23
2.3 Lineare Systeme
Wir wollen Systeme von linearen Differentialgleichungen 1. Ordnung ¨ uber einem offenen Intervall I ⊂ R untersuchen:
y
0= y · A(t)
>+ b(t),
mit stetigen Abbildungen A : I → M
n,n( R ) und b : I → R
n. Wie im Falle li- nearer Gleichungen beginnt man mit dem homogenen Fall b(t) ≡ 0. Die stetige Abbildung
F(t, y) := y · A(t)
>ist auf ganz I × R
ndefiniert und gen¨ ugt dort lokal einer Lipschitz-Bedingung, denn es ist
kF(t, y
1) − F(t, y
2)k = k(y
1− y
2) · A(t)
>k ≤ ky
1− y
2k · kA(t)k
op.
3.1. Der L¨ osungsraum einer homogenen linearen DGL
Ist die lineare DGL y
0= F(t, y) ¨ uber I = (a, b) definiert, so ist auch jede ma- ximale L¨ osung ¨ uber I definiert, und die Menge aller maximalen L¨ osungen bildet einen reellen Vektorraum.
Beweis: Sei J = (t
−, t
+) ⊂ I, t
0∈ J und ϕ : J → R
neine maximale L¨ osung mit ϕ(t
0) = y
0. Wir nehmen an, es sei t
+< b. Dann ist kA(t)k
opauf [t
0, t
+] beschr¨ ankt, etwa durch eine Zahl k > 0. Wir wenden die fundamentale Absch¨ atzung auf die beiden L¨ osungen ϕ und ψ(x) ≡ 0 an. Damit ist kϕ(t)k ≤ ky
0k·e
k(t+−t0), bleibt also auf [t
0, t
+) beschr¨ ankt. Das bedeutet, dass die Integralkurve t 7→ (t, ϕ(t)) im Innern von I × R
nendet, und das kann nicht sein. Also muss t
+= b (und entsprechend dann auch t
−= a) sein.
Dass die Menge aller (maximalen) L¨ osungen dann einen Vektorraum bildet, ist trivial.
Sei L der (reelle) Vektorraum aller L¨ osungen ¨ uber I. F¨ ur ein festes t
0∈ I sei E : L → R
ndefiniert durch E(ϕ) := ϕ(t
0).
1Dann ist E offensichtlich linear, und aus dem globalen Existenz- und Eindeutigkeitssatz und dem obigen Resultat folgt, dass E bijektiv ist, also ein Isomorphismus von L auf R
n. Daraus folgt:
Der L¨ osungsraum L eines homogenen linearen Systems y
0= y · A(t)
>in I × R
nist ein n-dimensionaler R -Untervektorraum von C
1(I, R
n).
Eine Basis {ϕ
1, . . . , ϕ
n} von L bezeichnet man auch als Fundamentalsystem (von L¨ osungen), die Matrix
1
”E“ steht f¨urevaluate (auswerten).
X(t) := ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t) nennt man Fundamentalmatrix. Sie erf¨ ullt die Gleichung
X
0(t) = A(t) · X(t).
Wir erinnern uns an einige Tatsachen aus der Determinantentheorie. Sei A ∈ M
n,n( R ) und S
ij(A) die Streichungsmatrix, die durch Streichen der i-ten Zeile und der j-ten Spalte aus A entsteht. Dann wird die Zahl A
ij:= (−1)
i+jdet S
ij(A) als Cofaktor, algebraisches Komplement oder Adjunkte bezeichnet, und der La- place’sche Entwicklungssatz besagt: F¨ ur beliebiges k und beliebiges l ist
det(A) =
n
X
i=1
a
il· A
il=
n
X
j=1
a
kj· A
kj.
Man beachte: Sind a
1, . . . , a
ndie Zeilen der Matrix A, so ist A
ij= det a
1, . . . , a
i−1, e
j, a
i+1, . . . , a
n, und die Koeffizienten a
i1, . . . , a
inkommen in A
ijnicht vor.
Die Matrix ad(A) :=
A
iji = 1, . . . , n j = 1, . . . , n
heißt adjungierte Matrix zu A.
3.2. Hilfssatz
1. Ist A ∈ M
n,n( R ), so ist (det A) · E
n= A · ad(A)
>. 2. Ist t 7→ A(t) ∈ M
n,n( R ) differenzierbar, so ist
(det ◦A)
0(t) = X
i,j
a
0ij(t) · A
ij(t).
Beweis: 1) Seien a
1, . . . , a
ndie Zeilen der Matrix A. Dann ist A · ad(A)
>ij
=
n
X
k=1
a
ikA
jk=
n
X
k=1
a
ikdet(a
1, . . . , a
j−1, e
k, a
j+1, . . . , a
n)
= det(a
1, . . . , a
j−1,
n
X
k=1
a
ike
k, a
j+1, . . . , a
n)
= det(a
1, . . . , a
j−1, a
i, a
j+1, . . . , a
n)
= δ
ij· det A.
2) Weil A
ijvon a
ijnicht abh¨ angt, folgt mit dem Entwicklungssatz
2.3 Lineare Systeme 25
∂ det
∂a
ij(A) = ∂
∂a
ijn
X
k=1
a
kj· A
kj!
=
n
X
k=1
δ
ikA
kj= A
ij, nach Kettenregel also
(det ◦A)
0(t) = X
i,j
∂ det
∂a
ij(A(t)) · a
0ij(t) = X
i,j
a
0ij(t) · A
ij(t).
Definition
Sind ϕ
1, . . . , ϕ
n: I → R
nirgendwelche (differenzierbare) Funktionen, so nennt man
W (ϕ
1, . . . , ϕ
n)(t) := det(ϕ
1(t), . . . , ϕ
n(t)) die Wronski-Determinante von ϕ
1, . . . , ϕ
n.
3.3. Die Formel von Liouville
Die Wronski-Determinante W (t) eines Systems von L¨ osungen der DGL y
0= y · A(t)
>erf¨ ullt die gew¨ ohnliche Differentialgleichung
z
0= z · SpurA(t) .
Ist W (t) sogar die Wronski-Determinante einer Fundamentalmatrix, so ist W (t) 6= 0 f¨ ur alle t ∈ I, und f¨ ur beliebiges (festes) t
0∈ R ist
W (t) = W (t
0) · exp Z
tt0
SpurA(s) ds
.
Beweis: Sei X(t) = (x
ij(t)) = (ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)) und W (t) = det X(t). Dann ist
W
0(t) = (det ◦X)
0(t)
= X
i,j
x
0ij(t) · (ad(X))
ij(t)
=
n
X
i=1
(X
0(t) · ad(X)
>(t))
ii= Spur X
0(t) · ad(X)
>(t) . Da die Spalten von X(t) L¨ osungen der DGL sind, ist
X
0(t) = A(t) · X(t),
also
W
0(t) = Spur A(t) · X(t) · ad(X)
>(t)
= Spur A(t) · (det X(t) · E
n)
= W (t) · SpurA(t).
Sei X(t) = ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)
eine Fundamentalmatrix. Gibt es ein t
0∈ I mit W (t
0) = 0, so gibt es reelle Zahlen c
ν, nicht alle = 0, so dass P
ν
c
νϕ
ν(t
0) = 0 ist.
Die Funktion ϕ := P
ν
c
νϕ
νist L¨ osung der DGL und verschwindet in t
0. Nach dem Eindeutigkeitssatz muss dann ϕ(t) ≡ 0 sein. Also sind ϕ
1, . . . , ϕ
nlinear abh¨ angig und k¨ onnen kein Fundamentalsystem sein. Widerspruch!
Also ist W (t) 6= 0 und X(t) invertierbar f¨ ur alle t ∈ I. Außerdem ist (ln ◦W )
0(t) = W
0(t)
W (t) = SpurA(t), also
ln W (t) W (t
0)
= ln W (t) − ln W (t
0) = Z
tt0
SpurA(s) ds.
Wendet man exp an, so erh¨ alt man die Liouville-Formel.
3.4. Die Fundamentall¨ osung
Sei A : I → M
n,n( R ) stetig.
1. Zu jedem t
0∈ I gibt es genau eine Fundamentalmatrix X
0der DGL y
0= y · A(t)
>mit X
0(t
0) = E
n(= n-reihige Einheitsmatrix).
F¨ ur t ∈ I wird dann C(t, t
0) := X
0(t) ∈ M
n,n( R ) gesetzt.
2. Ist y
0∈ R
n, so ist ϕ(t) := y
0· C(t, t
0)
>die eindeutig bestimmte L¨ osung mit ϕ(t
0) = y
0.
3. Die Matrix C(t, t
0) ist stets invertierbar, und f¨ ur s, t, u ∈ I gilt:
(a) C(s, t) · C(t, u) = C(s, u).
(b) C(t, t) = E
n, (c) C(s, t)
−1= C(t, s).
4. Ist {a
1, . . . , a
n} eine Basis des R
n, so wird durch ϕ
ν(t) := a
ν· C(t, t
0)
>ein Fundamentalsystem von L¨ osungen mit ϕ
ν(t
0) = a
νdefiniert.
Beweis: 1) Es gibt eindeutig bestimmte L¨ osungen ϕ
1, . . . , ϕ
n, so dass ϕ
ν(t
0) =
e
νder ν-te Einheitsvektor ist. Da die Einheitsvektoren eine Basis des R
nbilden
und die Evaluationsabbildung E ein Isomorphismus ist, bilden die ϕ
νeine Basis
2.3 Lineare Systeme 27
des L¨ osungsraumes. X
0:= (ϕ
>1, . . . , ϕ
>n) ist dann die (eindeutig bestimmte) Fun- damentalmatrix mit X
0(t
0) = E
n.
2) Da X
0(t) = C(t, t
0) eine Fundamentalmatrix ist, erf¨ ullt ϕ(t) := y
0· C(t, t
0)
>die DGL. Es ist n¨ amlich
ϕ
0(t) = y
0· X
0>(t)
0= y
0· X
0>(t) · A
>(t)
= ϕ(t) · A
>(t).
Nach Konstruktion ist C(t
0, t
0) = E
n, also ϕ(t
0) = y
0.
3) Weil W (t) = det C(t, t
0) nirgends verschwindet, ist C(t, t
0) immer invertierbar.
Sei y beliebig, t, u ∈ I beliebig, aber fest, sowie s ∈ I beliebig (variabel). Wir setzen ϕ(s) := y · C(s, u)
>und ψ(s) := ϕ(t) · C(s, t)
>. Dann ist ψ(t) = ϕ(t), also auch ψ(s) = ϕ(s) f¨ ur alle s ∈ I. Daraus folgt:
y · C(s, u)
>= ϕ(s) = ψ(s)
= ϕ(t) · C(s, t)
>= y · C(t, u)
>· C(s, t)
>= y · C(s, t) · C(t, u)
>.
Weil C(s, u) invertierbar ist, folgt die Gleichung C(s, u) = C(s, t) · C(t, u).
4) ist trivial.
Leider ist es im allgemeinen nicht m¨ oglich, die L¨ osungen eines homo- genen linearen Systems explizit anzugeben! In Einzelf¨ allen kann es aber durchaus L¨ osungsmethoden geben.
Wir betrachten nun den inhomogenen Fall y
0= y · A(t)
>+ b(t). Wie im homo- genen Fall kann man zeigen, dass alle L¨ osungen ¨ uber ganz I definiert sind. Da die Differenz zweier L¨ osungen der inhomogenen Gleichung eine L¨ osung der homogenen Gleichung ist, bilden die L¨ osungen der inhomogenen Gleichung einen affinen Raum, und es gen¨ ugt, eine partikul¨ are L¨ osung des inhomogenen Systems zu finden. Wir benutzen hier wieder (wie im Falle einer Gleichung erster Ordnung) die Methode der Variation der Kostanten.
Ist X(t) = (ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)) eine Fundamentalmatrix, so ist die L¨ osungsgesamt- heit des homogenen Systems die Menge der Linearkombinationen
c
1· ϕ
1(t) + · · · + c
n· ϕ
n(t).
F¨ ur eine partikul¨ are L¨ osung der inhomogenen Gleichung machen wir den Ansatz ϕ
p(t) := c
1(t) · ϕ
1(t) + · · · + c
n(t) · ϕ
n(t) = c(t) · X(t)
>.
Dann ist
ϕ
0p(t) = c
0(t) · X(t)
>+ c(t) · X
0(t)
>= c
0(t) · X(t)
>+ c(t) · A(t) · X(t)
>= c
0(t) · X(t)
>+ ϕ
p(t) · A(t)
>.
Also gilt:
ϕ
p(t) ist L¨ osung ⇐⇒ ϕ
0p(t) = ϕ
p(t) · A(t)
>+ b(t)
⇐⇒ c
0(t) · X(t)
>= b(t)
⇐⇒ c
0(t) = b(t) · (X(t)
>)
−1⇐⇒ c(t) = c(t
0) + Z
tt0
b(s) · (X(s)
>)
−1ds . Ist X(t) = C(t, t
0), also X(t
0) = E
n, so ist
ϕ
p(t) = c(t) · X(t)
>=
y
0+ Z
tt0
b(s) · C(t
0, s)
>ds
· C(t, t
0)
>die partikul¨ are L¨ osung ϕ
pmit ϕ
p(t
0) = y
0.
Eine homogene lineare DGL n-ter Ordnung hat die Gestalt y
(n)+ a
n−1(x)y
(n−1)+ · · · + a
1(x)y
0+ a
0(x)y = 0 .
Das zugeordnete lineare System hat dann – in Spaltenschreibweise – die Form
y
01.. . .. . y
n0
=
0 1 · · · 0
.. . . .. .. .
0 0 · · · 1
−a
0(t) −a
1(t) · · · −a
n−1(t)
·
y
1.. . .. . y
n
.
Ist {f
1, . . . , f
n} eine Basis des L¨ osungsraumes der DGL n-ter Ordnung, so erhalten wir f¨ ur das System die Fundamentalmatrix
X(t) =
f
1f
2· · · f
nf
10f
20· · · f
n0.. . .. . .. . f
1(n−1)f
2(n−1)· · · f
n(n−1)
.
3.5. Beispiel
Wir betrachten eine gew¨ ohnliche inhomogene lineare DGL 2. Grades, y
00+ a
1(x)y
0+ a
0(x)y = r(x).
Dem entspricht das lineare System y
0= y · A(t)
>+ b(t) mit A(t) =
0 1
−a
0(t) −a
1(t)
und b(t) = (0, r(t)).
29
Eine Fundamentalmatrix hat die Gestalt X(t) =
y
1(t) y
2(t) y
10(t) y
20(t)
.
Dann ist W (t) = det X(t) = y
1(t)y
20(t)−y
10(t)y
2(t) die Wronski-Determinante, und die Matrix X(t)
−1kann durch die Formel
X(t)
−1= 1 W (t) ·
y
20(t) −y
2(t)
−y
10(t) y
1(t)
berechnet werden. Also ist
b(s) · (X(s)
>)
−1= 1
W (s) (0, r(s)) ·
y
20(s) −y
01(s)
−y
2(s) y
1(s)
= 1
W (s) −y
2(s)r(s), y
1(s)r(s) ,
und ϕ
p(t) = Z
tt0
b(s) · (X(s)
>)
−1ds
· X(t)
>ist eine partikul¨ are L¨ osung des (inhomogenen) Systems mit ϕ
p(t
0) = 0. Die 1. Komponente davon ist L¨ osung der gew¨ ohnlichen Differentialgleichung 2. Ordnung. Das ist
ϕ(t) = y
1(t) · Z
tt0
−y
2(s)r(s)
W (s) ds + y
2(t) · Z
tt0
y
1(s)r(s) W (s) ds , und ϕ = (ϕ, ϕ
0) ist L¨ osung des Systems.
Die Funktion G(s, t) := y
2(t)y
1(s) − y
1(t)y
2(s)
W (s)
−1bezeichnet man auch als Green’sche Funktion. Offensichtlich ist ϕ(t) =
Z
t t0G(s, t)r(s) ds.
Im Falle der konkreten DGL y
00+ y
0− 2y = e
xl¨ osen ϕ
1(x) := e
xund ϕ
2(x) :=
e
−2xdie zugeh¨ orige homogene Gleichung. Weil W (x) = det
ϕ
1(x) ϕ
2(x) ϕ
01(x) ϕ
02(x)
= det
e
xe
−2xe
x−2e
−2x= −3e
−x6= 0 ist, bilden ϕ
1und ϕ
2sogar eine Basis des L¨ osungsraumes. Man berechnet dann
G(s, t) = 1
3 e
te
−s− e
−2te
2sund erh¨ alt als L¨ osung der inhomogenen Gleichung
ϕ(t) = Z
tt0
G(s, t)r(s) ds = 1 3
Z
t t0e
t− e
−2te
3sds = 1
3 te
t− 1
9 e
t.
2.4 Systeme mit konstanten Koeffizienten
Wir erinnern uns: Ist (X
n) eine Folge von Matrizen in M
n,n( R ), so gilt:
Ist
∞
X
n=0
kX
nk
op< ∞, so konvergiert
∞
X
n=0
X
nin M
n,n( R ).
4.1. Beispiel
Sei A ∈ M := M
n,n( R ). Dann ist A
0:= E
n(= Einheitsmatrix) und A
n:=
A · . . . · A
| {z }
n-mal
, und die Reihe
∞
X
n=0
1
n! kAk
nopkonvergiert in R (gegen e
kAkop). Daher konvergiert auch die Reihe
∞
X
n=0
1
n! A
nin M . Den Grenzwert der Reihe
∞
X
n=0
1
n! A
nbezeichnen wir mit e
A.
Sei nun I ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall, und f¨ ur jedes n ∈ N sei F
n: I → M eine stetige Funktion. Gibt es eine Folge positiver reeller Zahlen (a
n), so dass P
∞n=0
a
n< ∞ und kF
n(t)k
op≤ a
nf¨ ur alle n und alle t ∈ I ist, so konvergiert die Reihe P
∞n=0
F
n(t) auf I gleichm¨ aßig gegen eine stetige Funktion F (t).
4.2. Satz
Ist A ∈ M, so ist f : R → M mit f (t) := e
Ateine differenzierbare Funktion und f
0(t) = A · e
At.
Beweis: Es sei S
N(t) :=
N
X
n=0
1
n! (At)
n. Dann konvergiert die Folge der S
Nauf jedem abgeschlossenen Intervall gleichm¨ aßig gegen die Funktion f (t). Weiter ist S
Ndifferenzierbar und
S
N0(t) =
N
X
n=1
1
(n − 1)! A
nt
n−1= A ·
N−1
X
n=0
1 n! A
nt
n.
Offensichtlich konvergiert die Folge der Funktionen S
N0(t) (gleichm¨ aßig auf I) gegen A · e
At. Aber dann ist f differenzierbar und f
0(t) = lim
N→∞
S
N0(t) = A · e
At.
Ist A ∈ M, so nennt man die DGL y
0= y · A
>ein lineares System mit kon-
stanten Koeffizienten. Es gilt daf¨ ur alles, was wir ¨ uber lineare Systeme gelernt
haben, und noch viel mehr.
2.4 Systeme mit konstanten Koeffizienten 31
4.3. Die L¨ osung eines Systems mit konstanten Koeffizien- ten
Sei A ∈ M
n,n(K ). Die eindeutig bestimmte Fundamentalmatrix X(t) des linearen Systems
y
0= y · A
>mit X(0) = E ist gegeben durch X(t) := e
tA.
Beweis: Es ist X
0(t) = A · X(t) und X(0) = E. Nach dem globalen Existenz- und Eindeutigkeitssatz ist damit schon alles bewiesen.
4.4. Eigenschaften der Exponentialfunktion
1. F¨ ur s, t ∈ R ist e
sA· e
tA= e
(s+t)A. 2. Ist A · B = B · A, so ist e
A+B= e
A· e
B.
3. Die Matrix e
Aist stets invertierbar. Insbesondere gilt:
det(e
A) = e
Spur(A). Beweis: Ist A · B = B · A, so ist
B ·
N
X
k=0
1
k! (tA)
k=
N
X
k=0
1
k! B · (tA)
k=
N
X
k=0
1
k! (tA)
k· B, also (nach ¨ Ubergang zum Limes) B · e
tA= e
tA· B.
Wir setzen F (t) := e
t(A+B)− e
tA· e
tB. Dann gilt:
F
0(t) = (A + B) · e
t(A+B)− A · e
tA· e
tB− e
tA· B · e
tB= (A + B) · (e
t(A+B)− e
tA· e
tB)
= (A + B) · F (t).
F (t) ist also die eindeutig bestimmte Fundamentalmatrix der DGL y
0= y · (A + B)
>mit F (0) = 0 .
Daher muss F (t) ≡ 0 sein, d.h.
e
t(A+B)= e
tA· e
tB. 2) F¨ ur t = 1 erh¨ alt man: e
A+B= e
A· e
B.
1) Die Matrizen sA und tA sind nat¨ urlich vertauschbar. Also ist
e
(s+t)A= e
sA+tA= e
sA· e
tA.
3) Es ist e
A· e
−A= e
0= E, also e
Ainvertierbar, mit (e
A)
−1= e
−A.
det(e
tA) ist die Wronski-Determinante der Fundamentalmatrix X(t) := e
tA. Aus der Liouville-Formel ergibt sich (mit t
0= 0):
det(e
tA) = exp(
Z
t 0Spur(A) ds) = e
t·Spur(A). Mit t = 1 erh¨ alt man die gew¨ unschte Formel.
4.5. Folgerung
1. Die Fundamentall¨ osung C(t, t
0) des Systems y
0= y · A
>ist gegeben durch C(t, t
0) = e
A(t−t0).
2. Ist {y
1, . . . , y
n} eine Basis des R
n, so bilden die Funktionen ϕ
ν(t) := y
ν· e
A>t, ν = 1, . . . , n,
ein Fundamentalsystem von L¨ osungen.
3. Ist B invertierbar, so ist B
−1· e
A· B = e
B−1·A·B.
Beweis: 1) Setzt man X(t) := e
A(t−t0), so ist X
0(t) = A · X(t) und X(t
0) = E
n. Also ist C(t, t
0) = e
A(t−t0).
2) Die L¨ osung ϕ
νmit ϕ
ν(0) = y
νist gegeben durch ϕ
ν(t) = y
ν·C(t, 0)
>= y
ν·e
A>t, denn es ist
(e
A)
>= e
A>.
3) X(t) := B
−1· e
At· B und Y (t) := e
(B−1·A·B)tsind beides Fundamental-L¨ osungen von y
0= y · (B
−1· A · B) mit X(0) = Y (0) = E
n, denn es ist
X
0(t) = B
−1· A · e
At· B = (B
−1· A · B) · (B
−1· e
At· B) = (B
−1· A · B) · X(t) und
Y
0(t) = (B
−1· A · B) · e
(B−1·A·B)t= (B
−1· A · B) · Y (t) .
Aber dann muss X(t) = Y (t) f¨ ur alle t ∈ R sein, insbesondere X(1) = Y (1).
Wir versuchen nun, die Exponentialfunktion von Matrizen zu berechnen.
Wir beginnen mit dem einfachsten Fall, mit Diagonalmatrizen. F¨ ur λ
1, . . . , λ
n∈ R bezeichne D = ∆(λ
1, . . . , λ
n) die aus den λ
igebildete Diagonalmatrix. Dann ist D
k= ∆(λ
k1, . . . , λ
kn) und
N
X
k=1
1
k! D
k= ∆ X
Nk=1
1
k! λ
k1, . . . ,
N
X
k=1
1 k! λ
kn.
2.4 Systeme mit konstanten Koeffizienten 33
L¨ asst man nun N gegen Unendlich gehen, so erh¨ alt man e
D= ∆(e
λ1, . . . , e
λn).
Der n¨ achst-einfache Fall ist der von diagonalisierbaren Matrizen. Eine Matrix A heißt diagonalisierbar, wenn es eine invertierbare Matrix P gibt, so dass D :=
P
−1· A · P eine Diagonalmatrix ist. Dann ist e
A= e
P·D·P−1= P · e
D· P
−1. F¨ ur den allgemeinen Fall m¨ ussen wir uns an die Eigenwert-Theorie erinnern.
Sei A ∈ M
n,n( R ) und f
A: R
n→ R
nder durch f
A(x) := x · A
>definierte En- domorphismus. Eine reelle Zahl λ heißt Eigenwert von A, falls es einen Vektor x
06= 0 gibt, so dass f
A(x
0) = λx
0ist. Der Vektor x
0heißt dann Eigenvek- tor von A zum Eigenwert λ. Er ist eine nichttriviale L¨ osung des Gleichungs- systems (A − λ · E
n) · x
>= 0
>. Eine solche L¨ osung gibt es genau dann, wenn det(A − λ · E
n) = 0 ist.
Die Eigenwerte von A sind daher genau die Nullstellen des charakteristischen Polynoms p
A(x) := det(A − x · E
n). Nach dem Fundamentalsatz der Alge- bra zerf¨ allt jedes Polynom ¨ uber C in Linearfaktoren. Also besitzt jede Matrix A ∈ M
n,n( R ) genau n
” komplexe Eigenwerte“ (mit Vielfachheit gez¨ ahlt). Die Ei- genvektoren zu komplexen Eigenwerten sind dann allerdings Elemente des C
n.
4.6. Lemma
Sei λ ein Eigenwert der Matrix A und y
0ein zugeh¨ origer Eigenvektor. Dann ist ϕ(t) := e
λty
0eine L¨ osung der DGL y
0= y · A
>.
Beweis: Setzt man ϕ(t) := e
λty
0, so ist
ϕ
0(t) = λe
λty
0= e
λt(λy
0) = e
λt(y
0· A
>) = (e
λty
0) · A
>= ϕ(t) · A
>. Also ist ϕ L¨ osung der DGL.
Indem man ¨ uber C arbeitet, kann man davon ausgehen, dass das charakteristische Polynom p
A(x) in Linearfaktoren zerf¨ allt. Wenn es eine Basis aus Eigenvektoren von A gibt, ist A diagonalisierbar. Das ist z.B. dann der Fall, wenn alle Nullstellen von p
A(x) einfach sind. Allerdings ist diese Bedingung nicht notwendig.
Sei λ Eigenwert der Matrix A. Ein Vektor v heißt Hauptvektor von A zum Ei- genwert λ, falls es ein j ∈ N gibt, so dass gilt:
v ∈ Ker(f
A− λ id)
j.
Die kleinste nat¨ urliche Zahl j mit dieser Eigenschaft nennt man die Stufe von
v. Der Nullvektor ist der einzige Hauptvektor der Stufe 0, die Eigenvektoren zum
Eigenwert λ sind die Hauptvektoren der Stufe 1. Alle Hauptvektoren zum Eigenwert
λ bilden den sogenannten Hauptraum H
A(λ).
Ist p
A(x) = (−1)
n(x − λ
1)
n1(x − λ
2)
n2· · · (x − λ
k)
nk, so ist dim H
A(λ
i) = n
i, f¨ ur i = 1, . . . , k, sowie R
n= H
A(λ
1)⊕ . . .⊕H
A(λ
k). Die Hauptr¨ aume sind alle invariant unter f
A: Ist n¨ amlich v ∈ H
A(λ
i) und j die Stufe von v, so ist
(f
A− λ
iid)
jf
A(v)
= f
A◦ (f
A− λ
iid)
jv = f
A(0) = 0.
Daraus ergibt sich der Satz von der Jordan’schen Normalform. Außerdem gilt:
Ist g
i:= f
A− λ
iid
|
HA(λi), so ist (g
i)
ni= 0, also g
i” nilpotent“.
4.7. Die L¨ osung linearer DGL-Systeme
1. A besitze n verschiedene (reelle) Eigenwerte λ
1, . . . , λ
n(jeweils mit Viel- fachheit 1), und {y
1, . . . , y
n} sei eine dazu passende Basis von Eigenvek- toren von A. Dann bilden die n Funktionen ϕ
ν(t) := e
λνt· y
νein Funda- mentalsystem von L¨ osungen der DGL y
0= y · A
>.
2. Hat A nur k verschiedene (reelle) Eigenwerte λ
1, . . . , λ
kmit Vielfachheiten n
1, . . . , n
k, so gibt es ein Fundamentalsystem von L¨ osungen, welches f¨ ur ν = 1, . . . , k aus jeweils n
νFunktionen der Gestalt q
νµ(t) · e
λνtbesteht, µ = 1, . . . , n
ν. Dabei ist q
νµ(t) jeweils ein Vektor von Polynomen vom Grad ≤ n
ν− 1.
Beweis: 1) Auf Grund des Lemmas ist klar, dass die ϕ
νL¨ osungen sind. Weil {y
1, . . . , y
n} eine Basis des R
nist, verschwindet die Wronski-Determinante W (t) = W (ϕ
1, . . . , ϕ
n)(t) nicht in t = 0. Aber dann ist W (t) 6= 0 f¨ ur alle t, und {ϕ
1, . . . , ϕ
n} eine Basis des L¨ osungsraumes.
2) Wir k¨ onnen annehmen, dass k = 1 ist, dass es also nur einen einzigen Eigenwert λ mit Vielfachheit n gibt. Dann ist (A − λ · E)
n= 0, also A = λ · E + N , mit der nilpotenten Matrix N := A − λ · E.
Weil die Diagonalmatrix (λt)E mit jeder Matrix vertauscht werden kann, ist e
At= e
(λt)E+N t= e
(λt)E· e
N t= e
λt·
n−1
X
ν=0
1
ν! N
νt
ν.
Nun sei {y
1, . . . , y
n} eine Basis des R
nund a
νµ:= y
µ· (N
ν)
>f¨ ur ν = 0, . . . , n − 1 und µ = 1, . . . , n. Dann ist
ϕ
µ(t) := y
µ· e
A>t= e
λt· y
µ·
n−1
X
ν=0
1
ν! (N
ν)
>t
ν= e
λt· y
µ· E + t(A
>− λE ) + t
22 (A
>− λE)
2+ · · ·
= e
λt· q
µ(t), wobei q
µ(t) :=
n−1
X
ν=0
t
νν! · a
νµein Vektor von Polynomen vom Grad ≤ n − 1 ist.
2.4 Systeme mit konstanten Koeffizienten 35
Eine L¨ osungsmethode besteht nun darin, die Polynome mit unbestimmten Koeffi- zienten anzusetzen, das Ergebnis in die DGL einzusetzen und auf den Koeffizien- tenvergleich zu hoffen.
4.8. Beispiel
Sei A :=
0 1 −1
−2 3 −1
−1 1 1
. Wir wollen die DGL y
0= y · A
>l¨ osen.
Zun¨ achst bestimmen wir die Eigenwerte von A als Nullstellen des charakte- ristischen Polynoms. Nach Laplace ergibt die Entwicklung nach der ersten Zeile:
p
A(t) = det(A − tE ) = (−t)[(3 − t)(1 − t) + 1] − [(−2)(1 − t) − 1]
− [−2 + (3 − t)]
= (−t)(t
2− 4t + 4) − (2t − 3) − (1 − t)
= −t
3+ 4t
2− 5t + 2 = −(t − 1)
2(t − 2).
Der Eigenwert λ = 2 hat die Vielfachheit 1. Man findet sofort einen Eigen- vektor dazu, n¨ amlich u := (0, 1, 1). Das ergibt die erste L¨ osung
ϕ
1(t) := (0, 1, 1) · e
2t.
Der Eigenwert λ = 1 hat die (algebraische) Vielfachheit 2, aber der Eigen- raum hat nur die Dimension 1, eine Basis bildet der Eigenvektor v := (1, 1, 0).
Das ergibt
ϕ
2(t) := (1, 1, 0) · e
t.
Da A nicht diagonalisierbar ist, machen wir f¨ ur eine dritte L¨ osung den Ansatz ϕ
3(t) = (q
1+ p
1t, q
2+ p
2t, q
3+ p
3t)e
t.
Weil mit ϕ
1, ϕ
2und ϕ
3auch die L¨ osungen ϕ
1, ϕ
2und ϕ
3− cϕ
2eine Basis bilden, k¨ onnen wir annehmen, dass q
1= 0 ist.
Setzt manϕ3(t) in die DGL ein, so erh¨alt man die Beziehung p1+p1t,(p2+q2) +p2t,(p3+q3) +p3t
=
= (p1t, q2+p2t, q3+p3t)·
0 1 −1
−2 3 −1
−1 1 1
>
= (q2−q3) + (p2−p3)t,(3q2−q3) + (−2p1+ 3p2−p3)t,(q2+q3) + (−p1+p2+p3)t ,
also
p
1+ p
1t = (q
2− q
3) + (p
2− p
3)t,
(q
2+ p
2) + p
2t = (3q
2− q
3) + (−2p
1+ 3p
2− p
3)t,
(q
3+ p
3) + p
3t = (q
2+ q
3) + (−p
1+ p
2+ p
3)t.
Der Vergleich der Koeffizienten bei t liefert
p
1= p
2− p
3und p
1= p
2, also p
3= 0.
Setzen wir α := p
1= p
2, so ergibt der Vergleich der Koeffizienten bei 1 : q
2− q
3= α, 2q
2− q
3= α und daher q
2= 0 und q
3= −α.
So erhalten wir
ϕ
3(t) = αt, αt, −α e
t.
Nat¨ urlich k¨ onnen wir jetzt α = 1 setzen, also ϕ
3(t) := (t, t, −1)e
t. Eine weitere Methode benutzt direkt die Darstellung A = λE
n+ N :
Sei λ Eigenwert der Matrix A mit Vielfachheit k, der Eigenraum habe die Dimen- sion 1, v
1sei ein Eigenvektor. Dann ist v
1· (A
>− λE
n) = 0 und ϕ
1(t) := e
λtv
1eine L¨ osung.
Ist k > 1, so muss es einen Vektor v
26= 0 mit
v
2· (A
>− λE
n) 6= 0, aber v
2· (A
>− λE
n)
k= 0
geben. Nat¨ urlich ist auch ϕ
2(t) := v
2· e
A>teine L¨ osung (mit ϕ
2(0) = v
2). Dabei ist
e
A>t= e
λtk−1
X
ν=0
t
νν! (A
>− λE)
ν. Ist v
2· (A
>− λE
n)
2= 0, so ist
ϕ
2(t) = e
λtv
2· e
(A>−λE)t= e
λtv
2+ tv
2· (A
>− λE
n) .
Ist {v
1, v
2} eine Basis des Raumes {v ∈ R
n: v · (A
>− λE
n)
2= 0} und k > 2, so gibt es einen Vektor v
36= 0 mit
v
3· (A
>− λE
n)
26= 0, aber v
3· (A
>− λE
n)
k= 0.
Ist v
3· (A
>− λE
n)
3= 0, so ist
ϕ
3(t) = e
λtv
3· e
(A>−λEn)t= e
λtv
3+ tv
3· (A
>− λE
n) + t
22 v
3· (A
>− λE
n)
2. Bei 3 × 3-Matrizen kommt man damit immer aus.
4.9. Beispiele
A. Wir betrachten noch einmal die DGL y
0= y ·
0 1 −1
−2 3 −1
−1 1 1
>