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Archiv "Abend für Abend auf der Bühne" (22.01.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Schauspieler „müssen" gesund sein, obwohl ihr Beruf sie anfällig für Krankheiten macht

Abend

für Abend auf der Bühne

Sind Schauspieler eingebil- dete Gesunde oder eingebil- dete Kranke; sind sie anfälli- ger für Krankheiten als ande- re, und gibt es gar speziel- le Schauspielerkrankheiten?

Der Verfasser hat Schauspie- ler an zwei Bühnen des Ruhr- gebietes befragt*)

Gotthard Kuppel

C

hirurgische Poliklinik, norma- ler Arbeitsbetrieb. Plötzlich heben sich die Köpfe: in der Anmeldung ein Schauspieler mit Verdacht auf Nasenbeinfraktur.

Alles horcht auf, die Pfleger, die Damen an den Schreibmaschi- nen, die Patienten und Ärzte. Ein Schauspieler! Wer wird der Glück- liche sein, der diese interessante Person untersuchen darf?

Der Nasenbeinbruch selbst ist ein ganz gewöhnlicher, denn die Be- rufsgruppe der Schauspieler hat den Ärzten sicher keine chirurgi- schen Besonderheiten zu bieten, die nicht auch bei jedem Men- schen auftreten könnten. Was ist anders? — Beschäftigt man sich mit soziologischen Theorien über diese Gruppe, so findet man die Autoren hierin einig: Schon die Berufsstruktur mit zu vielen

*) Eine ausführliche Untersuchung „Zum Ge- sundheitsverhalten von Schauspielern" er- scheint, gefördert von der Ludwig-Sievers- Stiftung, demnächst im Deutschen Arzte- Verlag.

Schauspielern, zu wenig Stellen, ohne objektive Leistungskriterien, mit hoher Abhängigkeit von der Tagesform, mit vergänglichen Lei- stungen, mit Zufälligkeiten in der Karriere, mit Isolierung durch die Arbeitszeit und immer wieder not- wendigen örtlichen Veränderun- gen bringt besonders hohe Span- nungen, Frustrationen und Unsi- cherheiten mit sich. Darüber hin- aus läßt auch die „Menschendar- stellung" selbst Probleme im psy- chosozialen Bereich erwarten, vielleicht stimmt sogar, daß ein Schauspieler zu einer definitiven Identität nie finden kann oder darf; zudem kehrt, im Gegensatz zu den meisten anderen Berufen, durch die Premiören und das da- mit verbundene Lampenfieber le- benslang eine spezifische Prü- fungssituation wieder.

In der Literatur über Schauspieler stößt man allerorts auf drei das Gesund heitsverhalten betreffen- de Behauptungen:

Eingebildete Kranke sind Schauspieler im Privatleben eigentlich selten. Anders auf der Bühne — jedenfalls dann, wenn sie Molires „eingebildeten Kranken"

spielen (hier Curt Bois als Argan, hinter ihm Carla Hagen als Toinette; Szenenfoto aus der Kortner-Inszenierung, Premiere am 21. Juni 1965 im Berliner Schiller- Theater) Foto: Buhs-Remmler/Ullstein

> Schauspieler leben ungesund (sie rauchen zum Beispiel stark, sie trinken viel Alkohol, schlafen wenig, ernähren sich unregelmä- ßig);

> sie haben eine sehr individuali- stische Einstellung („Was ich ma- che, geht keinen was an" — außer auf der Bühne natürlich);

und sie sind sensibel (wie überhaupt Künstler eine „dünne- re Haut" haben).

Diese drei Hypothesen eigneten sich gut als Untersuchungsgegen- stände, weil dazu auch Ver- gleichsmaterial mit der Gesamt- bevölkerung vorlag. Mit einem Fragebogen wurden sodann die Schauspielerensembles an den Theatern Bochums und Castrop-

Rauxels befragt und die Ergebnis- se mit den vorhandenen Daten zur Gesamtbevölkerung verglichen.

Dabei ergab sich folgendes:

Risikobewußtes Leben Die Schauspieler, als Nachtarbei- ter und „Freizeitunterhalter" oh- nehin in einem gesundheitsfeind- lichen Rhythmus lebend, treiben im Verhältnis zur Gesamtbevölke- rung zwar mehr Sport und weisen weniger Übergewicht auf. Aber:

sie rauchen mehr Zigaretten, sie trinken mehr Alkohol, sie halten sich weniger an der frischen Luft auf, sie haben weniger Nacht- schlaf, und sie empfinden bei der Arbeit mehr Streß. Erstaunlicher- weise fühlen sie sich trotz dieser vermehrten Risiken nicht schlech- ter als die übrige Bevölkerung. Ei- ne Erklärung dafür könnte Zweck- optimismus mit dem Ausdruck Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 4 vom 22. Januar 1986 (19) 167

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Schauspieler

„blendender Gesundheit" und ständiger Fitneß sein, in einem Beruf mit so vielen Unsicher- heiten und so hoher Arbeitslosig- keit nicht eben überraschend.

Durch die verstärkte sportliche Betätigung könnten die Schau- spieler ein Gegengewicht zu den ungesunden Verhaltensweisen suchen, um so die erwünschte

„blendende Gesundheit" tatsäch- lich herzustellen. Auch die Ver- meidung von Übergewicht findet hierin — und zusätzlich im Schön- heitsideal des Schlanken — eine Begründung.

Die Schauspieler leben also deut- lich gesundheitsriskanter als die Gesamtbevölkerung; und sie sind aber auch eher bereit, diese Risi- ken in Kauf zu nehmen. Sie gehö- ren damit zu jener Bevölkerungs- gruppe, die risikobewußt lebt, auf- geklärt ist, ihre Fehler im Gesund- heitsverhalten offen eingesteht und ein bewegtes und abwechs- lungsreiches Leben führt. In die- ser Gruppe sind in der Gesamtbe- völkerung besonders stark Män- ner und Personen im Alter von un- ter 50 Jahren vertreten. Beim Ver- gleich zwischen männlichen und weiblichen Schauspielern zeigt sich indes, daß die Schauspiele- rinnen, was die gesundheitsris- kanten Gewohnheiten betrifft, sich nicht von ihren männlichen Kollegen unterscheiden.

Übrigens hat schon 1783 Prof. Dr.

Franz Anton May, Freund und Leibarzt Schillers, in seinem Auf- satz „Über die Heilart der Schau- spielerkrankheiten" geraten, Schauspieler müßten alle Arten von Schwelgereien meiden, sie bedürften kräftiger, aber nicht zu schwerer Mahlzeiten, und er emp- fahl „nützliche" Getränke, genü- gend Schlaf, Bewegung und Wa- schen mit kaltem Wasser!

Gesundheit

gilt als Privatsache

Die ungesunden Verhaltenswei- sen der Schauspieler finden ihr Abbild in den gruppenspezifi-

schen Normen des Gesundheits- verhaltens. In einer früheren Un- tersuchung dieser Normen bei der Gesamtbevölkerung hatte sich nur eine kleine Minderheit mit einer individualistischen Grundhaltung auffinden lassen:

Diese Minderheit forderte die Möglichkeit zur eigenen und frei- en Entscheidung im Gesundheits- verhalten ohne irgendwelche Zwänge (Motto: „Was ich mit mei- ner Gesundheit mache, ist aus- schließlich meine eigene Sa- che."); es waren vor allem junge Personen und solche mit höherer Schulbildung; dazu nahmen auch Personen mit hohem Berufsrang eher eine Schädigung der Ge- sundheit in Kauf, wenn es um be- rufliche oder finanzielle Vorteile ging.

Im Verhältnis zur Gesamtbevölke- rung waren die Schauspieler ent- schieden mehr der Meinung, Ge- sundheit sei ihre Privatsache.

Zwang zur Durchsetzung von Nor- men im Gesundheitsverhalten lehnten sie ab, die Bestrafung von Abweichungen wurde für nicht gut geheißen. Damit übereinstim- mend hatten alle Schauspieler Vorstellungen gespielt und an Proben teilgenommen, obwohl sie sich krank fühlten; über die Hälfte hatte sogar trotz Krank- schreibung Vorstellungen ge- spielt und fast ein Drittel „krank- geschrieben" an Proben teilge- nommen.

Schauspieler verhalten sich also, was die Normen im Gesundheits- verhalten angeht, eher wie Perso- nen mit höherer Schulbildung und wie junge Personen. Das Bild des Schauspielers als des „Berufsju- gendlichen" steht im Einklang mit dem Bild des Schauspielers als Träger „blendender Gesundheit".

Entsprechend ist die Tendenz der Schauspieler, sich früher in den Schutz des Arztes zu begeben und sich mehr mit dem eigenen Gesundheitszustand zu beschäfti- gen als die übrige Bevölkerung.

Tritt bei einer Person ein Krank- heitssymptom auf, so herrschen

bestimmte laienhafte Vorstellun- gen darüber, als wie ernst das Symptom angesehen werden muß, ob man zur Weiterarbeit ver- pflichtet ist und ob ein Arztbesuch erforderlich ist. Die so beschrie- bene Symptomtoleranz unterliegt Normen, die den vorärztlichen Be- reich des Gesundheitsverhaltens bestimmen. Von Interesse war, ob Schauspieler eine andere Sym- ptomtoleranz aufweisen als die Gesamtbevölkerung. Ihnen wurde eine Liste von 24 Krankheitszei- chen vorgelegt, zu denen sie ihre Einschätzung abgaben (auch hier stand Zahlenmaterial zum Ver- gleich mit der übrigen Bevölke- rung zur Verfügung).

Angst vor „kosmetischen"

Krankheitszeichen

Zusammengefaßt sind dies die wesentlichen Unterschiede: Drei

„optisch-kosmetische" Krank- heitszeichen (plötzlicher Haaraus- fall, Knotenbildung unter der Kopfhaut und ein sich vergrößern- der dunkler Fleck in der Haut) be- reiteten den Schauspielern mehr Sorge als der Gesamtbevölke- rung; allerdings befanden sich un- ter den Schauspielern erheblich mehr Frauen als in der Vergleichs- gruppe. Auf der anderen Seite zeigte sich kein Unterschied dar- in, wie männliche Schauspieler und ihre Kolleginnen die drei Phä- nomene deuteten. Diese drei „op- tisch-kosmetischen" Krankheits- erscheinungen wurden von den Schauspielern nicht nur vermehrt für Anzeichen einer ernsten Krankheit gehalten, sie machten auch eher einen Besuch beim Arzt nötig, und für sie verlangten die Schauspieler auch eher das Recht, von der Weiterarbeit be- freit zu werden. Einen Grund da- für bietet der „Verkaufswert" des sich möglichst nicht mehr verän- dernden (und natürlich möglichst gut aussehenden), auf Bewer- bungsphotos festgelegten „Typs"

des Schauspielers.

Auch bei mehr akuten Krankheits- erscheinungen wie Diarrhoe und 168 (20) Heft 4 vom 22. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

LESERMEINUNG Schauspieler

vor allem den Krankheitszustän- den mit erhöhter Körpertempera- tur forderten die Schauspieler im Vergleich zu anderen Personen eher das Recht, nicht mehr arbei- ten zu müssen; man kann sich vorstellen, daß bei derartigen Zu- ständen die körperliche und psy- chische Präsenz der Schauspieler bei Proben und vor allem bei Vor- stellungen Einschränkungen er- leidet.

Dagegen wurden chronische Er- krankungen wie häufige Magen- und Rückenschmerzen, auch Kopf- und Nackenschmerzen von den Schauspielern hinsichtlich der Fortsetzung der Arbeit mehr toleriert als von anderen Perso- nen.

Die Arbeit geht vor

Die Krankheitsphänomene, die sich sozusagen als „pure Empfin- dung" zeigen — Schmerzen, Bren- nen, Stechen, Kribbeln, Jucken, Taubheitsgefühl — machten zwar für die Schauspieler mehr als für die Vergleichsgruppe einen Arzt- besuch notwendig und wurden von den Schauspielern auch eher als Zeichen ernster Krankheit an- gesehen (was vielleicht auf eine erhöhte Empfindlichkeit des Sen- soriums zurückzuführen ist), aber das Recht, dabei nicht mehr arbei- ten zu müssen, wurde von den Schauspielern nicht mehr als von den Personen der Vergleichs- gruppe gefordert. Auch hier machten sich die Schauspieler al- so mehr Sorgen mit der Konse- quenz, den Arzt aufzusuchen;

aber die Arbeit ging vor. Mögli- cherweise läßt die intensive Arbeit auf der Bühne zumindest zeitwei- se diese Phänomene vergessen;

man denke dabei an die oft be- schriebene „Schmerzlosigkeit"

auf der Bühne: Ein Bochumer Schauspieler riß sich bei einem Sturz anfangs der Vorstellung den Nagel der Großzehe zur Hälfte weg und spielte das gesamte Stück; erst bei Einsatz des Ap-

plauses begannen die angemes- senen Schmerzen!

„Sensibilitäts-Syndrom"

Man erkennt schon bei der

„Schmerzlosigkeit" auf der Büh- ne, daß es mit der vielerwähnten Sensibilität der Schauspieler et- was besonderes auf sich haben muß. Folgt man der Literatur über Schauspieler, werden erst schon sensible Personen zu Schauspie- lern, um dann durch die Art des Berufes noch sensibler zu werden bzw. gemacht zu werden. Die Un- tersuchung von Sensibilität ist problematisch. Das „Sensibilitäts- Syndrom" war günstig für unsere Untersuchung, da wiederum Zah- len über die Gesamtbevölkerung vorlagen. Dies „Sensibilitäts-Syn- drom" zeichnet einen psycho- physischen Kreislauf, der gebildet wird durch: Nervosität, Wetter- empfindlichkeit, Aberglauben, Schlaflosigkeit und das Gefühl, unglücklich zu sein. Es ist vor al- lem bei Personen zu finden, die sich krank fühlen, oder umge- kehrt: wer sich krank fühlt, zeigt vermehrt die Einzelaspekte des

„Sensibilitäts-Syndroms".

Schauspieler halten sich in weit höherem Maße als die Gesamtbe- völkerung für nervös und wetter- fühlig; sie leiden mehr unter Schlaflosigkeit, lesen mehr im Ho- roskop und klagen über häufige Depressionen. Dennoch äußerten die Schauspieler unserer Untersu- chung ein besseres subjektives Gesundheitsempfinden als die übrige Bevölkerung. Allerdings befanden sich in der Gesamtbe- völkerung relativ mehr ältere Per- sonen als unter den Schauspie- lern. Sieht man davon einmal ab, waren die Schauspieler im Sinne des „Sensibilitäts-Syndroms" tat- sächlich sensibler als die Gesamt-- bevölkerung; ob sie damit auch

„kranker" waren — dazu bedürfte es anderer Untersuchungen. Je- denfalls war bei Personen, bei de- nen man das „Sensibilitäts-Syn- drom" beobachten konnte, auch die Tendenz zum frühzeitigen Aufsuchen eines Arztes festzu- stellen; und das traf auf die

LA-MED-Befragung

Ihr Urteil ist erneut gefragt!

In den kommenden Wo- chen befragt die Ar- beitsgemeinschaft LA- MED, in der die über- regionalen und die re- gionalen medizinischen Zeitschriften zusam- mengeschlossen sind, erneut die Ärzte zu ih- rem Leseverhalten.

Falls Sie zu den reprä- sentativ ausgewählten Ärzten gehören, die vom Untersuchungsinstitut IVE um ein Interview ge- beten werden, bitten wir Sie herzlich um Ihre be- reitwillige Mitwirkung.

Verlag, Redaktion und Herausgeber des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTS sind sehr daran interes- siert zu erfahren, wie Sie unser Informationsange- bot einschätzen und nutzen. Zur weiteren Verbesserung unserer Zeitschrift sind wir auf Ihr Urteil darüber ange- wiesen, wie unsere Ar- beit bei Ihnen „an- kommt". Sie werden den Nutzen daraus zie- hen!

Vielen Dank für Ihre Mitarbeit.

Ihr

Deutscher

Ärzte-Verlag

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 4 vom 22. Januar 1986 (23) 169

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Schauspieler

Schauspieler noch verstärkt zu, ebenso wie ein genaueres Befol- gen der ärztlichen Anordnungen.

Trotzdem hatten die Schauspieler seltener einen Arzt ihres Vertrau- ens, was sich womöglich mit den ständigen Ortswechseln erklären läßt, denn andererseits wählten sie sich ihren Hausarzt nicht nach dem Gesichtspunkt aus, daß seine Praxis sich nahe bei ihrer Woh- nung befände.

„Wer mit organischen Mängeln ir- gendeiner Art zu kämpfen hat oder keiner dauerhaften Gesund- heit sich zu erfreuen hat, möge durchaus dem Beruf der Bühne entsagen", schrieb Thürnagel 1836. Obwohl die körperliche An- strengung der Schauspieler bei ihrer Arbeit, wie Messungen zeig- ten, nicht übermäßig hoch ist, ste- hen sie doch dadurch, daß die Ar- beitszeit unregelmäßig ist und bis in die Nacht hineinreicht, in der Gefahr allgemeiner Gesundheits- schädigung. Daneben sind sie in erhöhtem Maße Erkältungskrank- heiten und Schädigungen der Stimm- und Sprechorgane ausge- setzt; Ursachen sind Überforde- rung der Stimme, Bühnenstaub und Zugluft. Die nicht meßbare psychische Belastung, so zu tun, als ob sie eine andere Person sei- en, ist noch hinzuzurechnen.

Schauspielerkrankheiten Gibt es demnach spezielle

„Schauspielerkrankheiten"? Das Lampenfieber bedeutet zwar eine besondere Art von lebenslang wiederkehrender Streß-Situation, aber nur wenige der befragten Schauspieler hielten es für eine spezifische „Schauspielerkrank- heit". Als „Schauspielerkrank- heiten" wurden dann erst an zwei- ter Stelle die Erkrankungen der gefährdeten und so berufsnot- wendigen Sprech- und Stimmor- gane angegeben; deutlich an er- ster Stelle standen psychische Krankheitszeichen und psychiatri- sche Erkrankungen. Da die von den Schauspielern benutzten Be- griffe ungenau waren und exakte

psychiatrische Diagnosen fehlten, sind präzise Aussagen für unsere Untersuchung nicht möglich. Im- merhin bedenkenswert, daß die Schauspieler selbst Krankheits- symptome dieser Art an erster Stelle nannten.

Hier soll hier nochmals May zu Worte kommen, der 1783 schrieb:

„Als Arzt machte ich medizinische Betrachtungen über das Schick- sal der Schauspieler, über die vor- bereitenden Ursachen ihrer un- vermeidlichen Krankheiten, über die Schwierigkeiten, dieselben zu heilen, über die notwendige aber glückliche Empfindlichkeit ihrer Nerven, über die Gefahren, wel- chen der gefühlvolle Schauspieler unmöglich ausweichen kann, über das auf die Nerven heftig wir- kende Gefühl abwechselnder Lei- denschaften, und in diesem Au- genblick ... fühlte ich Hochach- tung und Mitleiden für diese Gat- tung Nervenmärtyrer . . Diese Kraft des Spiels ... nagt an den Nerven, an der Gesundheit des Schauspielers.... Mehrmalen habe ich bei den Krankheiten empfindsa- mer Schauspieler wahrgenom- men, daß ihre Nerven empfind- licher sind, als jene des zärtlichen Frauenzimmers. ... Eben diese ganz außerordentliche, guten Schauspielern so eigene Empfind- lichkeit der Nerven ist der mächtige Feind, wider welchen der Arzt in ih- ren Krankheiten zu kämpfen hat... . So notwendig die Empfindlichkeit der Nerven zu diesem Geschäfte ist, so schädlich ist die Überspannung derselben.... Dieselbe gar zu über- spannte Empfindlichkeit der Ner- ven ist auch die Ursache, warum die meisten Schauspieler Schwermüt- linge sind. ... Das Nervengebäude guter Schauspieler wird nach und nach außerordentlich empfindlich.

Der natürliche Abdruck der Leiden- schaften auf der Schaubühne hin- terläßt bei dem Schauspieler eine gewohnheitliche Leichtigkeit und Neigung zu denselben außer der Bühne. ... Nichts entkräftet den Geist mehr als Abwechslung hefti- ger Leidenschaften in einem kur- zen Zeitraum".

Verlust der Illusionen

Auf der Suche nach einem selbst- bestimmten, kreativen Beruf, der andere Ausdrucksformen bietet als sogenannte bürgerliche Beru- fe, geben sensible Personen ei- nem „Drang zum Theater" nach;

im Beruf werden sie dann nicht nur noch sensibler (also auch ver- letzlicher), sondern zudem schlichtweg enttäuscht: der Beruf ist anders als in den Träumen vor Eintritt in die Schauspielschule;

er bietet nicht annähernd die er- warteten Freiheiten, die den

„Drang" verursacht hatten, denn die Theater sind doch auch nur profitorientierte Unternehmen mit entsprechenden Produktionsbe- dingungen und Hierarchien. Ad- diert man die Unsicherheiten, die der Beruf durch Struktur und Funktion in Gang hält, die Enttäu- schung, die er in sich birgt, die Gesundheitsrisiken, die Schau- spieler vermehrt auf sich nehmen, ihre höhere Empfindlichkeit, er- kennbar in der niedrigen Sym- ptomtoleranz und im Ausmaß des

„Sensibilitäts-Syndroms", dazu die Normen, die all dies reglemen- tieren, so hat man in einem Teu- felskreis, der das dann immer wie- der von neuem produziert, genü- gend Anlässe zu pessimistischer, ja depressiver Grundstimmung und anderen psychischen Krank- heitszeichen vor Augen und spielt mit dem Gedanken, Schauspieler tatsächlich für „berufskrank" an und für sich zu erklären. . . Städtisches Schauspielhaus, die Vorstellung läuft. In der zweiten Reihe ganz rechts außen sitzt der Chirurg, der den Nasenbeinbruch behandelt hat, als Theaterarzt und sieht „Der eingebildete Kranke".

Die Nase eines Darstellers ist ge- schwollen, aber er spielt unbe- schwert davon.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

Gotthard Kuppel

Lindhornstraße 5, 2800 Bremen 170 (24) Heft 4 vom 22. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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