1 Differentialgleichungen
1.1 Beispiele und Methoden
Was ist eine Differentialgleichung?
Ist k ∈ N , G ⊂ R × R
k+1ein Gebiet und F : G → R eine (zun¨ achst beliebige) Funktion, so nennt man
F (x, y, y
0, y
00, . . . , y
(k)) = 0 (*) eine gew¨ ohnliche Differentialgleichung k-ter Ordnung.
Diese Definition wird erst klar, wenn wir sagen, was eine L¨ osung einer solchen Gleichung ist.
Eine L¨ osung der DGL (*) ist eine Funktion ϕ : I → R mit folgenden Eigenschaf- ten:
1. I ⊂ R ist ein Intervall und ϕ ist k-mal differenzierbar.
2. F¨ ur alle x ∈ I ist (x, ϕ(x), ϕ
0(x), . . . , ϕ
(k)(x)) ∈ G und F (x, ϕ(x), ϕ
0(x), . . . , ϕ
(k)(x)) = 0.
Ein Satz Anfangsbedingungen f¨ ur die DGL (*) besteht aus einem Punkt x
0∈ I und einem Vektor c = (c
0, c
1, . . . , c
k−1) ∈ R
k. Eine L¨ osung ϕ erf¨ ullt die Anfangs- bedingungen, wenn gilt:
ϕ(x
0) = c
0, ϕ
0(x
0) = c
1, . . . , ϕ
(k−1)(x
0) = c
k−1.
Hauptproblem der Theorie der DGLn ist die Existenz und Eindeutigkeit von L¨ osun- gen. Dabei beschr¨ ankt man sich meist auf sogenannte explizite Differentialglei- chungen der Form
y
(k)= f (x, y, y
0, . . . , y
(k−1)).
1.1.1. Beispiele
A. Die DGL y
0= ay (mit positiver Konstante a) tritt auf, wenn Wachstumspro- zesse beschrieben werden sollen.
Offensichtlich ist die Funktion ϕ
0(x) ≡ 0 eine L¨ osung. Ist ϕ eine beliebige L¨ osung, so setzen wir Φ(x) := ϕ(x)e
−ax. Dann ist
Φ
0(x) = (ϕ
0(x) − a · ϕ(x))e
−ax≡ 0,
also Φ(x) ≡ c konstant und ϕ(x) = c · e
ax. Die Probe zeigt, dass dies tats¨ achlich eine L¨ osung ist. Gleichzeitig ergibt sich aus unserer Argumen- tation, dass jede L¨ osung so aussehen muss. Dabei ist c = ϕ(0), insbesondere kann auch c = 0 sein.
Zu jeder Anfangsbedingung gibt es genau eine L¨ osung.
B. Die Gleichung y
0= √
y ist nicht eindeutig l¨ osbar. Neben der L¨ osung ϕ
0(x) ≡ 0 ist auch jede der Funktionen
ϕ
α(x) :=
0 f¨ ur x ≤ α, (x − α)
2/4 f¨ ur x > α, f¨ ur jedes α ≥ 0 eine L¨ osung mit ϕ
α(0) = 0.
Bevor wir weitere Beispiele betrachten, wollen wir sehen, dass es reicht, Systeme von expliziten DGLn 1. Ordnung zu betrachten. Ein System von DGLn 1. Ordnung sieht i.a. folgendermaßen aus:
y
10= f
1(x, y
1, . . . , y
k) y
20= f
2(x, y
1, . . . , y
k)
.. .
y
0k= f
k(x, y
1, . . . , y
k)
Eine L¨ osung eines solchen Systems ist ein System von differenzierbaren Funktionen ϕ
1, . . . , ϕ
kmit ϕ
0j(x) = f
j(x, ϕ
1(x), . . . , ϕ
k(x)) f¨ ur j = 1, . . . , k.
Man benutzt gerne die Vektorschreibweise:
Definition
Sei G ⊂ R × R
kein Gebiet und F : G → R
neine stetige Abbildung. Unter einer L¨ osung der Differentialgleichung
y
0= F(t, y)
versteht man eine Abbildung ϕ : I → R
kmit folgenden Eigenschaften:
1. I ⊂ R ist ein Intervall, und der Graph {(t, ϕ(t)) : t ∈ I} liegt in G.
2. ϕ ist differenzierbar, und es ist ϕ
0(t) = F (t, ϕ(t)) auf I.
Ist k = 1, so spricht man von einer gew¨ ohnlichen Differentialgleichung.
Ist ϕ eine L¨ osung von y
0= F(t, y) und ϕ(t
0) = y
0, so sagt man, ϕ erf¨ ullt die
Anfangsbedingung (t
0, y
0). Die L¨ osung heißt maximal, wenn sie sich nicht zu
einer L¨ osung mit gr¨ oßerem Definitionsbereich fortsetzen l¨ asst.
1.1 Beispiele und Methoden 3
1.1.2. Satz
Ist ϕ L¨ osung der DGL y
0= F(t, y) und F r-mal (stetig) differenzierbar, so ist ϕ (r + 1)-mal (stetig) differenzierbar.
Beweis: Definitionsgem¨ aß ist ϕ einmal differenzierbar. Ist F stetig, so folgt aus der Gleichung ϕ
0(t) = F(t, ϕ(t)), dass ϕ sogar stetig differenzierbar ist.
Ist F differenzierbar, so folgt aus der selben Gleichung, dass ϕ
0differenzierbar, also ϕ zweimal differenzierbar ist, u.s.w.
Es besteht nun ein direkter Zusammenhang zwischen (expliziten) gew¨ ohnlichen DGLn k–ter Ordnung und den Systemen von k expliziten DGLn erster Ordnung:
Ist eine DGL
y
(k)= f (x, y, y
0, . . . , y
(k−1)) (∗) gegeben, so ordnen wir ihr folgendes System zu:
y
01= y
2.. . (**)
y
0k−1= y
ky
0k= f (x, y
1, . . . , y
k)
Ist ϕ eine L¨ osung der DGL (∗), so ist ϕ k-mal differenzierbar und ϕ
(k)(x) = f (x, ϕ(x), ϕ
0(x), . . . , ϕ
(k−1)(x)). Wir setzen
ϕ
1:= ϕ, ϕ
2:= ϕ
0, . . . , ϕ
k:= ϕ
(k−1). Dann sind alle ϕ
νmindestens einmal differenzierbar, und es ist
ϕ
01(x) = ϕ
2(x), .. .
ϕ
0k−1(x) = ϕ
k(x)
und ϕ
0k(x) = ϕ
(k)(x) = f (x, ϕ
1(x), . . . , ϕ
k(x)), d.h., ϕ := (ϕ
1, . . . , ϕ
k) ist eine L¨ osung des Systems (**).
Ist umgekehrt eine L¨ osung (ϕ
1, . . . , ϕ
k) des Systems gegeben, so setze man ϕ := ϕ
1. Dann ist ϕ differenzierbar, ϕ
0= ϕ
2ebenfalls differenzierbar u.s.w., und schließlich auch ϕ
(k−1)= ϕ
kdifferenzierbar. Also ist ϕ k-mal differenzierbar und
ϕ
(k)(x) = ϕ
0k(x) = f(x, ϕ(x), . . . , ϕ
(k−1)(x)), also ϕ L¨ osung von (∗).
Eine Anfangsbedingung f¨ ur ein System von k DGLn hat die Gestalt
ϕ
ν(x
0) = y
ν(0), ν = 1, . . . , k.
Uber die Formel ¨
(y
1(0), . . . , y
(0)k) = y
0= c = (c
0, . . . , c
k−1)
erh¨ alt man daraus eine Anfangsbedingung f¨ ur die DGL k-ter Ordnung, und umge- kehrt.
Gew¨ ohnliche Differentialgleichungen lassen sich besonders gut veranschaulichen.
Die durch die DGL y
0= f(t, y) induzierte Zuordnung (t, y) 7→ f (t, y) ∈ R lie- fert f¨ ur jeden Punkt (t, y) ∈ G eine Richtung, beschrieben durch ihre Steigung f (t, y). Zeichnet man an der Stelle (t, y) einen kleinen Vektor mit der angegebenen Richtung, so erh¨ alt man ein
” Richtungsfeld“ auf G.
Der Graph einer L¨ osungsfunktion ist eine Kurve (eine sogenannte Integralkurve), die sich dem Richtungsfeld anschmiegt.
Es gilt also, eine Kurve zu finden, deren Tangente an jeder Stelle mit dem ge- gebenen Richtungsfeld ¨ ubereinstimmt. Das liefert die Motivation f¨ ur das Peano- Verfahren, einen Beweis f¨ ur die lokale Existenz von L¨ osungen im Falle einer ste- tigen Funktion f. Die Eindeutigkeit kann man i.a. nat¨ urlich nicht erhalten. Wir wollen das Peano-Verfahren kurz andeuten.
Sei (x
0, y
0) ∈ G und f : G → R stetig. Wir w¨ ahlen reelle Zahlen a, r > 0, so dass gilt:
1. G
0:= [x
0, x
0+ a] × [y
0− r, y
0+ r] ⊂ G.
2. a · sup
G0|f | ≤ r.
Das ist stets m¨ oglich. Sind n¨ amlich a
0und r so gew¨ ahlt, dass G
1:= [x
0, x
0+ a
0] × [y
0− r, y
0+ r] ⊂ G ist, so setze man k := sup
G1|f| und a := min(a
0, r/k) (bzw. a beliebig im Falle k = 0). Ist K := sup
G0|f |, so ist a · K ≤ a · k ≤ r.
Nun betrachtet man Zerlegungen Z = (x
0, . . . , x
n) des Intervalls I := [x
0, x
0+ a].
Bei fester Zerlegung sei J
λ:= [x
0, x
λ], f¨ ur λ = 1, . . . , n. Dann wird wie folgt ein Streckenzug konstruiert.
Auf J
1sei ϕ
1(x) := y
0+ f (x
0, y
0)(x − x
0). An der Stelle x
0hat ϕ
1die richtige Steigung, und außerdem ist
|ϕ
1(x) − y
0| = |f(x
0, y
0)| · |x − x
0| ≤ K · a ≤ r.
1.1 Beispiele und Methoden 5
Der Graph von ϕ
1verl¨ auft ganz in G
0. Auf J
2sei
ϕ
2(x) :=
ϕ
1(x) f¨ ur x ∈ J
1, ϕ
1(x
1) + f (x
1, ϕ
1(x
1)) · (x − x
1) sonst.
ϕ
2ist stetig und hat bei x
1rechtsseitig die richtige Steigung. Außerdem gilt f¨ ur x
1< x ≤ x
2:
|ϕ
2(x) − y
0| = |f(x
0, y
0)(x
1− x
0) + f(x
1, ϕ
1(x
1))(x − x
1)|
≤ K |x
1− x
0| + |x − x
1|
= K · |x − x
0| ≤ K · a ≤ r.
Also verl¨ auft auch der Graph von ϕ
2ganz in G
0. Und so f¨ ahrt man fort, bis man einen Streckenzug ϕ
Z¨ uber [x
0, x
0+ a] konstruiert hat, dessen Graph ganz in G
0verl¨ auft und an den Stellen x
irechtsseitig jeweils die richtige Steigung hat.
Man kann nun zeigen: Ist Z
νeine Folge von Zerlegungen von [x
0, x
0+ a], deren Feinheit gegen Null strebt, so kann man aus dem System der zugeh¨ origen Stre- ckenz¨ uge ϕ
Zνeine Teilfolge ausw¨ ahlen, die gleichm¨ aßig gegen eine Grenzfunktion ϕ konvergiert. Der Graph von ϕ verl¨ auft ganz in G
0und ϕ selbst l¨ ost die Differential- gleichung mit der Anfangsbedingung ϕ(x
0) = y
0. Ist diese L¨ osung sogar eindeutig bestimmt, so braucht man nicht zu einer Teilfolge ¨ uberzugehen. Auf den Beweis dieser Aussagen m¨ ussen wir hier leider verzichten.
Wir untersuchen jetzt einige spezielle Typen von Differentialgleichungen.
Differentialgleichungen mit getrennten Variablen:
Unter einer Differentialgleichung mit getrennten Variablen versteht man eine Dif- ferentialgleichung der Form
y
0= f(x)g(y),
wobei f : I → R und g : J → R stetige Funktionen auf geeigneten Intervallen sind.
Wir wollen das Anfangswertproblem l¨ osen, d.h., wir suchen eine Funktion ϕ mit ϕ(x
0) = y
0und ϕ
0(x) = f (x) · g(ϕ(x)).
1. Fall: Ist g(y
0) = 0, so ist f¨ ur jedes x
0∈ I die konstante Funktion ϕ(x) ≡ y
0eine L¨ osung mit ϕ(x
0) = y
0.
2. Fall: Sei J
0⊂ J ein offenes Intervall, auf dem g keine Nullstellen hat, und y
0∈ J
0. Ist ϕ eine L¨ osung auf I mit ϕ(x
0) = y
0, so ist g(ϕ(x)) 6= 0 nahe x
0und
ϕ
0(x)
g(ϕ(x)) = f(x).
Also ist
Z
x x0f (t) dt = Z
xx0
ϕ
0(t) g(ϕ(t)) dt =
Z
ϕ(x) y01
g(u) du.
Sei nun F eine Stammfunktion von f auf I und G eine Stammfunktion von 1/g auf J
0. Dann ist F (x) − F (x
0) = G(ϕ(x)) − G(y
0). Außerdem ist G
0(x) = 1/g(x) 6= 0 f¨ ur x ∈ J
0, also G dort streng monoton. Damit ist G umkehrbar und
ϕ(x) = G
−1(F (x) − F (x
0) + G(y
0)).
Die Probe zeigt sofort, dass ϕ tats¨ achlich die DGL l¨ ost.
y(t) = y
2(Nullstelle von g)
y(t) = y
1(Nullstelle von g) r ϕ
y
0r
J
0I
r
x
0Bemerkung: Die Physiker haben – wie immer – eine suggestive Schreibweise daf¨ ur:
dy
dx = f(x)g(y) = ⇒ dy
g(y) = f(x) dx
= ⇒
Z dy g(y) =
Z
f (x) dx
= ⇒ G(y) = F (x) + c
= ⇒ y = G
−1(F (x) + c).
Damit y(x
0) = y
0ist, muss man c = G(y
0) − F (x
0) w¨ ahlen.
Als konkretes Beispiel nehmen wir die DGL y
0= xy.
Hier sind f (x) = x und g(y) = y auf ganz R definiert. Als Stammfunktionen k¨ onnen wir
F (x) := 1
2 x
2auf R und
G(y) := ln |y| auf jedem Intervall J, das nicht die Null enth¨ alt, nehmen. Dann ist
G
−1(z) =
e
zfalls J ⊂ R
+,
−e
zsonst, also
y(x) = G
−1(F (x) + c)
= ± exp( 1
2 x
2+ c)
= C · exp( 1
2 x
2), mit C ∈ R .
1.1 Beispiele und Methoden 7
Das schließt insbesondere die L¨ osung y(x) ≡ 0 mit ein. Liegt J in R
+, so muss C > 0 gew¨ ahlt werden, sonst C < 0.
Als zweites Beispiel betrachten wir die DGL y
0= xy
2. Hier ist f(x) = x, also F (x) = 1
2 x
2, wie oben, sowie g(y) = y
2, also G(y) = − 1 y (auf jedem Intervall J , das nicht die Null enth¨ alt). Nach dem obigen Verfahren erhalten wir die L¨ osungen
y
c(x) = G
−1(F (x) + c) = − 1
x
2/2 + c = − 2 2c + x
2.
Hinzu kommt die konstante L¨ osung y(x) ≡ 0, die sich aus der einzigen Nullstelle von g(y) ergibt.
Lineare Differentialgleichungen:
Eine allgemeine lineare DGL 1. Ordnung ¨ uber einem Intervall I hat folgende Ge- stalt:
y
0+ a(x)y = r(x), mit stetigen Funktionen a, r : I → R .
Ist r(x) ≡ 0, so spricht man vom homogenen Fall. Dann ist auf jeden Fall die Funktion y(x) ≡ 0 eine L¨ osung. Suchen wir nach weiteren L¨ osungen, so k¨ onnen wir voraussetzen, dass y(x) 6= 0 f¨ ur alle x ∈ I ist, und es gilt:
(ln|y|)
0(x) = y
0(x)
y(x) = −a(x).
Ist A(x) eine Stammfunktion von a(x) ¨ uber I, so ist y(x) = c · e
−A(x),
mit einer Integrationskonstanten c, die auch ≤ 0 sein darf.
Nun betrachten wir den inhomogenen Fall (r(x) 6≡ 0 ) : Sind ϕ
1, ϕ
2zwei L¨ osun- gen, so ist
(ϕ
1− ϕ
2)
0(t) + a(t)(ϕ
1(t) − ϕ
2(t)) = r(t) − r(t) = 0,
also unterscheiden sich je zwei L¨ osungen der inhomogenen Gleichung um eine L¨ osung der zugeh¨ origen homogenen Gleichung. Die allgemeine L¨ osung hat dem- nach die Gestalt
ϕ(t) = ϕ
p(t) + c · e
−A(t), mit einer
” partikul¨ aren L¨ osung“ ϕ
p(t) der inhomogenen Gleichung. Die m¨ ussen wir noch finden.
Meistens findet man spezielle L¨ osungen ¨ uber einen geeigneten Ansatz. So geht man
auch hier vor. Wir benutzen die Methode der Variation der Konstanten.
Ansatz: y
p(x) = c(x) · e
−A(x).
Durch Differenzieren und Einsetzen in die DGL versucht man, Bedingungen f¨ ur c(x) zu erhalten:
y
0p(x) = (c
0(x) − c(x) · A
0(x)) · e
−A(x)= (c
0(x) − c(x)a(x)) · e
−A(x). Da y
0p(x) + a(x)y
p(x) = r(x) sein soll, erh¨ alt man die Bestimmungsgleichung:
c
0(x) · e
−A(x)= r(x), und setzt daher
c(x) :=
Z
x x0r(t)e
A(t)dt.
Die Probe zeigt, dass y
ptats¨ achlich die inhomogene DGL l¨ ost.
Die allgemeine L¨ osung hat somit die Gestalt y(x) = y
p(x) + c · e
−A(x)= (
Z
x x0r(t)e
A(t)dt + c) · e
−A(x).
Transformationen:
Sei G ⊂ R
2ein Gebiet, F : G → R stetig. Die DGL y
0= F (x, y) l¨ asst sich manchmal besser l¨ osen, wenn man sie transformiert.
Sei T : G → R × R ein Diffeomorphismus auf ein Gebiet D, mit T (t, y) = (t, T e (t, y)).
Die Integralkurven α(t) = (t, ϕ(t)) der urspr¨ unglichen DGL werden auf Kurven T ◦ α(t) = T (t, ϕ(t)) = (t, T e (t, ϕ(t))) =: (t, ψ(t)) (∗)
abgebildet, und wir versuchen, diese Kurven als Integralkurven einer neuen DGL aufzufassen. Wie sieht diese DGL aus?
Hat die transformierte DGL die Gestalt v
0= F e (t, v), so muss gelten:
ψ
0(t) = F e (t, ψ(t)) und ψ(t) = T e (t, ϕ(t)).
Dann ist
∂ T e
∂t (t, ϕ(t)) + ∂ T e
∂y (t, ϕ(t))ϕ
0(t) = ψ
0(t) = F e (t, ψ(t)) und (wegen (*))
(t, ϕ(t)) = T
−1(t, ψ(t)), sowie ϕ
0(t) = F (t, ϕ(t)), also
F e (t, v) = ∂ T e
∂t (T
−1(t, v)) + ∂ T e
∂y (T
−1(t, v)) · F (T
−1(t, v)).
1.1 Beispiele und Methoden 9
Als Beispiel betrachten wir
” homogene Differentialgleichungen“. Die DGL y
0= F (t, y) wird homogen genannt, falls F (rt, ry) = F (t, y) f¨ ur (t, y) ∈ G und r 6= 0 ist.
1Der Definitionsbereich G von F muss dann folgende Eigenschaft besitzen: Mit (t, y) geh¨ ort f¨ ur jedes r 6= 0 auch (rt, ry) zu G.
Enth¨ alt G keinen Punkt (t, y) mit t = 0, so ist folgende Transformation m¨ oglich:
T (t, y) := (t, y t ).
Ist ϕ(t) L¨ osung der Ausgangsgleichung, so ist ψ(t) := ϕ(t)/t L¨ osung der transfor- mierten Gleichung, und es gilt:
ψ
0(t) = tϕ
0(t) − ϕ(t)
t
2= t · F (t, ϕ(t)) − ϕ(t) t
2= t · F (t, tψ(t)) − tψ(t)
t
2= F (1, ψ(t)) − ψ(t)
t ,
d.h., ψ ist L¨ osung der DGL v
0= F (1, v) − v
t . Eventuell ist ψ einfacher zu finden.
Sei etwa F (t, y) = y t +
r 1 − y
2t
2auf
G = {(t, y) : t
2≥ y
2} = {(t, y) : (t − y) · (t + y) ≥ 0}.
Man sieht sofort, dass das eine homogene DGL ergibt, und die obige Transformation macht daraus
v
0= 1 t
√ 1 − v
2.
Das ist eine DGL mit getrennten Variablen, der Gestalt v
0= f (t)g(v), mit f(t) = 1/t und g(v) = √
1 − v
2. Offensichtlich ist die L¨ osung ψ mit ψ(t
0) = v
0gegeben durch
ψ(t) = sin ln(t/t
0) + arcsin(v
0) .
Dabei sei (t
0, v
0) = (t
0, y
0/t
0) eine (transformierte) Anfangsbedingung. Als L¨ osung der Ausgangsgleichung erh¨ alt man dann:
ϕ(t) = t · ψ (t) = t · sin ln(t/t
0) + arcsin(y
0/t
0) .
Ein anderes Anwendungsbeispiel ist die Bernoulli’sche DGL : y
0= a(x)y + b(x)y
α,
wobei α reell, 6= 0 und 6= 1 sein soll.
Wir verwenden die Transformation T (t, y) := (t, y
1−α). Dann ist
1
Dieser Begriff sollte nicht mit dem Begriff
” homogen“ bei linearen DGLn verwechselt werden!
T
−1(t, v) = (t, v
1/(1−α)), ∂ T e
∂t (t, y) = 0 und ∂ T e
∂y (t, y) = (1 − α)y
−α. Weil F (t, y) = a(t)y + b(t)y
αist, folgt: Die transformierten Integralkurven gen¨ ugen der DGL v
0= F e (t, v), mit
F e (t, v) = ∂ T e
∂t (t, v
1/(1−α)) + ∂ T e
∂y (t, v
1/(1−α)) · F (t, v
1/(1−α))
= (1 − α)v
−α/(1−α)· a(t)v
1/(1−α)+ b(t)v
α/(1−α)= (1 − α) · (a(t)v + b(t)).
Die transformierte DGL ist linear und daher sicher einfacher zu behandeln als die Ausgangsgleichung.
Die logistische Gleichung:
Die logistische Gleichung (oder Gleichung des beschr¨ ankten Wachstums ) y
0= ay − by
2, mit a, b ∈ R
+und y > 0
ist vom Bernoulli’schen Typ (mit α = 2). Bevor wir sie transformieren, noch ein paar Anmerkungen:
Es ist y
0= y(a − by). Ist ϕ eine L¨ osung und 0 < ϕ(t) < a/b, so ist a − b · ϕ(t) > 0, also ϕ
0(t) > 0. Der
” Bestand“ w¨ achst! Ist dagegen ϕ(t) > a/b, so ist ϕ
0(t) < 0 und der Bestand nimmt ab.
Weiter ist ϕ
00(t) = aϕ
0(t) − 2bϕ(t)ϕ
0(t) = (a − 2bϕ(t))ϕ
0(t). Ist also 0 < ϕ(t) <
a/(2b), so ist ϕ
0(t) > 0 und ϕ
00(t) > 0. Das ist der Bereich
” beschleunigten Wachs- tums“, der Graph beschreibt eine Linkskurve. Ist dagegen a/(2b) < ϕ(t) < a/b, so ist ϕ
00(t) < 0. Hier beschreibt der Graph eine Rechtskurve, das Wachstum wird gebremst.
r
t
0y
0a/(2b) a/b
Nun wenden wir unsere Transformation an. Suchen wir eine L¨ osung von y
0=
ay − by
2zum Anfangswert (t
0, y
0), so k¨ onnen wir genauso gut eine L¨ osung von
v
0= −av + b suchen, zum Anfangswert (t
0, y
0−1). Das ist eine inhomogene DGL
1. Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Eine partikul¨ are L¨ osung ist die konstan-
te Funktion v
p(t) ≡ b/a, und die allgemeine L¨ osung der zugeh¨ origen homogenen
Gleichung ist gegeben durch v
c(t) := c · e
−at, c ∈ R .
11
Die allgemeine L¨ osung der Ausgangsgleichung ist dann gegeben durch y
c(t) = (v
p(t) + v
c(t))
−1= a
b + ac · e
−at. F¨ ur alle diese L¨ osungen gilt:
y
c(t) → a
b f¨ ur t → ∞.
1.2 Existenz- und Eindeutigkeitssatz
Zur Erinnerung:
Sei E ein Vektorraum mit Norm k· · ·k. Eine Reihe P
∞ν=1
a
νin E heißt (im gew¨ ohn- lichen Sinne) konvergent, falls es ein Element a ∈ E gibt, so dass gilt:
N→∞
lim k
N
X
ν=1
a
ν− ak = 0.
Die Reihe heißt normal (oder absolut) konvergent, falls die Zahlenreihe P
∞ ν=1ka
νk konvergiert.
Der Vektorraum E heißt vollst¨ andig oder ein Banachraum, falls in E jede normal konvergente Reihe auch im gew¨ ohnlichen Sinne konvergiert.
Definition
Sei E ein Banachraum und M ⊂ E eine Teilmenge. Eine Abbildung f : M → M heißt kontrahierend, falls es eine reelle Zahl q mit 0 < q < 1 gibt, so dass kf (x
1) − f (x
2)k ≤ q · kx
1− x
2k f¨ ur alle x
1, x
2∈ M gilt.
Ein Element x
0∈ M heißt Fixpunkt von f, falls f(x
0) = x
0ist.
Bemerkung: Ist f kontrahierend, so kann f h¨ ochstens einen Fixpunkt besitzen.
1.2.1. Banach’scher Fixpunktsatz
Sei E ein Banachraum, A ⊂ E abgeschlossen und f : A → A eine kontrahierende Abbildung. Dann besitzt f einen (eindeutig bestimmten) Fixpunkt in A.
Definition
Sei (t
0, x
0) ∈ R × R
n. Die Tonne mit Radius r und L¨ ange 2ε um (t
0, x
0) ist die Menge
T := [t
0− ε, t
0+ ε] × B
r(x
0).
Ist G ⊂ R × R
nein Gebiet und F : G → R
neine stetige Abbildung, so nennt man eine Tonne T ⊂ G mit Radius r und L¨ ange 2ε eine Sicherheitstonne f¨ ur F, falls gilt:
sup
T
kF(t, x)k ≤ r ε .
In einer Sicherheitstonne l¨ asst sich das Streckenzug-Verfahren aus dem Peano’schen
Existenzsatz anwenden!
1.2 Existenz- und Eindeutigkeitssatz 13
x
2t x
1(t0,x
r
0) rt0−ε
t0+ε t0
B
r(x
0)
1.2.2. Existenz von Sicherheitstonnen
Ist T
0eine beliebige Tonne um (t
0, x
0) mit Radius r und L¨ ange 2ε und F stetig auf T
0, so gibt es ein δ mit 0 < δ ≤ ε, so dass jede Tonne T mit Radius r und L¨ ange ≤ 2δ um (t
0, x
0) eine Sicherheitstonne f¨ ur F ist.
Beweis: Sei M := sup
T0
kFk und δ := min(ε, r
M ). Dabei sei r/M := +∞ gesetzt, falls M = 0 ist. Dann ist r/δ = max(r/ε, M ), und f¨ ur die Tonne T gilt: sup
T
kFk ≤ sup
T0
kFk = M ≤ r δ .
Definition
Sei G ⊂ R × R
nein Gebiet. Eine stetige Abbildung F : G → R
ngen¨ ugt auf G einer Lipschitz-Bedingung mit Lipschitz-Konstante k, falls gilt:
kF(t, x
1) − F(t, x
2)k ≤ k · kx
1− x
2k, f¨ ur alle Punkte (t, x
1), (t, x
2) ∈ G.
F gen¨ ugt lokal der Lipschitz-Bedingung, falls es zu jedem (t
0, x
0) ∈ G eine Um- gebung U = U (t
0, x
0) ⊂ G gibt, so dass F auf U einer Lipschitz-Bedingung gen¨ ugt.
1.2.3. Satz
Ist F = F(t, x
1, . . . , x
n) auf G stetig und nach den Variablen x
1, . . . , x
nstetig partiell differenzierbar, so gen¨ ugt F auf jeder Tonne T ⊂ G einer Lipschitz- Bedingung.
Beweis: Sei T = I × B ⊂ G eine beliebige Tonne. Die partiellen Ableitungen
F
xi(t, x) sind auf T stetig und damit beschr¨ ankt, etwa durch M > 0. F¨ ur t ∈ I ist
f
t(x) := F(t, x) = (F
1(t, x), . . . , F
1(t, x)) auf B (total) stetig differenzierbar, und f¨ ur x ∈ B ist
kDf
t(x)vk
2= ∇F
1(t, x)
•v
2+ · · · + ∇F
n(t, x)
•v
2≤ k∇F
1(t, x)k
2· kvk
2+ · · · + k∇F
n(t, x)k
2· kvk
2≤ kvk
2· n · max
ν
k∇F
ν(t, x)k
2≤ kvk
2· n · max
ν
(F
ν)
x1(t, x)
2+ · · · + (F
ν)
xn(t, x)
2≤ kvk
2· n · (n · M
2), also
kDf
t(x)k
op:= sup
kvk≤1
kDf
t(x)vk ≤ n · M.
Aus dem verallgemeinerten Mittelwertsatz folgt dann:
kf
t(x
1) − f
t(x
2)k ≤ n · M · kx
1− x
2k, f¨ ur x
1, x
2∈ B.
Da dies unabh¨ angig von t gilt, haben wir unsere gesuchte Lipschitz-Bedingung.
1.2.4. Satz
Sei G ⊂ R × R
nein Gebiet und F : G → R
nstetig. Gen¨ ugt F auf G lokal der Lipschitz-Bedingung, so gibt es zu jedem (t
0, x
0) ∈ G ein ε > 0 und eine Sicherheitstonne T ⊂ G mit Zentrum (t
0, x
0) und L¨ ange 2ε f¨ ur F, auf der F einer Lipschitz-Bedingung mit Lipschitz-Konstante k < 1/(2ε) gen¨ ugt.
Beweis: Sei U = U (t
0, x
0) eine Umgebung, auf der F einer Lipschitz-Bedingung mit Konstante k gen¨ ugt. Weiter sei T
0⊂ U eine Tonne mit Zentrum (t
0, x
0), Radius r < 1 und L¨ ange 2ε. Man kann ε so weit verkleinern, dass ε < 1/(2k) und T eine Sicherheitstonne f¨ ur F ist.
1.2.5. Lokaler Existenz- und Eindeutigkeitssatz
Sei G ⊂ R × R
nein Gebiet, F : G → R
nstetig. Gen¨ ugt F lokal der Lipschitz- Bedingung, so gibt es zu jedem (t
0, y
0) ∈ G ein ε > 0, so dass auf I := [t
0−ε, t
0+ ε] genau eine L¨ osung ϕ der Differentialgleichung y
0= F(t, y) mit ϕ(t
0) = y
0existiert.
Beweis: Es sei T = I × B ⊂ G eine Sicherheitstonne mit Radius r und L¨ ange 2ε um (t
0, y
0) f¨ ur F, auf der F einer Lipschitz-Bedingung mit einer Konstanten k < 1/(2ε) gen¨ ugt. Weiter sei I = [t
0− ε, t
0+ ε] und B = B
r(y
0). Wir betrachten den Banachraum E aller stetigen Abbildungen ϕ : I → R
nund setzen
A := {ϕ ∈ E : ϕ(I) ⊂ B und ϕ(t
0) = y
0}.
1.2 Existenz- und Eindeutigkeitssatz 15
Offensichtlich ist A 6= ∅ , denn die Funktion ϕ(t) ≡ y
0geh¨ ort zu A.
Sei nun (ϕ
ν) eine Folge in A, die in E gegen eine stetige Grenzfunktion ϕ
0kon- vergiert. Da B abgeschlossen und ϕ
ν(t) stets in B enthalten ist, muss auch der Grenzwert ϕ
0(t) in B liegen. Und die Relation ϕ
ν(t
0) = y
0bleibt ebenfalls beim Grenz¨ ubergang erhalten. Das bedeutet, dass ϕ
0wieder in A liegt, A ist eine abge- schlossene Teilmenge von E.
Als n¨ achstes definieren wir eine Abbildung S : A → E durch (Sϕ)(t) := y
0+
Z
t t0F(u, ϕ(u)) du .
Es ist klar, dass Sϕ stetig ist und Werte in R
nhat. Außerdem ist (Sϕ)(t
0) = y
0, und f¨ ur t ∈ I gilt:
k(Sϕ)(t) − y
0k = k Z
tt0
F(u, ϕ(u)) duk
≤ |t − t
0| · sup
T
kF(t, y)k
≤ ε · r ε = r.
Also liegt Sϕ wieder in A, S bildet A auf sich ab.
Wir wollen nun zeigen, dass S kontrahierend ist. F¨ ur ϕ, ψ ∈ A ist kSϕ − Sψk = sup
I
kSϕ(t) − Sψ(t)k
= sup
I
k Z
tt0
[F(u, ϕ(u)) − F(u, ψ(u))] duk
≤ ε · k · sup
I
kϕ(u) − ψ(u)k
< 1
2 kϕ − ψk.
Das bedeutet, dass S genau einen Fixpunkt ϕ
∗besitzt. Nun gilt:
ϕ
∗(t) = (Sϕ
∗)(t) = y
0+ Z
tt0
F(u, ϕ
∗(u)) du.
Differenzieren auf beiden Seiten ergibt (ϕ
∗)
0(t) = F(t, ϕ
∗(t)). Damit ist ϕ
∗eine L¨ osung der DGL, mit ϕ
∗(t
0) = y
0.
Ist umgekehrt ϕ eine L¨ osung der DGL mit der gew¨ unschten Anfangsbedingung, so ist
Z
t t0F(u, ϕ(u)) du = Z
tt0
ϕ
0(u) du = ϕ(t) − ϕ(t
0) = ϕ(t) − y
0,
also Sϕ = ϕ. Damit ist Existenz und Eindeutigkeit der L¨ osung ¨ uber I gezeigt.
Bemerkung: Das oben vorgestellte L¨ osungsverfahren nennt man das Verfah- ren von Picard-Lindel¨ of. Es ist konstruktiv in dem Sinne, dass man mit einer beliebigen Funktion (z.B. ϕ(t) ≡ y
0) starten kann und die gesuchte L¨ osung als Grenzwert der Folge ϕ
k:= S
kϕ f¨ ur k → ∞ erh¨ alt.
Betrachten wir als Beispiel die DGL (y
10, y
02) = (−y
2, y
1). Sei ϕ
0(t) := (1, 0). Hier ist F(u, ϕ
1(u), ϕ
2(u)) = (−ϕ
2(u), ϕ
1(u)), also
ϕ
1(t) = (1, 0) + Z
t0
(0, 1) du = (1, t), ϕ
2(t) = (1, 0) +
Z
t 0(−u, 1) du = (1 − t
22 , t), ϕ
3(t) = (1, 0) +
Z
t 0(−u, 1 − u
22 ) du = (1 − t
22 , t − t
36 ) . Per Induktion zeigt man schließlich:
ϕ
2k(t) = X
kν=0
(−1)
νt
2ν(2ν)! ,
k−1
X
ν=0
(−1)
νt
2ν+1(2ν + 1)!
und
ϕ
2k+1(t) = X
kν=0
(−1)
νt
2ν(2ν)! ,
k
X
ν=0
(−1)
νt
2ν+1(2ν + 1)!
.
Das bedeutet, dass ϕ(t) := (cos(t), sin(t)) die einzige L¨ osung mit ϕ(0) = (1, 0) ist.
Erf¨ ullt F keine Lipschitz-Bedingung, so sichert der Existenzsatz von Peano dennoch die Existenz einer L¨ osung. Allerdings gibt es dann kein konstruktives Verfahren, und es kann passieren, dass es zu einer Anfangsbedingung mehrere L¨ osungen gibt.
Im folgenden betrachten wir eine DGL y
0= F (t, y) auf einem Gebiet G ⊂ R × R
n. Die Abbildung F gen¨ uge lokal der Lipschitz-Bedingung.
1.2.6. Satz
Sei ϕ : [t
0, t
1] → R
neine L¨ osung. Dann gibt es ein t
2> t
1und eine L¨ osung ϕ b : [t
0, t
2) → R
nmit ϕ| b
[t0,t1]= ϕ.
Beweis: Nach dem lokalen Existenz- und Eindeutigkeitssatz gibt es ein ε > 0 und eine eindeutig bestimmte L¨ osung ψ : (t
1− ε, t
1+ ε) → R
nmit ψ(t
1) = ϕ(t
1).
Außerdem ist
ψ
0(t
1) = F (t
1, ψ(t
1)) = F (t
1, ϕ(t
1)) = ϕ
0(t
1).
Also ist ϕ b : [t
0, t
1+ ε) → R
nmit
ϕ(t) := b
ϕ(t) f¨ ur t
0≤ t ≤ t
1,
ψ (t) f¨ ur t
1< t < t
1+ ε.
1.2 Existenz- und Eindeutigkeitssatz 17
stetig differenzierbar und damit eine L¨ osung ¨ uber [t
0, t
1+ ε).
1.2.7. Satz (von der globalen Eindeutigkeit)
Sind ϕ, ψ : [t
0, t
1) → R
nzwei L¨ osungen mit ϕ(t
0) = ψ (t
0), so ist ϕ = ψ .
Beweis: Nach dem lokalen Eindeutigkeitssatz gibt es ein ε > 0, so dass ϕ(t) = ψ(t) f¨ ur t
0≤ t < t
0+ ε ist. Ist ϕ = ψ auf ganz [t
0, t
1), so ist nichts mehr zu zeigen.
Andernfalls sei
t
∗:= inf{t ∈ [t
0, t
1) : ϕ(t) 6= ψ(t)}.
Dann ist t
0< t
∗< t
1, und es muss ϕ(t
∗) = ψ(t
∗) sein, denn die Menge aller t mit ϕ(t) 6= ψ(t) ist offen. Wegen der lokalen Eindeutigkeit w¨ are dann aber auch noch in der N¨ ahe von t
∗die Gleichheit von ϕ(t) und ψ(t) gegeben. Das ist ein Widerspruch zur Definition von t
∗.
1.2.8. Globaler Existenz- und Eindeutigkeitssatz
Zu vorgegebener Anfangsbedingung (t
0, y
0) ∈ G gibt es Zahlen t
−, t
+∈ R mit t
−< t
0< t
+und eine L¨ osung ϕ : (t
−, t
+) → R
nmit folgenden Eigenschaften:
1. ϕ(t
0) = y
0.
2. ϕ l¨ asst sich auf kein gr¨ oßeres Intervall fortsetzen.
3. Ist ψ : (t
−, t
+) → R
neine weitere L¨ osung mit ψ (t
0) = y
0, so ist ϕ = ψ.
4. Die Integralkurve Φ(t) := (t, ϕ(t)) l¨ auft in G
” von Rand zu Rand“ : Zu jeder kompakten Teilmenge K ⊂ G mit (t
0, y
0) ∈ K gibt es Zahlen t
1, t
2mit
t
−< t
1< t
0< t
2< t
+,
so dass Φ((t
−, t
1)) ⊂ G \ K und Φ((t
2, t
+)) ⊂ G \ K ist.
Beweis: Wir beschr¨ anken uns auf die Konstruktion von t
+, die von t
−kann dann analog durchgef¨ uhrt werden. Es sei
ε
+:= sup{ε > 0 : ∃ L¨ osung ϕ
ε: [t
0, t
0+ ε] → R
nmit ϕ
ε(t
0) = y
0} und
t
+:= t
0+ ε
+.
Ist nun t ∈ [t
0, t
+), so gibt es ein ε mit t − t
0< ε < ε
+, und wir setzen ϕ(t) := ϕ
ε(t).
Diese Definition ist wegen der globalen Eindeutigkeit unabh¨ angig vom gew¨ ahlten
ε, und ϕ ist deshalb auch eine L¨ osung der DGL. Nach Konstruktion von ε
+l¨ asst
sich ϕ nicht ¨ uber t
+hinaus zu einer erweiterten L¨ osung fortsetzen. Offensichtlich ist ϕ eindeutig bestimmt.
Der Beweis der letzten Aussage ist etwas komplizierter.
Sei Φ(t) := (t, ϕ(t)) f¨ ur t
0≤ t < t
+die zugeh¨ orige Integralkurve. Wenn die Be- hauptung falsch w¨ are, g¨ abe es eine kompakte Menge K ⊂ G und eine monoton wachsende und gegen t
+konvergente Folge (t
ν), so dass Φ(t
ν) ∈ K f¨ ur ν ∈ N gilt.
Wir nehmen an, das sei der Fall. Da K kompakt ist, muss dann die Folge (t
ν) beschr¨ ankt sein, also t
+endlich. Außerdem muss es eine Teilfolge (t
νi) geben, so dass Φ(t
νi) gegen ein Element (t
+, y
+) ∈ K (und damit in G) konvergiert. Zur Vereinfachung der Schreibweise nehmen wir an, dass schon die Folge (Φ(t
ν)) gegen (t
+, y
+) konvergiert.
Sei T
0= [t
+− ε
0, t
++ ε
0] × B
r0(y
+) eine Tonne, die noch ganz in G liegt. Dabei sei ε
0so klein gew¨ ahlt, dass F auf T
0einer Lipschitzbedingung mit Konstante k < 1/(2ε
0) gen¨ ugt. Weiter sei
M := sup
T0
kF k, ε := min ε
02 , r
02M
und r := r
02 ,
sowie T
1die Tonne mit Radius r und L¨ ange 2ε um (t
+, y
+). F¨ ur einen beliebigen Punkt (t, y) ∈ T
1ist die Tonne T = T (t, y) mit Radius r und L¨ ange 2ε um (t, y) eine in T
0enthaltene Sicherheitstonne, denn es ist
r
ε = max r
0ε
0, M
, also sup
T
kF k ≤ sup
T0
kF k = M ≤ r ε .
p p p p p p p p p p p p p p p p p p p p ppr
(t
+, y
+) (t, r y)
T T
1T
0Außerdem erf¨ ullt F auch auf T die Lipschitzbedingung mit der Konstanten k. Wir k¨ onnen das auf T
ν= T (t
ν, ϕ(t
ν)) anwenden, denn f¨ ur gen¨ ugend großes ν liegt (t
ν, ϕ(t
ν)) in T
1. Dann ist (t
+, y
+) in T
νenthalten. Nach dem lokalen Existenz- und Eindeutigkeitssatz gibt es genau eine L¨ osung ψ : [t
ν− ε, t
ν+ ε] → B
r(ϕ(t
ν)) mit ψ(t
ν) = ϕ(t
ν).
Offensichtlich wird ϕ durch ψ fortgesetzt, und zwar ¨ uber t
+hinaus. Das ist ein
Widerspruch!
1.3 Lineare Systeme 19
1.3 Lineare Systeme
Wir betrachten in diesem Abschnitt ein Gebiet G ⊂ R
n+1und eine DGL y
0= F (t, y),
wobei F : G → R
nlokal der Lipschitz-Bedingung gen¨ ugt.
1.3.1. Lemma von Gronwall
Sei t
0< t
1≤ ∞, g : [t
0, t
1) → R stetig, α ≥ 0 und β ≥ 0. Ist 0 ≤ g(t) ≤ α + β
Z
t t0g(τ) dτ f¨ ur t ∈ [t
0, t
1), so ist
g(t) ≤ α · e
β(t−t0)f¨ ur t ∈ [t
0, t
1).
Beweis: Sei G(t) := α + β Z
tt0
g(τ) dτ . Dann ist G(t
0) = α und G
0(t) = βg(t) ≤ βG(t), also (ln G)
0(t) ≤ β. Daraus folgt, dass ln G(t) − βt monoton f¨ allt, F¨ ur t > t
0ist dann
ln G(t) − βt ≤ G(t
0) − βt
0= ln α − βt
0und
g(t) ≤ G(t) ≤ αe
β(t−t0).
1.3.2. Folgerung (Fundamentale Absch¨ atzung)
Sei J ⊂ R ein Intervall und B ⊂ R
neine Kugel, so dass F auf T := J × B einer Lipschitzbedingung mit Lipschitzkonstante k gen¨ ugt.
Sind ϕ
1, ϕ
2: J → B zwei L¨ osungen der DGL y
0= F(t, y) mit Anfangsbedingun- gen ϕ
1(t
0) = y
1und ϕ
2(t
0) = y
2, so ist
kϕ
1(t) − ϕ
2(t)k ≤ ky
1− y
2k · e
k·|t−t0|f¨ ur t ∈ J.
Beweis: Weil ϕ
0λ(t) = F(t, ϕ
λ(t)) ist, f¨ ur λ = 1, 2, folgt:
ϕ
λ(t) = ϕ
λ(t
0) + Z
tt0
F(u, ϕ
λ(u)) du.
Nun setzen wir
ω(t) := kϕ
1(t) − ϕ
2(t)k f¨ ur t ≥ t
0.
Dann ist
ω(t) ≤ kϕ
1(t
0) − ϕ
2(t
0)k + k Z
tt0
(F(u, ϕ
1(u)) − F(u, ϕ
2(u))) duk
≤ ω(t
0) + k · Z
tt0
ω(u) du
und nach Gronwall
ω(t) ≤ ω(t
0) · e
k(t−t0). Damit ist der Satz f¨ ur t ≥ t
0bewiesen.
Um ihn auch f¨ ur t < t
0zu erhalten, setzen wir F(t, e y) := −F(t
0−t, y). Ist ϕ L¨ osung der DGL y
0= F(t, y), so ist ϕ(t) := e ϕ(t
0− t) L¨ osung der DGL y
0= F(t, e y), und umgekehrt, denn es ist ϕ e
0(t) = −ϕ
0(t
0−t) = −F(t
0−t, ϕ(t
0−t)) = F(t, e ϕ(t
0−t)) = F(t, e ϕ(t)). Außerdem ist e ϕ(0) = e ϕ(t
0).
Sei ω(t) := e k ϕ e
1(t) − ϕ e
2(t)k = ω(t
0− t). Ist t < t
0, so ist t
0− t > 0 und ω(t) = e ω(t
0− t) ≤ e ω(0)e
k(t0−t)= ω(t
0)e
k|t−t0|.
Wir wollen nun Systeme von linearen Differentialgleichungen 1. Ordnung ¨ uber ei- nem offenen Intervall I ⊂ R untersuchen:
y
0= y · A(t)
>+ b(t),
mit stetigen Abbildungen A : I → M
n,n( R ) und b : I → R
n. Wie im Falle linearer Gleichungssysteme beginnt man mit dem homogenen Fall b(t) ≡ 0. Die stetige Abbildung
F(t, y) := y · A(t)
>ist auf ganz I × R
ndefiniert und gen¨ ugt dort lokal einer Lipschitz-Bedingung, denn es ist
kF(t, y
1) − F(t, y
2)k = k(y
1− y
2) · A(t)
>k ≤ ky
1− y
2k · kA(t)k
op.
1.3.3. Der L¨ osungsraum einer homogenen linearen DGL
Ist die lineare DGL y
0= F(t, y) ¨ uber I = (a, b) definiert, so ist auch jede ma- ximale L¨ osung ¨ uber I definiert, und die Menge aller maximalen L¨ osungen bildet einen reellen Vektorraum.
Beweis: Sei J = (t
−, t
+) ⊂ I, t
0∈ J und ϕ : J → R
neine maximale L¨ osung mit
ϕ(t
0) = y
0. Wir nehmen an, es sei t
+< b. Dann ist kA(t)k
opauf [t
0, t
+] beschr¨ ankt,
1.3 Lineare Systeme 21
etwa durch eine Zahl k > 0. Wir wenden die fundamentale Absch¨ atzung auf die beiden L¨ osungen ϕ und ψ(x) ≡ 0 an. Damit ist kϕ(t)k ≤ ky
0k·e
k(t+−t0), bleibt also auf [t
0, t
+) beschr¨ ankt. Das bedeutet, dass die Integralkurve t 7→ (t, ϕ(t)) im Innern von I × R
nendet, und das kann nicht sein. Also muss t
+= b (und entsprechend dann auch t
−= a) sein.
Dass die Menge aller (maximalen) L¨ osungen dann einen Vektorraum bildet, ist trivial.
Sei L der (reelle) Vektorraum aller L¨ osungen ¨ uber I. F¨ ur ein festes t
0∈ I sei E : L → R
ndefiniert durch E(ϕ) := ϕ(t
0).
2Dann ist E offensichtlich linear, und aus dem globalen Existenz- und Eindeutigkeitssatz und dem obigen Resultat folgt, dass E bijektiv ist, also ein Isomorphismus von L auf R
n. Daraus folgt:
Der L¨ osungsraum L eines homogenen linearen Systems y
0= y · A(t)
>in I × R
nist ein n-dimensionaler R -Untervektorraum von C
1(I, R
n).
Eine Basis {ϕ
1, . . . , ϕ
n} von L bezeichnet man auch als Fundamentalsystem (von L¨ osungen), die Matrix
X(t) := ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t) nennt man Fundamentalmatrix. Sie erf¨ ullt die Gleichung
X
0(t) = A(t) · X(t).
Die Funktion W (t) := det X(t) heißt Wronski-Determinante des Fundamen- talsystems.
Wir erinnern uns an einige Tatsachen aus der Determinantentheorie. Sei A ∈ M
n,n( R ) und S
ij(A) die Streichungsmatrix, die durch Streichen der i-ten Zeile und der j-ten Spalte aus A entsteht. Dann wird die Zahl A
ij:= (−1)
i+jdet S
ij(A) als Cofaktor, algebraisches Komplement oder Adjunkte bezeichnet, und der La- place’sche Entwicklungssatz besagt: F¨ ur beliebiges k und beliebiges l ist
det(A) =
n
X
i=1
a
il· A
il=
n
X
j=1
a
kj· A
kj.
Man beachte: Sind a
1, . . . , a
ndie Zeilen der Matrix A, so ist A
ij= det a
1, . . . , a
i−1, e
j, a
i+1, . . . , a
n, und die Koeffizienten a
i1, . . . , a
inkommen in A
ijnicht vor.
Die Matrix ad(A) :=
A
iji = 1, . . . , n j = 1, . . . , n
heißt adjungierte Matrix zu A.
2
” E“ steht f¨ ur evaluate (auswerten).
1.3.4. Hilfssatz
1. Ist A ∈ M
n,n( R ), so ist (det A) · E
n= A · ad(A)
>. 2. Ist t 7→ A(t) ∈ M
n,n( R ) differenzierbar, so ist
(det ◦A)
0(t) = X
i,j
a
0ij(t) · A
ij(t).
Beweis: 1) Seien a
1, . . . , a
ndie Zeilen der Matrix A. Dann ist A · ad(A)
>ij
=
n
X
k=1
a
ikA
jk=
n
X
k=1
a
ikdet(a
1, . . . , a
j−1, e
k, a
j+1, . . . , a
n)
= det(a
1, . . . , a
j−1,
n
X
k=1
a
ike
k, a
j+1, . . . , a
n)
= det(a
1, . . . , a
j−1, a
i, a
j+1, . . . , a
n)
= δ
ij· det A.
2) Weil A
ijvon a
ijnicht abh¨ angt, folgt mit dem Entwicklungssatz
∂ det
∂a
ij(A) = ∂
∂a
ijn
X
k=1
a
kj· A
kj!
=
n
X
k=1
δ
ikA
kj= A
ij,
nach Kettenregel also
(det ◦A)
0(t) = X
i,j
∂ det
∂a
ij(A(t)) · a
0ij(t) = X
i,j
a
0ij(t) · A
ij(t).
Man kann den Begriff der Wronski-Determinante noch etwas verallgemeinern:
Definition
Sind ϕ
1, . . . , ϕ
n: I → R
nirgendwelche (differenzierbare) Funktionen, so nennt man
W (ϕ
1, . . . , ϕ
n)(t) := det(ϕ
1(t), . . . , ϕ
n(t))
die Wronski-Determinante von ϕ
1, . . . , ϕ
n.
1.3 Lineare Systeme 23
1.3.5. Die Formel von Liouville
Die Wronski-Determinante W (t) eines Systems von L¨ osungen der DGL y
0= y · A(t)
>erf¨ ullt die gew¨ ohnliche Differentialgleichung
z
0= z · SpurA(t) .
Ist W (t) sogar die Wronski-Determinante einer Fundamentalmatrix, so ist W (t) 6= 0 f¨ ur alle t ∈ I, und f¨ ur beliebiges (festes) t
0∈ R ist
W (t) = W (t
0) · exp Z
tt0
SpurA(s) ds
.
Beweis: Sei X(t) = (x
ij(t)) = (ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)) und W (t) = det X(t). Dann ist
W
0(t) = (det ◦X)
0(t)
= X
i,j
x
0ij(t) · (ad(X))
ij(t)
=
n
X
i=1
(X
0(t) · ad(X)
>(t))
ii= Spur X
0(t) · ad(X)
>(t) . Da die Spalten von X(t) L¨ osungen der DGL sind, ist
X
0(t) = A(t) · X(t), also
W
0(t) = Spur A(t) · X(t) · ad(X)
>(t)
= Spur A(t) · (det X(t) · E
n)
= W (t) · SpurA(t).
Sei X(t) = ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)
eine Fundamentalmatrix. Gibt es ein t
0∈ I mit W (t
0) = 0, so gibt es reelle Zahlen c
ν, nicht alle = 0, so dass P
ν
c
νϕ
ν(t
0) = 0 ist.
Die Funktion ϕ := P
ν
c
νϕ
νist L¨ osung der DGL und verschwindet in t
0. Nach dem Eindeutigkeitssatz muss dann ϕ(t) ≡ 0 sein. Also sind ϕ
1, . . . , ϕ
nlinear abh¨ angig und k¨ onnen kein Fundamentalsystem sein. Widerspruch!
Also ist W (t) 6= 0 und X(t) invertierbar f¨ ur alle t ∈ I. Außerdem ist (ln ◦W )
0(t) = W
0(t)
W (t) = SpurA(t),
also
ln W (t) W (t
0)
= ln W (t) − ln W (t
0) = Z
tt0
SpurA(s) ds.
Wendet man exp an, so erh¨ alt man die Liouville-Formel.
1.3.6. Die Fundamentall¨ osung
Sei A : I → M
n,n( R ) stetig.
1. Zu jedem t
0∈ I gibt es genau eine Fundamentalmatrix X
0der DGL y
0= y · A(t)
>mit X
0(t
0) = E
n(= n-reihige Einheitsmatrix).
F¨ ur t ∈ I wird dann C(t, t
0) := X
0(t) ∈ M
n,n( R ) gesetzt.
2. Ist y
0∈ R
n, so ist ϕ(t) := y
0· C(t, t
0)
>die eindeutig bestimmte L¨ osung mit ϕ(t
0) = y
0.
3. Die Matrix C(t, t
0) ist stets invertierbar, und f¨ ur s, t, u ∈ I gilt:
(a) C(s, t) · C(t, u) = C(s, u).
(b) C(t, t) = E
n, (c) C(s, t)
−1= C(t, s).
4. Ist {a
1, . . . , a
n} eine Basis des R
n, so wird durch ϕ
ν(t) := a
ν· C(t, t
0)
>ein Fundamentalsystem von L¨ osungen mit ϕ
ν(t
0) = a
νdefiniert.
Beweis: 1) Es gibt eindeutig bestimmte L¨ osungen ϕ
1, . . . , ϕ
n, so dass ϕ
ν(t
0) = e
νder ν-te Einheitsvektor ist. Da die Einheitsvektoren eine Basis des R
nbilden und die Evaluationsabbildung E ein Isomorphismus ist, bilden die ϕ
νeine Basis des L¨ osungsraumes. X
0:= (ϕ
>1, . . . , ϕ
>n) ist dann die (eindeutig bestimmte) Fun- damentalmatrix mit X
0(t
0) = E
n.
2) Da X
0(t) = C(t, t
0) eine Fundamentalmatrix ist, erf¨ ullt ϕ(t) := y
0· C(t, t
0)
>die DGL. Es ist n¨ amlich
ϕ
0(t) = y
0· X
0>(t)
0= y
0· X
0>(t) · A
>(t)
= ϕ(t) · A
>(t).
Nach Konstruktion ist C(t
0, t
0) = E
n, also ϕ(t
0) = y
0.
3) Weil W (t) = det C(t, t
0) nirgends verschwindet, ist C(t, t
0) immer invertierbar.
Sei y beliebig, t, u ∈ I beliebig, aber fest, sowie s ∈ I beliebig (variabel). Wir
setzen ϕ(s) := y · C(s, u)
>und ψ(s) := ϕ(t) · C(s, t)
>. Dann ist ψ(t) = ϕ(t), also
auch ψ(s) = ϕ(s) f¨ ur alle s ∈ I. Daraus folgt:
1.3 Lineare Systeme 25
y · C(s, u)
>= ϕ(s) = ψ(s)
= ϕ(t) · C(s, t)
>= y · C(t, u)
>· C(s, t)
>= y · C(s, t) · C(t, u)
>.
Weil C(s, u) invertierbar ist, folgt die Gleichung C(s, u) = C(s, t) · C(t, u).
4) ist trivial.
Leider ist es im allgemeinen nicht m¨ oglich, die L¨ osungen eines homo- genen linearen Systems explizit anzugeben! In Einzelf¨ allen kann es aber durchaus L¨ osungsmethoden geben.
Wir betrachten nun den inhomogenen Fall y
0= y · A(t)
>+ b(t). Wie im homo- genen Fall kann man zeigen, dass alle L¨ osungen ¨ uber ganz I definiert sind. Da die Differenz zweier L¨ osungen der inhomogenen Gleichung eine L¨ osung der homogenen Gleichung ist, bilden die L¨ osungen der inhomogenen Gleichung einen affinen Raum, und es gen¨ ugt, eine partikul¨ are L¨ osung des inhomogenen Systems zu finden. Wir benutzen hier wieder (wie im Falle einer Gleichung erster Ordnung) die Methode der Variation der Kostanten.
Ist X(t) = (ϕ
>1(t), . . . , ϕ
>n(t)) eine Fundamentalmatrix, so ist die L¨ osungsgesamt- heit des homogenen Systems die Menge der Linearkombinationen
c
1· ϕ
1(t) + · · · + c
n· ϕ
n(t).
F¨ ur eine partikul¨ are L¨ osung der inhomogenen Gleichung machen wir den Ansatz ϕ
p(t) := c
1(t) · ϕ
1(t) + · · · + c
n(t) · ϕ
n(t) = c(t) · X(t)
>.
Dann ist
ϕ
0p(t) = c
0(t) · X(t)
>+ c(t) · X
0(t)
>= c
0(t) · X(t)
>+ c(t) · A(t) · X(t)
>= c
0(t) · X(t)
>+ ϕ
p(t) · A(t)
>. Also gilt:
ϕ
p(t) ist L¨ osung ⇐⇒ ϕ
0p(t) = ϕ
p(t) · A(t)
>+ b(t)
⇐⇒ c
0(t) · X(t)
>= b(t)
⇐⇒ c
0(t) = b(t) · (X(t)
>)
−1⇐⇒ c(t) = c(t
0) + Z
tt0
b(s) · (X(s)
>)
−1ds .
Ist X(t) = C(t, t
0), also X(t
0) = E
n, so ist
ϕ
p(t) = c(t) · X(t)
>=
y
0+ Z
tt0