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Archiv "Interview mit Prof. Dr. Uwe Reinhardt, Gesundheitsökonom an der Princeton University, USA: „Das Gesundheitssystem der USA ist Murks“" (24.10.2014)

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A 1844 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 43

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24. Oktober 2014

„Das Gesundheitssystem der USA ist Murks“

Präsident Barack Obama hat eine allgemeine Versicherungspflicht durchgesetzt.

Uwe Reinhardt über die komplexe Bedeutung des Begriffs Solidarität, Intransparenz im amerikanischen Gesundheitssystems und die Mentalität der Freiheit

Herr Professor Reinhardt, warum hal- ten viele Amerikaner die Gesundheits- reform von Präsident Barack Obama mit ihrer allgemeinen Versicherungs- pflicht für Staatsmedizin?

Uwe Reinhardt: Viele wissen gar nicht, was Staatsmedizin ist. Mir gegenüber hat ein Senator einmal dagegen gewütet und ich habe entgegnet: Wenn Staatsmedizin so schlecht ist, warum versorgen Sie Ihre Kriegsveteranen in einem sol- chen System? Die Versorgung der Veteranen ist Staatsmedizin in Reinkultur. Dem Staat gehört nicht nur die Versicherung, er betreibt auch die Versorgung. Das ist Sozia- lismus: Der Staat verfügt über die Produktionsstätten.

Eine Sozialversicherung ist et- was ganz anderes. In einem solchen System teilt sich eine große Gruppe von Versicherten das individuelle Krankheitsrisiko. Es muss auch nicht zwingend staatlich organisiert sein, sondern kann und wird auch häu- fig von privaten Versicherungsun- ternehmen betrieben.

In der Zeit vor Obamacare galt:

Wenn man kränker ist, zahlt man ei- ne höhere Prämie. Wenn man sehr krank ist, kann man keine Versiche- rung abschließen. Es ist für viele Amerikaner sehr kompliziert, die wahre Bedeutung des Wortes „sozi- al“ zu verstehen.

Wird die amerikanische Bevölkerung falsch informiert?

Reinhard: Ja, und zwar gezielt.

Desinformation charakterisiert zur- zeit die öffentliche Debatte. Beide

Parteien, sowohl Republikaner als auch Demokraten, betreiben das.

Die armen, hart arbeitenden Ameri- kaner, die weder die Zeit noch die Ressourcen haben, sich in die The- matik einzuarbeiten, werden von Medien und Think Tanks manipu- liert. Auf dem rechten Flügel be- sorgt das der Sender Fox, auf dem linken Flügel NSNBC.

Glauben Sie, dass die Gesundheitskos- ten in den USA sinken würden, wenn das Land eine Sozialversicherung nach dem Vorbild von Medicare, der staatli- chen Versicherung für Alte, einführte?

Reinhardt: Ich glaube, ja. Die Ge- sundheitsausgaben in den USA sind extrem hoch. Aber wir Amerikaner nehmen weniger Gesundheitsleis- tungen in Anspruch als die Deut- schen oder Schweizer. Europäer ge- hen häufiger zum Arzt oder ins Krankenhaus, auch die Liegezeiten sind länger. Sie nehmen mehr Me- dikamente. Wie kann es da sein, dass unsere Gesundheitsausgaben doppelt so hoch sind wie die der Europäer? Das liegt an den Preisen.

Egal welche Leistungen sie sich an- schauen, sie sind zwei- bis dreimal so teuer wie in Europa.

Woran liegt das?

Reinhardt: In den USA gibt es gut 2 000 Krankenversicherungsunter- nehmen. Und jedes Krankenhaus verhandelt mit jeder Versicherung, ohne dass die einzelnen Häuser wirklich Einfluss auf die Preise hätten. In vielen Fällen bleiben die Preise geheim. Vielleicht wird das Ganze transparenter, wenn sich die Informationstechnologie wei- terentwickelt. Wenn man den Preis kennt, kann man vernünftiger ent- scheiden.

War die Furcht vor niedrigeren Preisen ein Grund dafür, dass viele Ärzte Obama- care ablehnten?

Reinhardt: Die Gesundheitsausga- ben des einen sind die Einnahmen

INTERVIEW

mit Prof. Dr. Uwe Reinhardt, Gesundheitsökonom an der Princeton University, USA

Foto: Jon Roemer

„Dieses Land ist das beste der Welt, wenn man klug und gesund ist.“ Uwe Reinhardt liebt die USA, sieht aber auch die Schattenseiten.

P O L I T I K

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Deutsches Ärzteblatt

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24. Oktober 2014 A 1845 des anderen. Es gibt riesige Lobby-

organisationen, die dafür sorgen, dass unsere hohen Gesundheitsaus- gaben noch höher werden. Ich den- ke gerade darüber nach, ein Buch zu schreiben. Der Titel: „Warum ist das amerikanische Gesundheitssys- tem so ein Murks?“

Welches Versicherungsmodell wür- den die Amerikaner am ehesten akzep- tieren?

Reinhardt: Am ehesten wohl das Schweizer System. Es ähnelt sehr dem deutschen, erlaubt aber mehr Selbstbeteiligung der Versicher- ten. Das ist das einzige Markt - element. Außerdem ist der Versi- cherungswechsel in der Schweiz sehr einfach. Man gibt auf der ent sprechenden Internetseite Ein- kommen und Alter an und schon erscheint eine Website, die einem sagt, was man zu tun hat. Im Ver- gleich zu den USA ist das un- glaublich.

Warum ist der Abschluss einer Versi- cherung in den USA so kompliziert?

Reinhardt: Wir haben den einzel- nen Staaten erlaubt, die neuen Ver- sicherungsbörsen im Internet selbst zu betreiben, über die die Men- schen eine Versicherung abschlie- ßen können. Und viele sind dazu nicht in der Lage. Die Websites sind eine Katastrophe. Man muss bei- spielsweise das Einkommen ange- ben und dann gleicht das System mit der Finanzbehörde ab, ob sie auch nicht gelogen haben. Machen Sie das mal für Millionen Men- schen. Das endet im Chaos.

Sie rechnen nicht damit, dass 2020 die Zahl der nicht versicherten Ameri- kaner wesentlich niedriger ist als vor Präsident Obamas Gesundheitsreform.

Warum nicht?

Reinhardt: Die Gesundheitsaus- gaben steigen zwar nicht so schnell wie früher. Aber sie steigen jedes Jahr. Das Produkt, das man kauft, wird jedes Jahr teurer. Zugleich klafft die Einkommensschere im- mer weiter auseinander. Das mitt- lere Einkommen lag 2010 bei 56 000 US-Dollar je Familie. In- zwischen liegt es bei 52 000 US- Dollar. Das heißt, die Zahlungsfä-

higkeit nimmt ab. Immer mehr Menschen können sich ihre Versi- cherung nicht mehr leisten und be- nötigen Unterstützung. Aber der amerikanische Steuerzahler kann keine höheren Steuern zahlen, ob- gleich wir im Vergleich mit an - deren OECD-Staaten am niedrigs- ten besteuert werden. Das ist ein Hexenbrei, aus dem immer mehr Nichtversicherte hervorgehen.

Wer nicht versichert ist, muss von 2017 an Strafe zahlen. Wird das dazu beitragen, die Zahl der Nichtversicher- ten zu senken?

Reinhardt: Für die meisten wird die Strafgebühr billiger sein als die Versicherungspolice, selbst wenn sie dafür eine Förderung erhalten.

Viele werden sich sagen, wenn ich mich versichere, kostet mich das 4 000 Dollar im Jahr, während ich 800 Dollar an Strafe zahle. Also bleiben die Leute unversichert und hoffen, dass sie nicht krank wer- den. Die Strafgebühr ist ein zahn- loser Tiger.

Aus europäischer Sicht könnte man meinen, den Amerikanern fehlt es an Solidarität. Woher kommt das?

Reinhardt: Das hat zum Teil mit der amerikanischen Geschichte zu tun. Für viele Amerikaner sind Frei- heit und Individualismus Inbegriff eines glücklichen Lebens. Die Leu- te wollen frei sein, bis heute.

Dieses Land ist das beste Land der Welt, wenn man klug und ge- sund ist. Es gibt kein anderes Land, in dem man sich so gut entfalten kann. Aber wenn man weder klug noch gesund ist, ist es hier hart.

Viele Immigranten hängen dem amerikanischen Traum hinterher.

Sie träumen davon, irgendwann zu dem einen Prozent der Bevölkerung zu gehören, das es geschafft hat. Da- bei ist die soziale Mobilität in der amerikanischen Gesellschaft viel niedriger als in vielen europäischen Staaten. Man hört ja auch kaum von denen, die es nicht geschafft haben.

Liegt es am fehlenden Sinn für Soli - darität, dass so viele Menschen in den USA sozial am Abgrund stehen?

Reinhardt: Hier argumentiert man so: Ich habe ein großes Haus und fahre ein großes Auto. Das könntest Du auch haben, wenn Du hart ge- nug gearbeitet hättest. Das ist die Mentalität. Und zu einem großen Teil glauben die Leute mit niedri- gem Einkommen daran.

Das ist eine Art, den Leuten Schuldge- fühle einzureden . . .

Reinhardt: Genau, nach dem Motto, jeder kann Präsident werden. Arnold Schwarzenegger ist ein gutes Bei- spiel: ein armer Junge aus Österreich geht nach Kalifornien und macht Karriere. Die Armen glauben diese Geschichten. Hier gibt es keinen So- zialneid. Aber die Gesellschaft räumt einem auch keine mildernden Um- stände für persönliches Versagen ein.

Das ändert nichts daran, dass ich die Amerikaner sehr mag. Sie sind im Übrigen im internationalen Ver- gleich ein glückliches Volk. Das zeigen Umfragen. Wenn ein Ameri- kaner über das deutsche Eisenbahn- netz spricht, sagt er, das ist wunder- bar. Ein Deutscher würde antwor- ten: „Früher war alles besser“.

Das Interview führte Martina Merten.

Prof. Dr. Uwe Reinhardt (76) (hier mit Martina Merten) ge- hört zu den führenden Gesundheitsökonomen Nordameri- kas. Seit 1970 unterrichtet er als James Madison Profes- sor of Political Economy an der Princeton University in New Jersey, USA. Geboren in Osnabrück, wanderte er zu- nächst nach Kanada aus, wo er 1964 seinen Bachelor of Commerce erwarb. 1970 wurde er an der Yale University in den USA in Wirtschaftswissenschaften promoviert.

Foto: Pascal Vouille

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