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We re not in the business of keeping the media companies alive. We re in the business of connecting with consumers.

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Academic year: 2022

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Sehnsüchte und Ängste 2.0

Warum gemeinsame Werte helfen, die Rezession zu überstehen, und warum sie

die Voraussetzung für den Erfolg in der Netzwerkökonomie sind „We’re not in the business of keeping the media companies alive.

We’re in the business of connecting with consumers.“

Trevor Edwards, Nike Vice President Global Brand & Category Management

Früher war es einfach, das Ausmaß einer Rezession zu verstehen: je mehr Rot auf den Lippen der Frauen, desto größer die Krise. „When things get tough, women buy lipstick“, stellte während der

Weltwirtschaftskrise 1929 Estée Lauder fest. Als die Finanzblase der New Economy 2001 platzte, entwickelte ihr Sohn Leonard daraus den

„Lipstick-Faktor“. Leider versagt dieses Analysetool in der

Weltrezession 2008–10. Zwar kaufen die Frauen auch diesmal vermehrt Kosmetik, aber es sind nicht die Lippenstifte, sondern die

Feuchtigkeitscremes, die den Umsatz ankurbeln.

Es war etwas Dramatisches geschehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Unsicherheit einer Wirtschaftskrise und dem

unübersehbaren demografischen Wandel – jeder zweite Wähler zur Bundestagswahl 2009 ist über 60 Jahre alt – haben die Frauen

begonnen, die Werte „Schönheit“ und „Gesundheit“ auszutauschen. Die neue Gleichung heißt jetzt: Schönheit ist Gesundheit und Gesundheit ist Jugend. Männer folgen dem Wertewandel der Frauen mit

gebührendem Abstand. Die Kosmetikmärkte haben bereits davon profitieren können. Ästhetik stiftet Sinn und übersetzt Werte in Formen.

Werte geben Kraft für die Zukunft, nicht nur den Konsumenten,

sondern auch den Unternehmen. Aber Wertevorstellungen sind nichts Starres. Sie sind dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen.

Während ein Wert weiterhin gleich hohe Priorität genießt, kann sich seine Bedeutung grundlegend verändern. Aufschlussreicher als die Antwort auf die Frage, wie wichtig ein bestimmter Wert ist, ist die Beobachtung, in welcher Weise Menschen Werte diskutieren. Welche Themen berühren und erregen die Gemüter der Konsumenten so stark, dass sie darüber kommunizieren? Welche Werte stehen für Hoffnung und welche machen Angst? Werte entscheiden über Beziehungen. Diese zu gestalten und zu optimieren wird eine der zentralen

Herausforderungen der Unternehmen in einer vernetzten Welt sein.

Die aktuelle Wirtschaftskrise beschleunigt den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Netzwerkökonomie. Personal Media, die interaktiven Netzwerkmedien, werden immer mehr zur neuen

Infrastruktur der Gesellschaft. Kommunikation, Transaktion und

Produktion finden in einem Medium statt. Das ist nicht mehr neu, aber in Deutschland noch überraschend wenig umgesetzt. 52 Prozent der

Kleinbetriebe, 20 Prozent der Betriebe zwischen 50 und 250

Mitarbeitern und 13 Prozent der Betriebe über 250 Mitarbeitern haben keine eigene Homepage, so die Ergebnisse von Destatis im Jahr 2009. Web 2.0 ist bei den Netzwerkkindern bis 24 Jahren selbstverständlich. Bei den über 40-Jährigen nimmt die Bereitschaft, in sozialen Online-

Netzwerken aktiv zu werden, rapide ab. Aber wer sich mit den

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Konsumenten verbünden will, braucht Gemeinsamkeiten, technologisch und sozial.

Werte helfen, die Gemeinsamkeiten zwischen Konsumenten und Unternehmen zu finden, sie zu gestalten und zur Grundlage des Geschäfts zu machen. Das gilt für die Außenaktivitäten eines

Unternehmens, aber das gilt auch für das Unternehmen selbst. Wie tief greifend die Folgen des Taylorismus der Industriekultur sind, machen die Ergebnisse des Gallup-Instituts in einer globalen Umfrage unter 23.000 Managern und Führungskräften deutlich: 63 Prozent aller Befragten gaben zu Protokoll, dass sie die Unternehmensziele nicht genau verstünden. Nur 13 Prozent der Befragten hatte eine sehr kooperative Arbeitsbeziehung zu anderen Teams. In die Welt des Fußballs übertragen, würde dies bedeuten, dass nur vier von elf Spielern wissen, welches ihr Tor ist. Bis auf zwei würden alle Spieler auf die ein oder andere Weise gegen ihre eigene Mannschaft antreten und nicht gegen das gegnerische Team. Die Arbeitsteilung und die Spezialisierung machten ehemals die Industriekultur erfolgreich.

Verknüpfung und Austausch werden zum Quellcode der Netzwerkökonomie.

Gemeinsame Interessen, gemeinsame Kommunikation und gemeinsame Innovationen verändern die Prozesse der Wertschöpfung. Die

amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler C. K. Prahalad und M. S.

Krishnan haben für die zukünftigen Marktplätze eine einfache Formel gefunden: N = 1 / R = G. Die Zielgruppe, N = 1, bezeichnet den

individuellen Kunden, R = G benennt die globalen Ressourcen. Wer diese Formel verstehen will, muss sich nur den Untergang des

Kaufhausunternehmens Karstadt in Erinnerung rufen und mit dem Siegeszug des größten Online-Händlers Deutschlands, des

amerikanischen Handelsunternehmens Amazon, vergleichen. 60 Jahre Zielgruppendenken und Produktfokussierung haben ihre Effektivität verloren. In nur 11 Jahren wuchs Amazon vom Online-Buchhändler zum marktbeherrschenden globalen Handelshaus. Die Orientierung der Unternehmen am „Marketshare“ ist zum Auslaufmodell geworden.

„Mindshare“, die Beziehungsintensität zum Konsumenten, wird zur Benchmark von morgen.

Beziehungen organisiert man über Technologie, man steuert sie über Werte. Die Herausforderungen in einer digital vernetzten Welt sind nicht nur technologischen und ökonomischen, sondern vor allem auch kulturellen und sozialen Ursprungs. Menschen sind bekanntlich der Flaschenhals des technologischen Fortschritts. Ihre Sehnsüchte und Ängste entscheiden über Begeisterung, schnelle Adaption oder

Anpassungsträgheit und Ablehnung. Den Wertewandel der Konsumenten zu verstehen und zu nutzen hat sich als eine verlässliche

Orientierungsgröße im Wandel bewiesen. Ein interessantes Beispiel ist hier der Wahlsieg von Barack Obama: Sein Wahlkampf konfrontierte die Haltung der Regierung Bush „Sicherheit durch Angst“ mit den Werten

„Freiheit durch Hoffnung“. Gegen die Politik der einsamen Entschlüsse seines Vorgängers setzte Obama den Wert der kollektiven Aktion. „Yes we can“ betonte den gemeinsamen Wille zum Wandel.

Das Internet ist in Deutschland für die 14- bis 40-Jährigen zum Leitmedium geworden. Dadurch wird das Social-Media-Monitoring zu einem aussagekräftigen Tool der Wertewandelforschung. Der

„Trendbüro Werte-Index 2009“, der in enger Kooperation mit Liquid

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Campaign entstanden ist, liefert ein Bild davon, wie Deutsche im Internet grundlegende Werte diskutieren. Über die Häufigkeit der Diskussionen einzelner Wertbegriffe hinaus werden vor allem die aktuellen Bedeutungen und der Wertewandel analysiert und nutzbar gemacht. Ausgangspunkt waren zwölf Wertbegriffe, die vom

Medienphilosophen Norbert Bolz, Professor an der Technischen Universität Berlin, bestimmt wurden. Grundlage für den „Trendbüro Werte-Index 2009“ sind über 150.000 digital veröffentlichte User- Meinungen aus Blogs, Foren und Communities. Ein Jahr lang wurde die Wertediskussion im deutschsprachigen Web beobachtet. Vorteil der Werteuntersuchung im Internet ist, dass hier User unbeeinflusst durch gezielte Fragestellungen ihre ehrliche Meinung äußern.

„The web as interaction between people is really what the web is.“

Sir Tim Berners-Lee

Erfinder des World Wide Web

Der „Trendbüro Werte-Index 2009“

1. Freiheit

Zugang statt Besitz, technologisch und ökonomisch

Der User hat erkannt, dass sich der persönliche Freiraum

ökonomisch und technologisch zwar erweitert hat. Aber er weiß auch, dass diese Freiheit neue Spielregeln braucht. Der

Widerspruch zwischen individueller Freiheit und ihrer Umsetzung in einem Staat steht im Zentrum der Diskussionen. Die

Verschärfung staatlicher Sicherheitspolitik wird als größte Bedrohung von Freiheit empfunden.

Kein anderer Wert wird öfter und in einem derartig breiten Spektrum diskutiert als „Freiheit“. Im Mittelpunkt steht der Wert an sich. User versuchen, „Freiheit“ zu definieren und Widersprüche zu anderen Werten wie „Gemeinschaft“ und „Sicherheit“ aufzulösen. Die neuen Medien werden als Befreiung gesehen: Jedem steht die Möglichkeit offen, sich weltweit zu präsentieren und zu informieren, vor allem aber auch, seine Kontakte freier zu wählen. Das Internet genießt eigene Regeln und den

Ruf besonderer Freiheit, die es zu verteidigen gilt: ungezwungene Meinungsäußerung, schrankenloser Austausch und kostenlose Inhalte.

Religion, Liebe, der freie Wille sowie Presse- und Meinungsfreiheit sind Randthemen.

Die freie Marktwirtschaft wird geschätzt. Trotz der Finanzkrise werden die freie Marktwirtschaft und das Prinzip des freien Wettbewerbs von einem Großteil der User

als das beste Wirtschaftssystem anerkannt.

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2. Erfolg

Gemeinsame Suche. Wer teilt, gewinnt

Der Bürger zeigt ein gespaltenes Verhältnis zum Erfolg. Durch die primär ökonomische Besetzung des Begriffs wird persönlicher Erfolg mit kommerziellem Erfolg gleichgesetzt. Er erscheint

machbar, spaltet die Gesellschaft aber in Gewinner und Verlierer.

Einen hohen Wert messen die Konsumenten den Erfolgsrezepten Arbeit, Fleiß und Gemeinsamkeit zu. Talent als Ursache für Erfolg ist auffällig unterrepräsentiert.

„In den 60er und 70er Jahren gab es geradezu einen Kult des Anti- Erfolges. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Jugendlichen wieder mit dem Leistungsprinzip versöhnt“, kommentiert Norbert Bolz. In der modernen Welt kann kein singuläres Erfolgsrezept mehr gelten. Gerade deshalb werden Erfolgsgeschichten ausgetauscht und diskutiert. Das gilt für Twitter ebenso wie für die Linkspartei.

Das Web hat die Regeln verändert, auch für „Offline-Unternehmen“.

Für Geschäftsmodelle im Web werden kommerzielle Gewinne als weniger wichtiges Erfolgskriterium angesehen. Die Anerkennung als

„Phänomen“ reicht bereits aus, wie das Beispiel Twitter zeigt.

Funktionierende Rezepte werden diskutiert sowie die Frage, ob und wie diese Strategien kopiert werden können. Mit persönlichem Erfolg ist vorrangig der berufliche Erfolg gemeint. Er gilt als Schlüssel für soziale Anerkennung, das eigentliche Ziel. Erfolg zu haben wird zunehmend Pflicht.

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3. Familie

Statuskampf. Mehr Sorge als Sehnsucht

Der Bürger sieht „Familie“ nicht vorrangig als rosigen Hort des liebevollen Miteinanders. Vielmehr heften sich an den Begriff

„Familie“ sofort Probleme der Versorgungsleistungen,

Rollenverteilung und Selbstentfaltung. Die Qualitäten „Liebe“,

„Nestwärme“ und „Wertekontinuität“ behalten ihre positive

Strahlkraft, das Gesamtkonstrukt wird jedoch auch als Kraftakt empfunden. Familienformen werden so diversifiziert besprochen, wie sie auch in der Gesellschaft vorkommen. Die Formel der fixen

„Institution Familie“ spielt nur eine geringe Rolle.

In der Praxis ist das Thema Familie vom Konflikt zwischen

beruflichen und familiären Zielen sowie dem Kampf um sozialen Status geprägt.

Die Familie ist „No-Fun-Area“. Insgesamt sind die Texte über Familie von Pflichten und Sorgen geprägt. In einer Welt, die den Einzelnen zur ständigen Selbstoptimierung treibt, stellt sie nur theoretisch einen Hafen mit der Lizenz zum Sich-gehen-Lassen dar. Die

Statusfrage steht im Mittelpunkt der User-Diskussion. Zuerst muss der eigene Lebensstandard der Familie erarbeitet werden. Die

Verwirklichung finanzieller und beruflicher Ziele gerät in Konflikt mit dem Ideal des trauten Familienlebens. Gleichzeitig gilt es, den Status der Kinder langfristig zu sichern. Status ist in immer geringerem Maße vererbbar. Den Kindern steht also ihr eigener Statuskampf bevor. Die Erfolgsgrundlage dafür heißt Bildung; sie wird zum heiß umkämpften Gut.

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4.1. Gesundheit

Erfolgreicher Lebensstil. Selbstoptimierung vom Kindesalter an

Der User als Lebensunternehmer will sich fit machen, um dem allgemeinen Leistungsdruck und Schönheitswahn standhalten zu können. Gesundheit ist dafür Voraussetzung und Investment. Neben kritischer Selbstdiagnostik und einem erhöhten Bedarf an (semi- )medizinischem Coaching nimmt für ihn die Stärkung der inneren Balance durch Zuneigung und Wertschätzung einen erhöhten Stellenwert ein.

Gesundheit wird zum Lebensstil, Selbstoptimierung zum

Grundprinzip. Dazu gehören neben Fitness und Ernährung vor allem die physische und mentale Leistungsfähigkeit.

Gesundheit ist in der Leistungsgesellschaft längst zum notwendigen Normalzustand geworden. Krankheit wird zur Bedrohung des Status und zugleich zum Stigma sozialer Benachteiligung. Die

Verantwortung liegt bei jedem Einzelnen. Mit der Selbstoptimierung wird idealerweise bereits in den frühen Jahren begonnen.

Gleichzeitig hat sich das Selbstverständnis des Patienten gewandelt.

Aufgeklärt, kritisch und selbstbewusst fordert er die Autorität des Arztes heraus. Der Patient wird immer mehr zum kritischen Kunden.

Online-Foren werden genutzt, um Rat und Hilfe zu

Gesundheitsthemen auszutauschen. Selbstdiagnostik ist zur weit verbreiteten Praxis geworden. Darüber hinaus geben User einander Tipps zur optimalen Krankenversicherung und zu rechtlichen

Ansprüchen. Die Rolle des Staates in Bezug auf das Gesundheits- und Rentensystem wird kontrovers diskutiert.

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4.2. Sicherheit

Vertrauen statt Versprechen. Wer Sicherheit verkauft, erntet Misstrauen

Sicherheit ist in der Diskussion eng im Kontext Freiheit

angesiedelt. Die Gewissheit, dass fast nichts mehr sicher ist, steigt ebenso wie der idealistische Wunsch nach Sicherheit.

Sicherheitsangebote wirken vielfach verdächtig. Viele bemängeln, dass unter dem Vorwand der Sicherheit ihre persönliche Freiheit eingeschränkt wird.

Die Sicherheit steht im ewigen Widerstreit mit der Freiheit. Im

Individualismus gilt Freiheit als das höchste Gut. Was aber bedeutet Sicherheit in einer Welt der selbst gewählten Unsicherheit?

Sicherheit wird dort kritisiert, wo sie als Scheinsicherheit identifiziert wird. Die Rolle des Staates bei der Schaffung und Erhaltung öffentlicher Sicherheit nimmt einen zentralen Platz in der Diskussion ein. Je stärker die Digitalisierung der Gesellschaft voranschreitet, desto mehr bewegt sich auch die Wertediskussion in Richtung Internet und digitale Technologien. Das Internet macht den Usern deutlich: Sicherheit wird relativ.

Die Finanzkrise führt zu Unsicherheit und Vertrauensverlust. Die Krise des Finanzmarktes entwickelt sich zur Krise des Vertrauens in das System. Ungeachtet der Sehnsucht nach Sicherheit sind sich User über die Unmöglichkeit vollkommener Sicherheit in einer komplexen Welt bewusst. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Welt kann die gefühlte Sicherheit nur durch Vertrauen hergestellt werden.

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6. Natur

Ideal und Orientierung. Glaube an das Gute

In einer Welt, die immer gefährdeter, synthetischer und

manipulativer erscheint, verbindet der Konsument mit Natur einen Wertekanon aus Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und

schützenswertem Gutem. Das Natürliche gilt als wahr, richtig und gut. Der Glaube an die Natur gibt Orientierung. Der Mensch

begreift sich immer weniger als Nutznießer der Natur, sondern als ihr Förderer.

Natur wird zum Luxus-Feature. Die romantische Vorstellung der ursprünglichen, unberührten Natur findet in der Realität selten ihre Entsprechung. Dadurch erlangt sie einen Status des Luxuriösen.

Insbesondere im touristischen Kontext wird Natur zum Produkt- Feature. „Ökologie“ und „ökologisch“ sind Nischenbegriffe, die eher in Fachdiskussionen verwendet werden.

User sehen die Vorgaben der Natur als absolut an. So werden z. B.

die Definitionen

der Geschlechterrollen gern mit den natürlichen Veranlagungen begründet. Eigene Unzulänglichkeiten können durch die „Natur des Menschen“ legitimiert werden.

Auch wenn die Macht der Natur unangenehm und gefürchtet sein kann – sie wird

als übergeordnete Instanz hingenommen und nicht hinterfragt.

Politische und wirtschaftliche Themen selbst nehmen nur einen geringen Stellenwert

in der Diskussion ein. User nehmen zuallererst sich selbst in die Pflicht. Erst dann

wird nach dem Staat, nach Gesetzen und der Verantwortung der Unternehmen gerufen.

7. Einfachheit

Gefühlte Kontrolle. Nur Technik und Emotional

Design

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Für User bleibt Einfachheit ein unerfüllter Traum in einem Leben in immer komplexeren Strukturen, globalen Abhängigkeiten und persönlicher Eigenverantwortung. Konsumenten fordern

Einfachheit allerdings in der Übersetzung komplexer Sachverhalte. Der Wunsch zu verstehen wächst mit der gefühlten Unsicherheit.

„Einfachheit“ wird zum Sehnsuchtsfeld. Politik und Wirtschaft haben eine Komplexität erreicht, die auch ihre Experten nicht mehr fassen können. Der „einfache“ Mensch bzw. User fühlt sich

überfordert und ausgeliefert – sowohl dem System an sich als auch seinen führenden Eliten. Dennoch ist Kritik an der Komplexität wenig opportun. Im Gegenteil, einfache Rezepte werden als „zu einfach“

verurteilt. Diese bieten höchstens eine trügerische Sicherheit. Als Ersatz für Einfachheit, die er nicht bekommen kann, verlangt der User eine „einfache“ Kommunikation – sodass er zumindest versteht, was

er ohnehin nicht beeinflussen kann. Dieser Eindruck von Einfachheit vermittelt dem Bürger ein Gefühl von Kontrolle, Mitbestimmung und Respekt. Und genau diese drei Faktoren wecken Vertrauen und

kompensieren Unsicherheit.

Standardisierung und Kompatibilität sind die Grundlagen einfacher Lösungen. Was nicht mühelos und schnell zu erlernen ist, ist für den User irrelevant. Der einfache Austausch von Daten birgt auch Nachteile. Misstrauisch und teilweise schockiert stellen User fest, wie leicht Datenschutz und Sicherheitsmaßnahmen ausgehebelt werden können.

8. Anerkennung

Alternative Währung. Bestätigung statt Selbstverwirklichung

Für die hochindividuelle Gesellschaft ist Anerkennung die Rückversicherung, dass der eigene Lebensentwurf richtig ist.

Viele Online-Foren mutieren zu Jahrmärkten der Eitelkeit, auf denen das Streben nach Anerkennung zum Selbstzweck wird.

Der in der Diskussion dominierende Zusammenhang mit Toleranz

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zeigt auch, wie überfordert Konsumenten der Vielzahl individueller Lebensentwürfe gegenüberstehen.

Anerkennung kann im 21. Jahrhundert als Währung verstanden werden. Analog zu einem Einkommen wird in der User-Diskussion Anerkennung mit Status und beruflichem Erfolg gleichgesetzt.

Online hat sich eine Ökonomie der Anerkennung bereits etabliert.

Hier sind ganze Systeme entstanden, die auf Aufmerksamkeit und Aktivität (also Fleiß) basieren. Anzahl der Beiträge, Bewertungen anderer Nutzer und der Mitgliederstatus gehen ebenso in die Kalkulation ein wie der Grad der Vernetzung.

Online-Communities differenzieren dieses System weiter aus, weil sie davon profitieren, Anerkennung zu produzieren. Communities zahlen mit Anerkennung. Während die User der beobachteten Foren genau nach den Prinzipien gegenseitiger Anerkennung ihre Beiträge

leisten, werden diese Prinzipien selbst nicht thematisiert. Das ist der blinde Fleck des Mediums.

Die Toleranz als Anerkennung jedes Menschen gilt in einer pluralistischen Gesellschaft als Grundlage einer friedlichen Koexistenz.

9. Gerechtigkeit

Soziale Gerechtigkeit. Leistung und Gleichheit polarisieren

Der Bürger engagiert sich in der Debatte um soziale Gerechtigkeit.

Gesucht wird

ein Konsens zwischen dem Leistungs- und Belohnungsprinzip und der Umverteilung zugunsten der Schwächeren. Der User weiß um die sich weitende Kluft zwischen Arm und Reich. Gerechtigkeit ist Konsensthema Nummer eins und wird nicht infrage gestellt. Im Mittelpunkt steht die Suche nach einer Definition von sozialer Gerechtigkeit. Der Staat ersetzt Gott als Instanz für

Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit wird zum Schlagwort. Gerechtigkeit ist

selbstverständliches, unklares und vor allem politisches Ziel.

Gerechtigkeit muss hergestellt sein – darüber herrscht Einigkeit.

Man fragt nicht, was genau mit Gerechtigkeit gemeint ist, sondern zweifelt konkrete Maßnahmen durch die Frage danach an: „Ist das denn gerecht?“

Das Leben ist ungerecht. Die Diskussion der User ist von einer negativen Grundstimmung geprägt. Die Tonalität im Umgang mit

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Ungerechtigkeit reicht von Sarkasmus über Resignation bis zum Gefühl der Machtlosigkeit.

Gerechtigkeit meint vor allem soziale Gerechtigkeit. Einerseits wird sie im Sinne des Leistungsprinzips verstanden, andererseits als

Gleichverteilung. Im existierenden System kann soziale Gerechtigkeit aktuell, so die Meinung, nur durch ausgleichende Eingriffe des

Staates erreicht werden. Von Preisen und Löhnen wird Fairness erwartet.

10. Gemeinschaft

Verbundenheit zählt. Bindung wird abgelehnt

In der alltäglichen Lebenspraxis des Einzelnen löst das

„Netzwerk“ zunehmend den Begriff „Gemeinschaft“ ab.

Gemeinschaften stehen für Verbindlichkeiten. Der User selbst ist aber zur nötigen Bindung und Selbstverpflichtung nicht mehr bereit. Hier driften Wunsch und Wirklichkeit auseinander. Doppelt so häufig wie „Gemeinschaft“ werden „Netzwerke“ diskutiert.

Gemeinschaften sichern die Freiheit und Sicherheit des Individuums.

In der gesamten User-Diskussion fällt auf, dass „Gemeinschaft“ vor allem mit formellen Organisationen

in Verbindung gebracht wird. In Zeiten der Globalisierung wird supranationalen Organisationen, wie UNO und EU, eine zunehmend wichtigere Rolle für die Lösung politischer und wirtschaftlicher Probleme zugestanden.

Der Staat als Gemeinschaft gilt als Garant für die Sicherheit des Einzelnen. So wird der Staat zur Verantwortung gezogen, wenn es darum geht, den Einzelnen vor physischer Gewalt oder finanzieller Existenzbedrohung zu schützen.

Religionsgemeinschaften sind die konfliktreichsten Gemeinschaften.

Im Gegensatz zum Kooperationsprinzip stehen im Zusammenhang mit Religionsgemeinschaften Konflikte im Vordergrund.

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Peter Wippermann

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