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Archiv "Evidence based medicine*: Randomisierung nicht zwingend erforderlich" (15.08.2003)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 3315. August 2003 AA2145

KOMMENTAR

N

ach einer zehnjährigen EbM- Hausse erleben wir nunmehr die Baisse in Form zahlreicher Artikel, Stellungnahmen und erkenntnistheore- tischer Kommentare, die das Konzept der EbM infrage stellen. Problematisch ist dabei, dass keine klare Trennung zwi- schen den Begriffen der Randomisie- rung und der EbM erfolgt.

Das gemeinsame Ziel – unabhängig von Randomisierung und EbM – besteht darin, die Validität und die klinische Re- levanz von Handlungsempfehlungen kritisch zu hinterfragen und das Ergeb- nis in der Praxis umzusetzen. Verfolgt man die strittigen Diskussionspunkte bis an ihre Wurzel, wird klar, dass sich der Disput an Glaubensfragen entzündet.

Der größte Teil der EbM funktioniert ohne Randomi- sierung (Diagnostik, Ätiolo- gie). Der Streit betrifft aus- schließlich die Methoden, mit denen in Therapiestudi- en systematische Fehler bei der Gewinnung und Inter- pretation von Daten ver- mieden werden können.

Die Randomisierung ist eine Metho- de, um Patienten mit unterschiedlichen Ausgangsrisiken möglichst gleichmäßig auf zwei oder mehrere Gruppen zu ver- teilen. Diese werden dann mit verschie- denen Therapien behandelt. Wenn sich größere als rein zufällige Unterschiede in den Behandlungsergebnissen zeigen, nimmt man an, dass diese Unterschiede durch die Behandlung und nicht durch Unterschiede der Ausgangsrisiken der Gruppen bedingt sind.

Diese Annahme ist nicht immer zu- treffend, weil es sehr viele Kriterien gibt, die eingehalten werden müssen, um sy- stematische Fehler zu verhindern.

Bei einer stringenten Anwendung der Methoden der EbM wären Aussagen wie der postulierte Vorteil einer Hoch- dosis-Therapie des metastasierenden Mammakarzinoms mit anschließendem Stammzellsupport früher als unzutref- fend erkannt worden. Die Originaldaten aus Südafrika – die nachträglich als falsch eingestuft wurden – waren welt-

weit für alle Partner im Gesundheitssy- stem (Forscher, Forschungsförderungs- institutionen, Patienten, Ärzte und Pharmaindustrie) so überzeugend (oder sozial erwünscht), dass sie zunächst nie- mand ernsthaft hinterfragt hat. Man könnte daraus lernen, dass technische Neuerungen umso kritischer zu hinter- fragen sind, je mehr sie den Anspruch er- heben, als medizinischer Fortschritt soli- darisch finanziert und sozial getragen zu werden. Ob mit oder ohne Randomisie- rung, ist zunächst unbedeutend.

Das blinde Vertrauen in die Rando- misierung, die nur zur Lösung eines von vielen Problemen der Datenerhebung und -verarbeitung beitragen kann, ist ebenso wenig sinnvoll wie deren gene-

relle Ablehnung. Wenn große, das heißt sicher jenseits des Zufalls liegende Ef- fekte einer Behandlung erwartet wer- den, zum Beispiel bei der Osteosynthese einer offenen Fraktur, wird es keinen Wissenschaftler geben, der in dieser Si- tuation eine Randomisierung vorschlägt oder diese durchführt.

Bei den meisten neuen Behandlungs- methoden ist aber kein so großer Unter- schied im Ergebnis der zu vergleichen- den Interventionen zu erwarten. Die Unterschiede zwischen den Behand- lungsgruppen sind in der Regel so klein, dass sie durch die unterschiedlichen Ausgangsrisiken der untersuchten Pati- enten erklärt werden könnten. Deshalb ist in diesen Fällen die Randomisierung sehr wohl als Instrument zu erwägen und ethisch nicht nur vertretbar, son-

dern wahrscheinlich auch erforderlich.

Das bedeutet allerdings auch, dass die Randomisierung ihren Zweck nur erfül- len kann, wenn die randomisierten Gruppen groß genug sind, damit ver- schiedene Risiken auch mit ähnlicher Häufigkeit auftreten können. Diese Aussage steht nicht im Widerspruch zu mehreren seriösen Arbeiten, die zeigen, dass große kontrollierte, nichtrandomi- sierte Studien zu vergleichbaren Er- gebnissen kommen wie große randomi- sierte Studien. Eine Randomisierung er- scheint also nicht in allen Fällen erfor- derlich, andererseits muss in randomi- sierten Studien die Limitation der Zu- fallsverteilung bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.

Wenn EbM mehr als rationale Methode zur Entscheidungsfin- dung denn als Dogma genutzt wird, könnten die Medizin und be- sonders die ärztliche Urteilskraft davon profitieren. Der von Kiene und Kollegen befürchtete „Konkurs der ärztlichen Ur- teilskraft“ wird so eher vermieden. Zwei Regeln der EbM müssen aber beachtet werden. Erstens: Die Meinung anderer ist immer zu respektieren und kann, wenn auch nicht vollständig, so doch häufig wenigstens teilweise akzeptiert werden. Zweitens: Die eigene Meinung, die Voreingenommenheit, ist essenziel- ler Bestandteil einer Evidence-based- Entscheidungsfindung – deshalb kann EbM von Unvoreingenommenen nicht angewandt werden.

Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass weniger die EbM, sondern vielmehr das Prinzip der Randomisierung zur Dis- kussion steht. Dies trifft ohnehin nur auf Therapiestudien zu. Wir können uns je- denfalls eine EbM auch ohne randomi- sierte Studien gut vorstellen.

Dirk Stengel,Klinische Epidemiologie, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin, 12683 Berlin Franz Porzsolt,Klinische Ökonomik, Universitätsklinikum Ulm, 89073 Ulm

Evidence based medicine*

Randomisierung nicht zwingend erforderlich

*Der deutsche Begriff „Evidenz“ besagt, dass etwas offensichtlich ist und anders als beim englischen „evi- dence“ keiner Belege oder Unterstützung durch Daten be- darf. Wenn wir hier den englischen Begriff benutzen, mei- nen wir tatsächlich „evidence“ im angelsächsischen Sinn.

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