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Archiv "...Geschichte der Medizin: Zu den Wurzeln der Urologie" (06.06.2003)

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V A R I A

J

ames Buchanan Brady, ge- nannt „Diamond Jim“, war einer der großen Eisen- bahnbarone der USA an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahr- hundert. Er war steinreich. Er war massiv adipös. Er konnte sein Harnwasser nicht mehr lassen.

So begab sich Diamond Jim zu Hugh Hampton Young, einem auf Erkrankun- gen des Urogenitaltraktes spezialisierten Chirurgen am Johns Hopkins Hospital in Baltimore. Die Aussicht auf die damals – 1912 – übliche ra- dikale Operation der ver- größerten Prostata mittels suprapubischer Eröffnung schreckte den in ge- schäftlichen An- gelegenheiten weit weniger zim- perlichen Entre- preneur gar sehr.

Doch Young legte ihm eine Alternative nahe: Er hatte eines der zur Spiegelung der Blase gebräuchlichen Zystoskope

etwas modifiziert und konnte durch seinen Schaft eine kleine Stanze einführen, mit der die Prostata zwar nicht in toto re- seziert, wohl aber per trans- urethralen Zugang und mit ei- nigem Blutverlust in einem ei- ner Abschabung ähnelnden Vorgang verkleinert werden konnte. Young wagte den Ein- griff und gewann – für sich und für seine sich gerade als eigen- ständiges Fach entwickelnde Wissenschaft. Diamond Jim Brady war so überglücklich, nach den Freuden der Tafel wieder gepflegt dehydrieren zu können, dass er meh- rere Hunderttausend Dollar zur Grün- dung urologischer

Institute und Kliniken stiftete.

Der Magnat der Dampfrösser hatte sich allerdings auch den richtigen Arzt ausgesucht;

Young gilt als der „Vater der amerikanischen Urolo- gie“. Die Wurzeln dieses Fa- ches, das auch heute noch nicht überall die Unabhängigkeits- erklärung von der Chirurgie postuliert hat, liegen jedoch in einem ganz anderen Teil der Welt.

„Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie stark die Entwick- lung der Urologie von Pionieren aus Deutsch- land und Österreich geprägt ist“, er- klärt Dr. Rainer M. Engel, seit zehn Jahren

Kurator eines weltweit wohl einzigartigen Museums, über die Geschichte jenes Zweiges der Medizin, in dem es allzu oft um Krankheiten geht, über die meistens der Schleier schamhaften Schweigens liegt.

Engels Biografie ist gera- dezu typisch für die Evoluti- on dieser Subdisziplin in der Neuen Welt mit freundlicher Unterstützung der Alten. Der gebürtige Kölner kam 1960 in die USA, operierte am Johns Hopkins Hospital und leitet im Ruhestand seit fast zehn Jahren das William P. Didusch Museum der Amerikanischen Urologischen Gesellschaft (AUA) in Baltimore.

Es ist eine wahre medizin- historische Schatzkiste und ein Geheimtipp für den ärzt- lichen Amerikabesucher – und Mediziner aus Deutsch- land sind in seinen Räumlich- keiten, daran lässt Engel wenig Zweifel, stets (nach telefonischer Voranmeldung) hochwillkommen.

Geschichte der Medizin

Zu den Wurzeln der Urologie

Ein Besuch im William P. Didusch Museum in Baltimore/USA

Dr. Rainer M. Engel leitet seit fast zehn Jahren das Museum der Amerika- nischen Urologischen Gesellschaft.

Feuilleton

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 236. Juni 2003 AA1625

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Viele der Schätze des Mu- seums sprengen den Rahmen der Urologie und sind Schau- stücke einer allgemein-wis- senschaftlichen Historie. Die Sammlung von Mikroskopen scheint selbst jene im Carl- Zeiss-Museum in Jena in den Schatten zu stellen – und auch sie ist deutschen Ursprungs.

Der Stuttgarter Urologe Hans J. Reuter hat sie der Baltimo- rer Institution vermacht, die ältesten Exponate stammen aus den 1730er-Jahren. Fach- übergreifend ist auch die rei- che Sammlung medizinischer Illustrationen. Auf sie deutet der Name des Museums hin:

William P. Didusch war einer der großen medizinischen Il- lustratoren des 20. Jahrhun- derts, der sein Handwerk, par- don: seine Kunst, beim Grün- dervater dieser Zunft erlern- te, bei Max Brödel. Auch die- ser stammte (wie Diduschs Eltern) aus Deutschland, sein Department of Art as Ap- plied to Medicine am Johns Hopkins Hospital dürfte weltweit an medizi- nischen Fakultäten ihres- gleichen gesucht haben.

Bei der Gegenüberstel- lung moderner klinischer, auch intraoperativer Fotos und Zeichnungen aus Di- duschs Stift wird das Auge des Beobachters ganz von Letzteren gefesselt, so dramatisch sind seine Ein- blicke in eine Blase, deren Stein gerade mit dem Li- thotom geknackt wird, auf eine Prostata, die mit Youngs Instrument auf ei- ne akzeptable Größe zu- rechtgestutzt wird, oder auf einen Penis, dem mit einer

„Plication of Bulbuscaverno- sus Muscle“ zu mehr Erigier- barkeit verholfen werden soll – da die Zeichnung von 1936 stammt, eine verzeihliche Indi- kation, ein komplettes Man- nesalter vor Viagra.

Am faszinierendsten ist trotz dieser Highlights von Künstlerhand die imposante instrumentalische Sammlung des Hauses – es scheint kein Zystoskop auf der Welt gege- ben zu haben, von dem nicht ein Modell den Weg in die North Charles Street gefunden

hat. Kein anderes Exponat ist jedoch in einem solchen Maße von der Aura des Geheimnis- vollen, des Visionären, des

„Weit-vor-seiner-Zeit“-Befind- lichen umgeben wie der Licht- leiter. Hinter diesem leicht utopisch klingenden Begriff verbirgt sich die Erfindung ei- ner denkwürdigen Mediziner- gestalt.

Philip Bozzini, als Sohn ei- nes italienischen Einwanderers 1773 in Mainz geboren, prakti- zierte in napoleonischer Zeit in Frankfurt am Main. Sein Traum: ein Gerät, mit dem man in jenes Hohlorgan hinein- blicken konnte, dessen Stein- leiden damals viele, auch berühmte Zeitgenossen zu pla- gen pflegte: die Harnblase.

Bozzinis Lichtleiter spreizte die Urethra und leitete einen Lichtstrahl nach innen – un- glückseligerweise war das ver- wendete Kerzenlicht zu schwach,um Anno Domini 1805

eine fortgeschrittene Differen- zialdiagnostik zu betreiben.

Immerhin konnte das futuristi- sche Gerät am Josephinum in Wien, der medizinischen Aka- demie des k.u.k.-Militärs er- folgreich erprobt werden. Der Lichtleiter verschwand 1945 mit der Besetzung Wiens durch die amerikanische Armee und tauchte erst zwanzig Jahre spä- ter als anonyme Spende für die amerikanische Chirurgenge- sellschaft auf. Bozzini starb be- reits 1809 an Typhus, seine Er- findung musste mehr als 70 Jahre auf die entscheidende

Verbesserung warten. Dann war es der aus Berlin stammen- de Arzt Maximilian Nitze, der in Dresden sein „Kysto- skop“ zunächst an der Leiche, 1879 dann auch am Patienten zu dessen Nutzen einsetzen konnte.

Fast überflüssig zu erwäh- nen – auch Nitzes Instrument fand den Weg nach Baltimore und steht am Beginn einer Ah- nengalerie, die mit einem mo- dernen Fiberglasendoskop en- det. Der Einbau einer kleinen elektrischen Glühbirne in das Instrument durch Nitze mach- te das Tragen jenes konkaven Spiegels am Stirnband für die Urologen überflüssig, den man gemeinhin mehr mit den frühen Tagen der HNO- bezie- hungsweise der Augenheilkun- de assoziiert und der doch auch von den Spezialisten des menschlichen Unterleibes lan- ge benutzt wurde.

Der größte Moment in der Geschichte der Urologie war, trotz aller instrumenteller Fortschritte, womöglich jener, der auch anderen operativen Fächern zugute kam und der die Geburtsstunde einer eige- nen Disziplin bildete: der 16.

Oktober 1846. An diesem Tag wurde in Boston zum ersten Mal unter Äthernarkose ope- riert, das Lipom am Hals des jungen Patienten war die erste schmerzfrei entfernte Wuche- rung, bald kamen auch Patien- ten mit Blasen- und Nierenlei- den in den Genuss dieser se-

gensreichen Innovation. Ein Blick auf die Lithographie, die eine Blasensteinzertrümme- rung mit Jean Civiales „Li- thontripteur“ von 1822 zeigt, gibt eine beklemmende Vor- stellung von der Pein in der voranästhetischen Ära. Nein, gut war die gute alte Zeit nicht, für urologische Patienten am allerwenigsten. Neben einem Schirm aus der Jahrhundert- wende findet man einen Spa- zierstock mit Knauf, wie ihn ein rechter Gentleman um 1900 stets bei sich trug.

Im Inneren des Stockes verbarg sich ein drahtiger Katheter zur Selbstappli- kation. Wer wegen seines Prostataleidens in Gesell- schaft, beim Cocktailemp- fang und am Dinner Table jenes qualvolle Druckgefühl zu verspüren begann, konnte sich un- auffällig aus dem Raum stehlen und mit der Geh- hilfe geheimem Inhalt, im Hinterhof oder einer dunklen Gartenecke, sich selbst katheterisieren und somit Erleichterung ver- schaffen. Dann kehrten Lebemänner wie Dia- mond Jim Brady zurück zu den Belastungen, denen man sich als Mann von Welt ausgesetzt sah:Austern und Champagner, Beefsteaks und Ale.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Dr. phil. Ronald D. Gerste 14801 Soft Wind Drive

Gaithersburg, Maryland 20878, USA

Information: William P. Didusch Museum, 1120 North Charles Street, Baltimore, Maryland 21201, USA

Zu besichtigen nach telefonischer Anmel- dung: 001 410 727 1100

Internet: www.auanet.org V A R I A

A

A1626 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 236. Juni 2003

Imposant ist die instrumentalische Sammlung des Museums.

Fotos:Ronald D.Geste

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