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Handlungsfähiger werden

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Academic year: 2022

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trategische Autonomie“ heißt das Konzept, das seit Veröffentlichung der Globalen Strategie für die europä- ische Sicherheits- und Verteidigungs- politik 2016 diskutiert wird. Doch in den EU-Staaten sind die Meinun- gen dazu geteilt: Wieviel eigenständi- ge Handlungsfähigkeit der EU unab- hängig von Partnern ist erstrebens- wert und realistisch? Wie erreicht man sie und wie gestaltet sich das künftige Verhältnis zur NATO? Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist eine strategische Auto- nomie der EU kein Gegengewicht zur NATO, sondern sie liegt sogar im Sin- ne des transatlantischen Bündnisses:

Denn die von den Europäern aufge- bauten gemeinsamen Fähigkeiten kä- men direkt dem Bündnis zugute.

Die osteuropäischen Staaten wie Polen und das Baltikum betonen dage- gen die Risiken, die das Streben nach mehr Autonomie in der Verteidigung für das transatlantische Verhältnis mit sich bringt. Wie bereits die ehema- lige US-Außenministerin Madeleine

Albright mit ihren 3 Ds (De-Linking, Duplication, Discrimination) betonen sie, die Fortschritte in der Gemeinsa- men Sicherheits- und Verteidigungs- politik (GSVP) dürften nicht zu einer Entkopplung von der NATO führen oder Entscheidungen vorwegnehmen.

Sie dürften die Strukturen und Kapa- zitäten der NATO nicht duplizieren und Nicht-EU-Staaten in der NATO nicht diskriminieren. Für diese Län- der ist die EU bestenfalls ein Neben- schauplatz, wenn es um militärische Handlungsfähigkeit geht.

Allem Dissens zum Trotz sind sich die EU-Staaten darin einig, dass die Union handlungsfähiger wer- den muss. Dies ist die Quintessenz der Auseinandersetzung, wenn man den plakativen, aber wenig hilfrei- chen Begriff der strategischen Auto- nomie außen vor lässt. Denn im di- rekten und weiteren Umfeld der EU sind neue Krisenherde entstanden, deren Auswirkungen auch in den Mitgliedstaaten selbst zu spüren sind.

Insbesondere die Krim- Annexion Von Carina Böttcher

Die EU braucht nicht nur militärische, sondern auch starke zivile Fähigkeiten, um unabhängig von Partnern Konflikte zu bearbeiten

Handlungsfähiger werden

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Ziviles Krisenmana­

gement ist langfristig ausgerichtet

durch Russland und der Krieg im Donbass haben zu einem Umdenken geführt. Aber auch die Kriege in Sy- rien und Libyen sowie die grenzüber- schreitenden Krisen im Sahel zwin- gen die EU, über ihren eigenen Ge- staltungsanspruch in der Welt nach- zudenken.

Daher hat sich in den vergange- nen Jahren eine neue Dynamik ent- wickelt. Mit der Ständigen Struk- turierten Zusammenar- beit (PESCO), dem Coor- dinated Annual Review on Defence (CARD) und dem Europäischen Vertei- digungsfonds (EVF) hat die EU ihre militärische Zusammen- arbeit ausgebaut. In der zivilen GSVP verständigten sich die Mitgliedstaa- ten im November 2018 mit dem zivi- len GSVP-Pakt auf 22 politische Ver- pflichtungen, die die Missionen fit für die Zukunft machen sollen – zum Bei- spiel durch eine bessere und gezielte- re Entwicklung ziviler Fähigkeiten.

Eigenständiges Stabilisieren Erstaunlich ist angesichts der ge- nannten Krisenherde, dass sich die Debatte um Handlungsfähigkeit zur- zeit ausschließlich auf die Verteidi- gungspolitik und militärische Fähig- keiten konzentriert. Denn neben dem Ausbau der konventionellen Verteidi- gungsfähigkeit wird ein ebenso wich- tiger Zweck der GSVP in der aktuel- len Debatte vollkommen verkannt:

Für die Sicherheit Europas wird es auch darauf ankommen, ob die EU eigenständig Krisenregionen in ih- rer Nachbarschaft stabilisieren kann.

Und dazu braucht sie nicht nur mi- litärische Fähigkeiten, sondern den gesamten Instrumentenkasten – also auch zivile Mittel. Die aktuelle De-

batte greift damit zu kurz und die EU beraubt sich wichtiger Chancen, die eine grundsätzlichere Auseinan- dersetzung mit ihrem Gestaltungs- anspruch in Krisen und Konflikten eröffnen könnte. Europäische Hand- lungsfähigkeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik kann und soll- te daher nicht allein an der verteidi- gungspolitischen Leistungsfähigkeit der Union gemessen werden.

Das zivile Krisenmanagement kann einen wichtigen Beitrag zur Handlungsfähigkeit der EU leisten. In bislang 22 entsandten Missionen hat die zivile GSVP vielfältige Aufgaben in den Aufnahmestaaten ausgeführt.

In den Kernaufgaben, Kapazitätsauf- bau und Sicherheitssektorreform, hat die EU eine starke Expertise aufge- baut. Im Gegensatz zu militärischen Mitteln der Intervention ist das zivi- le Krisenmanagement stärker auf eine langfristige Stabilisierung nach Kon- flikten oder auch die Prävention wei- terer Konflikte gerichtet.

In den Missionen arbeiten er- fahrene zivile Expertinnen und Ex- perten sowie Polizeibeamte aus den EU-Staaten, die auf einer technischen Ebene viel aus ihrem eigenen Be- rufsalltag weitergeben können. Die- se Expertise wird in Partnerstaaten geschätzt und häufig angefragt. Damit können die Missionen ein wichtiges Instrument sein, um in Regionen fra- giler Staatlichkeit an Schlüsselstellen wie Polizei, Grenzschutz und ziviler Administration anzusetzen und ge- zielt Partner beim Aufbau belastba- rer Strukturen unterstützen. Zudem bauen die Experten vor Ort Vertrau- en zu ihren Gegenübern auf und er- fahren, was in den Partnerstaaten ge- braucht wird – sei es Ausrüstung, In- frastruktur oder weitere Expertise.

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Diese Wissensbasis ist für das gesam- te Wirken der EU wertvoll; sie kann beispielsweise Entscheidungen über finanzielle Förderung oder politische Strategien beeinflussen.

In einem sich wandelnden Sicher- heitsumfeld gewinnen zivile Mit- tel des Krisenmanagements an Be- deutung. Terrorismus, organisierte Kriminalität und gewaltsamer Ex- tremismus überschreiten Grenzen, sind in der EU und an ihren Außen- grenzen zu spüren. Die EU hat daher ein starkes Interesse, Partnerstaa- ten bei der Bewältigung dieser Pro- bleme zu unterstützen. Viele Begleit- erscheinungen von Konflikten kön- nen mit militärischen Mitteln gar nicht oder nicht allein bewältigt wer- den. Stattdessen werden zivile Spe- zialistinnen benötigt, die vor Ort ge- zielt beraten und begleiten können.

Beispielsweise können erfahrene Po- lizeikräfte die Regierungen in der Sa- hel-Region bei der Erarbeitung von Strategien zur Bekämpfung der orga-

nisierten Kriminalität beraten, wäh- rend gleichzeitig ihre Kolleginnen und Kollegen bei EUCAP Sahel Mali malische Polizeikräfte ausbilden.

Ziviler Nachholbedarf

Zivile Instrumente der Konfliktbe- arbeitung sind wichtig für die EU, um die umfassende Handlungsfä- higkeit herzustellen, die in aktuel- len Krisen benötigt wird. Angesichts der langjährigen Tradition ziviler GSVP-Missionen und dem lange vor- herrschenden Bild einer „Zivilmacht Europa“ könnte der Eindruck entste- hen, dass die zivile GSVP bereits über ausreichende institutionelle Struktu- ren und Ressourcen verfügt. Aller- dings ist dieses Instrument seit sei- ner Gründung nur unwesentlich wei- terentwickelt worden und kränkelt an der geringen Relevanz, die viele EU-Staaten ihm beimessen.

Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass zivile Missionen oftmals perso- nell unterbesetzt sind – Polizeikräf-

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Schnelle Handlungs­

fähigkeit im Krisenfall sieht anders aus

te werden vermehrt im Inland ge- braucht und können nicht zu Missi- onen entsandt werden. Im Krisenfall geht die Rekrutierung für zivile Mis-

sionen ad hoc vonstatten;

eine auf EU-Ebene koor- dinierte, vorausschauende Fähigkeiten-Entwicklung für künftige Einsätze fehlt immer noch. Schnelle und schlagkräftige Handlungsfähigkeit im Krisenfall sieht anders aus.

Mit dem zivilen GSVP-Pakt 2018 haben die EU-Mitgliedstaaten vie- le dieser Defizite anerkannt. In den nächsten Jahren wollen sie durch die neuen Verpflichtungen Mängel behe- ben und die zivile GSVP für aktuel- le Herausforderungen stärken. Vie- le Ziele sind jedoch vage formuliert.

Erst in der Umsetzung wird sich zei- gen, wie ambitioniert die EU-Staaten an einer Verbesserung arbeiten.

Auch deshalb sollte das zivile Kri- senmanagement bei einer strategi- schen Debatte über die Handlungs- fähigkeit der Union nicht hintange- stellt werden – es wird dringend ge- braucht. Entscheidungsträgerinnen brauchen Kenntnisse über bestehen- de Probleme und ein Verständnis für die hohe Relevanz des zivilen Krisen- managements im Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente, um Kon- flikte zu bewältigen.

Die Einbeziehung der zivilen GSVP in Überlegungen zur europä- ischen Handlungsfähigkeit könnte zudem von zweifachem Nutzen sein, wenn es um die politische Kohärenz der Europäischen Union geht. Ers- tens hat sie als Gegengewicht zum Ausbau der militärischen Fähigkei- ten der EU eine wichtige Integrati- onsfunktion. Die GSVP wird von

vielen Mitgliedstaaten deshalb un- terstützt, weil es neben der militäri- schen auch eine zivile Komponente gibt. Bereits bei ihrer Gründung for- derten einige Länder, dass ein mili- tärisches Engagement der EU mit ei- ner zivilen Komponente der Sicher- heitspolitik ergänzt werden müsse.

Bis heute haben viele Mitglieder eine Präferenz für eine der beiden Säulen der GSVP. Eine Beschränkung des Begriffs der Handlungsfähigkeit auf eine der beiden Komponenten wäre für einige Mitgliedstaaten innenpo- litisch nur schwer vertretbar. Wenn aber beide Säulen gleichwertig in die Planungen für mehr Handlungsfähig- keit einbezogen und gestärkt werden, könnten Kompromisse leichter gefun- den und Fortschritte in beiden Poli- tikfeldern erzielt werden.

Zweitens kann die EU gerade durch die Integration ziviler Bestand- teile in das Konzept der Handlungs- fähigkeit eine Komplementarität zur NATO schaffen. Damit könnten ei- nerseits die Sorgen der osteuropä- ischen Mitgliedstaaten entkräftet werden, andererseits könnte man auch den Amerikanern vermittelnd entgegentreten. Beide sind skeptisch, ob die EU mit ihrem plakativen Be- streben zur strategischen Autonomie das transatlantische Bündnis gefähr- den will. Während die NATO jedoch nur geringe zivile Fähigkeiten besitzt, ist gerade der integrierte Ansatz der Konfliktbearbeitung das selbstge- wählte Markenzeichen der EU. Mit der fortlaufenden Entwicklung von starken zivilen Kapazitäten, auch für dringend benötigte Arbeitsfelder wie die Abwehr von hybriden Bedrohun- gen und Cyberkriegführung, schafft die EU ein glaubhaftes Argument,

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Viel Konkurrenz, wenig Synergien – es fehlt ein Überbau

wie sie die Fähigkeiten der NATO er- gänzen und stärken kann.

Ziviles Krisenmanagement war und ist ein zentraler Bestandteil der EU-Konfliktbearbeitung. Es kann daher nicht ausgeklammert werden, wenn die EU-Staaten über eigenstän- dige Handlungsfähigkeit diskutieren.

Die bisher unter Ausblendung ziviler Mittel geführte Debatte um strategi- sche Autonomie führt in eine Sack- gasse: Bei vielen EU-Staaten über- wiegen Sorgen um das transatlanti- sche Verhältnis oder begrenzte finan- zielle Mittel.

Wenn zivile Instrumente mitge- dacht werden, können in der aktu- ellen Diskussion wichtige Fragen behandelt werden: Welche Art von Konflikten will und muss die EU in Zukunft unabhängig von Partnern bearbeiten können? Mit welchen Mit- teln will sie das erreichen? Und was sind die Rollen militärischer und zi- viler Instrumente in der Konflikt- bearbeitung der EU?

Ungenutzte Potenziale

Die Debatte um eigenständige Hand- lungsfähigkeit sollte zum Anlass ge- nommen werden, diese Fragen für die nächste Dekade europäischer Kri- seninterventionen sorgfältig zu klä- ren. Eine Möglichkeit wäre, dass die neue EU-Kommission und die Mit- gliedstaaten gemeinsam eine euro- päische Strategie zur Konfliktbewäl- tigung erarbeiten. Denn die Globa- le Strategie ist zwar für die großen Leitlinien immer noch wertvoll und richtungsweisend, hat aber die ge- nannten Fragen im Zusammenspiel der EU-Instrumente nicht beantwor- tet. Die Auswirkungen zeigen sich in der GSVP, in der mit PESCO, CARD und EVF auf der einen und dem zivi-

len GSVP-Pakt auf der anderen Seite separate zivile und militärische Pro- zesse vorangetrieben wurden. Neue Möglichkeiten für Synergien wurden aber noch kaum ins Auge gefasst und Potenziale, zum Beispiel für eine ge- meinsame Anwendung neuer Fähig- keiten, bleiben ungenutzt.

Auch in der Gesamtheit der EU-Instrumente für Krisenmanage- ment und Konfliktbearbeitung zeigt sich: Viele andere EU-In-

strumente wurden zu- letzt weiterentwickelt, mit dem Ergebnis, dass sie zueinander in Konkur- renz stehen, sich Mandat,

Personal und finanzielle Ressourcen streitig machen. Dies kann man ins- besondere im Verhältnis von GSVP und Frontex beobachten, aber auch mit Blick auf die Ausweitung von Kommissionsprogrammen zu missi- onsähnlichen Strukturen (beispiels- weise in Mali).

Fortschritte und Neuerungen in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik müssen wieder unter einem strategischen Überbau vereint werden. Eine Strategie der Konfliktbewältigung wäre ein konse- quenter nächster Schritt auf dem Weg zu einer handlungsfähigen, vernetz- ten EU. Plakative Debatten, die das verbreitete Silodenken verstärken, sind kontraproduktiv.

Carina Böttcher arbeitet als Research Fellow im Programm Sicherheit, Verteidi- gung und Rüstung des Forschungsinstituts der DGAP.

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