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Ökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen des Baumwollmangels auf Mitteleuropa

Im Dokument Ideale und Interessen (Seite 118-176)

D

em Profit der Hamburger Hapag während des Bürgerkrieges spielte zusätzlich in die Hände, dass Konkurrenz von der Weser ausblieb.

Dabei hatte der Bremer Norddeutsche Lloyd Erfahrung im Kriegs-geschäft. Zwei seiner Dampfer hatten im Krimkrieg als Truppentransporter und Lazarettschiff für britische und französische Soldaten gedient.1 Zu seinem Bedauern aber konnte die Bremer Reederei nicht in dem Maße an der „um-fangreiche[n] Versendung von Kriegsmaterial“ in die USA teilnehmen, wie es sich die Vorstandsmitglieder erhofften.2 Reparaturarbeiten und Lieferverzö-gerungen bei zwei Schiffen des Lloyd im Herbst 1861 hemmten seine Beteili-gung in der Hochphase des mitteleuropäischen Waffenexports nach Amerika.

Dadurch konnte das fünfstellige Defizit des Lloyd im Geschäftsjahr 1861 nicht ausgeglichen werden, welches einerseits zögerliche Auswanderer verursacht hatten, die von einer Überfahrt ins kriegsgebeutelte Amerika absahen und an-dererseits die Reduzierung von Warenexporten, die erhöhten amerikanischen Tarifen geschuldet waren.3

Als Aktiengesellschaft mit zahlreichen Kreditoren, Finanziers und Klein-anlegern war der Lloyd zu einem Bremer „Kreuzungspunkt von Stadt, Staat und Nation“ geworden, dessen Erfolg oder Misserfolg unmittelbar auf die wirt-schaftliche Situation der Hansestadt ausstrahlte.4 Der finanzielle Verlust, den

1 Vgl. Prüser, Die „Hansa“ und die „Germania“, 274 f.

2 Generalversammlung des Lloyd, 28. April 1862, Archiv des Norddeutschen Lloyd, StAB, 2-R.

11. mm. 4.

3 Vgl. ebd.

4 Vgl. Schulz, Vormundschaft und Protektion, 484–489, Zit. 484.

der Bürgerkrieg dem Lloyd anfänglich bescherte, hielt das Unternehmen nicht davon ab, in die Zukunft zu investieren. Sein Vorstand plante – sollten sich die Konföderierten Staaten dauerhaft von der Union losreißen – die Errich-tung zweier fester Routen nach Nordamerika. Eine sollte die südlichen Häfen anlaufen, die andere die nördlichen. Zu diesem Zweck berief die Reederei im Dezember 1861, als man sich aufgrund der Trent-Krise mit einer „unsicheren Weltlage“ konfrontiert sah, eine außerordentliche Generalversammlung ein, auf der die Aktionäre einer Anleihe im Wert von 400.000 Talern zustimmten, damit der Lloyd ein viertes Schiff für den Verkehr mit Nordamerika bauen lassen konnte. Das Direktorium des Lloyd spekulierte auf die Konjunktur im Baumwolltransport, die nach Kriegs- und Blockadeende zu erwarten war. „Es ist daher gewiss vortheilhaft und zweckmäßig für diese Eventualität vorbereitet zu sein“, rechtfertigte der Vorstand das Vorhaben vor den Aktionären. Bis das Schiff fertig gebaut sei, würden „die Wirren jenseits und diesseits des Oceans hoffentlich gelöst“ sein.5

Der Lloyd zeigte sich in seiner Parteinahme während des Bürgerkrieges flexibler als die Hapag. Daran hatten Bremens Geschäftsbeziehungen in die Südstaaten einen großen Anteil. Da ein Großteil des Bremer Handels vom Ge-schäft mit den Südstaaten abhing, sprachen sich viele Händler, Kaufleute, Spe-diteure und Makler für einen barrierefreien Import südstaatlicher Baumwolle aus. Das veranlasste Bremer und andere deutsche Handeltreibende, während des Krieges nicht ausschließlich Geschäfte mit den Nordstaaten zu betreiben, sondern Marktzugänge im Süden zu erhalten.

Kaum ein anderer Rohstoff verwob den deutschen Handel so sehr mit Nord-amerika wie die Baumwolle. Seit dem frühen 19. Jahrhundert symbolisierte sie eine Nahtstelle zwischen transnationaler Wirtschaft und Politik. Jüngere Stu-dien wie die von Brian Schoen sehen in dem weltweiten Baumwollbedarf sogar den wesentlichen, wenn nicht entscheidenden Grund für den Ausbruch des Bürgerkrieges.6 Der Handel mit Baumwolle vereinte staats- und gesellschafts-übergreifende Glieder und Strukturen und beherbergte enormes Verände-rungspotenzial, das weitreichende Wirkungen auf die am Handel beteiligten Gesellschaften haben konnte.7 Sie war zu „eine[m] der wichtigsten Lebens-bedürfnisse der Menschheit“ geworden, bilanzierte ein deutscher Bankier aus New York.8 Außer für Lebensmittel gaben die Mitteleuropäer ihr Einkommen vor allem für Kleidung aus, die überwiegend aus Baumwolle bestand.9

5 Generalversammlung des Lloyd, 16. Dezember 1861, Archiv des Norddeutschen Lloyd, StAB, 2-R. 11. mm. 4.

6 Vgl. Schoen, The Fragile Fabric, 243–264.

7 Vgl. Pomeranz, Handel, 161 f.

8 Kühne, Bericht über die Lage und den Handel, 3.

9 Vgl. Schmoller, Zur Geschichte, 447.

Für dieses Lebensbedürfnis war Bremen ein Knotenpunkt geworden. 1861 lag der Umfang der Baumwolllieferungen aus den USA nach Bremen nur mi-nimal unter dem Vorjahresniveau.10 Dies war exorbitanten Ernteerträgen und dem Umstand geschuldet, dass das Gros der Ballen noch vor Beginn der Blo-ckade im April 1861 die Weser erreicht hatte.11 Auch die Zahl derer, die über Bremen auswanderten, hielt sich bis Juli auf gutem Niveau und stimmte die lokalen Handeltreibenden, Gastwirte und Reedereien zuversichtlich.12 Gleich-zeitig warnte das amerikanische Konsulat, dass die Auswanderungswelle auf-grund des Kriegszustands bald zum Erliegen käme, was bald darauf der Fall war: Tausende Auswanderungswillige, die ihre Reise im Sommer antreten wollten, sahen von der Überfahrt ab.13 Die Blockade der südstaatlichen Häfen durch die Bundesmarine tat das Ihrige, um die Verkehrsverhältnisse zwischen Europa und Nordamerika zu erschweren und in neue Bahnen zu lenken.

Nach Inkrafttreten der Blockade wurden europäische Auswandererschiffe, selbst wenn sie nur einige Hundert Meter vor einem südlichen Hafen trieben, von schwadronierenden Schiffen der Bundesmarine zur Rückkehr nach Europa gezwungen. Um sie für den Ausfall ihres für die Rückfahrt nötigen Zwischen-stopps zu entschädigen, tauschten die nordstaatlichen Kriegsschiffe vereinzelt ihren Proviant gegen Waren, die Bremer und andere deutsche Schiffe geladen hatten.14 Am 14. Mai brachte ein Schiff des Blockadeschwadrons vor Virginia das Handelsschiff Argo auf, als dieses gerade den James River abwärts fuhr, um im Auftrag der Firma Wätjen & Co. sowie Vietor & Söhne eine Großlieferung Tabak von Richmond nach Bremen zu schiffen.15 Da die Argo nicht unter bre-mischer Flagge fuhr (Wätjen & Co. hatten das Schiff nur gechartert), vermutete der diensthabende Blockadekommandant, sie fahre im Auftrag südstaatlicher Kaufleute und schleppte das Schiff kurzerhand als Prise in den Hafen von New

10 Vom 1. Januar bis zum 1. September 1861 importierten Bremer Kaufleute rund 95.000 Ballen Baumwolle aus nordamerikanischen Häfen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Anzahl noch erhöhte und somit die Gesamtimportmenge nordamerikanischer Baumwolle von 1861 nur un-wesentlich geringer war als im Vorjahr, als Bremen von Januar bis Ende November 1860 rund 118.500 Ballen importiert hatte. Vgl. Commercial Relations of the United States, 1861 und 1862.

11 Vgl. Wise, Lifeline of the Confederacy, 25. Allein im April 1861 kamen noch 14.069 Ballen aus Nordamerika in Bremen an. Vgl. Bremer Handelsblatt, 4. Mai 1861. Mit 5.387.052 Ballen war der Ernteertrag nordamerikanischer Baumwolle von 1860 der bis dahin größte der US-Ge-schichte. Vgl. Manufactures of the United States in 1860, XV.

12 Vom 1. Januar bis 1. Juli 1861 sind 12.838 Menschen über Bremen in die USA ausgewandert, insgesamt 53 Menschen mehr als im Vorjahreszeitraum. Vgl. Diller an Seward, 6. Juli 1861, NA Bremen.

13 Vgl. Diller an Seward, 6. Juli 1861, NA Bremen.

14 Vgl. Poor an McKean, 30. Mai 1861, ORN I, 4, 191.

15 Vgl. Schleiden an Seward, 20. Mai 1861, Bremische Gesandtschaft in Washington, StAB, 4,48-11-3 C.1, sowie The New York Herald, 18. Mai 1861. Zu D. H. Wätjen & Co. vgl. Pitsch, Die wirtschaftlichen Beziehungen Bremens, 202–203; Beutin, 1963, 92–93, zu Vietor & Söhne Pitsch, Die wirtschaftlichen Beziehungen Bremens, 201–202.

York.16 Wätjens New Yorker Agent versicherte der hanseatischen Gesandt-schaft in Washington, dass das Geschäft lange vor Beginn der Blockade getätigt wurde und „in jeder Hinsicht loyal und bona fide“ sei und die Argo weder in konföderierten Diensten stand noch den Maßgaben der Unionsregierung zuwiderhandelte.17 Die Zeitungen im Norden feierten bereits „the first prize taken by the United States blockading squadron“,18 aber nach der Intervention von Rudolf Schleiden, Bremens Gesandtem in Washington, konnte die Argo schließlich ihre Fracht behalten und die Fahrt zur Weser fortsetzen – zum Be-dauern der beteiligten nordstaatlichen Matrosen, die das Prisengeld gern ein-gestrichen hätten.19

Durch den Vorfall hatte die Argo mehrere Tage Zeit und Geld verloren.

Eine neue Besatzung musste angeheuert werden, weil die ursprüngliche Mann-schaft bei der Beschlagnahmung entweder desertierte oder ausgezahlt und ent-lassen wurde.20 Der amerikanische Eigentümer des Schiffes forderte mehrere Tausend Dollar Entschädigungszahlungen von der Regierung.21

Ungewiss bleibt die Frage nach Bremer Schadensersatzansprüchen. Mög-lich ist, dass Wätjen und Vietor dem Rat der hanseatischen Gesandtschaft folgten, wonach es „im Bremischen Interesse höchst wichtig ist, auf den guten Willen der hiesigen Regierung rechnen zu können“, und deshalb auf Schaden-ersatzforderungen verzichteten.22 Auch im Falle dreier anderer Schiffe, die mit Tabak für Bremen beladen waren und kurzzeitig von der nordstaatlichen Ma-rine festgesetzt wurden,23 gibt es keine Hinweise auf Entschädigungsforderun-gen der betroffenen Bremer Unternehmen.

Der Argo-Vorfall machte eins deutlich: Der vermeintlich weit entfernte Bürgerkrieg in Nordamerika konnte den Handelsinteressen Bremens und der übrigen deutschen Staaten schaden. „Die jetzigen Wirren in den V.[ereinig-ten] St.[aaV.[ereinig-ten] nehmen hier natürlich das Interesse im höchsten Grade in An-spruch“, schrieb Bremens Bürgermeister Duckwitz, dem der Amerikahandel

16 Vgl. Stringham an Welles, 14. Mai 1861, ORN I, 5, 630–631; William Toel an Rudolf Schlei-den, 21. Mai 1861, Bremische Gesandtschaft in Washington, StAB, 4,48-11-3 C.1.

17 William Toel an Rudolf Schleiden, 20. April 1861, Bremische Gesandtschaft in Washington, StAB, 4,48-11-3 C.1.

18The New York Herald, 18. Mai 1861.

19 Vgl. William Toel an Rudolf Schleiden, 23. Mai 1861, Bremische Gesandtschaft in Washing-ton, StAB, 4,48-11-3 C.1.

20 Ebd.

21 Vgl. Congressional Serial Set Vol. 1151, Session No. 1, 37th Congress, 3rd Session, Rpt. 83;

Congressional Serial Set Vol. No. 1624, Session Vol. No. 2, 43rd Congress, 1st Session, H. Rpt.

377.

22 Rudolf Schleiden an Charles Lüling (z. Hd. William Toel), 21. Mai 1861, Bremische Gesandt-schaft in Washington, StAB, 4,48-11-3 C.1.

23 Vgl. Schleiden an Seward, 23. Mai 1861, Bremische Gesandtschaft in Washington, StAB, 4,48-11-3 C.1; Report of the Secretary of the Navy, 2. Dezember 1861, 146–147.

selbst zu Einfluss und Wohlstand verholfen hatte,24 an seinen Gesandten Ru-dolf Schleiden in Washington. „Wir betrachten die Auflösung der Union als ein unberechenbares Unglück in jeder Beziehung, und nehmen alle specielle Nachrichten über die Gestaltung der Dinge mit Interesse entgegen. Der Rück-schlag auf Europa kann nicht ausbleiben […].“25

Bereits einige Wochen später klagte Duckwitz über den rasant abnehmen-den Handelsverkehr mit abnehmen-den USA und drohenabnehmen-den Geschäftsstillstand. Die

„Bremer Commission für auswärtige Angelegenheiten“ hielt es deshalb für an-gebracht, dass Schleiden seinen geplanten Europaurlaub verschiebe und auf seinem Posten in Washington bliebe. Es könnten „mancherlei Dinge“ eintre-ten, instruierte der Bürgermeister seinen Gesandeintre-ten, „bei denen die [Bremer]

Kaufmannschaft wenigstens eine Beruhigung haben werde, wenn sie sich dem Glauben hingeben könne, daß doch das Mögliche durch Ihre Anwesenheit ge-schehen werde.“26

Duckwitz sollte Recht behalten. Die Positionierung der Bremer Kaufmann-schaft war das Zünglein an der Waage für die ökonomische Prosperität des Stadtstaates und seine Parteinahme im Amerikanischen Bürgerkrieg. Beson-ders die Kaufmannsreeder verfügten über großen wirtschaftlichen Einfluss auf Bremens Politik und Wirtschaft.27 Neun Tage nach der Einnahme Fort Sumters durch die Konföderierten hielt der Norddeutsche Lloyd seine jährliche Gene-ralversammlung ab: Die Geschäftsführung prognostizierte unbefriedigende Zahlen für das laufende Jahr. Zu sehr fürchtete sie die Folgen, die sich durch

„die Auflösung der Union“ und die steigenden Zölle, die die US-Regierung er-hoben hatte, abzeichneten.28

Solche Vorfälle sorgten dafür, dass die Bremer Kaufmannschaft der Union bald „minder günstig gesinnt“ war. Eine „dem secessionistischen Süden und seinen Losreißungsbestrebungen höchst geneigte Stimmung“ verbreitete sich in der kleinen Republik.29 Bremens Gesamtwert an Importen aus den Häfen der Südstaaten war im letzten Friedensjahr beinahe doppelt so hoch wie der Gesamtwarenwert der Importe aus nordstaatlichen Häfen. Besonders New Or-leans, die größte und wichtigste Handelsstadt des Südens, war für das Bremer Importgeschäft von zentraler Bedeutung. Die Summe der Gesamteinfuhren aus New Orleans des Jahres 1860 war die mit Abstand höchste aller Einfuhren aus den USA (siehe Abb. 5).30 Zwar war der Gesamtwert der über Bremen expor-tierten Waren in die Nordstaaten rund 2,6 Millionen Taler Gold höher als das

24 Vgl. Schulz, 2002, 479 f.; Prüser, Duckwitz, 151 f.

25 Duckwitz an Schleiden, 30. Januar 1861, Nachlass Schleiden, StAB.

26 Duckwitz an Schleiden, 20. April 1861, Nachlass Schleiden, StAB.

27 Vgl. Schulz, Vormundschaft und Protektion, 491.

28 Berichte der General-Versammlungen des Norddeutschen Lloyd, StAB, 2-R. 11. mm. 4

29 Börnstein, Fünfundsiebzig Jahre, 348–49.

30 Vgl. Bremer Handelsblatt, 15. Juni 1861.

Importgeschäft mit dem Süden, meist aber arbeiteten die Bremer Kaufleute bei den Exportgeschäften in die Nordstaaten nur als Vermittler und Kommissio-näre im Auftrag ausländischer Auftraggeber (überwiegend aus anderen deut-schen Staaten) und erhielten nur Provisionen für den Weitertransport nach Amerika. Der Importhandel mit den Südstaaten hingegen war überwiegend Eigenhandel (im damaligen Kaufmannsjargon „Proprehandel“ genannt), an dem die Bremer Kaufleute mit Eigenkapital beteiligt waren und entsprechend mehr Profit, aber auch mehr Risiko für sich verzeichneten.31

Abb . 5: Bremer Im- und Exporte aus den USA 1860 in Taler Gold, nach: Bremer Handelsblatt, 15 . Juni 1861 .

Wert der Importe Bremens aus den USA (in Taler Gold)

Union Summe Konföderation Summe

New York 3 .786 .708 New Orleans 5 .938 .938

Baltimore 1 .880 .582 Charleston 1 .205 .770

Philadelphia 12 .268 Savannah 1 .082 .737

Boston 900 Galveston 1 .004 .396

St . Louis 238 Mobile 868 .649

Andere 653 Richmond 610 .209

Gesamtwert 5.681.349 Gesamtwert 10.710.699

Wert der Exporte Bremens in die USA (in Taler Gold)

Union Summe Konföderation Summe

New York 10 .948 .413 New Orleans 465 .232

Baltimore 975 .216 Galveston 101 .591

Philadelphia 968 .068 Charleston 39 .680

Boston 74 .811 Richmond 14 .723

St . Louis 33 .237 Savannah 3 .781

San Francisco 31 .924 Mobile 129

Andere 324 .022

Gesamtwert 13.355.709 Gesamtwert 625.136

Dass die Bremer Kaufleute Interesse daran hatten, die Handelsbeziehungen mit den nun blockierten Häfen der Konföderation fortzuführen, war evident.

Auch der amerikanische Konsul in Hamburg war der Ansicht, „that [Bremens]

31 Vgl. ebd.

merchants generally sympathize with the Rebels“ und verweigerte mindestens einem Bremer Kaufmann die Lizenz für die Fahrt eines seiner Schiffe nach New Orleans über Havanna, das südliche Blockadebrecher gern als Zwischen-station auf ihren Weg in einen der konföderierten Häfen nutzten.32 Der Histo-riker Ludwig Beutin bekräftigt die vermeintliche Sympathie der Bremer Kauf-mannschaft mit den Südstaaten und erklärt, dass Bremens Standpunkt zur Sklaverei „naturgemäß“ nicht mit der „öffentlichen Meinung Europas“ kon-form ging.33 Bremens Händler wussten allzu gut, dass viele Tausend Menschen in den deutschen Staaten ihr Einkommen mit der Baumwollverarbeitung be-stritten. Daher forderten die Kaufleute, wie auch die Mehrheit liberaler deut-scher Amerikabeobachter,34 wenn überhaupt nur eine „langsame Reform“ der Sklavenfrage.35

War Bremen, ähnlich wie Liverpool und Manchester, ein europäisches Zen-trum der „cottonocracy und des proslavery enthusiasm“, wie Karl Marx die englischen Baumwollhochburgen betitelte?36 Aus einer transatlantischen Per-spektive betrachtet, bei der Impulse westlich und östlich des Atlantiks zu Syn-ergien verschmelzen konnten, ist diese Frage teilweise zu bejahen. Die Bre-mer Firmen und Handeltreibenden verstanden sich aber nicht zwingend als Befürworter der Sklaverei, sondern als pragmatische Nutznießer. Materielle Interessen überschatteten zumeist moralische Bedenken, wenn sich deutsche Firmen mit ihrer Verwicklung in die transatlantische Sklavenwirtschaft aus-einandersetzten.37 Man erfüllte lediglich seine vertraglichen Pflichten, könnte eine apologetische Erklärung deutscher Baumwollhändler gelautet haben. Die

„realpolitik of cotton“38 machte den Kauf und Verkauf von durch Sklavenhand produzierten Waren zu einer Notwendigkeit. Auch bei vielen Überseekaufleu-ten aus den AnrainerstaaÜberseekaufleu-ten der Hansestädte (Oldenburg, Hannover, Holstein und Mecklenburg) habe allgemeines Naserümpfen über die „Unwissenheit und sentimentale Albernheit“ deutscher Unionssympathisanten und Sklave-reigegnern geherrscht. Der Blick dieser „Sentimentalen und Ideologen“, so die vermeintliche Kritik von „Männer[n] der Praxis und […] Wortführer[n] der

‚wirklichen Verhältnisse‘“, würde die praktische Notwendigkeit der Sklaverei übersehen, die „weder moralisch sehr schlimm noch wirthschaftlich

tadelns-32 Anderson an Seward, 1. Juli 1862, NA Hamburg.

33 Beutin, Von 3 Ballen zum Weltmarkt, 73.

34 Vgl. Welcker, Das Wechselverhältnis, 464.

35 Beutin, Von 3 Ballen zum Weltmarkt, 73.

36 Karl Marx an Ferdinand von Freiligrath, 15. Dezember 1862, MEGA, 3. Abt., Bd. 12. Zu den Verwicklungen Manchesters und Liverpools mit der nordamerikanischen Sklaverei und den Südstaaten während des Bürgerkrieges vgl. Sherwood, After Abolition, 27–57.

37 Vgl. Hall, Afterword, 216; Overkamp, A Hinterland,162, 184.

38 Guelzo, Fateful Lightning, 282.

werth“ sei.39 Ein Korrespondent des Index, dem Sprachrohr der Konföderier-ten in England, schrieb in einem dreiseitigen Bericht Anfang November 1862 aus Bremen, dass

the South can safely reckon upon any amount of sympathy at the close of the war, when it’s trade is once more revived. [T]he South will have more sympathy than she knows what to do with, and those who now declaim loudest against her will probably beg most humbly for a portion of her trade. [T]he effect of the liberal tariff of the South would be sufficient without any inducement […] to place her business and commerce in a position [that] even outstrip[s] the trade of the North.40

In Bremen gab es diesem Bericht zufolge eine Reihe einflussreicher Händler, die sich für den ungehinderten Handel mit Tabak, Baumwolle und anderen Gütern aus den Konföderierten Staaten aussprachen und ihre Heimatstadt an vorderster Stelle unter den Fürsprechern des Handels zwischen Konföderation und Kontinentaleuropa sahen. Die geringen Tarife und Zölle Bremens und die ganzjährige Befahrbarkeit seines Hafens würden den Stadtstaat in seiner Be-deutung für den südstaatlich-europäischen Handel auf den vordersten Rang stellen.41

Mit zunehmender Geschäftshemmung durch die Blockade, so schien es, wurden die hanseatischen Sympathien für die Konföderierten Staaten immer deutlicher. Heinrich Börnstein, der sich während eines Heimaturlaubs im Sommer 1862 kurz in Washington aufhielt, spottete in einem Gespräch mit einem Regierungsbeamten, dass die Stimmung zugunsten des Südens an der Weser mittlerweile so groß sei, dass es angebrachter wäre, der Norddeutsche Lloyd taufe seinen neuesten Dampfer auf den Namen „Confederacy“, und nicht auf „Union“.42 Der hanseatische Gesandtschaftsvertreter in Washington, ein gebürtiger Bremer, reagierte deutlich pikiert über diese „Insultationen“ eines

„deutschen Flüchtlings“.43 Die fehlenden Einnahmen aus dem Baumwoll- und Tabakhandel boten in der Tat Raum für ein Sympathieübergewicht zugunsten des Südens.

Norddeutsche Kaufleute verfügten über weitverzweigte, translokale Netz-werke aus Verwandten und Geschäftspartnern in allen großen Hafenstädten der Konföderation. Die Arbeiten von Lars Maischak, Andrea Mehrländer und anderen Historikern dokumentieren sozial überaus integrierte norddeutsche Einwanderer in den südlichen Hafen- und Handelsplätzen wie New Orleans,

39Weser-Zeitung, 4. April 1861.

40The Index, 6. November 1862.

41 Vgl. The Index, 6. November 1862.

42 Rösing an Heinrich Smidt, 8. August 1862, Bremer Staatsarchiv, Senat B. 13a, Manuscript Materials relating to American History in the German State Archives, Library of Congress.

43 Ebd.

Charleston, Richmond, Wilmington oder Baltimore.44 Diese Studien sprechen insbesondere Bremen politische Ähnlichkeiten und gemeinsame Erfahrungs-horizonte mit den Südstaaten zu, da unter den Eliten beider Regionen der Par-tikularismus stark ausgeprägt gewesen sei und sich beide Gruppen gegen auf-keimende unitaristische Bewegungen und Machtansprüche behaupten muss-ten.45Vor allem im sklavenhaltenden Maryland und seiner Hauptstadt Balti-more hatte sich eine kapitalkräftige und politisch einflussreiche hanseatische Exklave gebildet.46 Es war unvermeidlich, dass die mit Bremen in Kontakt ste-henden hanseatischen Konföderierten ihre Ansichten über den Krieg zurück in die alte Heimat verfrachteten. Die mental maps von Hafen- und Küstenbe-wohnern tendieren häufig dazu, sich vom Binnenland ab- und der Ferne hin-zuwenden, was zu „virtuellen Ähnlichkeiten der sozialen Existenz“ räumlich distanzierter Gesellschaften beitragen kann.47 Die Lebenswelten zahlreicher Bremer und Südstaatler sahen sich in den frühen sechziger Jahren von kon-kurrierenden politischen Entitäten unter Druck gesetzt, die die althergebrach-ten sozialen Distinktionsmuster und Praktiken beider Gruppen zu entwurzeln drohten.48 Eine gewisse Sympathie vieler Hanseaten mit den Unabhängigkeits-bestrebungen des Südens war demnach nicht von der Hand zu weisen.

Auf der Suche nach neuen Bezugsmärkten

Die norddeutschen Kaufleute und Schiffer mussten schleunigst etwas unter-nehmen, wollten sie nicht den Anschluss an den Welthandel verlieren und zu zweitrangigen Handelspartnern verkommen. Rasch wurden erste Rufe nach neuen Märkten laut: Das Bremer Handelsblatt titelte, dass in der „Einseitigkeit der Beziehungen Bremens zu Nordamerika eine große Gefahr“ liege und viel-fach der Wunsch kursiere, es würden „die Beziehungen zu anderen wichtigen Bezugs- und Absatzländern“ ausgebaut.49 Häufig verwies die lokale Presse in

Die norddeutschen Kaufleute und Schiffer mussten schleunigst etwas unter-nehmen, wollten sie nicht den Anschluss an den Welthandel verlieren und zu zweitrangigen Handelspartnern verkommen. Rasch wurden erste Rufe nach neuen Märkten laut: Das Bremer Handelsblatt titelte, dass in der „Einseitigkeit der Beziehungen Bremens zu Nordamerika eine große Gefahr“ liege und viel-fach der Wunsch kursiere, es würden „die Beziehungen zu anderen wichtigen Bezugs- und Absatzländern“ ausgebaut.49 Häufig verwies die lokale Presse in

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