gesehen wird (wie in der Publikums- ethik oder in der Organisationsethik).“

117 Ward S. J. A. (2011), S. 54.

118 Schicha C. / Brosda C. (2010).

119 Pöttker H. (2008), S. 299; Funiok. R. (2007), S.129.

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spruch erheben, Fakten darzustellen, fordert man von ihnen Objektivität und ein Maximum an Information120 – was auch die Bereitschaft zur Richtigstellung inklu-diert –, zugleich aber Achtung vor dem (menschlichen) Berichtsobjekt, Persönlich-keitsschutz121 und – im Umgang mit den Quellen – Gründlichkeit der Recherche (versus Geschwindigkeit) bzw. Informantenschutz. Mit Blick auf den Rezipienten wird Sorgfalt122 und Verantwortungsgefühl erwartet, ganz besonders, wenn es um meinungsbildende Berichterstattung geht.

Umgekehrt berufen sich Journalisten auf die Pressefreiheit, die es gegenüber po-litischer Einmischung zu erkämpfen gilt, nicht minder jedoch gegenüber System-zwängen wie dem Ausgeliefertsein an die Logik des Marktes bzw. die Meinung der Rezipienten. Der Zwang zur größtmöglichen (verkauften) Auflage, den größt- möglichen Einschaltquoten, bedeutet Zensur und veranlasst Journalisten, über sach-liche Informationsberichte hinaus zu gehen, Sensationen und Skandale zu simulieren und damit die Spannung zwischen den Rechten von Berichtsobjekt und Adressat zumindest vordergründig123 noch zu verschärfen. Wenngleich zu Recht eingemahnt, sind das Verbot von Geschenk- und Vorteilsannahme und die Trennung zwischen PR- und redaktionellen Inhalten nur scheinbar überprüfbar, werden doch die Mög-lichkeiten zahlender Kunden, sich vermehrt und bevorzugt redaktionelle Aufmerk-samkeit zu sichern, in der Praxis deutlich subtiler ausgespielt.

Die – als solche deklarierte – Öffentlichkeitsarbeit dagegen ist als interessen- geleitete Auftragskommunikation124 zu definieren, die Vorprodukte für eine an- schließende mediale Weiterverarbeitung schafft125 und auf diese Weise versucht, im Interesse ihrer Auftraggeber Einfluss auf öffentliche Diskussion und Meinungs- bildung zu gewinnen. Wenngleich ihr persuasiver Charakter schwächer ausgeprägt ist, zielt sie ähnlich der Werbung darauf ab, die Wettbewerbsposition ihrer Kunden zu verbessern, und steht daher in einem Spannungsverhältnis zu Ansprüchen wie Wahrheit und Nachhaltigkeit126. Besonders problematisch ist die – vom Produktions- druck bedingte – unrecherchierte redaktionelle Übernahme von PR-Beiträgen. Da die Öffentlichkeitsarbeit zumindest zum Teil von der Realität des Faktischen unab-hängig Realität schafft, besteht die Gefahr, dass die Fiktion zu einem späteren Zeit-punkt mit realer Vergangenheit verwechselt wird.

120 Weber P. (2016), S. 114-120.

121 Wie die Wahrung der Privatsphäre, Unschuldsvermutung, etc.

122 Thomaß B. (2003), S. 159-168.

123 Vordergründig deshalb, weil eine aufbauschend tendenziöse Presse – bei näherer Be-trachtung – nicht das Recht auf Information zu Ungunsten des Berichtobjektes aufwertet, sondern sich durch gezielte Desinformation am Objekt und am Konsumenten ebenso schuldig macht.

124 Zum komplexen Verhältnis zwischen Organisationen und deren Stakeholdern siehe Kar-masin M. (2008), S. 268-280.

125 Westerbarkey J. (1995), S. 160f.

126 Zur Corporate Social Responsibility siehe Starck K. / Kruckeberg D. (2003), S. 37. Ein-schränkend verweist L´Etang J. (2003), S. 64, auf das Agens schlechte Reputation bzw.

Angst vor Nachteilen.

55 Dennoch haben Öffentlichkeitsarbeit und Werbung ihre Berechtigung127 und zwar

mit Blick auf Wirtschaft und Politik ebenso wie mit Blick auf die Medien, als deren (wichtigste) Finanzierungsquellen sie die redaktionelle Arbeit – zumindest zu einem Teil – ermöglichen bzw. durch ihre Wechselwirkung mit dem Journalismus gewähr-leisten, dass alle drei Teilbereiche ihre systeminternen Aufgaben erfüllen können.

Werbung ist Ausdruck ökonomischer Meinungsfreiheit, die an Grenzen stößt, wo sie andere Wirtschaftssubjekte einschränkt oder Menschen in ihrer Personalität an-greift. Dies kann sowohl auf der Ebene der Werbetechnik, als auch auf der Ebene der Werbegestaltung geschehen. Was die Technik betrifft, sind all jene Methoden prob-lematisch, bei denen sich ihr persuasiver Charakter zu einem zwanghaften Einwir-ken, d. h. zu Manipulation wandelt, wie etwa subliminale, getarnte oder verfälschte Werbung128. Im Hinblick auf die Werbegestaltung besteht ethischer Fragebedarf in Bezug auf die Bildarbeit, die Bewertung der beworbenen Produkte und den Umgang mit – als Objekten oder Adressaten – involvierten Menschen, insofern diese in ihrer jeweiligen Situation nicht als Menschen ernst genommen, sondern für ökonomische Zwecke instrumentalisiert und damit missbraucht werden129.

Die Bildethik wird nicht selten auf einer vordergründigen Ebene behandelt, wenn etwa die Darstellung von übermäßiger Gewalt, Krieg, Tod etc. diskutiert wird, insbesondere in Medien, die auch in die Hände Minderjähriger geraten kön-nen. Von derartigen Skandalbildern abgesehen nämlich präsentieren sich Bilder als professionelle Augenzeugen und Garanten der Wahrheit130. Sie vermitteln die Illusion von Unmittelbarkeit131 und lassen vergessen, dass der Bildrezipient ein Beobachter zweiter Ordnung bleibt, Bilder in hohem Maß menschlichen Einfluss- faktoren132 ausgesetzt und daher im Kommunikationsprozess weniger in einer pas-siven Zeugenrolle als in einer aktiven journalistischen Rolle zu begreifen sind. Dazu

Die Bildethik wird nicht selten auf einer vordergründigen Ebene behandelt, wenn etwa die Darstellung von übermäßiger Gewalt, Krieg, Tod etc. diskutiert wird, insbesondere in Medien, die auch in die Hände Minderjähriger geraten kön-nen. Von derartigen Skandalbildern abgesehen nämlich präsentieren sich Bilder als professionelle Augenzeugen und Garanten der Wahrheit130. Sie vermitteln die Illusion von Unmittelbarkeit131 und lassen vergessen, dass der Bildrezipient ein Beobachter zweiter Ordnung bleibt, Bilder in hohem Maß menschlichen Einfluss- faktoren132 ausgesetzt und daher im Kommunikationsprozess weniger in einer pas-siven Zeugenrolle als in einer aktiven journalistischen Rolle zu begreifen sind. Dazu