Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 40½½½½6. Oktober 2000 AA2485
S E I T E E I N S
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enny Elvers, langjährige Lebens- gefährtin von Heiner Lauterbach, erwartet angeblich ein Kind von Alex. Zlatko steht gemeinsam mit der Theaterschauspielerin Sunny Melles vor der Kamera. Sabrina, we- gen unbezahlter Rechnungen ange- klagt, wird von ihrem Richter darauf angesprochen, dass er sie im Fernse- hen nackt gesehen habe.Sie sind bundesweit bekannt, täg- lich berichtet nicht nur die Boule- vardpresse über sie: die Ex-Big-Bro- ther-Bewohner. Die Trashkultur boomt. Angesagt sind Comedy, Fun und Reality-TV. Was George Orwell in „1984“ noch als erschreckendes Szenario einer durch und durch tota- litären Gesellschaft beschrieben hat („Big Brother is watching you“), ist im Jahr 2000 zu einer Form des ge- wöhnlichen Entertainments gewor- den. Proteste von Politikern und
Kirchen gegen dieses Sendeformat blieben weitgehend ungehört. Die Reihe wurde nicht abgesetzt, die Einschaltquoten stiegen, und inzwi- schen ist „Big Brother“ für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.
Jetzt hat die zweite Staffel begon- nen – diesmal gehören zwei Medizi- ner zu den Bewohnern. Anästhesi- stin Stefanie aus Köln und Medizin- student Walter aus Klagenfurt. Ste- fanie „ist traurig, wenn Menschen sterben“ und „freut sich, wenn ande- re wieder gesund werden“. Sie und Walter werden wohl auch wegen der Siegprämie von 250 000 DM in den Container gezogen sein.
Zahlreiche Fernsehzuschauer sind möglicherweise enttäuscht von ihren „Halbgöttern in Weiß“, von denen sie eine gewisse Vorbildfunk- tion erwarten. Es ist allerdings da- von auszugehen, dass die meisten
Zuschauer gar nichts dabei finden, dass auch Vertreter dieses Berufes klassische Wertvorstellungen wie Toleranz oder Wahrung der Privat- sphäre über Bord werfen, wenn es um Prämien und Popularität geht.
„Big Brother“ wird sicherlich bald von anderen Konzepten über- holt worden sein. Vielleicht interes- siert sich schon in Kürze kein Mensch mehr für die Container-Be- wohner. Dass es hohe Einschaltquo- ten gibt, wenn es um immense Geld- summen geht, scheint jedoch ein Trend der Zeit zu sein. So erfreuen sich zurzeit Sendungen, in denen man durch die Beantwortung weni- ger Fragen Millionär werden kann, ebenfalls großer Beliebtheit. Im kommenden Jahr sollen Adipöse ge- meinsam abnehmen; die verlorenen Pfunde des Siegers werden in Gold aufgewogen. Gisela Klinkhammer
Kassenärzte
Peinlich transparent D
ass die niedergelassenen Ärzte mitunschöner Regelmäßigkeit immer dann als „Abrechnungsbetrüger“ am Pranger stehen, wenn die Politik neue (Gesundheits-)Reformen plant oder mal wieder Verhandlungen mit den Krankenkassen anstehen, ist keine neue Erfahrung. Mit dem systema- tisch verpassten Image der „frei nie- dergelassenen Abzocker“ lässt sich halt trefflich Stimmung machen. Der einzelne Arzt, das weiß man, genießt ein extrem hohes gesellschaftliches Ansehen. Die Spezies insgesamt kommt weit weniger gut weg.
Während sich die einen über die ge- zielten und undifferenzierten Verun- glimpfungen ärgern, nehmen andere die immer wiederkehrenden Kampa- gnen fast schon resignativ zur Kennt- nis. Die ärztlichen Standesvertreter halten in der Regel zwar dagegen – zu-
meist aber ohne nachhaltige Wirkung.
Soweit die traurige Routine.
Ungewöhnlich – weil mit einer an- deren Dimension versehen – war al- lerdings der Vorstoß des Bundeskri- minalamts (BKA). Die Wiesbadener Kriminalisten veranstalteten kürzlich eine groß angelegte Tagung zum The- ma „Abrechnungsbetrug im Gesund- heitswesen“ (dazu Deutsches Ärzte- blatt, Heft 37/2000), bei dem es nahe- zu ausschließlich um die ambulante Versorgung ging. Von der „Kontrolle der Kontrolleure“ war die Rede. Ge- meint sind die Kassenärztlichen Ver- einigungen, bei denen ein nachlässiges Prüfverhalten vermutet wird.
Ungewöhnlich – weil mit einer anderen Dimension versehen – fiel die Reaktion von Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm auf die BKA- Initiative aus. Der Vorsitzende der
Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV) nutzte die diesjährige Hauptversammlung des Berufsver- bandes der Allgemeinärzte Deutsch- lands in Ulm, um laut nachzuden- ken. „Wie wäre es eigentlich“, sin- nierte Richter-Reichhelm, „wenn wir allen unseren Kassenpatienten künftig gleich nach der Behandlung einen Computer-Ausdruck aller er- brachten Leistungen mit nach Hau- se geben würden?“ Verblüfftes Schweigen bei den Hausärzten.
„Und wie wäre es“, sagte der KBV- Vorsitzende weiter, „wenn wir die aktuellen Kassenhonorare gleich mit draufschreiben würden?“ Hefti- ger Applaus bei den Hausärzten. Ja, wie wäre das eigentlich? Es wäre transparent für jedermann und ziemlich peinlich für die gesetzli- chen Krankenkassen. Josef Maus