• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ankündigungsmedizin: Überprüfung der sprachlichen Mittel" (05.05.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ankündigungsmedizin: Überprüfung der sprachlichen Mittel" (05.05.2006)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P O L I T I K

A

A1194 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006

KOMMENTAR

D

r.Wagner experimentiert bereits seit Monaten inFausts ehemali- gem Laboratorium. Dem hinzu- getretenen Mephistopheles antwortet er auf die Frage, was es denn gibt: „Es wird ein Mensch gemacht“ (2). Doch der Homunculus, der durch Mischung von vielen Hundert Stoffen entsteht und in der Phiole leuchtet, ist kein Mensch, er ist ein Geistwesen, das außerhalb seines Behältnisses nicht existieren kann und bald seinem Er- schaffer entgleitet.

Was Johann Wolf- gang von Goethe in seinem Sprachwun- derwerk „Faust“ vor 250 Jahren in Gestalt des sowohl fort- schrittsgläubigen als auch einfältigen Dr.

Wagner vorausschau- end gedacht hat, fin-

det in gewissem Maße seine Parallele in der modernen Medizin, und zwar dann, wenn Erfolge schon vorausgesagt wer- den, obwohl wissenschaftliche Beweise noch ausstehen. Basierend auf Ergeb- nissen der Grundlagenwissenschaften oder beflügelt durch eigene Wunsch- vorstellungen, wird eine Behauptung aufgestellt, deren Kernaussage darin besteht, bisher nicht heilbare Krankhei- ten bald heilen zu können.

Die Forschungsrichtungen Xeno- transplantation und Gentherapie geben in besonderem Maß Beleg dafür, wie Sprache als taktisches Instrument zur Erreichung bestimmter Handlungsziele manipulativ eingesetzt wird. Vor zwölf Jahren wurde angekündigt, dass der Er- satz des menschlichen Herzens durch ein Schweineherz bald anstehe (3). Drei Jahre später (1997) heißt es: „Xeno- transplatation bietet die prospektive Chance, viel für die Gesundheit und Le- benserhaltung von Menschen zu tun“

(8). Um den Mangel an humanen Spen- derorganen zu beheben, wird eine Ent- wicklung vorangetrieben, die biologi- sche Realitäten negiert und nicht ohne Risiko ist. 130 Millionen Jahre Evoluti-

on haben bei den Säugetieren zur Aus- prägung einer spezies-spezifischen Ana- tomie, Physiologie und Lebenszeit ge- führt. Das biologische Alter einer Spe- zies und seiner Organe ist genetisch festgelegt (Hausschwein circa zwölf Jah- re, Mensch circa 80 Jahre) und passt sich dem Empfängerorganismus nicht an;

das heißt, ein im Menschen implantier- tes Schweineherz wächst und altert schneller als ein Allotransplantat. Dar- über hinaus ist bis heute ungeklärt, ob

seine anatomische Konstruktion und Pumpleistung für die Aufrechterhaltung des Kreislaufs bei einem aufrecht gehen- den Individuum ausreicht (3). Die seit Jahren bekannten Risiken der hyper- akuten Abstoßungsreaktion sind bisher nicht beherrschbar. Eine Übertragung von im Schweinegenom integrierten Viren (PERV, Gammaretroviren, Hepa- titis E) (1, 6, 11) kann auch künftig nicht ausgeschlossen werden.

Seit zehn Jahren wird von Geneti- kern die Hoffnung verbreitet, durch Gentherapie Krankheiten von Alzhei- mer bis Krebs bald heilen zu können.

Etwa 300 Genstudien mit mehr als 4 000 Patienten sind bisher weltweit durchgeführt worden, die meisten der Studienteilnehmer litten an Krebs. Kli- nisch nachweisbare dauerhaft positive Resultate fehlen allerdings bis heute (5). Die Gründe dafür sind vielfältig.

Einerseits sind die meisten Krankhei- ten nicht monogen bedingt; es sind mehrere zum Teil noch nicht bekannte Gensequenzen an der Ausprägung be- teiligt; andererseits entwickeln sich chronische Erkrankungen erst im Lau- fe des Lebens. Die Ursache ihrer Ent-

stehung ist oftmals weitgehend unbe- kannt (Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, multiple Sklerose, Tumo- ren, Atherosklerose). Verschiedene Faktoren werden diskutiert, sowohl genetische Prädisposition als auch jeder andere externe (epigenetische) Einfluss kann in dem multifaktoriellen Geschehen eine Rolle spielen (9).

Die Grenzen unserer Sprache ma- chen die Grenzen unserer Welt aus (12).

Will man diese überschreiten, bedarf es sorgfältiger Vorberei- tung. Zunächst wird ein gedanklicher Ent- wurf mitgeteilt. Eine kühne Idee wird zum Redegegenstand er- klärt, wobei der Ge- brauch von Wertwor- ten wie Ethik den Denkinhalten einen goldenen Glanz ver- leihen soll, um den Weg für das Wünsch- bare zu ebnen. Aus der Wissenschafts- sphäre wird der neue Gedanke in die Medienwelt übertragen, denn je weiter Forschung in ethisch problematische Bereiche vordringt, umso schwieriger, aber auch umso wichtiger ist es, allge- meine Akzeptanz zu finden.

Bei Forschungsvorhaben in Grenz- bereichen der Medizin ist es daher un- erlässlich, ethische Forderungen mit einzubeziehen. Diese betreffen Trans- parenz und die kritische Beurteilung bisheriger Ergebnisse sowie die verall- gemeinerungsfähige Abwägung des Vorhabens im Sinne eines guten und ge- rechten Handelns. Wichtig ist aber auch die Überprüfung der sprachlichen Mit- tel, mit denen die Ziele benannt werden (10), denn Sprache bestimmt und lenkt unsere Wirklichkeitsauffassung. Wo sie unangemessene Realitätsinterpretation nahe legt, wirkt sie verführend (4) und weckt Hoffnung, die nicht immer zu er- füllen ist. Dr. med. Gerhard Stübner

Ankündigungsmedizin

Überprüfung der sprachlichen Mittel

Literaturverzeichnis im Internet unter www.aerzte blatt.de/lit1806

(2)

Literatur

1. Denner J (2005) Fortschritte und Risiken der Xenot- ransplantation. Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie (GfV) in Bezug auf Chancen und Risiken der Xenotransplantation. DennerJ@rki.de27

2. Goethe JW v. Goethes Werke. 5. Bd. Faust II. Teil. Bi- bliographisches Institut Leipzig und Wien, 1900, 283–285.

3. Hammer C (1999) Xenotransplantation zwischen medizinischen Möglichkeiten und ethischen An- sprüchen. Aus Politik und Zeitgeschichte B 6/99, 30–8

4. Krebsinformationsdienst Deutsches Krebsfor- schungszentrum Heidelberg (2001) Gentherapie.

Hoffnungsvolle Behandlung oder Luftschloss?

http://www.krebsinformation.de

5. Meyer R (2005) Morbus Alzheimer. Erste klinische Er- gebnisse der Gentherapie. Deutsches Ärzteblatt, 102, 18, B1057.

6. Mieth D (2004) "Konvergenzargumentation". Basti- on gegen das Forschungsklonen Ethik Med 2004, 16, 160–64.

7. Nikol S (1997) Aktueller Stand der Gentherapie.

Schlusswort. Deutsches Ärzteblatt 94, 15, B799.

8. Pichlmayr R (1997) Medizinische Ethik und medizini- scher Fortschritt am Beispiel Xenotransplantation.

niedersächsisches ärzteblatt 7/97, 6–14.

9. Pörksen U (1992) Plastikwörter. Die Sprache einer in- ternationalen Diktatur. Klett-Cotta, Stuttgart 1992, 118 ff.

10. Reiber HO (1998) DieEntstehung von Form und Krankheit. Genetisches Programm oder Selbstorga- nisation? Loccumer Protokolle 14/97, 197–221.

11. Richter-Kuhlmann EA (2005) Xenotransplantation.

Vorwärts in kleinen Schritten. Deutsches Ärzteblatt 102, 25, B1513.

12. Weiss RA (1998) Transgenic pigs and virus adaption.

Nature 391, 327–28

13. Wittgenstein L (1921) Tractatus logico-philosophicus.

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006 AA1

Literaturverzeichnis Heft 18/2006, zu:

Ankündigungsmedizin

Überprüfung der

sprachlichen Mittel

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

kämpft, ohne einander näher zu treten, ja in gewissem Gegensatz zu einander, darauf will ich hier nicht näher eingehen ; in meinem oben genannten Buch habe ich

Seit der Saison 2005/06 ist die Impfquote nicht weiter angestie- gen, so dass es eine besondere Herausforderung für alle Akteure darstellt, das anvisierte Ziel einer Impfquote

4 Uurimistöö tasand: hangitakse ja säilitatakse algmaterjalid, dissertatsioonid, erimonograafiad, ülevaated, nimestikud ja võõrkeelsed materjalid ajaloolise, doktori-

Das Amt für Bevölkerungsschutz Nidwalden hat mit dem Organisationskomitee bezüglich Zusammenarbeit eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen, welche sich sehr bewährt hat.. Einsatz

State Machine Diagram Sequence Diagram Activity Diagram Requirement Diagram *.. * Not

• starke Kohäsion: alle Elemente sind nötig für die.. Funktionstüchtigkeit der anderen internen

Die Staatsgalerie Stuttgart sucht ab sofort eine Mitarbeiterin/einen Mitarbeiter für die Realisierung der KunstNächte und

Um diese Fragen zu beantworten, kamen Anfang Januar 2007 zehn Vertreter(innen) aus sieben Partnereinrichtungen in Ost- europa nach Berlin, um am Institut für Slawistik im